I Am
- Regie:
- Tom Shadyac
- Jahr:
- 2011
- Genre:
- Dokumentarfilm
- Land:
- USA
- Originaltitel:
- I Am
1 Review(s)
03.03.2013 | 20:38Kommunikation mit dem Joghurt: Erfolgsregisseur auf Sinnsuche
Diese Dokumentation sucht Antworten auf verschiedene drängende Fragen. "Wir begannen mit der Frage, was auf der Welt falsch läuft - und entdeckten am Ende, was alles in Ordnung ist." Tom Shadyac
Das Leben des erfolgsverwöhnten Hollywood-Regisseurs Tom Shadyac (Chuck & Larry, Bruce Allmächtig) ändert sich schlagartig nach einem lebensgefährlichen Unfall. Statt wie bisher nach Erfolg und Ruhm zu streben, beschäftigen er sich mit zwei grundlegende Fragen:
"Was stimmt mit unserer Welt nicht?" und "Was können wir verändern?"
Shadyac philosophiert mit brillanten Köpfen wie Bischof Desmond Tutu, Physikerin Lynn McTaggert und anderen populären Denkern und Machern. Er fasst die gewonnenen Erkenntnisse bewegend und humorvoll zusammen. Doch am Ende seiner Expedition findet er nicht DIE Antwort, sondern neue Denkanstöße: "Was ist, wenn wir die Lösung für die Probleme unserer Welt schon die ganze Zeit direkt vor uns haben?"
Mehr Infos: www.iamthedoc.com. (ohne Gewähr)
Filminfos
O-Titel: I am (USA 2011)
Dt. Vertrieb: Universal
VÖ: 21.2.2013
EAN: 5050582906103
FSK: ab 12
Länge: ca. 77 Min.
Regisseur: Tom Shadyac
Musik: diverse, u.a. Peter Gabriel
Darsteller: Ray Anderson, Marc Ian Barasch, Coleman Barks, Noam Chomsky, Lynne McTaggart, Daniel Quinn, Howard Zinn, Desmond Tutu u.a.
Inhalt
Shadyac ist ein erfolgreicher Regisseur, der sogar einen OSCAR(TM) erhielt. Beim Mountain-Biking stürzt er jedoch eines Tages schwer und zieht sich eine Gehirnerschütterung zu. Das andauernde Klingeln in seinen Ohren ist nicht das Schlimmste, das er davon trägt, sondern die zunehmenden Depressionen, die ihn an Freitod denken lassen. Die Therapien helfen nicht, und er gerät in eine Sinnkrise. Kann es das schon gewesen sein, wofür er sich all die Jahre abgerackert hat? Kommt jetzt das Aus?
Dabei hatten ihm die Marktschreier des American Dream doch stets suggeriert, dass alles zu heilen ist, solange man nur an die Wunder der Wissenschaft glaubt, Pustekuchen! Als die BIG LIE entlarvt ist, geht die Krankheit zurück und er kann sich an die Beantwortung zweiter drängender Fragen machen: "Was stimmt mit unserer Welt nicht?" und "Was können wir verändern?"
DIE GURUS
Er wendet sich an die Gurus der Welt, deren Namen dem deutschen Zuschauer nicht immer geläufig sind. Daher soll auf sie genauer eingegangen werden:
1) Desmond Tutu, der bekannteste unter ihnen, ist der Erzbischof von Kapstadt und eine der Leitfiguren der Anti-Apartheid-Bewegung und Vorsitzender der Wahrheits- und Versöhnungskommission, die die Verbrechen der Weißen-Regierungen von Südafrika aufarbeitete.
2) Howard Zinn (gestorben 2010) ist der in den USA sehr bekannte und engagierte Historiker, der das grundlegende Werk "A People's History of the United States" veröffentlichte, das die Landnahme und Ausrottung der Ureinwohner kritisch darstellt.
3) Noam Chomsky ist jedem Sprachwissenschaftler des Planeten ein Begriff; er hat aber auch auf anderen Gebieten veröffentlicht.
4) Daniel Quinn ist der Autor des Romans "Ishmael", das seinerzeit den ersten Turner Prize Award erhielt und mit Anthony Hopkins verfilmt wurde: "Was unterscheidet uns vom Primaten und lässt uns menschlich handeln?", lautet die zentrale Frage.
ZITATE
Zitiert werden außerdem die "Gurus" Albert Einstein, Charles Darwin, Ralph Waldo Emerson und Henry David Thoreau - alles Jungs, die sich kritisch mit der Natur des Menschen und seiner Kultur beschäftigten. John Lennon darf nicht fehlen. Ach ja, und Isaac Newton bekommt den Todesstoß versetzt.
Die Antwort Nr. 1
Die Frage Nr. 1 lautet "Was stimmt mit unserer Welt nicht?" Gibt es also ein grundlegendes Problem, das alle anderen nach sich zieht? Die Ideologie des American Dream, die woanders eher unbekannt ist, fordert den permanenten Wettbewerb mit den anderen. "Greed is good", sprach Gordon Gecko in "Wall Street" und zitierte damit Prof. Ivan Boesky aus San Francisco. Die Wirtschaft wurde zum Gott erhoben, obwohl keiner das virtuelle Monster ebensowenig sehen kann wie "den markt".
Aber ist dies die Norm, fragt Shadyac und findet Antworten in der Natur- und Menschenkunde. Die Norm, so stellt sich heraus, ist vielmehr Kooperation statt Dominanz. Wer kooperiert, lebt länger, besser und hat höher Überlebenschancen, wenn sich die Rahmenbedingungen (Klimawandel, Seuchen usw.) auf einmal ändern. Je mehr kooperieren, desto erfolgreicher ist diese Verhaltensweise. Tatsächlich erfolgen mehr Mehrheitsentscheidungen als Dekrete, selbst bei den Rothirschen. Darwins Satz "Survival of the fittest" wurde krass falsch überliefert und interpretiert: Er bedeutet, dass nur diejenige Spezies überlebt, die am besten seiner Umwelt abgepasst ist - denn sie kann ihre Gene am erfolgreichsten weitergeben.
Aber was hat der Einzelne konkret davon? Die Neurologie hat EINE Antwort. Der Vagus-Nerv ist ein ganz zentraler Nervenstrang, der Kopf und Herz verbindet. Wenn wir emotional bewegt sind, wird er aktiv und erzeugt ein Gefühl der Wärme, Hitze in der Brust oder schnürt uns sogar die Kehle zu. Wir sind sozusagen von der Natur ausgestattet, um uns anrühren und bewegen zu lassen. So entwickeln wir Leidenschaft und Mitgefühl für die Sorgen anderer. Wenn wir erfolgreich helfen, erleben wir ein erhebendes Gefühl der Zufriedenheit.
Gibt es ein Gen für diesen Gemeinschaftssinn? Shadyac fragt seinen Dad, der mit seiner Klinik für krebskranke Kinder viele Leben gerettet oder zumindest erleichtert hat. (Dieser Film ist ihm gewidmet.) Dad sagt, dass sich Menschen in der Kirche ganz anders verhalten als außerhalb. In der Gemeinde sind sie brav und fürsorglich, aber draußen egoistisch und ehrgeizig.
Feldtheorie
In einem ulkigen Experiment kann Shadyacs Interviewpartner von "HeartMath" nachweisen, dass negative Gefühle ihre eigenen Schwingungen im elektromagnetischen Feld (Kirlian-Feld) des Menschen verbreiten - und das dies weiter kommuniziert wird (jeder Erwachsene erzeugt etwa 100 Watt pro Tag). Die Pointe dabei: Negative Gefühle verhindern das Denken, während positive es fördern! Wer hasst, denkt nicht mehr.
Und die Autorin von "The Field" setzt noch einen drauf: Ein Mensch kann damit ein Vorgefühl entwickeln, was in den nächsten fünf bis zehn Sekunden passiert wird! Klingt esoterisch, wird aber überall in alten Volkskulturen beobachtet. Der Grund: Alles ist auf einer subatomaren Ebene miteinander verbunden - "it's all alive!" Diese Feldtheorie bedeute das Ende von Newtons kausalem Weltbild, in dem jedem Effekt eine oder mehrere Ursachen zugesprochen werden konnten. Einstein hätte sich bestätigt gefunden.
Frage 2
Doch was kann der Einzelne tun? Vor allem: Falls er was tun kann, was sollte er dann zuerst tun - und auf welche Weise? Wenn die emotionale Einstellung des Einzelnen bereits im Feld Auswirkungen zeigt, dann kommt es folglich darauf an, sich selbst zu definieren und sein Bewusstsein auf den Wandel einzustellen. Die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung begann 1955 damit, dass sich eine schwarze Dame weigerte, ihren gebührenden Platz in der Schwarzensektion eines öffentlichen Busses einzunehmen. Sie wurde verhaftet.
Doch von Selma, Alabama, verbreitete sich dieser Protest über das ganze Land, bis es endlich 1964 soweit war: Die Gleichstellung von Weißen und Schwarzen wurde per Gesetz verankert. Das hinderte die Mörder von Robert Kennedy und Martin Luther King nicht daran, ihr blutiges Werk zu verrichten. Heute sitzt ein Farbiger im Weißen Haus. Ähnliches geschah in Südafrika, von wo Bischof Tutu zu erzählen weiß: Er brachte nicht nur Nelson Mandela die Freiheit, sondern dem ganzen Land. Tutu: "Das Meer besteht aus Regentropfen." Will heißen: Jeder Partikel trägt etwas dazu bei.
Und auf die Ressourcen bezogen, sollte das Bewusstsein dem Naturgesetz folgen, demzufolge jeder nur so viel nimmt, wie er unmittelbar braucht. Bei Zuwiderhandlung erfolgt Ausrottung, begleitet von Krebstumoren.
Shadyac erkannte, dass er einer Art Krebs in Form einer Geisteskrankheit anheimgefallen gewesen war: ein "wetiko", ein Lebens-Kannibale. Er trug sogar selbst dazu dabei, etwa indem er sich in Pasadena eine riesige Villa kaufte, die nur er selbst bewohnte, die aber im Unterhalt Unsummen verschlang. Er verkaufte sie und zog in eine Wohnwagensiedlung. Er wurde Radfahrer und Dozent, arbeitete mit Kindern und ging auf die Straße. Eine der schönsten Szenen: Shadyac verteilt in der Fußgängerzone "free hugs", also kostenlose Umarmungen.
Frage 3
Die dritte Frage stellte sich ihm: Was stimmt in unserer Welt? "Liebe - sie ist in unserer DNA!" John Lennon hatte recht, als er sang: "All you need is love", denn allein schon Liebe ist eine wesentliche Voraussetzung für Veränderung, auch in einem Menschen selbst, und es kann nicht ausbleiben, dass ein Mensch, der liebt, die Welt ein ganz kleines bisschen verändert - zum Besseren, wie zu hoffen ist.
Mein Eindruck
Shadyacs Exkursionen führten mich in die modernste Wissenschaft. Ohne den Namen zu nennen, spricht er über Strings und die Einstein-Rosen-Brücken, die quasi Wurmlöcher durchs All bilden (allerdings auf subatomarer Ebene). Witzig war auch die Vorstellung, dass die Atome des Edelgases Argon, die schon Alexander der Große und Julius Caesar ausatmeten, bis heute irgendwo auf der Erde existieren - derartig unzerstörbar sind diese Atome.
Nur der Joghurt hört mein Seufzen - diesen abgewandelten Spruch könnte man auf Shadyacs Experiment im HeartMath-Institut anwenden. Zwei in den Joghurt gesteckte Elektroden reagieren und liefern messbaren Strom, wenn Shadyac negative Emotionen über sein eigenes EM-Feld aussendet. Ob das auch bei positiven Emotionen geht, wird hier nicht gezeigt, aber es ist anzunehmen, daher umarmt er auch wildfremde Menschen auf der Straße ("free hugs").
Diese Joghurt-Szene ist sicher die Episode, die dem Zuschauer ein ungläubiges Schmunzeln ins Gesicht zaubert, wenn nicht sogar ein mitleidiges. In vielerlei anderer Hinsicht gelangt der Regisseur aber zu glaubwürdigen, nachvollziehbaren Erkenntnissen. Sicher, sie sind für einen gebildeten Europäer keineswegs neu - die Friedensbewegung der Achtziger Jahre, in der ich und meine Generation sozialisiert wurden, versuchte diese Erkenntnisse zu verbreiten, mit gutem Erfolg, wie man an dem Erfolg der Grünen und den Abrüstungsverträgen ablesen kann. (Was aber nicht verhindert hat, dass Deutschland zu den größten Rüstungsexporteuren gehört.)
Was ich im Abriss oben unterschlagen habe, ist die Rolle von Geschichten für die Geschichte. Für jeden Anhänger der Postmoderne und des Dekonstruktivismus selbstverständlich, ist die Rolle der Geschichten und Ideen doch weitgehend unbeachtet geblieben. Jahrhunderte lang hat man uns die Geschichte erzählt, die Wissenschaft sei die allein seligmachende Kraft für die Menschheit. Nun, sie hat uns an den Rand der Ausrottung durch einen Atomkrieg geführt, vielen Dank auch. Den Amis erzählte die Regierung nach dem 2. Weltkrieg, alle Kommunisten seien Teuefelsanbeter, da sie ja nicht an Gott glauben. Viele ältere Amerikaner glauben diese Story sogar heute noch: Sie halten sogar Liberalismus für Teufelswerk.
Diebisch freut sich Shadyac mit seinen Zitatlieferanten, dass die Wissenschaft endlich dort angelangt ist, wo sich Spiritualität und Religion schon seit Jahrtausenden befinden, nämlich beim Gedanken, dass auf der Erde alles miteinander verbunden ist. Die Große Einheitliche Feldtheorie, der Einstein zeit seines Lebens (vergeblich) hinterher jagte, sie ist schon immer da gewesen: Da alles lebendig ist und alles aufeinander einwirkt, kann nichts unverbunden sein und alles existiert in einem Feld aus Verbindungen. Alte Hüte, werden uns die Religionen sagen. Endlich hat die Vernunft das Wissen des Glaubens eingeholt.
Der Zuchauer mag sich dazu stellen, wie er will, so kommt es doch darauf an, wie er die Argumente bewertet, die Shadyac ausgewählt hat und anführt. Sind alle Zitate nur als Selbstrechtfertigung des Regisseurs zu werten? Dieser Zweifel könnte einem kommen, doch dagegen spricht die Vielzahl der übereinstimmenden Zitate von bekannten Persönlichkeiten des Geisteslebens, die man sich unterschiedlicher kaum vorstellen kann. Von Sprachwissenschaftlern über Erzbischöfe und den Dalai Lama bis zu Romanautoren ist alles vertreten. (Etliche davon sind hierzulande wenig bekannt.)
Und die Bewegungen der Befreiung von Rassengesetzen in den USA und Südafrika belegen die These, dass jede Bewegung klein anfangen muss - beim Einzelnen -, bevor sie zu einer Massenbewegung anschwellen kann. Warum sollte also die Liebe nicht zu einer Bewegung gemacht werden können, die sich ausbreiten kann? So abwegig erscheint diese Idee dann gar nicht mehr, und dass Shadyac kostenlose Umarmungen verteilt, erscheint als Konsequenz aus dieser Idee. Man sollte es mal ausprobieren.
Die DVD
Technische Infos
Ton: Dolby Surround 2.0 (D, F, PL), Dolby Digital 5.1 (GB)
Bild: 1,78:1 Anamorph Widescreen
Sprachen: D, GB, F, PL
Untertitel: D, GB, F, CZ, DK, GR, E, FIN, HIND, I, NL, N, P, RUS, S, Türkisch
Mein Eindruck: die DVD
Dies ist keine Blu-Rry-Disc, sondern eine DVD, deshalb sollte man keine allzu hohen Ansprüche an die Qualität von Ton und Bild stellen. Aber Shadyac wäre kein OSCAR-Preisträger-Regisseur, wenn er in diesem Punkt nicht das bestmögliche Ergebnis gesucht hätte. Selbst die Landschaftsimpressionen, die er zwischen die Zitate stellt, sind deshalb durchaus annehmbar, was die Bildqualität angeht. Und die Vielzahl der Untertitel ist durchaus eindrucksvoll.
Unterm Strich
Das größte Verdienst dieser Doku liegt wohl darin, dass sie den auf Ehrgeiz und Wettbewerb getrimmten Amerikanern eine Ideologie der Kooperation und Liebe entgegensetzt, die sie bislang gar nicht kannten. Doch die "Shareconomy", die Wirtschaft des Teilens von Ideen und Informationen, die 2013 das Motto der weltgrößten Computermesse CeBIT ist, geht genau in diese Richtung. Der Einzelne gibt, was allen zugute kommen soll und was alle, auch dem Einzelnen, als Mehrwert nützt.
Vor diesem Hintergrund wirken die Zitate und Argumente, die Shadyac anführt, gar nicht mehr so abwegig. Bei gebildeten Europäern rennt er zwar vielfach offene Türen ein, aber, wie gesagt, seine Doku wendet sich vor allem an Amerikaner. Und für die sind solche Thesen nun mal was ganz Neues.
Dass jeder Mensch über sein privates EM-Feld Emotionen überträgt, ist indes auch hierzulande nicht allgemein bekannt, und dass man mit negativen Emotionen das Denken verhindern kann, vielleicht ebenfalls nicht (obwohl dies jeder am eigenen Leib erfahren kann). Positive Gefühle wie Zusammengehörigkeit, Liebe, Freundschaft jedoch bestätigen den Einzelnen in seiner Haltung und Existenz und verstärken seine Fähigkeit, kreativ zu denken. Und wenn viele das tun, nennt man das wohl eine Demo.
Jeder Zuschauer wird sich dasjenige aus der Doku herausziehen, das ihm am ehesten zusagt. Positiv ist daher zu vermerken: Weder Propaganda noch Ideologie sind Shadyacs Anliegen. Was man von Sekten wie der Scientology nicht behaupten kann.
Michael Matzer (c) 2013ff
- Redakteur:
- Michael Matzer