Kabinett außer Kontrolle
- Regie:
- Ianucci, Armando
- Jahr:
- 2009
- Genre:
- Komödie
- Land:
- GB
- Originaltitel:
- In the Loop
1 Review(s)
29.04.2011 | 09:35Ermüdendes Pointenfeuerwerk: Politiker außer Rand und Band
"Ob Downing Street No. 10, Weißes Haus oder Vereinte Nationen - der Wahnsinn ist überall zu Hause und hat schlimmstenfalls auch noch Methode. Einen anderen Eindruck kann man in dieser rabenschwarzen Polit-Comedy nach bester britischer Tradition nicht gewinnen. Ein Heer von alten Zynikern und jungen Karrieristen ist dabei, über einen Krieg im Nahen Osten zu entscheiden. Mittendrin ein planloser Minister für internationale Entwicklung samt Entourage und der beinharte Pressechef der britischen Regierung, der seinem Premierminister wieder einmal den Allerwertesten retten muss." (Verleihinfo)
Filminfos
O-Titel: In the loop (GB 2009)
Dt. Vertrieb: Ascot Elite Home Entertainment
Erscheinungstermin: 22. Februar 2011 (BluRay)
FSK: ab 12
Länge: ca. 106 Min.
Regisseur: Armando Ianucci
Drehbuch: Jesse Armstrong, Simon Blackwell, Armando Ianucci, Tony Roche
Musik: Adem Ilhan
Darsteller: Peter Capaldi, James Gandolfini, Tom Hollander, Gina McKee, Paul Higgins u.a.
Handlung
Es ist Tobys erster Tag in der PR-Abteilung des Außenministeriums. Nach der ruhigen Kugel, die er im Agrarministerium zusammen mit seiner Verlobten Suzy geschoben hat, ahnt er noch nicht, dass er schon bald im Hyperdrive arbeiten muss. Denn im Hintergrund dräuen gar finstere Wolken auf der politischen Szene: Es ist allgemein bekannt, dass die USA schon bald in den Krieg gegen einen Staat im Nahen Osten (lies: Irak 2003) ziehen werden. ABER: Niemand in England darf darüber sprechen!
Dieser Niemand ist leider ausgerechnet der Minister für internationale Beziehungen, Simon Foster (Tom Hollander). Der unbedarfte Provinz-Cowboy aus Northamptonshire nennt in einem TV-Interview den eh schon absehbaren Krieg "un-vorhersehbar", mithin also möglich. Der Pressechef von Downing Street, Malcom Tucker (Peter Capaldi), erleidet fast eine Schreikrampf und staucht Foster zusammen, bis er in eine Hutschachtel passt.
Toby, der "Medienassistent" Fosters, bekommt die Szene hautnah mit. Während er noch sein Schlottern zu kontrollieren versucht, gibt sich die Medienkordinatorin Malloy total abgebrüht: Sowas passiert offenbar jeden Tag. Tucker ersetzt sie kurzerhand durch Toby. Dieser sucht eine Chance, Foster zu rehabilitieren: Er soll seinen Fauxpas wiedergutmachen. Erste Gelegenheit, gedeichselt mit Suzy im Außenministerium: das anglo-amerikanische Ressourcenforum. Zwar vermasselt Foster auch hier seinen Auftritt, aber Toby sieht eine Studienkollegin wieder, die als Analytikerin in die US-Administration gegangen ist. Lisa Welch, so stellt sich heraus, hat ein brisantes Papier zur Einschätzung der Lage im Nahen Osten geschrieben. Es wird rasch eine ungeahnte Karriere hinlegen…
Um den Schussel Foster endlich zu entfernen, schickt Pressechef Tucker ihn mitsamt Toby nach Washington. Dort soll er bei Karen Clark, Lisas Chefin im Außenministerium, quasi in die höhere Schule der Diplomatie eintreten. Clark arbeitet für Staatssekretär Linton Barwick. Schon bald stoßen Foster und Toby auf ein heißes Gerücht: Gibt es wirklich ein super geheimes Kriegskomitee? Wie Lisa herausfindet, handelt es sich um das Future Planning Comittee. Und ja: Es geht um Krieg.
Als Toby dies von Lisa erfährt, erzählt er es so nebenbei einem Kumpel beim Kabelsender CNN, der natürlich nichts Eiligeres zu tun hat, als eben diese Info hinaus zu posaunen. Das ruft selbstverständlich Malcolm Tucker auf den Plan. Es darf keinesfalls so aussehen, als würden die Briten mit den Amis den Krieg planen. Obwohl sie NACH der Kriegserklärung gerne zu ihren Waffenbrüdern stehen werden, versteht sich.
Im Kriegskomitee sitzt unter anderem General Miller (Gandolfini) vom Pentagon, ein alter Freund von Karen Clark. Sie planen in einem Kinderzimmer, dem einzigen ruhigen, abhörsicheren Ort, den großen Coup, wie sie die Briten als Marionetten benutzen können. Schon bald sieht Tucker keinen anderen Ausweg mehr, als die Reißleine zu ziehen und Foster samt Toby nach Hause zu schicken.
Während sich Foster in seinem Wahlkreis in Northamptonshire mit einer sehr symbolträchtigen Mauer auseinandersetzen muss, gelangt Lisa Welchs Strategiepapier in die Hände von Barwick, Miller und Clark: Sie benutzen es in verstümmelter Form, um den Krieg im Nahen Osten als unvermeidbar darzustellen - in einer denkwürdigen Sitzung der Vereinten Nationen…
Mein Eindruck
Wem dieses Szenario bekannt vorkommt, liegt völlig richtig. Jedwede Ähnlichkeit mit der Geschichte ist völlig beabsichtigt. Es war der damalige Außenminister Powell, der der UNO "bewies", dass der Irak über "Massenvernichtungswaffen" verfügte und daher eine Bedrohung der "internationalen Sicherheit" darstelle, die zu eliminieren sei. Leider war das ebenso eine Lüge wie das Material, auf das sich Powell stützte.
|Schizophrenie|
Für den britischen Pressechef der Regierung Tucker ist dies natürlich ein hochbrisantes Thema. Innenpolitisch darf der Premierminister nicht als Kriegstreiber dastehen - Krieg kostet bekanntlich Steuergelder -, außenpolitisch darf der Premier die USA, den großen Waffenbruder, nicht im Regen stehen lassen. Hinzu kommt, dass die Briten gerne gegenüber den verlorenen "Kolonien" auftrumpfen, von den Amis aber stets eine Nummer kleiner gemacht werden. Die Ironie dürfte an keinen Zuschauer verschwendet sein. Die bissige Satire funktioniert.
|Brit-Comedy|
In diesem schizophrenen Umfeld entwickelt sich nach bester Brit-Comedy-Manier eine turbulente Handlung, die dem Zuschauer höchste Aufmerksamkeit abverlangt, will er den Überblick behalten. "In the Loop" bedeutet "auf dem Laufenden (gehalten werden)" - was allerdings auf die wenigsten Figuren zutrifft. Praktisch jeder Satz hat eine Pointe, dafür haben schon die vier Drehbuchautoren gesorgt. Diese haben sich von Ianuccis Comedyserie "Thick of It" (wörtlich "mittendrin") ebenso inspirieren lassen wie von der Echtzeit-TV-Serie "24", in der jede Szene eine Pointe haben muss, um wirken zu können. So schnell, wie sich die Haltung eines Politikers wandelt, kann der Zuschauer gar nicht gucken.
|Romantik?|
Aber wo, bitteschön, bleibt die Romantik, mag sich der Zuschauer fragen. Sind internationale Beziehungen nicht eben das, nämlich Beziehungen?! Okay, unser Schwerenöter Toby (wunderbar: Chris Addison) techtelmechtelt mit Lisa Welch, sie gehen in die Disco, lassen sich abfüllen und landen schließlich - ja wo nur? Toby erwacht in einem fremden Bett und es ist nicht das in seinem Hotelzimmer! Die gehört offensichtlich einer Frau und wer kommt für diese Rolle besser infrage als Lisa? Dumm nur, dass sich Lisa später per SMS auf Tobys Handy meldet, das er Suzy geliehen hat. Er hat sie betrogen, zetert sie erbittert. "Es war ein Friedensfick!" verteidigt sich die treulose Tomate. So nennt man heutzutage also "internationale Beziehungen". Klar, dass er null Chance auf Vergebung hat.
|Die deutsche Fassung|
Die Comedy als Format würde auch in diesem Film funktionieren, wenn das Tempo nicht so hoch und das Gagfeuerwerk nicht so schnell wäre. Kommt man bei einer Comedy von sagen wir mal 40 Minuten auf seine Kosten, so geht man am Schluss der 100 Minuten (plus Abspann) geistig auf dem Zahnfleisch. Was zuviel ist, ist zuviel. Zumal ich mich ständig fragte, worauf die Story schlussendlich hinaus will. Im Prinzip könnte sie endlos weiterlaufen.
Die spezielle Methode von Regisseur Ianucci sorgt zwar für Auflockerung und Natürlichkeit - die Schauspieler lernen das Skript zwei Wochen lang auswendig und diskutieren es intensiv, doch beim Dreh dürfen sie in ihrer Rolle improvisieren. Die deutsche Synchronisation ist allerdings für das Verständnis dieser Anstrengungen wenig hilfreich, wenn sie nur einen (zugegeben: großen) Bruchteil des Dialogwitzes des Originals wiederzugeben vermag. Meine Empfehlung daher: Unbedingt das Original gucken!
Die Blu-ray
Technische Infos
Bildformate: 16:9 - 1.77:1
Tonformate: Deutsch (DTS-HD 5.1), Englisch (DTS-HD 5.1)
Sprachen: D, Englisch
Untertitel: D
Extras:
- Originaltrailer in Deutsch und Englisch
- Deleted Scenes
- Trailershow: "Blown Apart"; "Ex-terminators"; "Last Minute Baby", "Buried", "In schwarzer Haut"
- Interviews: Peter Capaldi; Tom Hollander, Chris Addison, Gina McKee, Mimi Kenndy, David Rasche, Zach Woods, Armando Ianucci, die 3 anderen Skriptautoren, Kevin Loader (Prod.), Adam Tandy (Prod.)
- Beim Dreh (B-Roll)
Mein Eindruck: die Blu-ray
Die Qualität des Bildes ist, wie bei einer Blu-ray zu erwarten, einwandfrei und scharf, obwohl dies das Sujet gar nicht verlangt. Eine Komödienhandlung findet eben größtenteils in Innenräumen statt, egal ob in USA oder GB. Ähnliches gilt für den Ton: Obwohl dessen Qualität OK ist, wird keineswegs DD 5.1 benötigt, denn alle Figuren agieren wie auf einer Bühne. Surroundeffekte konnte ich keine feststellen. Ist ja auch nicht gerade ein Actionthriller.
|EXTRAS|
1) Originaltrailer in Deutsch und Englisch
2) Deleted Scenes (27 Minuten)
Habe ich wohlweislich ignoriert.
3) Interviews (67 Minuten): Peter Capaldi; Tom Hollander, Chris Addison, Gina McKee, Mimi Kenndy, David Rasche, Zach Woods, Armando Ianucci, die drei anderen Skriptautoren, Kevin Loader (Prod.), Adam Tandy (Prod.)
Diese umfangreiche Riege von Gesprächspartner wiederholt sich vielfach, wie vorherzusehen. Denn den Schauspielern werden stets die gleichen Fragen gestellt. Abweichend sind lediglich die Statements von Ianucci, den Autoren und den beiden Produzenten. Der Zuschauer ist gut beraten, bereits "Thick of It" zu kennen, das ständig als Referenz erwähnt wird. Das war bei mir nicht der Fall, so dass ich diese Verweise nicht zu würdigen wusste. Mit über einer Stunde Material fühlt sich der Zuschauer schließlich dem Overkill nahe. Ich habe einfach nur gezappt.
4) Beim Dreh (20:52 min)
Die B-Roll-Aufnahmen kann man sich wirklich sparen.
5) Trailershow: "Blown Apart"; "Ex-terminators"; "Last Minute Baby", "Buried", "In schwarzer Haut". Fünf Perlen britischer Filmkunst? Nun ja, so manchem Streifen wüsste ich etwas abzugewinnen, aber beileibe nicht allen. Besonders "Last Minute Baby" mit Heather Graham würde mir den letzten Nerv rauben: Eine kinderlose Frau erfährt, dass sie von ihrem ursprünglichen, bekanntlich begrenzten Vorrat an Eiern nur noch EIN EINZIGES übrig hat. Dieses muss sie jetzt natürlich vom besten aller Männer befruchten lassen? Doch welcher ist dieser Traummann? Gibt es ihn überhaupt? (Wo ist Supi, wenn man ihn braucht?)
Unterm Strich
"Kabinett außer Kontrolle" ist eine überlange britische Politsatire, die sich wohl besonders für Zuschauer eignet, die mit britischem Humor etwas anfangen - und die obendrein mit dem britisch-amerikanischen Verhältnis vertraut sind. Die Satire richtet sich gegen die Vorgänge im Vorfeld des zweiten Golfkrieges von 2003, als die US-Regierung die versammelten Vereinten Nationen analog - und Tony Blair dennoch seine Waffenbrüderschaft mit den Amis verkündete. Bemerkenswert: Ausgerechnet ein Premierminister taucht an keiner Stelle im Film auf. Ein Feigenblatt - und das bei einer Satire?
Statt eines inoffiziellen CIA-Informanten aus dem Irak tritt hier jedoch eine Strategieanalytikerin auf, deren Papier so umgemodelt wird, dass es den Kriegsinteressierten in den Kram passt - und zwar sowohl den Briten wie auch den Amis. Die Kritik, die die Autoren nach eigenem Bekunden äußern, richtet sich gegen die begrenzte Kompetenz solcher jungen Leute im Politapparat: "Ein Vierundzwanzigjähriger musste die Verfassung des Irak ausarbeiten, und einer wurde mit Friedensverhandlungen in Afghanistan betraut." In einer bezeichnenden Szene staucht PR-Chef Malcolm Tucker einen solchen "Politberater in Windeln" zusammen.
Auch wenn unverkennbar ist, dass die Satire ihre Spitzen treffsicher ins Ziel bringt, so wirkt die Prozedur doch in der Länge von hundert Minuten reichlich ermüdend und wirkt schließlich ziellos. Was soll diese Mauer in Northamptonshire, mit der sich Foster beschäftigen muss? Welchen geistigen Nährwert besitzt sie? Dass sich die britischen Medien darauf stürzen, belegt nur ihren Sensationshunger, nicht jedoch ihre Intelligenz. Merke: Auch die Medien bekommen hier ihr Fett ab.
|Die Blu-ray|
Sicher ist die ganze Handlung im Original sehr viel lustiger, denn die Synchronisation verschleiert viel vom Wortwitz. Dieses Verständnis des Originals setzt allerdings voraus, dass man britisches und amerikanisches Englisch derart gut versteht, dass man dem Maschinengewehrfeuer des Vokabulars mühelos folgen kann - was ich für mich erhoffe, aber bei anderen deutschen Zuschauer keineswegs als selbstverständlich erwarte.
Das Bonusmaterial erscheint sehr umfangreich, erweist sich aber bei genauerem Hinsehen als überlange Interviewsammlung und eine öde Drehort-Begleitung. Die Deleted Scenes habe ich mir gleich erspart, denn wem der Film nicht gefiel, wird mit den Überbleibseln unterm Schneidetisch noch weniger anfangen.
Michael Matzer (c) 2011ff
- Redakteur:
- Michael Matzer