Love Exposure
- Regie:
- Sion Sono
- Jahr:
- 2008
- Genre:
- Melodrama
- Land:
- Japan
- Originaltitel:
- Ai no mukidashi
1 Review(s)
15.10.2010 | 11:42Liebe, Romantik, Lust, Leidenschaft, Ekstase, Sex, Perversion, Gewalt, Wahn, Voyeurismus, Katholizismus, Fanatismus – es gibt viele Begriffe, welche die unzähligen Leitmotive von „Love Exposure“ bündeln und ihnen Ausdruck verleihen. „Love Exposure“ - das ist Kino in seiner reinsten Form. Kino wie es pure Freude bereitet. Kino wie es den Zuschauer das Medium wieder schätzen lässt. „Love Exposure“ - das ist Kino wie es sein soll.
„Love Exposure“ ist eines dieser Meisterwerke, welches die Kraft besitzt über andere Meisterwerke zu thronen. Warum das so ist, ist schwer zu sagen. Denn der Film von Japans enfant terrible schlechthin, Sion Sono („Exte“, „Suicide Club“), ist einer dieser Filme, die man gar nicht so richtig in Worten beschreiben kann, weil er einer dieser Filme ist die man in seinem ganzen Wesen gar nicht fassen kann. Der Ausspruch, der Film sei einer, den man gesehen haben muss um ihn zu verstehen, um seine Genialität nachvollziehen zu können, mag einer sein, der ziemlich altbacken und schnell daher gesagt klingt . Und doch: auf „Love Exposure“ trifft dieser Ausspruch zu. Voll und ganz.
„If I speak in the tongues of men and of angels, but have not love, I am a noisy gong or a clanging cymbal. And if I have prophetic powers, and understand all mysteries and all knowledge, and if I have all faith, so as to remove mountains, but have not love, I am nothing. If I give away all I have, and if I deliver up my body to be burned,a but have not love, I gain nothing.“
- Korinther 13; 1-3 -
Schon im frühen Kindesalter hat Yu (Takahiro Nishijima) seine Mutter verloren. Das hat nicht nur ihn, sondern auch seinen streng religiösen Vater Tetsu (Atsuro Watabe) sehr mitgenommen. Letzterer fand nur in seinem Glauben noch Halt und ließ sich kurz nach dem Tod seiner Frau zum Priester weihen. Das Leben von Vater und Sohn läuft harmonisch ab. Beide verstehen sich gut, helfen sich gegenseitig und sind für einander da. Bis zu jenem Tag an dem Kaori (Makiko Watanabe) in das Leben der beiden eintritt. Sie macht keinen Hehl daraus, das sie den gutmütigen Priester liebt, stalkt ihn, lässt nicht locker bis dieser selbst für die Frau Gefühle entwickelt. Schon bald ziehen Tetsu und Kaori zusammen, der schüchterne Yu mit ihnen. Doch keine drei Monate später verlässt Kaori den Priester bereits. Sie wollte das Versteckspiel nicht mehr mitmachen, hat von Tetsu verlangt das dieser sie heiraten solle, auch ist es ihr wohl zu langweilig geworden.
Dieser erneute Schicksalschlag verändert den Priester, er stürzt sich geradezu fanatisch in seinen Glauben. Bald schon nötigt er Yu täglich Beichte abzulegen. Doch Yu hat nichts wofür er Beichte ablegen kann. Daraufhin beginnt der bis dahin ruhige Mustersohn gezielt Situationen zu suchen, in denen er sündigen kann nur um bei seiner tägliche Buße von diesen berichten zu können. Doch egal was Yu auch tut – seinen Vater kann er noch immer nicht zufrieden stellen. Yu´s Freunde schlagen ihn daraufhin vor eine Stufe weiter zu gehen und auf die sexuelle Schiene abzudriften. Schließlich gäbe es nichts was einen katholischen Priester mehr entzürnen würde als eine sexuelle Sünde. Daraufhin beginnt Yu Schulmädchen unter den Röcken zu fotografieren. Und tatsächlich: das erste mal entzürnt sich sein Vater über die Taten seines Sohnes, schlägt seinen Sohn und flieht gar aus dem gemeinsamen Haus.
Yu, der nun alleine ist und nur noch seine Freunde hat, widmet daraufhin seinen ganzen Alltag dem Tosatsu und perfektioniert das Unter-die-Röcke fotografieren geradezu. Dabei ist er stets auf der Suche nach der einen Frau, seiner eigenen Maria, welche sich Yus Mutter so sehr gewünscht hat für ihren Sohn. Als er eines Tages nach einer verlorenen Wette um das beste Upskirt-Foto gegen seine Freunde verloren hat, wird er von diesen genötigt sich in Frauenkleider zu schwingen und auf der Straße irgendein Mädchen zu küssen und dieser zu sagen, dass er sie liebt. Für den, trotz aller Geschehnisse, noch immer religiösen Yu, der auf seine große Liebe warten wollte, nicht gerade ein freudiger Wetteinsatz, aber er willigt schließlich ein. Als er und seine Freunde schließlich durch die Straßen, auf der Suche nach dem passenden Mädchen sind, sehen sie, wie ein junges Mädchen von einer Gruppe Männer belästigt wird. Yu will einschreiten und der Unbekannten helfen. Als er sie schließlich sieht, trifft ihn der Schlag. Das ist sie. Das ist seine Maria.
Nachdem er der Unbekannten geholfen hat, stellt sich diese als Yoko (Hikari Mitsushima) vor. Auch für sie ist es Liebe auf den ersten Blick. Doch vermutet sie hinter Yu, nicht diesen, sondern eine Frau. Zu allem Überfluss klärt Yu die Verwechslung nicht auf und spielt vorerst mit. Dem nicht genug: wie sich schon bald herausstellt ist Yu die Stieftochter von Kaori, welche wieder zu Tetsu zurückkehren will. Beide wollen es noch einmal miteinander probieren und planen zu heiraten. Damit wäre Yu Yokos Bruder. Doch diese weiß noch immer nicht, wer hinter der Frau, die sie gerettet hat, wirklich steckt. Schlimmer noch, hält sie Yu doch für einen perversen Sonderling. Und ein weiteres Problem tut sich in Form der mysteriösen Aya (Sakura Ando) auf. Denn das junge Mädchen, welche Leiterin fanatischen „Church Zero“ Sekte ist, plant als ihren großen Coup die katholische Familie um Priester Tetsu einzuspannen. Ein Unterfangen, das sie schon von langer Hand geplant hat...
„Love is patient and kind; love does not envy or boast; it is not arrogant or rude. It does not insist on its own way; it is not irritable or resentful;it does not rejoice at wrongdoing, but rejoices with the truth. Love bears all things, believes all things, hopes all things, endures all things.“
- Korinther 13; 4-7 -
„Love Exposure“ ist ein – ich wage zu behaupten, das man dies bereits der oben aufgeführten Inhaltsangabe vernehmen kann – komplexer Film, der geradezu episch von seinem Regisseur und Drehbuchautor Sion Sono angelegt wurde. Ein Fakt, welcher sich alleine schon durch seine Laufzeit von 237 Minuten andeutet. Ursprünglich mit einer unfassbaren Laufzeit von über sechs Stunden ausgestattet, was den Produzenten so gar nicht schmecken wollte, wurde der Film mal auf zweieinhalb Stunden heruntergekürzt, dann wieder um eineinhalb Stunden erweitert, sodass er in seiner fertigen Fassung eine Laufzeit von beinahe vier Stunden inne hat. Das hört sich zweifelsohne nach unglaublich viel an und tatsächlich gibt die oben angerissene Zusammenfassung der Handlung nicht einmal ganz das erste Drittel von „Love Exposure“ wieder. Und doch gelingt Sion Sono das Kunststück, dass sein Film nicht eine Minute zu langweilig wirkt. Keine Szene wirkt unnötig, keine Nebenhandlung wie ein Zeitfüller. Alles an „Love Exposure“ wirkt geradezu minutiös einstudiert und bis ins kleinste Detail durchdacht, ohne das man den dadurch vielleicht entstehen mögenden Anspruch von überquellender Perfektion erfüllt.
Die Facetten des Filmes sind dabei so Abwechslungsreich, wie man es nicht einmal zu träumen wagt. Der Film ist eine kritische Auseinandersetzung mit fanatischem Religionskult, dann ist er eine seichte Teenagerkomödie, plötzlich spritzen aus einem abgeschnittenen Penis hektoliterweise Blutfontänen und man befindet sich mittendrin im japanischen Explotationkino eines Takashi Miike („Ichi the Killer“, „Audition „), dann wird das ganze schließlich zum ergreifenden Familiendrama, zwei kurze Szenen wirken wie typisch amerikanische B-Movies, Erotik-Elemente mit Anleihen an Freuds Theorien fließen ebenso ein wie avantgardistische Arthouse-Aspekte und Martial-Arts Nuancen des Hong-Kong Kinos der 1990er Jahre. Kurzum: „Love Exposure“ ist von allem ein bisschen, genauso wie es bei einer Lasterladung Formfleisch der Fall ist. Doch was über all den selbst für japanische Verhältnisse oftmals wirren Szenen und kruden Verweisen auf die Popkultur des Landes steht ist vor allem eines: eine klassische, fast schon einfache Liebesgeschichte, welche nichtsdestotrotz die epischen Züge eines Shakespeare annimmt. Nur eben bunter, lauter, abgedrehter und japanischer.
Aber was macht den Film dabei so gut? Es ist wohl der Umstand, dass Sono in diesen vier Stunden so viele Aspekte beleuchtet, wie man sie beim ersten, zweiten oder dritten Mal ansehen wohl gar nicht alle erfassen kann. So stellt er etwa die Frage in den Raum was „normal“ und was „abnormal“ ist und wer diese Etikettierung eines Menschen überhaupt vornimmt, wer ihre Regeln bestimmt. Hat nicht jeder Mensch vielmehr das Recht darauf so zu sein wie er will, egal mit welchen Macken? Ist Yu nun Pervers, weil er Upskirt-Fotos macht? Auch übt der Regisseur ganz unverfangen Kritik an hohen Instanzen wie der Kirche, welche, egal ob es nun eine radikale Organisation ist wie eine Sekte, im Film dargestellt in Form der fiktiven „Church Zero“, oder eine „gefestigte“ Organisation wie die katholische Kirche ist. Denn beide legen oder haben ihre Lehren vor allem so ausgelegt, das es ihnen nützt, sei es aus Machtansprüchen oder aus finanziellen Motiven.
„Love never ends. As for prophecies, they will pass away; as for tongues, they will cease; as for knowledge, it will pass away. For we know in part and we prophesy in part, but when the perfect comes, the partial will pass away. When I was a child, I spoke like a child, I thought like a child, I reasoned like a child. When I became a man, I gave up childish ways. For now we see in a mirror dimly, but then face to face. Now I know in part; then I shall know fully, even as I have been fully known.“
- Korinther 13; 8-12 -
Gleichzeitig inszeniert Sono seinen Film als reines Spektakel. Nicht nur kreuzt er so ziemlich jedes Genre, welches das Medium Film besitzt, miteinander und lässt Referenzen ohne Ende einfließen auch legt er äußerst viel Wert darauf stilistisch stets für entzückte Augen und Ohren zu sorgen. Alleine die Lehrausbildung von Yu als Tosatsu Fotograf kann man nur mit den Worten „wahnsinnig, aber wahnsinnig gut“ formulieren, lässt der Regisseur das ganze doch ablaufen wie einen alten Kung-Fu Film der 70er Jahre inklusive schrägen Altmeister und geradezu wahnwitzigen Ideen. Und auch eindrucksvolle, geradezu philosophische Bildkompositionen die mit viel Pathos und Gänsehautstimmung daherkommen, lässt Sono auf sein Publikum los. Musikalisch setzt sich dieser stilistische Overkill fort indem der Regisseur einfach mal dreißig Minuten Ravels „Boléro“ im Hintergrund laufen lässt, plötzlich auf klebrigen Bubblegum-Japano-Pop umsteigt nur um schließlich Beethovens 7. Sinfonie erklingen zu lassen.
Doch bei alledem, was „Love Exposure“ in seinen vielen Zwischentönen auch ist und sein mag, das wirklich essentielle Motiv des Filmes ist die Liebe, schließlich, so die letztliche Aussage des Filmes, ist sie das, was wirklich zählt, was das Leben erst lebenswert macht. Sie ist das Wunder, nach welcher sich Yu sehnt. Das alles mag herrlich naiv und kitschig klingen, doch davon ist dieser Film Meilenweit entfernt. Vielmehr ist die Geschichte um Yu und Yoko, so einfach sie im Grunde auch sein mag, eine, der es gelingt sein Publikum wirklich zu bewegen. Vor allem eine spätere Szene, in welcher die beiden am Strand miteinander kämpfen und Yoko mit verweinten Augen das „Hohelied der Liebe“ rezitiert, ist dabei so entscheidend und prägend für den ganzen Film das sie zum alles überragenden Symbol von „Love Exposure“ wird.. Gleichzeitig ist das ganze für den Zuschauer äußerst aufwühlend und (auf vollkommen nicht-kitschige Art und Weise) herzerweichend, das eine fließende Träne gewiss ist.
„So now faith, hope, and love abide, these three; but the greatest of these is love.“
- Korinther 13; 13 -
Das ist auch der Verdienst des brillant besetzten Cast. Der in seinem Heimatland vor allem als Popsänger bekannte Hauptdarsteller Takahiro Nishijima („Tamburingu„) erweist sich in diesem packenden Epos als exzellente Wahl, gelingt es ihm doch seinem Yu sämtliche Aspekte des Charakters, sei es dessen schüchterne Art, sein Ausbruch in die Gefilde als Voyeur, als liebender oder auch als psychisch Kranker, abzugewinnen und hervorragend rüberzubringen. Das gleiche gilt für Hikari Mitsushima („Death Note“, „Kung Fu Girl“), die von ihrer ersten on-screen Minute an eine unglaubliche Aura versprüht und sich nach und nach aus dem Schatten ihrer Kollegen hinaus spielt. Sakura Ando („A Crowd of Three“) hingegen überzeugt in ihrer Rolle als eiskalte Femme fatale, der im Laufe der Geschichte noch eine sehr wichtige Rolle zu Teil wird.
„Love Exposure“ mag viele abschrecken – wegen der ungeheuerlich lange anmutenden Laufzeit, wegen dem wirren Stilmix, wegen der umfangreichen Geschichte, wegen der vielen Themen. Sion Sono hat keinen Film für Jedermann gemacht und wollte dies auch nie. Sein Epos über die Liebe ist ein in seinen Grundfesten tief philosophischer Film, der mit einer atemberaubenden Symbolik um sich greift und der schwer im Magen liegt. Gleichzeitig ist sein Film aber einer, der dem Zuschauer viel gibt. Zum genießen, zum lachen, zum weinen, zum nachdenken. Und dafür muss man Sono dankbar sein.
Daten zum Film:
Originaltitel: Ai no mukidashi (Japan, 2008)
Laufzeit: ca. 237 Minuten
FSK: Freigegeben ab 16 Jahren
Regie: Sion Sono
Darsteller: Takahiro Nishijima (Yu Honda), Hikari Mitsushima (Yoko), Sakura Ando (Aya Koike), Makiko Watanabe (Kaori), Atsuro Watabe (Tetsu Honda)...
10/10
- Redakteur:
- Adrian Trachte