Operation Desert - Die verschwundene Einheit
- Regie:
- Myrick, Daniel
- Jahr:
- 2008
- Genre:
- Horror
- Land:
- USA
- Originaltitel:
- The Objective
1 Review(s)
10.05.2011 | 09:59Das geschieht:
In der südostafghanischen Provinz Ghazni entdeckt ein CIA-Spionage-Satellit radioaktive Spuren. Experimentiert Al-Qaida in der Abgeschiedenheit der Wüste mit atomaren Waffen? Wir schreiben den November des Jahres 2001; gerade fiel das World Trade Center, und die USA sind im Krieg mit den Schurkenstaaten des Nahen Ostens. Benjamin Keynes, ein CIA-Agent mit Wüstenerfahrung, will das beobachtete Phänomen überprüfen. Ein Kontaktmann, der Geistliche Mohammad Aban, soll ihn führen. Begleitet wird Keynes von einer sechsköpfigen Special-Forces-Einheit unter dem Kommando von Wally Hamer.
Als die Gruppe Mohammads Dorf erreicht, hat dieser sich vor den Taliban in die „Heiligen Berge“ zurückgezogen. Sein Neffe Abdul erklärt sich bereit, die Männer zu ihm zu führen. Mit einem klapprigen Jeep machen sich die Sucher auf. Der Weg ist weit und gefährlich. Die Wüste ist eine lebensfeindliche Zone, und feindliche Rebellen lauern überall. Tatsächlich gerät die Gruppe in einen Hinterhalt, der ein erstes Opfer fordert.
Die Einheit will den Einsatz abbrechen, aber Keynes setzt die Fortsetzung durch. Er verheimlicht seinen Gefährten die wahre Mission. Längst weiß die CIA, dass nicht Al-Qaida in Ghazni die Fäden zieht. Seit vielen Jahrhunderten wird Seltsames aus dieser Region überliefert. Lichter ziehen über den Himmel, unheimliche Geräusche ertönen, die gesamte Geografie verändert sich, bis die Karten nicht mehr führen und Abdul sich verirrt. Geisterhafte Gestalten verfolgen die Soldaten, deren professionelle Selbstkontrolle sich nach und nach auflöst. Das Wasser geht zur Neige, der Kompass streikt, die Funkverbindung bricht ab. Aus Jägern werden Gejagte, die immer tiefer in eine unirdisch fremde Ödnis geraten …
Mann mit Hang zum Mystischen
Daniel Myrick hat ein Faible für höchstens teilweise gelöste Fragen. Gleich mit seinem Langfilm-Erstling traf er damit ins Schwarze bzw. den Nerv eines faszinierend verstörten Publikums. „The Blair Witch Project“ wurde 1999 einer der größten Blockbuster aller Zeiten. Bei Entstehungskosten nahe Null wurde eine neunstellige Dollarsumme eingespielt. Damit waren nicht nur die Kritiker, sondern auch die Münzenzähler in Hollywood elektrisiert.
Das „Blair Witch“-Fieber klang rasch ab, denn der neu geschaffene Mythos konnte nicht mit jenem Eigenleben ausgestattet werden, das er zu seiner Etablierung benötigt hätte. Myrick verschwand zwar nicht von der Bildfläche, aber filmisch musste er weiterhin kleine Brötchen backen, drehte auf Video und kehrte erst 2008 mit „Solstice“ auf die große Leinwand zurück – theoretisch, denn viele Kinos gab es nicht, die sich für diese versponnene, mit Rätseln quasi vollgepumpte Werk interessierten. Erst mit „Operation Desert“ gelang ihm erneut ein erinnerungswürdiger Rekord: Dieser Film wurde in nur einem Kino gezeigt und spielte in neun Tagen 95 $ ein; das Geschäft läuft im Video-Bereich hoffentlich besser …
Myrick ist sich immerhin treu geblieben. Niedrige Budgets garantieren ihm Unabhängigkeit und lassen ihn experimentierfreudig bleiben. Für „Operation Desert“ ging er mit Darstellern und Crew ins nordafrikanische Marokko; ein Land, das Afghanistan regional sehr ähnelt, dabei aber (weitgehend) rebellen- und terroristenfrei ist, was den ohnehin anstrengenden Dreh etwas angenehmer gestaltete.
Wir wissen nicht, worum’s geht, aber es sieht gut aus
Die Landschaft spielt nicht nur als exotische Kulisse ihre Rolle. Myrick verdeutlicht eine Welt, die man betreten, in der man aber nicht leben kann. Hitze, Staub, Steine, Wind - Die Öde scheint grenzenlos und ist doch voller Verstecke und Schlupfwinkel, die sich abrupt in Hinterhalte verwandeln können.
Kamerafrau Stephanie Martin findet in der Musik des fabelhaften Komponisten Kays Al-Atrakchi Unterstützung. Sie orientiert sich an nahöstlichen Melodien, mischt dabei die Stile jedoch zu einem fremden, flirrenden, irritierenden, die Seltsamkeit der Landschaft betonenden Soundtrack, der zudem in der Lautstärke schwankt und oft eher zu spüren als zu hören ist.
In diese Welt, die selbst von den Einheimischen gemieden wird, bricht das 21. Jahrhundert in Gestalt hightechgerüsteter, mit Selbst- und Sendungsbewusstsein prall gefüllter US-Soldaten. Für sie steht nur ein Auftrag an; wo sie ihn erledigen, ist ihnen gleichgültig. Gewöhnt an permanente Luftunterstützung, werden sie sogleich unruhig, als die Nabelschnur zerreißt. Dies ist der erste Schritt einer Odyssee, die sie die Überlegenheit, die Routine, den Mut und schließlich das Leben kosten wird.
Die Suche nach Mohammad Aban, den wir niemals zu Gesicht bekommen, wird zur Reise ins „Herz der Finsternis“: So nannte Josef Conrad seine 1899 erschienene (und 1979 von Francis Ford Coppola als „Apokalypse Now“ verfilmte) Allegorie des Abstiegs in eine Welt, in der die Gesetze der Zivilisation aufgehoben sind und von archaisch-brutalen Ritualen ersetzt werden.
Der Mann mit der Kamera
Die Höllenfahrt in die Finsternis lässt Myrick wie bei Conrad kommentieren; die Rolle des Chronisten ist sogar doppelt besetzt. Benjamin Keynes erzählt uns, seinem Publikum, das er nie kennenlernen wird, was er seinen Begleitern aus Geheimhaltungsgründen verschweigen muss. Darüber hinaus dokumentiert er die gesamte Expedition bis zu ihrem bitteren Ende mit seiner Kamera. „The Objective“ heißt dieser Film deshalb sehr viel treffender in seiner Originalfassung. Gemeint ist einerseits das Objektiv dieser Kamera, die unbestechlich und unerbittlich aufzeichnet, was dem menschlichen Auge meist verborgen bleibt. „Objective“ ist außerdem das Missionsziel, das Keynes und Hamer völlig unterschiedlich definieren.
Während die Soldaten nur einen Job erledigen, ist Keynes auf einer Mission. Er weiß, dass er etwas finden und untersuchen soll, was nicht von dieser Welt ist. Zwar schiebt er seinen Auftrag vor, doch tatsächlich ist Keynes als Privatmann unterwegs. Er will wissen – um jeden Preis, was auch das Leben seiner ahnungslosen Gefährten einschließt. Wer nicht mitziehen kann, wird von ihm zurückgelassen. Er ist besessen bzw. infiziert vom Rätsel in der Wüste, die man „in seinen Augen erkennen“ könne, wie ein einheimischer Weiser anmerkt.
Kein Monolith, sondern ein Dreieck
Die Entscheidung darüber, was nun in der Wüste vorgeht, überlässt Myrick seinem Publikum. Es wird ihm nicht ungeteilt freudig zustimmen und sich auf jeden Fall argwöhnisch fragen, ob ihr Regisseur und Co-Autor selbst genau weiß, welches Garn es da spinnt. Daniel Myrick ist nicht Stanley Kubrick, der seine Hauptfigur David Bowman in einen außerirdischen Monolithen schickte und die finale Auflösung durch einen delirierenden Bilderrausch ersetzte.
Mit „2001 – Odyssee im Weltraum“ kann „Operation Desert“ freilich nicht mithalten. Die Rätselhaftigkeit des Finales wirkt bei Myrick forciert und hilflos. Das gelöste Mysterium ist auch in der Realität selten so spannend wie die Suche nach der Wahrheit. Myrick lässt uns durchaus nicht gänzlich allein; ihm gelingt es nur nicht, uns so weit an die Hand zu nehmen, bis seine Bilder das Hirn nicht frustrieren, sondern in Gang setzen.
Zwei Deutungsmöglichkeiten
Faktisch gibt es zwei Wege, sich dieser Geschichte zu nähern. In der Studierstube von Mohammad Aban entdeckt Keynes etwas, das trotz seiner primitiven Machart und seines unverkennbar hohen Alters das Modell eines Raumgleiters darzustellen scheint. Solche kleinen Figuren sind archäologisch z. B. in Kolumbien überliefert und versetzen die chronisch leichtgläubigen Anhänger der sog. „Prä-Astronautik“ in helle Aufregung: Außerirdische Raumfahrer müssen in grauer Vorzeit die Erde angeflogen haben!
Myrick mischt die sagenhaften Vimanas in seine esoterische Drehbuch-Suppe; angebliche „Himmelswagen“ in trapez- oder dreieckiger Form, die in indischen Schriften des ersten vorchristlichen Jahrtausends erwähnt werden. Falls es Besucher aus dem All gab, dann sind sie – so Myrick – geblieben und haben sich in der Ghazni-Region angesiedelt, wo sie sich mit Dingen beschäftigen, die uns Erdmenschen nichts angehen.
Eine zweite Deutung interpretiert die „Heiligen Berge“ als Heimat der Dschinn – Naturgeister der arabisch-afrikanischen Mythologie, die abseits der menschlichen Zivilisation hausen und Eindringlinge sehr unfreundlich empfangen. Gern locken sie diese in ihr Reich, aus dem sie nie wieder zurückkehren und ein schlimmes Ende nehmen. Dschinn können in verschiedene Gestalten schlüpfen oder als Windhose durch die Wüste wirbeln – Phänomene, die auch in „Operation Desert“ zu beobachten sind.
Harte Jungs gegen hinterlistige Geister
„Operation Desert“ ist ein Film ohne weibliche Hauptdarsteller. Schon damit baut Myrick sich selbst eine Hürde, denn Hollywood sorgt dafür, dass mindestens eine Frau in die Geschichte gerät, um ihre Geschlechtsgenossinnen ins Kino zu locken. In diesem Geschehen ist das Geschlecht jedoch unwichtig. Das Rätsel dominiert, während Romantik vollständig außen vor bleibt.
Wird diesem Ziel auch die Figurenzeichnung untergeordnet? Die Frage ist schwer zu beantworten, obwohl sie berechtigt ist, denn es fällt auf, wie gleichgültig die Schicksale der Wüstensucher lassen. Höchstens das Ende Abduls bewegt; der junge Afghane ist bereit, mit den abergläubischen Vorstellungen seiner Ahnen zu brechen, um dann zu erkennen, dass diese sehr reale Schrecken begrifflich machen. An dieser Erkenntnis zerbricht er, bevor ihn die Außerirdischen/Dschinn/Geister packen können.
Was die US-Einsatztruppe betrifft, kann sich der Zuschauer kaum einzelne Namen merken. Zwar bemüht sich Myrick, harte Männer zu vermenschlichen, indem er beispielsweise Tom Cole über die anstehende Geburt seines ersten Kindes erzählen lässt. Doch es obsiegen die bekannten Klischees, die mit bewährtem Landser-‚Humor‘ verschnitten werden. Insofern lässt sich über die Darsteller nur sagen, dass sie ihre konturschwachen Rollen ordnungsgemäß mit Leben füllen, bis sie an der Reihe sind, einen unschönen Tod zu sterben.
Nicht diese – womöglich sogar gewollte – ‚Kollektivierung‘ kostet „Operation Desert“ die Gunst seines Publikums. Es ist die Enttäuschung über einen Drehbuchautoren und Regisseur, der über 80 Minuten das Ruder fest in der Hand hält und alles richtig macht, um im Finale einzuknicken. Die Differenz zwischen Weg und Ziel ist dieses Mal zu groß, als dass der Zuschauer sie überwinden könnte; doppelt schade, denn diese Geistergeschichte aus der Wüste ist wirklich spannend, solange man ihr Ende ignoriert.
Daten
Originaltitel: The Objective (USA 2008)
Regie: Daniel Myrick
Drehbuch: Daniel Myrick, Mark A. Patton u. Wesley Clark Jr.
Kamera: Stephanie Martin
Schnitt: Michael J. Duthie u. Robert Florio
Musik: Kays Al-Atrakchi
Darsteller: Jonas Ball (Benjamin Keynes), Matthew R. Anderson (Chief Warrant Officer Wally Hamer), Jon Huertas (Sergeant Vincent Degetau), Michael C. Williams (Sgt. Trinoski), Sam Hunter (Sgt. Tim Cole), Jeff Prewett (Sgt. Pete Sadler), Kenny Taylor (Master Sergeant Tanner), Chems-Eddine Zinoune (Abdul), Qzaibar Allal (Dorfältester), El Hayrani Lekbir (Einsiedler) u. a.
Label/Vertrieb: EuroVideo (www.euro-video.de)
Erscheinungsdatum: 23.12.2010 (Leih-DVD/Blu-ray) bzw. 20.01.2011 (Kauf-DVD/Blu-ray)
EAN: 4009750208410 (Leih-DVD)
EAN: 4009750208427 (Kauf-DVD)
EAN: 4009750391440 (Leih-Blu-ray)
EAN: 4009750391433 (Kauf-Blu-ray)
Bildformat: 16 : 9 (1,78 : 1, anamorph)
Audio: Dolby Digital 5.1 (Deutsch, Englisch)
Untertitel: Deutsch
Länge: 87 min. (Blu-ray: 90 min.)
FSK: 16
DVD-Features
Die Extras zum Hauptfilm beschränken sich auf das obligatorische „Making Of“, das sich immerhin nicht ausschließlich in Eigenwerbung erschöpft, sondern spüren lässt, wie kompliziert und anstrengend die Dreharbeiten in der marokkanischen Wüste waren.
Zum Film gibt es außerdem eine sehr schön gestaltete Website, auf der sich das „Making of“ ebenfalls und in voller Länge finden lässt: www.objectivemovie.com
- Redakteur:
- Michael Drewniok