Populärmusik aus Vittula
- Regie:
- Reza Bagher
- Jahr:
- 2004
- Genre:
- Komödie
- Land:
- Schweden
- Originaltitel:
- Populärmusik från Vittula
1 Review(s)
05.11.2006 | 13:22Die beiden Freunde Matti und Niila stammen aus Pajala, einem nordschwedischen Kaff unweit der finnischen Grenze. Der Name ihres Stadtteils Vittula ist eine Abkürzung des finnischen Wortes “Vittulajänkkä“, das soviel wie Fotzenmoor bedeutet. Die Namensgebung erlaubt wiederum Rückschlüsse auf die weibliche Bevölkerung, zeichnet sich diese doch nach Meinung der männlichen Bevölkerung durch ihr breites und gebärfreudiges Becken aus. Von ähnlich stereotyper Einfachheit ist allerdings auch das maskuline Selbstbild. Groß und stark hat ein Mann zu sein, dessen Größe und Stärke sich vor allem im Stehvermögen bei den regelmäßig stattfindenden Trink- und Saunawettbewerben manifestiert. Für Andersdenkende ist kein Platz. Wer dennoch aus der Rolle fällt, wird kurzerhand mit dem Stigma “knapsu“ (unmännlich, verweichlicht) versehen.
Matti und Niila stehen ebenfalls im Verdacht, “knapsu“ zu sein. Das tun sie, weil sie so gar nicht den Erwartungen ihrer Familien und Bekannten entsprechen. Anstatt die toredalschen Tugenden wie Holzhacken, Saufen und Armdrücken in Ehren zu halten, entdecken beide im zarten Alter von sieben Jahren ihre Leidenschaft für “Råckönråll Mjosik“. Ihre Begeisterung wächst zunehmend, sodass sie einige Jahre später mit schlagkräftiger Unterstützung des kauzigen Musiklehrers Gregor eine Schülerband gründen. Obwohl ihr Talent bei weitem nicht so entwickelt ist wie ihr Ehrgeiz, träumen sie von Auftritten in London und New York. Sie wollen dem Kleinstadtmief der 60-er Jahre entfliehen; sie suchen nach Identität in einer schwedisch-finnischen Parallelgesellschaft, die alles andere als aufgeschlossen ist.
Der Film orientiert sich stark an seiner literarischen Vorlage. Episodenhaft reiht er bizarr-spektakuläre Erlebnisse aus der Jugendzeit Mattis und Niilas aneinander. Alles ist dabei: der erste Suff, der erste Sex und natürlich der erste Gig außerhalb von Pajala. Es geht um das Erwachsenwerden, um den Abschied von einer nicht immer schönen Kindheit. Dabei verzichtet der Film auf pseudopsychologische Erklärungsansätze und zeichnet sich durch einen lakonischen Tonfall aus. Bilder sagen manchmal mehr als Worte; Tragik und Komik sind untrennbar miteinander verknüpft. Dass einige Episoden – so zum Beispiel die legendäre Rattenjagd – dem Schneidetisch zum Opfer fielen, ist nicht weiter schlimm. Viel wichtiger ist, dass in der Verfilmung genauso viel Herzblut steckt wie in Mikael Niemis gleichnamigem Roman.
Auf der DVD befindet sich neben dem obligatorischen Trailer lediglich ein Interview mit Regisseur Reza Bagher, was freilich ein bisschen mager ist. Als Entschädigung liegt der Box ein kleines, aber hübsch gestaltetes Booklet bei, das weitere Hintergrundinformationen liefert. Bild- (16:9) und Tonqualität (Dolby Digital 2.0 / 5.1) wissen ebenfalls zu überzeugen. Es empfiehlt sich, den Film im Original zu sehen, sind doch die Skurrilitäten und Wortwitzeleien untrennbar verwoben mit dem schwedisch-finnischen Sprachgefälle. Wem die Filme des Ausnahmeregisseurs Aki Kaurismäki gefallen, kann auch bei “Populärmusik aus Vittula“ getrost zugreifen.
- Redakteur:
- Marco Pütz