Rakete 510
- Regie:
- Day, Robert
- Jahr:
- 1959
- Genre:
- Science-Fiction
- Land:
- GB
- Originaltitel:
- The First Man Into Space
1 Review(s)
12.02.2011 | 21:53Das geschieht:
Schon seit Kindertagen sind sie nicht nur Brüder, sondern auch erbitterte Rivalen. Daran hat sich nichts geändert, seit beide für die US-Navy arbeiten: Commander Charles Ernest Prescott, der Ältere, leitet eine Serie streng geheimer Versuchsflüge, die Raketenflugzeuge in den erdnahen Weltraum unternehmen, Lieutenant Dan Milton Prescott ist der beste (und offenbar einzige) Pilot des Programms.
Leider ist er auch sehr von sich eingenommen und unzuverlässig. Unbedingt will er der erste Mensch im Weltraum sein und nimmt dafür jedes Risiko in Kauf. Zum Ärger seines disziplinversessenen Bruders ist Dan außerdem ein Leichtfuß, der nach einer Notlandung schon einmal seine Rakete im Stich lässt, um sich in den Armen der schönen Tia Francesca zu entspannen.
Doch sowohl Captain Richards als auch Dr. Paul von Essen, der für das Programm zuständige Arzt, halten schützend die Hand über Dan. So sitzt dieser auch am Steuer der Rakete 510, obwohl er die Nr. 509 zu teurem Schrott geflogen hat. Auch dieses Mal denkt Dan gar nicht daran, sich an die Vorschriften zu halten. Immer weiter dringt er ins All vor und gerät in eine Wolke aus Meteoritenstaub, die ihm die Kanzel zerschlägt und seine Rakete zum Absturz bringt.
Das Wrack wird leer gefunden, der Pilot gilt als tot. Eine seltsame 'Haut' aus unbekanntem und unzerstörbarem Material hat die Rakete überzogen. Noch während die Navy es untersucht, beginnt ein blutsaugendes Monster in der Gegend sein Unwesen zu treiben. Was der Zuschauer längst vermutet, wird für Charles Prescott erst spät zur Gewissheit: Bruder Dan ist es, der da umgeht! Auch ihn hat die seltsame Haut überzogen und ihm dabei den Verstand geraubt. Während die Polizei Waffen aller Kaliberstärken durchlädt und zur Großjagd auf den mutierten Piloten bläst, versuchen Charles, Tia und Dr. von Esser verzweifelt, Dan das Leben zu retten, ohne dass er dabei auch sie einen Kopf kürzer macht …
Filme, die die Welt nicht braucht?
Trash ist, wenn man trotzdem lacht: gut gemeinte Film-Unterhaltung, die aufgrund fehlender finanzieller Mittel, Zeitmangels oder der Abwesenheit gestalterischen und darstellerischen Talents so grandios misslingt, dass dieses Scheitern dem Werk eine ganz neue Qualität verleiht. Heute wird Trash gern geplant, aber dabei stellt sich immer wieder heraus: Das Element des unfreiwilligen Fehlschlags lässt sich nicht imitieren. Es muss authentisch sein.
"Rakete 510" weist diese Qualität ganz sicher auf, weshalb dieser sogar vom deutschen Fernsehen verschmähte Streifen seine späte DVD-Inkarnation in der Reihe "Galerie des Grauens" des "Anolis"-Labels erfuhr. Dieser Name ist Programm bzw. doppeldeutig, denn hier werden Filme ausgegraben, die - vornehm ausgedrückt - Fußnoten der Kinogeschichte darstellen. Filme wie "Rakete 510" sollten ihr Publikum unterhalten. Sie wurden so gut produziert, wie es im Rahmen der finanziellen und technischen Möglichkeiten realisierbar war. Niemand konnte 1959 ahnen, wie sich die Filmtechnik und mit ihr die Ansprüche der Zuschauer entwickeln würden. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache lässt sich "Rakete 510" sogar ohne Bemühung des Trash-Faktors goutieren.
Film als Zeitdokument
In gewisser Weise ist die Eroberung des Weltraums im 21. Jahrhundert bereits Vergangenheit. Wenn heute noch Menschen ins All fliegen, dann kommen sie dabei nicht mehr höher als Dan Prescott. Das reicht dann, um Satelliten zu warten oder sogenannte 'Raumstationen' - Blechtonnen mit Solar-Flügeln - anzusteuern. Als Rakete 510 startete, herrschte eine gänzlich andere Stimmung: Triumph im Osten, Schrecken im Westen, denn die Welt gliederte sich in zwei konkurrierende Supermächte und ihre Verbündeten, die sich in einem (noch) kalten Krieg gegenüberstanden.
Dummerweise hatten die teuflischen Sowjet-Kommunisten die Nase vorn. Als "Rakete 510" 1959 in die Kinos kam, hatten sie bereits drei "Sputnik"-Satelliten ins All geschossen und dabei sogar einen Hund in die Erdumlaufbahn gebracht. 1961 folgte mit Juri Gagarin der erste Mensch - und er war kein US-Amerikaner! Der Weltraum drohte rot zu werden; eine dem Westblock schreckliche Vorstellung, der einen unglaublichen Wettlauf in Gang setzte: Wenigstens auf dem Mond sollte ein Vertreter der 'richtigen' Seite landen!
Geld spielte keine Rolle, auch Menschenleben konnten in Gefahr gebracht werden. Es wurde experimentiert und aus Rückschlägen gelernt. In dieser Situation entstanden "Rakete 510" und unzählige andere Science-Fiction-Filme, die vorwegnahmen, was geschehen würde oder konnte.
Film ist Unterhaltung
Auf Präzision in der Darstellung durfte der Zuschauer dabei nicht hoffen; so sind die naturwissenschaftlichen Kenntnisse der Drehbuchautoren Cooper & Hargreaves (die unter ihren richtigen Namen "Rakete 510" auch produzierten) beklagenswert. Allerdings konnten sie auf das kollektive Nichtwissen des Kinopublikums rechnen, denn die Verhältnisse im Weltraum waren nur einem kleinen Kreis involvierter Wissenschaftler wirklich bekannt. Außerdem sollte "Rakete 510" nicht belehren, sondern unterhalten (und dabei so viel Geld wie möglich einspielen).
Folgerichtig verließen sich Regie und Drehbuch nicht auf Dan, den Weltraum-Vampir, sondern unterfütterten die Geschichte vorsichtshalber mit bewährten Versatzstücken: Es kommt zum dramatischen (oder besser: dramatisch gemeinten) Konflikt zwischen zwei konkurrierenden Brüdern, und selbstverständlich gibt es eine Liebesgeschichte, die in diesem Fall ein wenig kompliziert gerät, weil die Schöne sehr offensichtlich von einem Bruder zum anderen wechselt; wer kann es ihr verdenken, wenn man sieht, was aus dem schmucken Dan geworden ist …?
Auch Elemente des Krimis werden in die Filmsuppe gerührt. Ohnehin findet die meiste Handlung auf der Erde statt. Das ist billiger, denn sie muss anders als der Weltraum nicht als Kulisse gebaut werden. Problematisch ist höchstens, dass "Rakete 510" offiziell in New Mexico startet, wo das US-Militär in der Tat nicht nur Nuklearwaffen, sondern auch Flugobjekte aller Art testete, während der Film in England gedreht wurde: Die Außenaufnahmen zeigen deshalb Landschaften, die ganz und gar nicht wüstenhaft, sondern sehr britisch (= nebelfeucht) aussehen.
Film ist Illusion
Noch exotischer ist der Anblick, wie Major Dan mit einem Raketenflugzeug ins All vorstößt, dass von allen Beteiligten hartnäckig als "Rakete" bezeichnet wird. Die Filmproduktion musste sich nach dem greifbaren Archivmaterial richten. Bekommen konnte man Aufnahmen, die Versuchsflugzeuge wie die Bell X-1 zeigten, mit der 1947 zum ersten Mal die Schallmauer durchbrochen wurde. Zudem war es spannender und wirkte ansehnlicher, ein Flugzeug in den Weltraum zu befördern, weil es von einem Piloten aktiv gesteuert wurde. Echte Raketen waren gewaltige Treibstoffbehälter, auf deren Spitzen 'Piloten' hockten, die wenig Einfluss auf den Flug ihres Gefährts nehmen konnten.
Ohne Archivaufnahmen ging es nicht, weil das Budget nur wenige echte Trickaufnahmen gestattete, die mit der Realität verschnitten wurden und die teuren Spezialeffekte streckten. Natürlich konnten solches Archivmaterial nie bruchlos mit den Spielfilm-Aufnahmen kombiniert werden; weder die verwendeten Rohfilme noch die Beleuchtung stimmten überein, und stets blieben die Darsteller außen vor. Auch Marshall Thompson muss deshalb auf ein gar nicht existierendes Flugfeld starren. Dass auch er sich die Ohren zuhält, als ein Archiv-Raketentriebwerk getestet wird, unterstreicht die angestrebte Illusion keineswegs.
Die Weltraum-Szenen sind lange vor der CGI-Ära rein handgemacht. So sehen sie jederzeit aus. Damit kann sich der heutige Zuschauer deutlich problemloser abfinden als mit dem Monster-Kostüm, das Darsteller Bill Edwards als Vampir-Mutant tragen musste: Es sieht aus, als sei er erst in heißen Teer und dann in einen Container voller Rindenmulch gefallen. Hier endet des Zuschauers Langmut und mündet in Gelächter.
Film ist ein Job
"Rakete 510" ist kein Film, der durch schauspielerische Glanzleistungen in die Filmhistorie einging. Nicht nur hinter, sondern auch vor der Kamera wusste man, was man produzierte: Unterhaltungsfutter mit geringem Nährwert und von sehr begrenzter Haltbarkeitsdauer. Insofern beschränkten sich die Schauspieler darauf, darstellerische Routinen abzurufen und sich ansonsten das Lachen zu verbeißen, was angesichts der unglaublich hohlen Dialoge und angesichts der Herausforderungen, Furcht vor dem Rindenmulch-Ungetüm (s. o.) zu simulieren, als echte Leistung anzuerkennen ist.
Marshall Thompson (1925-1992) war in den 1950er Jahren ein typischer Nachwuchsdarsteller, der seinen Job von der Pike auf lernte und von 'seinem' Studio MGM behutsam aufgebaut wurde. Allerdings wurde Thompsons Vertrag nicht verlängert, was ihn zu Auftritten in einer ganzen Reihe absurder B-Heuler zwang. Vor "Rakete 510" sah man ihn in "Cult of the Cobra (1955), "Fiend without a Face" (1958, dt. "Ungeheuer ohne Gesicht") und "It! The Terror from Beyond Space" (1958). Erst in den 1960er Jahren ging es wieder aufwärts; allen deutschen Fernsehzuschauern um die 50 Jahre dürfte er als "Daktari" in der gleichnamigen TV-Serie (1966-1969) als Tierdoktor in Afrika (mit neurotischer Schimpansin, schielendem Löwen und nervender Tochter) in Erinnerung sein.
Marla Landi - die eigentlich Marcella Scaraffia hieß - versuchte die Nische der italienischen = exotischen Schönheit auszufüllen. Ihre Karriere blieb deutlich unterhalb des Scheitelpunktes, den Rakete 510 auf ihrem Jungfernflug erreichte, und klang Ende der 1960er Jahre aus. Auch Bill Edwards verschwand irgendwann unbemerkt aus der Filmgeschichte. Sein schwitzendes Grimassieren als kühner Raketenpilot deutet an, dass dem Publikum dadurch kein Verlust entstand.
Daten
Originaltitel: The First Man Into Space (GB 1959)
Regie: Robert Day
Drehbuch: John C. Cooper (d. i. John Croydon), Lance Z. Hargreaves (d. i. Charles F. Vetter)
Kamera: Geoffrey Faithfull
Schnitt: Peter Mayhew
Musik: Buxton Orr
Darsteller: Marshall Thompson (Commander Charles Ernest Prescott), Marla Landi (Tia Francesca), Bill Edwards (Lieutenant Dan Milton Prescott), Robert Ayres (Captain Ben Richards), Bill Nagy (Polizeichef Wilson), Carl Jaffe (Dr. Paul von Essen), Roger Delgado (Konsul Ramon de Guerrera), John McLaren (Harold Atkins) uva.
Label/Vertrieb: Anolis Entertainment (www.anolis-film.de)
Erscheinungsdatum: 25.01.2010 (DVD)
EAN: 4041036310165 (DVD)
Bildformat: 4 : 3 (1,33 : 1, anamorph)
Audio: Dolby Digital 2.0 (Deutsch, Englisch)
Untertitel: Deutsch
DVD-Typ: 1 x DVD-9 (Regionalcode: 2)
Länge: 74 min.
FSK: 16
DVD-Features
Die "Galerie des Grauens" soll eine Klientel ansprechen, die nicht nur gern auf den Seitenpfaden der Kinogeschichte wandelt (und sich dabei über die Bildqualität der angejahrten Filme freut), sondern auch einschlägige Informationen schätzt. Obwohl es nicht einfach ist, zeitgenössisches Hintergrundmaterial für 'Verbrauchsware' wie "Rakete 510" zu beschaffen, bietet die DVD in dieser Hinsicht einige Features.
Richard Gordon, der ausführende Produzent, äußert sich kurz über den Film, der sich harmonisch in sein Ouvre fügt: Gordon produzierte einige der trashigsten Filme überhaupt. Ausführlich und kenntnisreich ist der Audiokommentar des deutschen Filmwissenschaftlers und Phantastik-Spezialisten Rolf Giesen. Er informiert über den Film und bettet ihn dabei in die Geschichte des Genres ein. Abgerundet wird dies durch ein zwölfseitiges Booklet, in dem Ingo Strecker (u. a. Verfasser des Buches "Haben Sie jemals von Kong gehört?") die wichtigsten Details auch schriftlich zusammenfasst.
Aufgespielt wurden der englische und der deutsche Trailer - beide versprechen einen Film, den wir in der angepriesenen Qualität nicht zu sehen bekommen … Hinzu kommt eine Super-8-Fassung von "Rakete 510", die an Ära ohne Video, DVD oder Blu-ray erinnert. Wer mag, kann den Gesamtfilm in seiner originalen englischen Version verfolgen. Sogar das Filmprogramm und die Presse-Infos zur US-Veröffentlichung sind als selbstablaufende Bildergalerie vorhanden. Dazu gibt es eine eigene, ebenfalls selbst ablaufende Bildergalerie mit Szenenfotos: So macht (Heim-) Kino Spaß!
- Redakteur:
- Michael Drewniok