Southland Tales
- Regie:
- Kelly, Richard
- Jahr:
- 2006
- Genre:
- Science-Fiction
- Land:
- USA
- Originaltitel:
- Southland Tales
1 Review(s)
19.09.2010 | 21:12Das geschieht:
Nach einem Atombomben-Anschlag nahöstlicher Terroristen auf Texas ist der Dritte Weltkrieg ausgebrochen. In den USA konnte eine reaktionäre Regierung mit dem Versprechen gnadenloser Vergeltung das Heft fest in die Hand nehmen. Die meisten Bürgerrechte sind aufgehoben; sogar zwischen den US-Bundesstaaten ist kein freier Reiseverkehr mehr möglich. Eine fast lückenlose Überwachungsmaschinerie namens US-IDent sichert der Regierung die Kontrolle, die ihr dennoch von regimekritischen Gruppen streitig gemacht wird. In den Southlands – dem südlichen Kalifornien – sind dies in erster Linie die Neo-Marxisten. Erbittert gejagt von der örtlichen US-IDent-Herrscherin Nana Mae Frost, Gattin des erzkonservativen Senators Bobby Frost, versuchen sie den Restriktionen Einhalt zu gebieten.
Unterdessen greift Baron von Westphalen nach der Weltmacht. Nur der geniale aber verrückte (und deutsche!) Wissenschaftler vermag „Fluid Karma“ zu produzieren, jenen Stoff, der weltweit die fossilen Brennstoffe ersetzen kann. Allerdings gibt es bei der Herstellung eine unerfreuliche Nebenwirkung: Die Rotation der Erde verlangsamt sich, und Risse im Raum-Zeit-Kontinuum tun sich auf, die den Weltuntergang ankündigen.
Der Filmstar Boxer Santaros hat das Gedächtnis verloren und lebt mit dem Porno-Starlett Krysta Now zusammen. Gemeinsam haben sie ein Drehbuch geschrieben, das akkurat die nahe Apokalypse beschreibt. Während Boxer sich zu erinnern versucht, kommen sich die ‚Brüder‘ Roland und Ronald Taverner, die nur gemeinsam das Weltende auslösen werden, stetig näher. Während des feierlichen Stapellaufs des gewaltigen Von-Westphalen-Zeppelins greifen die Einzelteile der Untergangs-Maschine ineinander, aber die Menschen sind viel zu sehr mit eigenen Auseinandersetzung beschäftigt, um dies zu bemerken …
Was werden sollte … und was wurde
Erfolg kann durchaus ein Fluch sein, denn er geht nicht selten einher mit der Entwicklung eines gewissen Größenwahns. Dies ist durchaus menschlich, denn wer einmal ins Schwarze traf, ist gern davon überzeugt, endlich jenen Tiger, der nicht im Tank steckt, sondern die Mysterien des Lebens symbolisiert, am Schwanz gepackt und somit den Durchblick erreicht zu haben. Für Richard Kelly war dieser Moment 2001 gekommen. In diesem Jahr brachte er seinen dritten Film ins Kino. „Donnie Darko“ war kein Blockbuster, fand aber ein begeistertes und interpretationsfreudiges Publikum, das dem Film schließlich jenen Kultstatus verschaffte, der sich zum Leidwesen aller Marketing-Strategen nicht planen lässt.
Auf dem DVD-Markt wurde „Donnie Darko“ zum Renner und Richard Kelly plötzlich zu einem Namen, der nicht nur einen guten Klang in Kritikerkreisen hatte, sondern auch die etablierten Hollywood-Studios aufhorchen ließ. Sie witterten Profit, winkten mit Geld und waren bereit, den exzentrischen Kelly schalten und walten zu lassen, obwohl sie keine Ahnung hatten, womit er die Filmwelt nunmehr zu beglücken gedachte.
Das Erwachen war böse, denn Kelly ist ein Mann, der sich schwere Gedanken über die politische, soziale und ökologische Gegenwarts-Welt macht. Dies sind drei Stoffe, aus denen nicht unbedingt Erfolgsfilme gewoben werden, zumal Kelly es ernst meinte mit seiner Kritik an einer haltlos zum diktatorischen Überwachungsstaat mutierenden US-Regierung sowie einer um sich selbst und ihre Belanglosigkeiten kreisenden, gleichgültig auf dem Vulkan tanzenden Gesellschaft, die einerseits ihre Energiereserven verschleudert, während sie andererseits ihren planetaren Wohnort verwüstet.
Rätselhaft oder einfach nur durcheinander?
Weil Kelly anders als Ex-Vizepräsident Al Gore keine Dokumentation à la „An Inconvenient Truth” (dt. „Eine unbequeme Wahrheit“), sondern einen Spielfilm drehte, musste er darüber nachdenken, welches Grundgerüst er seiner Geschichte geben sollte. Er entschied sich für ein Konzept, das sämtliche Genres einerseits bedient und andererseits ignoriert. „Southland Tales“ ist daher eine Polit-Thriller-Komödie mit Science-Fiction- und Mystery-Elementen, die durch eine Musical-Einlage unterbrochen wird.
Das Ergebnis ist exakt so seltsam, dass es sich ebenso begründbar als Geniestreich wie als Murks einschätzen lässt. Zumindest für den Rezensenten neigt sich die Waage gefährlich dem zweiten Urteil zu. Einfach fällt die Entscheidung aber nicht, weil sich Kelly alle Mühe gibt, seiner Parallelwelt-Mär Bedeutungsschwere förmlich einzuprügeln. Die Bilder sind nicht nur erlesen, sondern bersten vor Anspielungen und Kontext, die der vorsichtige Kritiker nicht als prätentiösen Humbug bezeichnet, weil er sich dadurch womöglich als Kunstbanause und Ignorant bloßstellt. Zudem mögen dem US-Zuschauer die Parallelen zur Regierung Bush oder zum „Krieg gegen den Terror“ schärfer gewürzt wirken als dem dekadenten und notorisch unpatriotischen Europäer.
Allerdings macht sich Kelly mehrfach angreifbar, indem er beispielsweise seine Satire mit SF-Elementen verschneidet, die „Southland Tales“ in eine inoffizielle Fortsetzung von „Donnie Darko“ verwandeln. Schon wieder öffnen sich Portale in Zeit und Raum, die sich auf diese Weise verwirren und gegenseitig zu zerstören drohen. Donnie Darko tritt dieses Mal doppelt als Roland und Ronald Taverner auf, behält aber seinen kruden Messias-Status.
Zu viel gewollt, zu wenig sortiert
Vier Jahre hat Richard Kelly nach eigener Aussage in das Projekt „Southland Tales“ gesteckt. In dieser Zeit hat er sich offensichtlich allzu tief darin vergraben. Sein Drehbuch ist überfrachtet mit Anliegen, die sich selbst aushebeln. Kelly überschätzt sein Publikum. Während sich ihm als Urheber die Chiffren erschließen, ist er betriebsblind geworden. „Southland Tales“ erhebt einen Anspruch, den der Film nicht verdient. Wirklich geniale und nicht nur genialische Autoren und Regisseure bürsten Inhalt und Form eines Films so gegen den Strich, dass er sich seinen Zuschauern weiterhin erschließt. Kelly knüpft Rätsel an Rätsel und erwartet entweder ehrfürchtiges, kritikloses Schweigen oder ein Aha!-Erlebnis, das in etwa erfasst, was er sich angeblich dachte.
Das „Making-of“ dokumentiert, dass schon während der Dreharbeiten die Ratlosigkeit vor und hinter der Kamera grassierte. Die Schauspieler bemühen sich deutlich verwirrt um Interpretationen (Dwayne Johnson, Sarah Michelle Gellar), driften in wilde Deutungs-Delirien ab (Christopher Lambert) oder offenbaren, keine Ahnung zu haben, was sie da mimen. Vor allem Jon Lovitz gibt zu, sich in Schauspielerroutinen geflüchtet zu haben: Kelly sagte ihm, was er in seiner Szene tun und sagen sollte, und Lovitz hielt sich daran. Als wahrer Profi liefert er trotzdem eine der besseren Szenen ab.
„Southland Tales“ ist ein episodischer Film. Schon der Titel macht deutlich, dass die Handlung in diverse, oft nur lose verbundene Sequenzen zerfällt. Der (deutsche) Zuschauer leidet zusätzlich unter einem Mangel an Vorwissen. Ehrgeizig plante Kelly „Southland Tales“ als multimediales Spektakel. Es gab nicht nur eine entsprechend mit Informationen gespickte Website, sondern auch eine dreiteilige Comic-Serie, die eine Vorgeschichte erzählte. (Dies löst auch das Rätsel, wieso der ebenfalls dreifach gegliederte Film mit dem Kapitel 4 beginnt.)
Sie wollten dabei sein!
Regisseure wie Robert Altman oder Woody Allen drehen keine Blockbuster, sondern Filmkunst. Gern spielen Schauspieler für wenig Geld für sie, denn vor der Kamera dominieren nicht der Produzent und die Techniker für die Spezialeffekte, sondern der Regisseur und seine Darsteller. Außerdem macht sich ein Arthouse-Film gut in der Vita, was den Lohnausfall verschmerzbar macht.
Zwar ist Richard Kelly weder Altman noch Allen, aber nach „Donnie Darko“ sah es so aus, als könne er es werden. Daraus resultiert ein Schauspieler-Ensemble, das im Rahmen eines 15-Mio.-Dollar-Films bemerkenswert ist. 2006 war Dwayne Johnson immer noch „The Rock“, ein ehemaliger Wrestling-Star, der sich seine allmählich vermorschenden Knochen nicht länger im Ring brechen lassen wollte, sondern eine Filmkarriere anstrebte. Weil ihm verständlicherweise vor allem Prügel-Rollen à la „Doom“ oder „Walking Tall“ angeboten wurden, nutzte er die Chance, einen Charakter wie Boxer Santaros darzustellen. Freilich übersteigt dieser seine schauspielerischen Fähigkeiten doch, wenn Johnson wenig glaubwürdig Gefühlsregungen in kritischen Situationen wiederzugeben versucht.
Der verheißungsvolle Name Kelly hat wohl auch die in den letzten Jahren in ihrer Rollenwahl etwas glücklose Sarah Michelle Gellar in eine Rolle gelockt, die jede Darstellerin im Lycra-Fummel und unter einer hässlichen Perücke geben könnte. Ähnlich ratlos registriert der Zuschauer Christopher Lambert in einer winzigen Nebenrolle. Besser trafen es Wallace Shawn, John Larroquette oder Bai Ling, die nach Herzenslust chargieren dürfen. Justin Timberlake fällt lange nicht negativ auf, bis er in schauderhafter Choreografie zur Musik ein Lied vorträgt, das immerhin von den „Killers“ stammt.
„Southland Tales“ als Steinbruch
Letztlich fährt wohl der als Zuschauer am besten, der „Southland Tales“ szenenweise goutiert. Kelly ist ein Mann mit obskuren und oft guten Ideen, und er hat ein Gefühl für stimmungsvolle Bilder. Immer wieder überrascht man sich dabei, gut unterhalten zu werden. Der futuristische Zeppelin über der nächtlichen Skyline von Los Angeles, die von Feuerwerk und brennenden Straßenzügen erleuchtet wird, bietet einen bemerkenswerten Anblick. Das gilt auch für den Atompilz, der sich unweit einer fassungslosen Geburtstagsgesellschaft erhebt, oder für den überdrehten, delirierend bunten Mikrokosmos der „Neo-Marxisten“.
Für Richard Kelly nahmen die „Southland Tales“ übrigens ein böses Ende. Eine frühe Fassung wurde auf dem Filmfestival in Cannes verrissen, eine neu geschnittene und geraffte Version kam nur in wenige Kinos, in denen sie nur einen Bruchteil der Kosten wieder einspielte. Wie für „Donnie Darko“ möchte Kelly irgendwann einmal einen „Director’s Cut“ von „Southland Tales“ herstellen, der den Kritikern beweisen soll, wie sie sich in ihm und seinem Film getäuscht haben.
Daten
Originaltitel: Southland Tales (USA 2006)
Regie u. Drehbuch: Richard Kelly
Kamera: Stephen Poster
Schnitt: Sam Bauer
Musik: Moby
Darsteller: Dwayne Johnson (Boxer Santaros), Seann William Scott (Roland Taverner/Ronald Taverner), Sarah Michelle Gellar (Krysta Now), Nora Dunn (Cyndi Pinziki), Holmes Osborne (Senator Bobby Frost), Miranda Richardson (Nana Mae Frost), John Larroquette (Vaughn Smallhouse), Mandy Moore (Madeline Frost Santaros), Wallace Shawn (Baron von Westphalen), Bai Ling (Serpentine), Zelda Rubinstein (Dr. Katarina Kuntzler), Christopher Lambert (Walter Mung), Jon Lovitz (Bart Bookman), Justin Timberlake (Private Pilot Abilene), Lou Taylor Pucci (Martin Kefauver) uva.
Label/Vertrieb: Universal Pictures (www.universal-pictures.de)
Erscheinungsdatum: 02.10.2008 (DVD)
EAN: 5050582506426 (DVD)
Bildformat: 16 : 9 (2,40 : 1, anamorph)
Audio: Dolby Digital 5.1 (Deutsch, Englisch, Italienisch)
Untertitel: Deutsch, Englisch für Hörgeschädigte
DVD-Typ: 1 x DVD-9 (Regionalcode: 2)
Länge: 139 min.
FSK: 16
DVD-Features
Die Extras beschränken sich auf ein „Making-of“, das recht aufwändig als durch die Mühlen der (fiktiven) US-IDent gedrehten und über deren Website abrufbare Dokumentation gestaltet wurde. Ohne diesen Schnickschnack reduziert sich der Beitrag auf Bilder vom Dreh, Erläuterungen zu einigen Drehorten und Spezialeffekten, den üblichen Nullsprech-Interviews sowie vergebliche Erklärungsbemühungen des Regisseurs.
- Redakteur:
- Michael Drewniok