Storytelling
- Regie:
- Todd Solondz
- Jahr:
- 2001
- Genre:
- Drama
- Land:
- USA
- Originaltitel:
- Storytelling
1 Review(s)
19.11.2009 | 06:47Mit "Storytelling" hat Regisseur Todd Solondz ein misanthropisches Meisterwerk sondergleichen abgeliefert.
Wer mit stilsicheren Tabuverletzungen, realitätsnahen Geschmacklosigkeiten, zynischen Blicken auf die Abgründe menschlichen Mit- und Gegeneinanders nicht klarkommt, sollte besser einen anderen Film schauen. Wer die chirurgisch genauen, schmerzhaften Schnitte in allzumenschliche Achtlosigkeiten, mal subtile mal brutale, stets aber beiläufige Psychogewalt, kurzum das ganze Spektrum sozialer Schäbigkeiten aushält, wird mit einem tiefschwarzen Spiegelbild vorstädtischer mittelständischer Lebenswirklichkeiten, Einstellungen, nicht zuletzt auch Erwartungen konfrontiert. Dazu gehört auch die Seherwartung an einen Film, der sich solches zum Thema macht, mit der Solondz geschickt spielt.
"Storytelling" beinhaltet zwei Episoden, von denen die realistischer inszenierte absurderweise mit "Fiction" und die dramatisch überspitzte mit "Non-Fiction" betitelt ist. In der abgründigen Logik der uns von Solondz präsentierten Spiegelwelt ergibt das aber durchaus einen perfiden Sinn, behandelt die erste Episode doch einige allzu gerne verdrängte und somit leicht als Fiktion abgestempelte Aspekte menschlicher Grausamkeit; wohingegen die zweite Episode sich auf sarkastische Weise mit dem Thema inszenierte Realitäten (und des darin offenbar werdenden grausamen Umgangs der Menschen miteinander) auseinander setzt.
Der einführende Kurzfilm handelt vom schmalen Grat zwischen Selbsterniedrigung und Vergewaltigung, der sich ergibt, wenn zwei sich wohl auch selbst hassende Charaktere in einem allzu einseitigen Abhängigkeitsverhältnis aufeinander treffen. Die nahezu tonlose, weitgehend wertungsfreie Inszenierung der Episode wagt zunächst einen schonungslosen Blick in moralische Grauzonen, um danach den Plot wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzen zu lassen und dessen Hauptfigur an eine bittere Pointe zu verraten.
Verglichen damit beginnt der zweite Teil des Films nahezu heiter; wobei heiter freilich das falsche Wort ist, wenn das Exposé der Geschichte sich doch mit der letzten Hoffnung eines unsicheren, gescheiterten Träumers beschäftigt, der einen Dokumentarfilm über die Jugend drehen will; ob aus falscher Nostalgie, aus Verzweiflung, oder aufgrund eines tieferliegenden Interesses an der Thematik bleibt dabei offen. Im weiteren Verlauf kippt die Geschichte immer wieder zwischen schwarzer bzw. dunkelgrauer, sarkastischer Komödie und leichenblassem Sozialdrama hin und her. Daraus ergeben sich einige interessante Effekte, vor allem der, dass so manches noch undefinierbare Etwas im Halse stecken bleibt, bevor an ein Lachen überhaupt zu denken wäre. Und doch ist das Werk in solchen mit einigem Witz präsentierten Momenten komisch, eben nur auf eigentlich tragische Weise. Das Genrefach der 'Tragikomödie' drängt sich in diesem Zusammenhang als Begriff geradezu auf, wäre für "Storytelling" aber wohl dennoch die falsche Bezeichnung. Denn dieser Terminus endet auf -komödie; beim vorliegenden Film-Ensemble handelt es sich jedoch in erster Linie um zwei Tragödien.
Das eitle Streben nach Berühmtheit, das sich allenfalls als massenmediale Randnotiz (in letztlich unerwünschter) Form erfüllt, eigentlich aber auch nur das träumerische, eskapistische Fliehen vor gewissen Leerstellen ist; die ziellose Suche traumloser Gestalten nach einer stellvertretend durch Medienfiguren gelebten Bedeutung; die Ursache dessen, der Mangel an Anerkennung im (falschen) wahren Leben: Das sind die Themen, mit denen der Drehbuchautor und Regisseur in "Non-Fiction" äußerst geschickt spielt.
Ganz nebenbei macht sich Solondz lakonisch über den zwei Jahre zuvor veröffentlichten Box Office Hit "American Beauty" bzw. dessen allgemeine Wahrnehmung als großes Kunstwerk lustig. Verglichen mit "Storytelling" wirkt der Kritikerliebling "American Beauty" wie ein verharmlosender, weichgespülter, hochglanzpolierter Feelgood-Film. Denn "Storytelling" macht den Zuschauer als vermeintlich abgeklärten Kenner ausgelutschter Suburbia-Klischees zunächst ebenso zum voyeuristischen Fingerzeig-Komplizen, um ihn jedoch schon im nächsten Moment jenseits jeglicher Milieu-Manierismen ins Eisbecken allgemeingültiger Erkenntnisse menschlicher Abgründe zu stoßen. There's horror beyond suburbia. Das Genre des konsumgerecht komödiantisch aufbereiteten Gesellschaftsdramas wird in "Storytelling" jedenfalls immer wieder durchbrochen und als solches entlarvt.
"Non-Fiction" ist somit Fiktion über das, was gemeinhin als Realitäts-Darstellung verkauft wird, letztlich aber auch nur inszenatorische Befriedigung niederer menschlicher Bedürfnisse ist. Daran anknüpfend lässt sich "Fiction" gerade im Rückblick als mehr lesen, denn als bloßer zynischer Erzähl-Witz; nämlich als Lehrstück über unser aller Bedürfnis nach Fiktionalisierung, Fassbarmachung und Verbannung realer Leidensgeschichten aus dem Alltagsbewusstsein.
Ob man den Film derart aufklärerisch interpretieren mag, oder ihn eher als schlichtes Manifest purer Menschenverachtung wahrnimmt, liegt freilich im Auge des Betrachters. So oder so, ist Solondz mit "Storytelling" ein überwiegend fieses, mitunter aber auch erhellendes filmisches Kleinod gelungen, das ich allen Freunden postmoderner, metafiktionaler Erzählkunst nur empfehlen kann.
- Redakteur:
- Eike Schmitz