Take shelter - - Ein Sturm zieht auf (Blu-Ray)
- Regie:
- Jeff Nichols
- Jahr:
- 2011
- Genre:
- Drama
- Land:
- USA
- Originaltitel:
- Take shelter
1 Review(s)
12.08.2012 | 20:48Angst vor Gottes Staubsauger
Curtis LaForche (Michael Shannon) ist ein rechtschaffener Bauarbeiter, der mit seiner Frau Samantha (Jessica Chastain) und seiner schwerhörigen Tochter ein geruhsames Leben in Ohio führt. Obwohl seine Familie aufs Geld schauen muss, beneiden ihn seine Kollegen für das, was er in seinem Leben erreicht hat. Wenn da nur nicht die apokalyptischen Visionen wären, die ihn in letzter Zeit befallen. Darin zieht ein grausamer Sturm auf mit öligen Regentropfen als Vorboten. Curtis versucht, die Träume, die er für bare Münze nimmt, vor seiner Frau geheim zu halten und geht in eine psychologische Beratung.
In immer panisch werdender Angst vor dem Sturm will Curtis aber auch seinen Luftschutzkeller wieder in Betrieb nehmen. Curtis' ungewöhnliches Verhalten beunruhigt seine Frau immer mehr. Die Frage ist: Braut sich wirklich ein zerstörerischer Sturm zusammen, oder sind Curtis' Träume nur Hirngespinste? (Verleihinfo)
Filminfos
O-Titel: Take shelter (USA 2011)
Dt. Vertrieb: Ascot Elite
VÖ: 6.8.2012
EAN-Nummer: 7613059402355
FSK: ab 12
Länge: ca. 105 Min.
Regisseur/Drebuch: Jeff Nichols
Musik: David Wingo
Darsteller: Michael Shannon, Jessica Chastain, Shea Whigham u.a.
Handlung
Im Traum von Curtis LaForche (Michael Shannon) regnet es gelbes Motorenöl. Auch Stürme spielen eine wichtige Rolle. Doch der brave Bauarbeiter will weder seinen Kumpel Dewart beunruhigen noch seine Frau Samantha (Chastain), geschweige denn seine schwerhörige Tochter Hannah. In seinem Traum sieht er, wie der Hund, mit dem Hannah, spielt, ihn beißt. Er bemüht sich, ihn loszuwerden. Das ist der Moment, in dem Sam stutzig wird. Sie hat es mit einem neuen Curtis zu tun.
Die Angst um Hannah nimmt zu. Die Visionen von Stürmen und Tornados versetzen ihn in Angst und Schrecken, die er sich nicht anmerken lässt. Einmal hebt ein Tornado durch seinen Unterdruck alle Möbel an, als wäre er Gottes eigener Staubsauger. Weder die psychologische Beratung noch die Medikamente helfen etwas gegen die Albträume. Schließlich fasst Curtis den Entschluss, den Sturmbunker im Vorgarten auszubauen. Er renoviert ihn aber nicht bloss, sondern erweitert ihn durch einen Container, so dass ein atomkriegstaugliches, unterirdisches Domizil entsteht, das über fließend Wasser und Frischluft, ja sogar Sauerstoffflaschen verfügt.
Sam staunt misstrauisch auf dieses Monster im Garten - und damit meint sie nicht bloß den Bunker. Curtis zuckt vor ihrer Berührung zurück! Der Horror geht weiter, als Curtis eine Vision von Sam hat, in der sie ein scharfes Messer griffbereit hält. Aber wo ist seine kleine Hannah?
Die Sorge um Curtis ruft diverse Leute auf den Plan, darunter seinen Bruder, der ihm helfen will, und seinen Chef, der ihn vom Fleck weg feuert, weil er Firmengerät für den Eigenbedarf benutzt hat. Und seinen Kumpel Dewart entfremdet sich Curtis ebenfalls. Bei einem Gemeindetreffen im Lion's Club kommt es zur Krise: Dewart will wissen, ob Curtis wahnsinnig ist oder, wie er behauptet, Visionen hat, die wahr werden könnten. "Ein Sturm kommt auf euch zu zu, und keiner von euch ist darauf vorbereitet!", ruft Curtis.
Als der Sturm dann wirklich kommt, schaffen es Sam und Hannah gerade noch in den Schutzbunker. Doch was werden sie vorfinden, sollte Curtis die Schutztür wieder öffnen?
Mein Eindruck
Es ist nicht so wichtig, ob der Supersturm, der das Ende der Welt bringt, wirklich kommt oder nicht. In Jeff Nichols' Film ist vielmehr die Bedeutung der Reaktionen auf dieses Ereignis wichtig. Kann man Curtis' Träumen und Prophezeiungen wirklich trauen? Im Lion's Club sagt er wie ein Prophet aus der Bibel - Hesekiel, Salomo, Elias und wie sie alle heißen - den Weltuntergang voraus. Am Ende des Films tritt der Ernstfall ein, doch das ist Nebensache.
Thema ist nicht der Sturm, sondern vielmehr die Frage, auf welche Weise man ihm begegnet. Es hängt ganz von Curtis' Familie ab, ob der Prophet an dieser Sache zerbricht oder sie übersteht. Entscheidend ist die Liebe, die Sam in ihrer Ehe für ihn hat, und die Liebe, die seine Tochter für ihn zeigt. Alle anderen haben ihn entfremdet verlassen. Ja, für seinen Chef ist Curtis sogar ein Verbrecher. Aber auf diese Weise begegnet die konservative Gesellschaft stets den Neuerern und Visionären, die sie infrage stellen. Es ist ein Selbstschutzreflex.
Psychologie
Interessant ist auch die professionelle Hilfe, die Curtis, immerhin nur ein einfacher Bauarbeiter, bei den Psychologen sucht. Für diesen Schritt muss er erst einmal eine gewisse Schamschwelle überschreiten. Doch die Pillen, die ihm sein Hausarzt verschrieben, beruhigen ihn nicht - eher ist das Gegenteil der Fall: Die Albträume werden intensiver. Die Psychologin, eine schwarze Frau, beschäftigt sich intensiv mit Curtis' Fall, doch als sie eingespart und durch einen weißen Mann ersetzt wird, der nur Akten studiert hat, geht Curtis einfach. Er kann mit einem Mann nicht darüber reden. Wie würde er dastehen?
PTS-Syndrom
Das Schicksal von Curtis erinnert fatal an das der traumatisierten Veteranen, die aus den Einsatzgebieten in Afghanistan und Irak zurückkehren und den Horror, den sie erlebt haben, in sich hinein fressen - bis es zu einer Kurzschlussreaktion kommt. Sie laufen Amok oder bringen sich um. Die Bush-Regierung kümmert sich nicht um sie, erst unter Obama läuft die Betreuung der PTS-geschädigten an. PTS gibt es natürlich auch bei deutschen Soldaten, die aus Afghanistan zurückkehren, und hier wie in den USA wird das Problem geflissentlich totgeschwiegen.
Der Sturm
Der Verlauf von Curtis' Syndrom verläuft im Film denkbar optimistisch. Ebenso denkbar - und kurz angedeutet - ist auch, dass Sam wegläuft und ihn mit seiner Tochter verlässt. Doch sie steht zu ihm und erlebt den ersten Sturm mit. Der Sturm und seine unheimlichen Begleitumstände wie vom Himmel fallende Vögel ist eine Metapher.
Er symbolisiert die Verheerungen in wirtschaftlicher, natürlicher und menschlicher Dimension, die über das Kernland der Vereinigten Staaten hereinbrechen. Inzwischen ist bekannt, dass die Mittelklasse, die nach dem 2. Weltkrieg geschaffen wurden, nur noch Fiktion ist: Die Wirtschaftskrise hat ihr Vermögen vernichtet. Auch unter den Farmern des Mittelwestens überleben nur noch die großen Fische, die kleinen müssen verkaufen. Die aktuelle Dürre wird diesen Prozess beschleunigen. In einer Dekade wird dieser Sturm den Mittelwesten leer gefegt haben.
Die Blu-ray
Technische Infos
Bildformate: 2,35:1 (anamorph)
Tonformate: DTS HD Master Audio 5.1 in Englisch, DTS HD Master Audio 5.1 in Deutsch
Sprachen: D, Englisch
Untertitel: D
Extras:
1. Making of
2. Interviews
3. Q+A
4. Behind the Scenes
5. Deleted Scenes
6. Originaltrailer
7. Trailershow
8. Audiokommentar des Regisseurs
Mein Eindruck: die Blu-ray
Die Qualität von Bild und Ton entsprechen dem hohen Standard von DTS HD Master Audio 5.1. Das Bild ist stets gestochen scharf, der erstklassige Sound kommt vor allem in den Sturmszenen zum Tragen. So etwa in jener CGI-Szene, als die Möbel in die Luft gehoben werden und im Raum schweben.
EXTRAS
1) Originaltrailer (2:01 min)
Der Film war Official Selection beim Sundance Film Festival 2011 und erhielt den Best Film Award der internationalen Presse. Keine schlechten Gütesiegel für einen Film, in dem kaum etwas passiert.
2) Deutscher Trailer (1:52 min)
Die Ausschnitte aus dem Film sind die gleichen wie im Originaltrailer. Nur die Auszeichnungen usw. wurden weggelassen. Der Trailer skizziert die Handlung nur oberflächlich. Wichtig sind jedoch die filmische Bildsprache, die der Regisseur gefunden hat, um die Stimmung der Vorahnung zu beschwören.
3) Making of (10:30 min)
Dieser zehnminütige Bericht ist mit einem nervigen Marketingkommentar unterlegt. Wichtiger ist, was die Beteiligten sagen. Für den Regisseur sagt der Film etwas über die Bedeutung von Ehe aus, die sich unter der Ahnung von kommendem Unheil bewähren muss. Für Michael Shannon (Curtis) ist der Film eine Fabel im Sinne eines Gleichnisses: "Alle registrieren die Veränderung in Curtis und verändern sich dadurch selbst."
Für die OSCAR-nominierte Jessica Chastain (Samantha) erzählt der Film eine Liebesgeschichte, die im Zentrum steht. Für Nichols ist es ein Film über Zukunftsängste. Die Tornados entstehen in Ohio, wo gedreht wurde, ganz spontan. Und einer davon erwischte das Filmteam.
4) Q+A (19:03 min)
In einer Talkshow vor versammeltem Publikum, aber nicht bei einem Sender, stehen Michael Shannon und Shea Wigham, der Darsteller des Dewart, einer fülligen Moderatorin Rede und Antwort. Dabei kommt heraus, dass die beiden Schauspieler schon zusammen an "Tigerland", einem herausragenden Bootcamp-Film, und an Scorseses TV-Serie "Boardwalk Empire" gearbeitet haben. Gedreht wurden in verschiedenen Gemeinden außerhalb von Cleveland, Ohio, darunter in Elyria, das im Film zu sehen ist.
Michael Shannon erklärt die große Bedeutung der Bunkerszene. Nachdem die Geräusche des Sturms abgeklungen sind, kommt die Frage auf, ob sie den Bunker schon verlassen können oder nicht. Curtis muss die Schutztür öffnen. Er weigert sich, weil er zu große Angst um seine Familie hat. Aber Frau und Kind wollen wieder an die frische Luft. Wer ist wichtiger: Curtis oder seine Familie? Schließlich findet er sich zur Öffnung bereit. Eine tolle, intensive Szene.
Shannon, der von Shea Wigham immer wieder gelobt wird, erklärt ganz bescheiden und locker, wie der Schluss zu verstehen ist. Der Supersturm ist da - aber ist er real? Sind Sam und Hannah nunmehr Teil von Curtis' Träumen? Vom Himmel fällt das gelbe Motorenöl, genau wie in seinem prophetischen Traum. "Jeder Zuschauer muss den Schluss selbst interpretieren", empfiehlt Shannon gemäß Nichols.
5) Behind the Scenes (10:03 min)
Nichols hatte großen Erfolg mit seinem Debüt "Shotgun Stories". Schon 2008 habe er über "Take Shelter" nachgedacht, um das Thema der Ehe zu verarbeiten, denn er war seit einem Jahr verheiratet. Shannon sei seine erste Wahl für die Curtis-Rolle gewesen, folglich bekam er das Skript als erster. Der Filmdruck wurde unter massivem Zeitdruck gedreht - was man ihm aber nicht anmerkt. Daher ist er ein Gemeinschaftswerk aller Beteiligten, die sich wirklich reingehängt haben.
Die CGI-Effekte stammen von der Firma [hy*drau"lx]. Erklärt wird, wie die SFX zu der Szene mit den schwebenden Möbelstücken entstand.
6) Deleted Scenes (6:33 min)
In einer dieser beiden Szenen sagt Curits etwas Wichtiges: Der Sturm komme, weil etwas im Gleichgewicht der Dinge falsch gelaufen sei. Quasi als Vergeltung oder Ausgleich. Diese metaphysische Sicht der Dinge mag für manche Ohren etwas platt klingen, wie Küchenphilosophie. Daher wurde die Szene zu recht geschnitten.
7) Audiokommentar des Regisseurs
Hab ich nicht abgehört, da ich keine Zeit hatte.
8) Trailershow
a) Hasta la vista (Norwegen)
b) Starbuck
c) My Weekend with Marilyn
d) The Hunter (s. meinen Bericht)
e) Three Burials (s. meinen Bericht)
f) Texas Killing Fields (s. meinen Bericht)
g) Kriegerin
h) All beauty must die (mit Kirsten Dunst)
Unterm Strich
"Take Shelter" wurde nicht von einem großen Studio produziert, ist aber auch keineswegs ein Anfängerfilm. Auf dem Sundance Film Festival zeigte die Independent-Produktion ihre Meriten: sauber produziert, einwandfrei in den Schauspielleistungen und mit einer, für amerikanische Verhältnisse, ungewöhnlich subtil vorgetragenen Botschaft: Unheil kommt auf uns zu, deshalb sollten wir darauf vorbereitet sein. Doch das einzige, was uns vor den Folgen retten wird, ist die Liebe, die in einer Ehe und einer Familie zu finden ist.
Wer hier also einen Horrorfilm erwartet, wird schwer enttäuscht werden. Ebenfalls jene, die ein psychologisches Drama von europäischem Niveau erwarten. Weder das eine noch das andere trifft zu, was zu enttäuschten Zensuren geführt hat. Deshalb muss der Interessent seine Vorurteile ablegen und sich auf einen Film einlassen, der seinen eigenen Weg geht.
Der Trailer führt in die Irre, indem er eine Spannung erzeugt, die nicht eingelöst wird, und Effekte zeigt, die nur eine Symptom für ein tieferes Problem sind. Das Unbehagen an der Wirklichkeit, das die US-amerikanische Gesellschaft zunehmend erfasst hat, wird in mehr oder weniger packende und anrührende Bilder gepackt. Man muss sich also auf die Geschichte einlassen und Curtis & Co. Mitgefühl entgegenbringen - oder es bleiben lassen und den Film meiden. Das aber wäre wirklich schade.
Es ist ein Familienfilm, nichts für Teenager, und obendrein für Erwachsene - so ungefähr die kleinste Gruppe im heutigen Kinopublikum, die man finden kann (wenn es nicht gerade eine Komödie über "Keinohrhasen" ist).
Die Blu-ray
Die Blu-ray ist mit zahlreichen Extras ausgestattet, doch man von sehr gutem Bonusmaterial sprechen kann. Dass die Silberscheibe einen sehr guten Sound und erstklassige Bildqualität vorweisen kann, entspricht den Erwartungen, die man an eine Blu-ray stellen darf.
Fazit: vier von fünf Sternen.
Michael Matzer (c) 2012ff
- Redakteur:
- Michael Matzer