The Call - Leg nicht auf!
- Regie:
- Brad Anderson
- Jahr:
- 2013
- Genre:
- Thriller
- Land:
- USA
- Originaltitel:
- The Call
1 Review(s)
20.12.2013 | 11:37Atemlose Spannung bis zur letzten Minute
Jordan Turner (Berry) ist eine der erfahrensten Telefonistinnen in der Notrufzentrale der Polizei von Los Angeles. Doch der heutige Anruf stellt sie vor ihre größte Herausforderung: Die junge Casey (Breslin) ruft aus dem Kofferraum eines Autos an, nachdem sie von einem Unbekannten entführt wurde. Zahlreiche Versuche Jordans, Casey am Telefon zu helfen, schlagen fehl. Als dann Streifenpolizisten auch noch die Spur des Fluchtfahrzeugs verlieren, muss Jordan handeln. Sie beschließt, ihren Platz am Telefon zu verlassen und auf eigene Faust zu ermitteln. Doch sie ahnt nicht, in welche Gefahr sie sich damit begibt... (korrigierte Verleihinfo)
Filminfos
O-Titel: The Call (USA 2013)
Dt. Vertrieb: Universum
VÖ: 6.12.2013
EAN: 888837249195
FSK: ab 16
Länge: ca. 94 Min.
Regisseur: Brad Anderson
Drehbuch: Richard d'Ovidio & Nicole d'Ovidio & John Bokenkamp
Musik: John Debney
Darsteller: Halle Berry (Jordan Turner), Abigail Breslin (Casey Weston), Michael Eklund (Michael Foster), Morris Chestnut (Officer Phillips), Michael Imperioli (Alan Denado) u.a.
Handlung
Die Notrufzentrale der Polizei von Los Angeles (LAPD) arbeitet eng mit den Streifenpolizisten der Megalopolis zusammen, ebenso mit der Luftüberwachung und der automatischen Anrufverfolgung und -ortung per GPS. Die Telefonistin Jordan Turner verfügt also über einen gigantischen Apparat von Einsatzkräften, wenn sie will. Sie arbeitet in einem Pool von etwa 20 männlichen und weiblichen Telefonisten: im Bienenkorb. Die Aufseherin wird deshalb scherzhaft "die Bienenkönigin" genannt. Ihr Freund ist der Streifenpolizist Phillips, der schon ihren Vater, einen Cop, kannte.
Aber heute ist Jordan nicht nach Scherzen. Bei Einbrüchen und Angriffen muss sie Notfallanweisungen erteilen. Die "Krönung" des Abends ist der Anruf eines jungen Mädchens namens Leah, in dessen Haus gerade eingebrochen wird. Jordan weist das Mädchen an, sich unter dem Bett zu verstecken, doch dann bricht der Telefonkontakt ab. Gerade als der Einbrecher, der es auf das Mädchen abgesehen hat, wieder gehen will, ruft Jordan wieder an. Das Klingeln ruft den Einbrecher zurück, Leah wird entführt und wenig später tot aufgefunden. Jordan gibt sich die Schuld und will aufhören.
Sechs Monate später
Jordan schult neue Telefonisten für die Notrufzentrale. Sie gibt ihnen eine ganze Latte von Regeln vor, doch dann kommt der gefürchtete Anruf - und sie muss eine Regel nach der anderen brechen. Ein Mädchen ist entführt worden. Casey, wie Leah blond und blauäugig, liegt im Kofferraum eines Autos und schiebt volle Panik. Sie hat die Schaufel entdeckt, die der Mädchenkiller benutzt, um seine Opfer zu vergraben. Jordan schafft es, Casey zu beruhigen und zum Kämpfen, zur Mitarbeit zu bewegen.
Da Casey mit dem Prepaid-Handy ihrer Freundin (die sie im Restaurant einfach sitzenließ) telefoniert, verfügt sie über keine GPS-Funktion und kann nicht per Satellit geortet werden. Also muss sie sich irgendwie anderen Autofahrern auf der Autobahn bemerkbar. Als ihr Entführer das spitzkriegt, wird er noch wütender. Schon bald beginnen sich die Leichen an seinem Weg zu stapeln, er wechselt den Wagen, packt eine Leiche neben Casey und fährt hinaus in die Berge. Er scheint in Sicherheit zu sein.
Doch Jordan ist schlauer. Nachdem Officer Phillips von der Streifenpolizei ihr gemeldet hat, dass sie die Spur des Kidnappers wohl verloren haben, hört Jordan das Band der Telefonanrufe erneut ab. Ein seltsam metallisches Geräusch lässt sie stutzig werden. Sie entschließt sich, nicht noch einmal das Opfer eines Albtraums wie bei Leah zu werden und macht sich auf den Weg. Denn Phillips hat einen Fingerabdruck gefunden - und eine Adresse in den Bergen...
Mein Eindruck
Nur keine Panik! Was an "Per Anhalter durchs Weltall" erinnert, ist hier blutiger Ernst. Nur wenn Telefonisten wie Jordan Turner, die nicht mal ein Cop ist, einen kühlen Kopf behalten, können sie den Opfern, die auf 911 anrufen, helfen. Sie hat einen riesigen Kommunikationsapparat und eine große Organisation hinter sich, über die sie verfügen kann. Die wirkliche Arbeit machen dann die Streifenpolizisten. Doch diesmal läuft alles anders, und so muss Jordan selbst in die Bresche springen, um Casey retten zu können.
Überwachung
Wenn der Film eines zeigt, dass dies: dass Information lebensentscheidend sein kann, und dass Unschuld nicht vor Entführung schützt. Es kann wirklich jeden in jedem Moment treffen. Möglich wird dies durch die unglaubliche Anonymität, die sich in den großen Städten ausgebreitet hat. Sobald Casey ein Handy in die Hand nimmt, das sich nicht orten lässt, ist sie verloren. Da hat selbst die NSA keine Chance. Wäre ihr Entführer ein Terrorist, so hätte das Ministerium für Heimatschutz versagt. Die Botschaft ist also klar: Die Arbeit von Leuten wie der NSA ist gut und notwendig, denn nur so lässt sich die Bevölkerung schützen - selbst wenn de NSA in den USA gar nichts überwachen darf. Das darf nur das FBI, die Bundespolizei.
Home-grown
Die Sache hat nur einen Haken: Die Kultur der USA hat Raubtiere wie Michael Foster selbst hervorgebracht und wird es immer wieder tun. Die Anonymität der Städte ist der Grund, warum diese gesichtslosen Metropolen zum optimalen Jagdgebiet für unentdeckte Räuber wie er werden können. Natürlich ist er zur Tarnung verheiratet und hat eine Familie. Aufgrund dieser Mimikry konnte dieses Raubtier so lange unentdeckt bleiben. Die im Film für sein Versteck verwendete Metapher ist die Falltür: Unter der hellen Oberfläche des Lebens verbirgt sich der Untergrund, wo der Tod lauert.
Vorbilder
Sicher, das unterirdische Versteck des Entführers und Mörders erinnert stark an dasjenige des Killers "Buffalo Bill" aus "Das Schweigen der Lämmer", aber es kommt auf die Figur des Mörders an. Um seine Beweggründe nachvollziehen zu können, muss sich ihm Jordan Turner bis auf zehn Zentimeter nähern - ein echter Hitchcock-Moment. (Zum Glück trägt sie kein Chanel No. 5, sonst könnte der Mörder sie riechen.)
Wir erfahren, dass Michael Foster, der Entführer, seine blonde, blauäugige Schwester verlor, weil sie an Krebs erkrankte. Ob er sie nicht nur platonisch liebte, sondern auch anders, ist dabei unerheblich. So wie Buffalo Bill ein Kleid aus den Häuten seiner weiblichen Opfern schneiderte, so fertigt sich Foster aus den Skalps seiner Opfer jeweils Kopfbedeckungen, die so ideal wie möglich dem Haar seiner verlorenen Schwester entsprechen müssen. Um diese Prozedur zu bewältigen, hat Foster entsprechende medizinische Kenntnisse erworben. Seine Kompetenz im Umgang mit Äther und Skalpell ist beängstigend. Michael Eklund, der Schauspieler, zeigt einen gehetzten, übernächtigten Gesichtsausdruck, dennoch hantiert seine Figur mit diesen Werkzeugen, als hätte Foster nie etwas anderes getan.
Offener Schluss
Nach vollbrachter Heldentat schlendern Jordan und Casey vom Tatort weg. Die Frage steht im Raum, ob ihr Handeln moralisch verantwortbar ist: Darf eine Telefonistin, die für die Polizei arbeitet, einen Menschen seinem Schicksal überlassen, selbst wenn es sich um einen besessenen Killer handelt? Das wäre Selbstjustiz.
Andererseits könnte Jordan ja mit ihrem Handy, sobald sie wieder einen Netzempfang hat, 911 anrufen - das ist das alternative Ende, das sich in den Extras findet. Die Entscheidung, welche Handlungsweise angemessener ist, überlässt der Film dem Zuschauer - und zwar nach den Worten des Produzenten mit voller Absicht.
Dieses Bestehen auf einem moralischen Urteil durch den Zuschauer ist wirklich raffiniert. Würde sich der Zuschauer nämlich nicht für die Polizei, sondern für die Selbstjustiz entscheiden, so wäre er in ethischer Hinsicht keinen Deut "besser" als der Mörder selbst. Dieser entscheidet ja eigenmächtig darüber, welches Mädchen leben darf und welches nicht.
Die Blu-ray
Technische Infos
Bildformate: 1,85:1 (anamorph)
Tonformate: Deutsch und Englisch in DTS-HD 5.1
Sprachen: D, Englisch
Untertitel: D
Extras:
- Dt. Kino-Trailer
- Making-of (Featurettes)
- Geschnittene bzw. erweiterte Szenen
- Alternatives Ende
- BD-Live
- Trailershow
Mein Eindruck: die Blu-ray
Bild und Ton dieser Blu-ray sind, wie zu erwarten, von bester Qualität. Wie gut das Bild ist, ist deutlich in der Auseinandersetzung zwischen Michael Foster und jenem Autofahrer zu sehen, der ihn zunächst darauf aufmerksam macht, dass aus dem Kofferraum seines Autos weiße Farbe ausläuft (ein Versuch Caseys, sich bemerkbar zu machen, der hervorragend klappt - nur leider mit den falschen Folgen). Wie fast immer setzt der Regisseur subjektive Kamerablickwinkel ein: Wir sind in der Rolle des Opfers, und die Gewalttätigkeit des Entführers wirkt daher umso heftiger. Aufgrund der Geschwindigkeit der Bewegungen ist es wichtig, dass das Bild gestochen scharf ist. Und das ist hier der Fall.
Der Ton ist ebenso immens wichtig. Immer wieder sind Herzschläge mit stark erhöhter Frequenz zu hören - eine unterschwellige Manipulation des Zuschauers. Das hat nicht viel mit Musik zu tun, aber das ist auch nicht nötig: Hauptsache, die Emotionen des Zuhörers werden wie gewünscht angesprochen. Wer also schwache Nerven hat, sollte diesen Film unbedingt meiden.
Die Synchronisation ist diesmal durchaus gelungen. Anders als in etlichen Filmen, die ich in letzter Zeit gesehen habe, scheinen die Übersetzer hier alles richtig verstanden zu haben.
EXTRAS (ca. 35 Min.)
1) Dt. Kino-Trailer (1:36)
Der deutsch synchronisierte Trailer verspricht Höchstspannung - und das nicht ohne Grund.
2) Featurettes
a) Making-of "Notfallmaßnahmen" (14:52 min)
Von der Idee bis zur Umsetzung beschreibt dieser Werkstattbericht in Drehortaufnahmen und Statements die Entstehung des Films. Von Anfang an stand demnach fest, Halle Berry die Hauptrolle spielen sollte - und sie sagte bereitwillig zu. Die Vorbereitungen auf die jeweilige Rolle war für alle Beteiligten hart und emotional sehr bewegend.
Regisseur Brad Anderson bringt jede Menge TV-Erfahrung und Action-Hintergrund mit: Er bestand darauf, das Callcenter nachzubauen und alle Aufnahmen möglichst oft mit Handkamera zu filmen. Im Kofferraum setzte er eine Sondenkamera ein, im Hubschrauber eine Überwachungskamera, an der Tankstelle setzte einen Mann in Brand... Halle Berry lobt daher zu Recht den dokumentarischen Charakter des Spielfilms, der eher an eine Reality-TV-Doku erinnert. Genau dieser Realismus jagte der erst 16-jährigen Abigail Breslin jedoch große Angst ein und bescherte ihr Albträume.
Der Schluss ist umstritten. Darf eine Mitarbeiterin der Polizei, nämlich die Telefonistin, einen Mann zu Tode kommen lassen? Natürlich nicht! Dieser Akt der Selbstjustiz wird jedoch in dem jetzigen Schluss angedeutet. Im alternativen Ende tätigt Jordan jedoch einen Notruf im Callcenter des LAPD...
b) Am Set "Das Versteck" (3:27 min)
Das komplette Set des unterirdisch angelegten Verstecks des Entführers wurde im Studio nachgebaut. Inklusive der Wurzeln.
c) Am Set: "Das Call Center" (4:51)
Auch dieses riesige Set wurde offenbar nachgebaut oder - das ist nicht ganz klar - in vorhandener Architektur eingerichtet. Auf den zahlreichen Monitoren sind sozusagen Fototapeten und die Tastaturen sind Attrappen. Der Regisseur bestand auf diesem Riesen-Set, aber im fertigen Film macht es optisch wirklich was her. Man merkt tatsächlich, dass es sich wie ein Bienenkorb nafühlt.
d) Die Stunts (6:56 min)
brennende Männer, kämpfende Kerle, der Schnitt in eine weibliche Kopfhaut - all dies verlangte nach sorgfältig inszenierten Stunts und gut gemachtem Make-up.
3) Geschnittene bzw. erweiterte Szenen (ca. 6 Min.)
Diese Szenen sind - bis auf eine - relativ belanglos. In einer Szene sehen wir jedoch, wie der Entführer sein Opfer sein verfrachtet, obwohl dieses fortwährend um Gnade bettelt.
4) BD-Live
Diese Funktion habe ich aus Zeitmangel nicht getestet.
5) Trailershow
a) All is lost (mit Robert Redford)
b) Frozen Ground (mit N. Cage und J. Cusack)
c) Byzantium (Vampirfilm mit S. Ronan)
d) Enemies - Welcome to the Punch (s. meinen Bericht)
e) The Crime (s. meinen Bericht)
f) Das Penthouse (mit Michael Keaton)
g) Evidence - Auf der Spur des Killers
h) Rush (mit Daniel Brühl)
i) Riddick (mit Vin Diesel)
Unterm Strich
Hui, dieser spannende Thriller ging wie im Flug vorbei, so dass ich gar nicht merkte, wie die Zeit verging. Das liegt zum Teil an den zahlreichen Schnitten, die die Geschichte aus verschiedensten Blickwinkeln erzählen, zum Teil aber auch an den unvorhersehbaren Wendungen, an dem dokumentarischen Kamerastil. Auf diese Weise fühlt sich der Zuschauer, der die Aktionen aus allen Blickwinkeln - von ganz unten bis ganz oben, im Kofferraum wie auch unter Wasser - gezeigt bekommt, direkt in das Geschehen verwickelt.
Die Spannung und emotionale Wirkung lag aber auch an den klasse Darstellern, allen voran Abigail Breslin als Entführungsopfer. Ihre Casey hat allen Grund in Panik zu geraten: neben einer Leiche im engen Kofferraum eines dahin rasenden Autos zu liegen, ist wohl nicht jedermanns Vorstellung von einer Urlaubsfahrt, sondern ein richtiger Albtraum. Sie erwacht auf einem Operationsstuhl, und gleicht wird das Skalpell angesetzt...
Schwächen
Natürlich kann man sich fragen, wie oft noch Killer nach dem Vorbild von "Buffalo Bill" aus "Das Schweigen der Lämmer" (1991) präsentiert werden. Aber das macht ausnahmsweise nicht: Die Assoziation dürfte beim jungen Publikum überhaupt nicht aufkommen. Auch darf man sich gelinde wundern, warum keine Bilder von dem Ü-Kameras der Parkgarage, wo die Entführung stattfand, ausgewertet werden - OK, das ist nicht die Aufgabe Jordan Turners.
Und solange die Freeways in L.A. wirklich "free", also kostenlos sind, werden auch nicht Autos überwacht. Durch diese Rahmenbedingungen erhalten die Meldungen, die aufmerksame Autofahrer an die Notrufzentrale absetzen, erhöhte Bedeutung: Der Faktor Mensch, er scheint tatsächlich noch zu zählen.
Das ist zumindest die Botschaft, die der Film seinem Publikum weismachen will. Andererseits lässt sich ein Drama wie dieser Thriller nur auf diese Weise erzählen: Was Maschinen treiben, berührt uns nicht; es kommt nur auf die Menschen an. Dass dies ein Trugschluss ist, wird zunehmend deutlicher, je mehr Sensoren (Bewegungsmelder, Zugangs- und Alarmanlagen, Ü-Kameras usw.) Daten an Zentralrechner übertragen, wo wiederum nur Software die Auswertung vornimmt.
Wenn also richtige, kostspielige Menschen wie Jordan Turner in vorderster Front kämpfen sollen, dann muss schon etwas sehr Ungewöhnliches im Gange sein. Und das ist hier zum Glück der Fall: Der Prolog erklärt die Gründe für Jordans ungewöhnliche Handlungsweise. Er ist also keineswegs überflüssig, sondern lässt sie sehr menschlich erscheinen. Halle Berry spielt diese Hauptfigur anrührend, ernsthaft und mit sichtbarem Engagement. Sie ist wirklich die Idealbesetzung für diese Rolle: weiblich und sensitiv, aber engagiert, agil und aktiv. Das Bondgirl hab ich nie abgenommen.
Die Blu-ray
Die Silberscheibe bietet beste Bild- und Tonqualität sowie zwei Tonspuren. Die Synchronisation stimmt ausnahmsweise weitgehend mit den Untertiteln überein. Das Bonusmaterial liefert eine Fülle von Informationen, ohne durch ewig lange Interviews zu langweilen. Lediglich eine Doku über die Spezialeffekte hab ich vermisst, auch wenn sie nur minimal vorhanden sind. Immerhin wird detailliert dargestellt, wie der Schauspieler Tommy Rosales von Michael Eklund in Brand gesetzt wurde - und das Brennen überlebt hat. Nach dieser Szene hütet man sich künftig an Tankstellen doppelt, offenes Feuer zu entfachen...
Fazit: volle Punktzahl
Michael Matzer (c) 2013ff
- Redakteur:
- Michael Matzer