Tödliche Entscheidung - Before the devil knows you’re dead
- Regie:
- Lumet, Sidney
- Jahr:
- 2007
- Genre:
- Thriller
- Land:
- USA
- Originaltitel:
- Before the devil knows you’re dead
1 Review(s)
14.02.2011 | 11:52Suspense-Thriller oder Melodram? Lumet kann beides
Das Leben von Andy (Philip Seymour Hoffman) könnte perfekt sein: Er ist mit der schönen Gina (Marisa Tomei) verheiratet und bezieht als Immobilienmakler ein sechsstelliges Jahresgehalt. Um allerdings seinen Lebensstil und Drogenkonsum finanzieren zu können, hat er Geld seiner Firma veruntreut. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das auffliegt. Doch Andy hat eine Idee für eine Lösung. Er muss nur seinen jüngeren Bruder Hank (Ethan Hawke) überreden, den Juwelierladen ihrer Eltern auszurauben. Der Überfall scheitert blutig, mit verheerenden Konsequenzen. Denn bald ist den beiden nicht nur die Polizei auf den Fersen…“ (Verleihinfo)
Filminfos
O-Titel: Before the devil knows you’re dead (USA 2007)
Dt. Vertrieb: Koch Media
VÖ: 12. September 2008
EAN: 4020628980511 (Kaufversion)
FSK: ab 16
Länge: ca. 112 Min.
Regisseur: Sidney Lumet
Drehbuch: Kelly Masterson
Musik: Carter Burwell
Darsteller: Philip Seymour Hoffman, Ethan Hawke, Marisa Tomei, Albert Finney u.a.
Handlung
Andy Hanson (Hoffman) ist ein Makler bei New Yorker Immobilienfirma, der Geld unterschlägt, um seine Drogensucht zu finanzieren. Da eine Steuerprüfung bevorsteht, braucht er schnell recht viel Geld. Doch woher nehmen und nicht selbst auffliegen? Da denkt er an seinen Bruder Hank (Hawke), der sowieso ständig Geld braucht, um seine Alimente für seine Ex-Frau und das gemeinsame Kind aufbringen zu können. Hank hat bloß einen Job als kleiner Angestellter bekommen, ganz im Gegensatz zu Andy mit seinem Maklerjob.
Andys Vorschlag klingt einfach, doch Hank kriegt sofort Fracksausen: Er soll für Andy den Juwelierladen ihrer Eltern ausrauben, Andy würde die Beute verscherbeln und sie beide würden sich den Erlös teilen. Das müssten 500 bis 600.000 Dollar sein. Hank verlangt 2000 als Vorschuss. Null problemo. Hank hat die 2000 Dollar unter die Leute gebracht, um seine Schulden abzuzahlen. Doch für den Raub heuert er einen Kumpel namens Bobby (Brian O’Byrne) an.
Er soll eigentlich bloß eine Erkundungsfahrt mit Probelauf werden, als Hank zusammen mit Bobby zum Juwelierladen fährt. Hank ist ebenso verkleidet wie Bobby. Letzterer geht rein, kaum dass Franks Mutter (Rosemary Harris) den Laden geöffnet hat. Plötzlich hört Hank Schüsse fallen! Bobby kommt herausgetorkelt, wird von hinten niedergeschossen. Hank kriegt die Panik und rast davon. Diese Sache ging wohl total in die Hose. Andy, der nicht ahnt, dass seine Frau Gina (Marisa Tomei) mit Hank schläft, fällt aus allen Wolken.
Ebenso wie sein Vater Charlie (Albert Finney). Der ist an seinem Geburtstag zu einem Sehtest gegangen, während sich seine Frau um den Juwelierladen kümmerte. Als er zurückkehrt, ist der Laden ein Tatort. Die Polizisten halten ihn davon ab, seine Frau Nenette zu sehen. Er kann Nenette erst im Krankenhaus wiedersehen – die Schwerverletzte liegt im Koma und ist unansprechbar. Er verzweifelt fast vor Selbstvorwürfen. Tage später bittet ihn seine Tochter, Mutter sterben zu lassen. Die Beerdigung und Leichenfeier ist eine weitere Prüfung.
Hank weint um Mom, doch Andy ist anders drauf: Er hasst seinen Vater. Als sein Vater sich mit ihm versöhnen will, fragt Andy ihn: „Bin ich wirklich dein Sohn?“ und bekommt dafür eine gescheuert. Die Familie bricht auseinander: Während Hank von Bobbys Frau und ihrem Bruder erpresst wird, verliert Andy seine Frau. Doch beim Abschied kann sie es sich nicht verkneifen, ihm eine Retourkutsche zu geben: Sie schlafe mit seinem Bruder.
Andys Vater denkt, er ist lange genug von den Cops hingehalten worden, nun nimmt er die Ermittlung selbst in die Hand. Er beginnt bei einem alten Diamantenschleifer, den er schon aus seiner Jugend kennt. Der Alte kennt natürlich auch seinen Sohn Andy – und der sei neulich bei ihm gewesen, als wolle er ihm etwas verkaufen. Da wird Charlie stutzig. Er beschattet Andy. Unbemerkt wird er Zeuge der sich nun entfaltenden Katastrophe, als Andy die Nerven verliert…
Mein Eindruck
Ist das ein „Suspense Thriller“, wie die Produzenten im Making Of behaupten, oder ein Meldodram, wie der Regisseur sagt? Sidney Lumet hat das Geschehen jedenfalls mit der Unerbittlichkeit einer griechischen Tragödie auf das unglaubliche Finale hin inszeniert. Doch keine Angst: Immer wieder halten Rückblenden den folgerichtigen Ablauf der Katastrophe auf, so dass wir keine Ahnung haben, was gleich auf uns zukommt. Perfiderweise beginnt der Streifen sogar mit einer Sexszene in einem Hotel in Rio. Irreführung, dein Name ist „Lumet“.
Wir haben ein sehr ungleiches Brüderpaar, von dem der eine – Hank – von den Eltern geliebt, der andere – Andy – verachtet wird. Die List, die Andy entwickelt, um zu Geld zu kommen, ist deshalb im doppelten Sinne teuflisch: Der Überfall auf das Geschäft der Eltern ist seine Rache an Daddy, aber auch ein Seitenhieb gegenüber seinem willensschwachen Bruder Hank, ihren süßen Sohn. Dabei ahnt Andy noch gar nicht, dass der „kleine“ Hank ihm die Frau ausgespannt hat.
Die Figurenanordnung wirkt wie die eine Königsfamilie (und Lumet selbst verweist auf „Oedipus Rex“): Als die Königin ermordet zu Grabe getragen, verlangt der König Gerechtigkeit. Als sie ihm verweigert wird, nimmt er sie in die eigenen Hände – und kommt dem eigenen Sohn auf die Schliche. Doch die Nemesis hat bereits zugeschlagen: Hank wird erpresst und Andy von allen verlassen. Als Hank auf die Schnelle zehn Riesen verlangt, geht alles den Bach runter. Jetzt müssen radikale Maßnahmen ergriffen werden. Doch wen soll Charlie, der König, bestrafen?
Der Ausgang des Dramas ist trotz seiner Folgerichtigkeit unvorhersehbar, denn die Ereignisse folgen derartig schnell aufeinander, dass der Zuschauer keine Gelegenheit hat, darüber nachzudenken. Andy entpuppt sich als wahrer Killer: Er wäre der ideale Räuber gewesen. Doch auch er fängt sich eine Kugel ein und landet schwer verwundet im Krankenhaus – genau dort, wo zuvor seine Mutter lag.
Nun ist es am König, das Urteil zu sprechen und zu verhängen. Wird er Gnade vor Recht ergehen lassen oder das ältere Gesetz von Zahn um Zahn, Auge um Auge befolgen? Altes oder Neues Testament? Charlie Hanson entpuppt sich als das wahre Vorbild für den Killer Andy Hanson. Wir können uns nur wundern, ob er damit davonkommen wird.
Die DVD
|Technische Infos|
Bildformate: 1,85:1 (anamorph)
Tonformate: D in DTS und DD DD 5.1, Englisch in DD 5.1
Sprachen: D, Englisch
Untertitel: D
|Extras:|
- Dt. Trailer, O-Trailer
- Making Of: „How the devil was made“ (25 min)
- Behind the scenes (ca. 10 min)
- Audiokommentar von Lumet, Ethan Hawke und Hoffman
- Gedrucktes Filmplakat als Einleger
Mein Eindruck: die DVD
Der Film wurde von Anfang für High Definition konzipiert und auch so gedreht. Lumet sieht im Making Of sofort die Vorteile: Alle aufgenommenen Signale (Licht) bleiben elektromagnetisch, statt am Schluss mühselig und ungenau in chemische Substanzen umgewandelt werden zu müssen. Durch die Nachbearbeitungsmöglichkeiten braucht er sogar weniger Lampen, um eine Szene auszuleuchten. Dadurch konnte er schneller und preisgünstiger arbeiten.
Diese hohe Qualität sieht man dem Film durchweg an: Die Räume sind allesamt wunderbar ausgeleuchtet, voller Licht und sehr detailreich – darin fühlt man sich gleich wohl. Der Sound ist ebenfalls erstklassig, wie man sich denken kann. Und die deutschsprachige DTS-Spur wird dem voll gerecht. Das einzige Detail, was mir als Englischkenner nicht gefiel, war die plumpe Synchronisation: Das Amerikanisch des Originals ist viel lakonischer und und dadurch weniger rücksichtsvoll gegenüber Emotionen. Hey man, das ist New York City!
|EXTRAS|
1) O-Trailer (1:48)
Mit dem Fokus auf die Story und deren Highlights macht der Trailer dem Zuschauer den Mund wässrig. Bemerkenswert sind dabei die Großaufnahmen der tollen Schauspieler, aber auch die seltsamen Zwischentitel, die auf den O-Titel anspielen. Das Sprichwort lautet nämlich demnach wie folgt: „Dem Verstorbenen wird eine halbe Stunde im Himmel gewährt, bevor der Teufel weiß, dass er tot ist.“
2) Dt. Trailer (2:10)
Das Gleiche in Grün, aber etwas länger.
3) Making-of „How the devil was made“ (25 min)
In mehreren Kapiteln bereitet der Werkstattbericht die Entstehung des Films auf. Die beiden Produzenten berichten, dass für sie das Skript, das Lumet gleich vom Fleck weg zu seinem nächsten Projekt auserkor (sehr selten!), als Thriller ansahen. Für Lumet hingegen war es ein Melodram. Der Unterschied? „Im Thriller“, so der Meister, „treiben die Figuren die Geschichte voran, im Melodram ist genau umgekehrt: Die Geschichte treibt die Figuren, bis zu einem dramatischen Finale.“ Ich habe selten eine so gescheite Definition gehört. Und so rechtfertigt auch, dass Lumet ein durch Over-acting so „entehrtes Genre“, wie er meint, in die Tat umsetzte. Es ist ein schmaler Grat, den Lument wandelt: Er treibt die Figuren bis an die Grenze, wo ihr Agieren unglaubwürdig wirken könnte – in diesem Film passiert das nie.
Hier erfahren wir auch von der ganz speziellen Arbeitsweise, die für Lumet eigentümlich ist: Zwei Wochen lang lesen die Darsteller – allesamt Theaterschauspieler – das Drehbuch und sprechen darüber. Zwei Wochen! Eine lange, teure Zeit. Aber danach fühlt sich der Dreh laut Hawke so an, als würde man nur eine fertige Flüssigkeit nur noch in eine Gussform einbringen, um das Endergebnis in eine präsentable Gestalt zu bringen. Entgegen der Erwartung, dass so für Spontaneität kein Platz bleibe, passieren immer wieder Ausrutscher und „Fehler“, so etwa als Hank nach der Ermordung des Dealers grinst statt ernst dreinzuschauen. Genau richtig!
4) Behind the scenes (ca. 10 min)
Lumet ist mit seiner Crew und zwei Hauptdarstellern am Set: Albert Finney in der Mall und Ethan Hawke in der Kneipe. Der Stunt, als der „Räuber“ hinterrücks durch die zerberstende Tür des Hanson-Juwelierladens kracht und auf den Gehweg stürzt, wird minutiös vorbereitet. Es soll ja niemand zu Schaden kommen.
4) Audiokommentar von Lumet, Ethan Hawke und Hoffman
Habe ich nicht abgehört, könnte aber viele Einsichten bieten.
5) Gedrucktes Filmplakat als Einleger
Ein riesiges Poster zum an die Wand pinnen.
Unterm Strich
Man sollte den Film mehrmals anschauen, um die komplexen Beziehungen zwischen den Figuren zu erkennen – jeder verrät fast jeden, als Andys Plan schiefgeht. Es ist eine langsame Implosion von Andys Träumen – die Explosion ist unausweichlich. Der Thriller ist in dieser Form ohne das Melodram undenkbar, um eine Familie in rapider Selbstzerstörung zeigen zu können.
Ein Meister wie Lumet („Die 12 Geschworenen“) führt den Zuschauer mit leichter, cleverer Hand durch die Szenen, bis einem im Finale das Hören und Sehen vergeht. Kein Zweifel: Mit seinem Tempo sieht der Thriller aus wie das Werk eines 30-jährigen, doch durch das klug vorangetriebene Melodram wird eine viel tiefer gehende emotionale Wirkung erzielt. Wer diesen Schock nicht aushalten will, der sollte den Film meiden.
|Die DVD|
Die Silberscheibe bietet einen klasse Sound und eine sehr hohe Bildqualität. Da schon mit HD-Technik gedreht wurde, gingen keinerlei Informationen – etwa durch Transfer von chemischem Filmmaterial auf digitale Medien - verloren: Alle Räume sehen optimal ausgeleuchtet und sehr detailreich aus, die Großaufnahmen von Gesichtern sind beeindruckend. Die Blu-ray könnte noch besser aussehen.
Die Extras bieten alles, was man sich als Cineast wünscht, also Making-of, Audiokommentar und Behind-the-scenes – kein dummes Geschwafel, kein gegenseitiges Schulterklopfen, sondern Fachsimpelei. Und dann noch ein Riesenposter, mit dem man sein Wohnzimmer bepflastern kann.
Michael Matzer (c) 2011ff
- Redakteur:
- Michael Matzer