Vergebung. Millennium 03
- Regie:
- Daniel Alfredson
- Jahr:
- 2010
- Genre:
- Thriller
- Land:
- SWE/D/DK
- Originaltitel:
- Luftslottet som sprängdes
1 Review(s)
27.04.2010 | 23:08Millennium Nr. 3: Die finale Abrechnung
Nach „Verblendung“ und „Verdammnis“ geht es für Lisbeth Salander um alles oder nichts, um Schuld oder Unschuld, Freiheit oder Verurteilung, Leben oder Tod. Unterstützt von Mikael Blomqvist, der auf seiner Suche nach Gerechtigkeit die Verschwörung gegen Lisbeth unbeirrbar aufzudecken versucht, sind die beiden aneinander gebunden. Er muss sich mit dem Verfassungsschutz verbünden, um die Verschwörung gegen Lisbeth aufzudecken, und seine Redakteure erhalten Morddrohungen. Kann er Lisbeth retten, bevor ihr entkommener Halbbruder Niedermann sie erwischt?
Filminfos
O-Titel: Luftslottet som sprängdes oder „The Girl Who Kicked the Hornet’s Nest“ (Dänemark/Deutschland/Schweden 2009)
Filmstart in D: 3.6.2010
Info: www.vergebung-derfilm.de
FSK: ab 16
Länge: ca. 146 Min.
Regisseur: Daniel Alfredson
Drehbuch: Ulf Rydberg nach dem Roman von Stieg Larsson
Musik: Jacob Groth
Darsteller: Noomi Rapace (Lisbeth Salander), Michael Nyqvist (Mikael Blomqvist), Jacob Ericksson, Sofia Ledarp, Lena Endre, Anders Ahlbom Rosendahl u.a.
Tonformat: Dolby Surround
Bildformat: 1:1,85 (Breitwand)
Handlung
Die Ereignisse entfalten sich mit der Unerbittlichkeit einer griechischen Tragödie. Als Lisbeth Salander (Noomi Rapace) ihren Vater Alexander Zalachenko (Georgi Staykov) fand, den sie im Alter von zwölf Jahren mit Benzin übergoss und anzündete, versuchte dieser, sie auf seinem Bauernhof zu töten. Sie verletzte ihn in Notwehr schwer, wurde aber selbst in den Kopf getroffen. Mit letzter Kraft setzte sie sich gegen ihren Halbbruder, den schmerzunempfindlichen Hünen Ronald Niedermann (Mikael Spreitz) zur Wehr. Dann erschien die von Mikael Blomqvist (Mikael Nyqvist) alarmierte Polizei auf dem Schlachtfeld, und der Hubschrauber brachte die schwer blutende Lisbeth ins Krankenhaus von Göteborg. Aber ihr Vater und ihr Halbbruder haben ebenfalls überlebt und trachten ihr weiter nach dem Leben.
Dies ist nicht die einzige Gefahr, die ihr droht, während Ärzte die Bewusstlose am offenen Schädel operieren, um ihr die Kugel zu entfernen. Zalachenko kam vor 30 Jahren als russischer Geheimdienst-Überläufer nach Schweden, wo ihn eine Geheimgruppe innerhalb der Sicherheitspolizei Sipo für ihre Zwecke missbrauchte, um missliebige Personen zu „eliminieren“. Nicht einmal der Reichspolizeipräsident und der Ministerpräsident ahnten etwas von seiner Existenz.
Aber Mikael Blomqvist hat Zalas Aktivitäten aufgedeckt und stieß auf den Zusammenhang mit seiner Tochter Lisbeth. Er hat den Verdacht, dass die Geheimgruppe Lisbeth mithilfe des willfährigen Psychiaters Peter Teleborian (Rosendahl) in die geschlossene Psychiatrie einweisen ließ, um sie für den Anschlag auf Zalachenko (der in Nothilfe für ihre Mutter erfolgte) zu bestrafen. Er kann nur vermuten, was Teleborian dort mit ihr anstellte, aber der Krankenbericht, den sie in einem Versteck ihres von Niedermann ermordeten Vormundes Nils Bjurman gefunden hat, lässt nichts Gutes ahnen…
Die Geheimgruppe will den Patienten Zalachenko nun zum Schweigen bringen, doch der droht, sich an die Medien zu wenden, sollte man ihm nicht entgegenkommen. Eine seiner Bedingungen lautet, dass Lisbeth sterben müsse. Fredrik Clinton (Lennart Hjulström), zuckerkranker Kopf der Geheimgruppe, lässt sich nicht von Zala erpressen. Er überredet ein todkrankes Mitglied der Gruppe, Zala und Lisbeth zu „eliminieren“. Evert Gullberg (Hans Alfredson) kann Zala im Krankenhaus erledigen, doch in Lisbeths Zimmer ist die Tür verbarrikadiert…
Die Polizei ist angesichts dieses Vorfalls ratlos, doch Mikael Blomqvist ist aufgeschreckt. Er bereitet eine Sonderausgabe seines Magazins „Millennium“ über die Geschichte Lisbeth Salanders vor und möchte seine Kronzeugin, die ihm zudem (in „Verblendung“) das Leben rettete, keinesfalls verlieren. Außerdem steht sie unter Mordanklage und soll vor Gericht gestellt werden. Er zweifelt, dass ihr Gerechtigkeit widerfahren wird, wenn ihr früherer Peiniger Teleborian das psychologische Gutachten schreibt. Aber wer steht hinter Teleborian und wer hat Gullberg geschickt?
Um dies herauszubekommen, interviewen er und seine Redakteure Christer (Ericksson) und Malin (Ledarp) hochrangige Polizeimitglieder und einen schwedischen Botschafter. Das bringt ihn auf den Radarschirm des Verfassungsschutzes, denn hier geht es offenbar um Staatsgeheimnisse, die die Sicherheit des Landes gefährden könnten. Seine Gegenüber sind erstaunlich entgegenkommend. Kein Wunder: Er weiß über die Geheimgruppe viel mehr als sie. Er lässt sich als „externer Berater“ engagieren und zieht mit den Verfassungsschützern an einem Strang, um Lisbeths Leben zu retten.
Inzwischen bittet er seine Schwester Annika Giannini (Annika Hallin), eine Anwältin, Lisbeth vor Gericht zu verteidigen. Weil es ihm gelungen ist, Lisbeths Handy ins Krankenhaus zu schmuggeln, kann er mit ihr kommunizieren. Sie liefert ihm ihre Autobiographie und gibt ihm die Erlaubnis, Annika die DVD-Aufnahme von Lisbeths Vergewaltigung durch Bjurman zu übergeben – ein wahrlich explosives Beweisstück. Unterdessen treffen bei Erika Berger, der Herausgeberin von „Millennium“, die ersten, sie sehr beunruhigenden Drohungen per anonymer E-Mail ein…
Ronald Niedermann, Lisbeths Halbbruder, hat sich in einer alten Ziegelei verschanzt, die Zalachenko gehörte, und wartet auf seine Gelegenheit. Diese bietet sich ihm erst nach Wochen, als Lisbeth aus der Klinik ins Untersuchungsgefängnis verlegt werden soll…
Mein Eindruck
Das bemerkenswerteste Merkmal an diesem Abschluss der Millennium-Trilogie ist wohl die auffällige Passivität der Hauptfigur Lisbeth Salander. Darin unterscheidet sich die Figur radikal von ihren Auftritten in Teil 1 und 2, wo sie die treibende Kraft darstellt. Aber wir sollten nicht unbedingt Mitleid mit ihr haben, sondern lediglich Mitgefühl. Sie einfach nicht zur Jesus-Figur geeignet, wie sie spätestens mit ihrem Punk-Outfit bei der Gerichtsverhandlung überdeutlich signalisiert – siehe das Filmplakat.
|Ungleichgewicht|
Trotz ihrer erzwungenen Passivität ist Lisbeth die entscheidende Figur und Noomi Rapace die überzeugendste Darstellerin des gesamten Films. Auch wenn Micke Blomqvist herumwirbelt und Himmel und Hälle in Bewegung setzt, um ihre Unschuld an Bjurmans Ermordung zu beweisen, so wirkt er doch manchmal recht hilflos im Vergleich zu der im Stillen wirkenden Lisbeth (sie schreibt ja ihre Autobiografie). Dieses Ungleichgewicht ist sicherlich von der Regie gewollt. Während Micke in einen tödlichen Hinterhalt gerät und so für reichlich Action gesorgt ist, befindet sich das emotionale Zentrum des Film weitgehend in Lisbeths Krankenzimmer oder Zelle (ein winziges Kabuff, das man nur von oben aufnehmen konnte).
|Die Schurken|
Der in diesem Film neue Faktor X ist wie gesagt die Geheimorganisation innerhalb der Sipo. Die vor 30 Jahren so agilen Agenten sind heute meist krank oder dem Tode nahe. Dennoch haben sie ihr Hauptquartier weiterhin ausgebaut und Anhänger geworben, um die vielfältigen Aktivitäten zu dirigieren. So steuern sie beispielsweise den Psychiater Peter Teleborian, schüchtren Erika Berger ein, planen den Anschlag auf Micke und vieles mehr. Wie in einem Hollywood-Thriller ist das Finale durch seine Simultaneität doppelt ausgeführt: Lisbeths Verteidigerin Annika macht den Staatsanwalt fertig, dann ist der Psychiater dran. Zeitgleich stürmt ein Spezialkommando des Verfassungsschutzes die Zentrale der Organisation.
|Schwächen |
All dies reicht ohne weiteres für einen durchschnittlichen Thriller europäischer Machart aus. Aber von den ersten beiden Teilen sind wir Besseres gewöhnt und murren ob der Durchschnittlichkeit. Wo immer das ZDF seine Finger drin hat und Filmförderinstitute Gelder zuschießen, kann von künstlerischer Freiheit keine Rede mehr sein, habe ich den Eindruck. Zahllose Folgen von Mankells, Nessers und Jungstedts Krimi-Verfilmungen geben mir hoffentlich recht.
Daher wird man hier keine Verfremdungen in der Optik finden, noch irgendwelche ungewöhnlichen Wendungen in der Handlung – der Drehbuchautor wurde gewechselt. Und ich würde mich nicht darauf verlassen, dass die literarische Vorlage angemessen umgesetzt wurde. Wie schon in den vorhergehenden Teilen wurde massiv gekürzt, wie im Netz zu lesen ist.
|Zweifelsfälle|
Gestört haben mich deshalb auch Ungereimtheiten, die aufgrund der Kürzungen zustandekamen. So holt die Anwältin Annika unvermittelt brisante Akten hervor, von denen wir kurz zuvor erfahren haben, dass der Feind, also Clintons Organisation, sie alle geklaut habe. Wat denn nu?, fragt sich der Zuschauer. Dass ein Zeuge vor Gericht, nämlich Teleborian, selbst noch im Zeitalter der Hacker so blöd ist, per Hotel-WLAN auf Kinderporno-Seiten zu surfen, fällt mir ebenfalls schwer zu glauben. Meine Gutgläubigkeit wurde jedenfalls gehörig strapaziert.
Unterm Strich
Von allen drei Teilen hat mich der erste Teil am meisten überzeugen können. „Verblendung“ ist in sich geschlossen und hat mit den übrigen Teilen nur die zwei Hauptfiguren gemeinsam. Dieser Film ist so dicht inszeniert, dass innerhalb von rund zwei bis drei Stunden die Ereignisse aus rund 40 Jahren zusammengefasst, aufbereitet und abgeschlossen werden. Kein Wunder, dass ich als Zuschauer danach höchst zufrieden aus dem Kino ging.
In Teil 2 stürzt sich die triumphierende Lisbeth wieder zurück ins Getümmel, um ihre eigene Vergangenheit zum Abschluss zu bringen, womöglich motiviert von dem schönen Ergebnis in Teil 1. Bei diesem Unterfangen gerät sie jedoch in Teufels Küche und kommt fast darin um. Teil 3 muss darum genau andersherum aufgezogen werden: Nicht Lisbeth, sondern die anderen müssen aktiv werden, allen voran Micke Blomqvist, ihr freundschaftlicher Kollege.
Aber ob sie ihm am Schluss ob seines Erfolges und ihrer „Erlösung“ dankbar sein wird? Man sollte sich bei Lisbeth nicht so sicher sein. Sie hat zuviele Wunden, die heilen müssen. Dies macht Noomi Rapace, die inzwischen für ihre Darstellung mit einem preis ausgezeichnet wurde, feinfühling und mit minimalen Mitteln deutlich.
Es wäre natürlich zu wünschen, dass die Reihe fortgesetzt würde. Aber wie immer wieder zu lesen ist, müssen sich die zwei Seiten der Rechteinhaber erst noch zusammen raufen, um die Teile 4 bis 6 in den kommenden jahren zu realisieren. Ob man wieder das ZDF und andere Fernsehanstalten für die Filme engagieren sollte (sofern es gelingt, sie davon abzuhalten, heißt das!), möchte ich stark bezweifeln.
Die lediglich durchschnittliche Qualität von „Vergebung“ hat mich nicht überzeugt, dass dieses Konsortium einem solchen Projekt in künstlerischer Hinsicht förderlich ist. Millionen für Kostüme, Ausstattung und jede Menge Personal können ein gutes Skript mit einer mitreißenden Handlung nicht ersetzen.
- Redakteur:
- Michael Matzer