Welle, Die
- Regie:
- Dennis Gansel
- Jahr:
- 2008
- Genre:
- Drama
- Land:
- Deutschland
1 Review(s)
03.11.2008 | 14:07Seit mehr als zwei Dekaden gehört Morton Rhues Literaturklassiker “Die Welle“ zu den wichtigsten Lektüren für den Mittel- und Oberstufenbereich. Der Roman basiert auf einem Projekt auf einer kalifornischen Highschool aus dem Jahre 1967, welches den Geschichtslehrer Ron Jones unfreiwillig berühmt machte, gleichzeitig aber auch wegen seiner erschreckenden Resultate schockierte. Anfang des Jahres wurde nun eine wagemutige Verfilmung des schwierigen Stoffes in die Kino gestellt – ausgerechnet im belasteten Deutschland, das aufgrund des geschichtlichen Hintergrunds eigentlich weniger geeignet für ein solches Projekt schien. Dachte man zumindest, bevor der Streifen in die Kinos kam…
Story
Während einer Projektwoche in seiner Schule übernimmt Gymnasiallehrer Rainer Wenger widerstrebend das Thema ’Autokratie’, beschließt jedoch kreativ mit der Sache umzugehen. Als Assoziationen zum Dritten Reich auftauchen, fasst der Lehrer den Entschluss, seinen Schülern aufzuzeigen, dass sich auch in einem stabilen sozialen Gefüge eine Diktatur durchsetzen lässt. Obschon seine Schüler seine Theorie für fragwürdig erachten, beteiligen sie sich am Projekt, dem sie schon bald das Banner ’Die Welle’ verpassen. Nach und nach suchen die Schüler nach Identifikationsfaktoren für ihre Sache. Uniformen, ein gemeinsames Logo, eine Homepage und schließlich ein kleiner Streifzug durch die Innenstadt, während dem man Sticker und Graffitis platziert sollen folgen, bevor das Gerüst langsam aber sicher aus den Fugen zu brechen droht. ’Die Welle’ entwickelt ein Eigenleben, dessen bedenkliche Dynamik nur noch die Außenstehenden bemerken. Diejenigen allerdings, die Teil des Projekts sind, erkennen nicht, dass die Zugehörigkeit zur Bewegung immer radikalere Maßnahmen erfordert und alle Gegner rücksichtslos unterdrückt werden. Als Wenger den Ernst der Lage erkennt und die Entwicklung stoppen möchte, ist es allerdings schon zu spät…
Persönlicher Eindruck
“Die Welle“ hat pünktlich zum Kinostart eine eben solche losgetreten. Hitzig wurde diskutiert, inwiefern ein solches Projekt auch heute noch realistisch umzusetzen ist, gerade vor dem Hintergrund dessen, dass die Materie spätestens jetzt allerorts bekannt sein dürfte. Doch diese Unglaube, man mag es vielleicht bis zu einem gewissen Grad auch Naivität nennen, ist der Stoff, auf denen sich der Gehorsam der Beteiligten des Projekts von Jones stützt, und der erwiesenermaßen auch dazu führte, dass sich die Schüler ebenso wie das Negativ-Vorbild aus der Zeit des Nazi-Regimes gleichschalten und manipulieren ließen.
Der Kinofilm soll nun einerseits dokumentarisch, andererseits aber auch in bester Thriller-Manier reflektieren, was genau in dieser einen Woche 1967 geschehen ist und welchen Effekt das Ganze auf die gebildeten Jugendlichen haben sollte. Dabei beginnt das Ganze eigentlich unspektakulär, eventuell auch dadurch bedingt, dass man als Zuseher bereits mit dem Inhalt vertraut ist und daher auch gewisse Erwartungen an die Inszenierung hat. Den Gefallen, die Sache künstlich auszublasen, tut Regisseur Dennis Gansel (u.a. “Napola – Elite für den Führer“) den Kritikern jedoch nicht. Stattdessen lässt er es betont ruhig angehen, beleuchtet ganz unauffällig die wichtigsten Figuren des Experiments und eröffnet auch so die Perspektive auf ganz unterschiedliche Gesellschaftsschichten, die den aktuellen Zeitgeist sehr schön widerspiegeln. Das ist der ungehobelte Typ von der Straße ebenso zu finden wie die Vorzeige-Schülerin, der passionierte Sportler und der psychisch angeknackste Sonderling – Letzterem soll im weiteren Verlauf natürlich noch ein ganz besonderer Part zukommen, denn natürlich ist es gerade er, der sich in der neuen Gemeinschaft sichtlich wohl fühlt und in dieser neuen Rolle schier unberechenbar wird.
Während die Personen sich nun langsam ins Story-Gefüge einleben, vollführt Gansel in der Regie einige psychologische Tricks. Er stellt die Mitglieder der Bewegung als Identifikationsfiguren dar und blicht fast schon verwerflich auf diejenigen, die sich nicht von der Hochstimmung anstecken lassen – und ob man es sich eingestehen möchte oder nicht: Zu einem bestimmten Grad lässt man sich ebenfalls von diesem Sog mitreißen und verteilt seine Sympathien an ’Die Welle’. Und trotzdem bleibt das Erzähltempo in diesem Rahmen sehr überschaubar, da der Regisseur die einzelnen Akte richtig ausführlich darstellt. Die Rudelbildung macht den Beginn, die Publikation des Logos und der nächtliche Streifzug sollen folgen, bevor dann die Ausgrenzung der Andersdenkenden den radikalen Cut vollführt und erst die eigentliche Brisanz in die Geschichte bringt. Beachtlich hierbei: Die stille Gruppendynamik spiegelt sich in diesem gemäßigten Tempo wider. Sowohl das Publikum, als auch die Schüler im Film spüren erst, dass die Sache bedenklich ist, als es eigentlich schon zu spät ist – und gerade das macht dieses Experiment umso beängstigender; ganz gleich, ob man sich nun noch fragen mag, ob es auch heute noch in ähnlicher Form stattfinden könnte.
All dies ist aber in erster Linie auch den stark spielenden Hauptdarstellern zu verdanken. Jürgen Vogel mimt den Part des Motivators ungeheuer leidenschaftlich und ist den Alter Egos seiner Schüler ein richtig gutes Vorbild. Doch auch die vielen Nachwuchsdarsteller finden sich prima in ihre Rollen ein und dokumentieren dadurch, wie sehr sich mit ihrem Part identifizieren. Nicht wenige glauben, dass dies das Erfolgsgeheimnis des Films ist. An dieser Stelle soll dies definitiv unterschrieben werden.
Wichtiger als dies ist lediglich der eigentliche Effekt des Streifens. Nur wenige psychologische Kniffe bewirken eine totale Verhaltensmodifikation und einen blinden Gehorsam, wie er in jeder Diktatur verlangt wird. Manch einer wird in diesem Zusammenhang vielleicht glauben, dass die einzelnen Schritte bis hin zur inhaltlichen ’Endlösung’ ein wenig überzogen inszeniert sind. Doch auch hier sei deutlich widersprochen, da der Film strukturell adäquater kaum aufbereitet sein könnte – und selbst in den vielleicht zu pathetisch entworfenen Schlussszenen seine Wirkung nicht verfehlt. Skandalös, erschreckend, aber eben auch so verdammt realistisch. Gansel hat den Stoff mit großer Überzeugungskraft umgesetzt und alle Hoffnungen, die man in ein solch ambitioniertes Projekt investieren mochte, vollends befriedigt. Subjektiv betrachtet ist “Die Welle“ die beste deutsche Produktion des bald endenden Jahres; objektiv gesehen ist der Film vielleicht eine der wichtigsten Publikationen des gesamten Jahrzehnts.
- Redakteur:
- Björn Backes