Gruppentherapie: CIRITH UNGOL - "Dark Parade"

25.10.2023 | 22:28

Nicht für jedermann? CIRITH UNGOL und die Faszination des Unzugänglichen.

Nach einem souveränen Sieg des Vorgängers "Forever Black", kurz nach Ausbruch der Corona-Epidemie (zum Soundcheck April 2020 und der dazugehörigen Gruppentherapie), kommt der Nachfolger "Dark Parade" heuer "nur" auf Platz 4 (zum Soundcheck Oktober 2023). Nun, an Kollege Stehle lag das garantiert nicht (zum 10-Punkte-Review von "Dark Parade"). Aber woran denn dann? Sieben Therapeuten berichten von ihren Eindrücken, die von Begeisterung und Faszination, über Respekt vor dem Schaffen der Band, bis hin zu Ernüchterung reichen. Des Weiteren wird diskutiert, wie (und ob überhaupt) unzugänglich das Album wirklich ist.

Die Jungs haben mit "Forever Black" vollkommen verdient den 2020er April-Soundcheck gewonnen, und auch aktuell macht diese hochklassige und mitreißende Mixtur aus klassischem Stahlgut, sehr viel Epik und der Prise Doom unheimlich viel Freude – eine so typische POWERMETAL.de-Band, wenn ihr mich fragt. Doch was sind die Geheimnisse CIRITH UNGOLs? Ein geglückter Spagat aus Moderne und Tradition mit authentischem Sound, einem einzigartig singenden Tim Baker und dem Wissen, dass man die Genialität der 1980er Jahre ins Hier und Jetzt transferieren kann. Einfach herrlich! Zugegeben, ich wurde von "Forever Black" zwar etwas mehr mitgerissen, doch "Dark Parade" wächst von Mal zu Mal, sodass die acht Punkte als klare Tendenz nach mehr zu sehen sind. Es ist die Homogenität, die dieses Album ausmacht, als hätte CIRITH UNGOL nie etwas anderes gemacht, denn auch im Vergleich zu den "King Of The Dead"- und "One Foot In Hell"-Alben hinkt das neue Album nicht meilenweit hinterher. Das eröffnende 'Velocity (S.E.P.)' und 'Sailor On The Seas Of Fate' – welch großartiger Titel – packen mich von Beginn an und erzeugen in mir eine wohlige Stimmung, klitzekleine Glücksmomente wie es auch 'Looking Glass' oder das wunderbar abrundende 'Down Below' schaffen. Einzig 'Relentless' und 'Sacrifice' überzeugen nicht hundertprozentig, obwohl auch hier die Melodien etwas sehr Faszinierendes haben. Alles in allem ist "Dark Parade" ein gutes, bisweilen auch sehr gutes Album, das Fans packen und mitreißen wird, und mir zumindest eine dreiviertelstündige Zeitreise beschert. Ich frage mich nur, ob die optische Parallele zum vierten Album "Paradise Lost" beabsichtigt war, aber vielleicht wissen meine Kollegen mehr?

Note: 8,0/10
[Marcel Rapp]

Puh, "Dark Parade" ist echt ein Brocken, damit hatte ich nach dem doch sehr zugänglichen Vorgänger wirklich nicht gerechnet. Wer denkt, die Band würde zum Abschluss, wie bei "Forever Black", auf Nummer sicher gehen und noch mal möglichst kommerziell agieren, der wird hier gründlich getäuscht. Sehr laute Gitarren, unsauberer Gesang, eine fast schmerzhaft brutale Produktion und Songs, die einfach keine Hits sein wollen - das Unkommerziellste der Alben von "King Of The Dead" bis "Paradise Lost" wird hier brillant gemischt. Einzig das Grieg-Gedächtnis-Riff in 'Sailor On The Seas Of Fate' wirkt schon nach wenigen Spins zugänglich. Anders als unser Hauptrezensent und Band-Verehrer Rüdiger konnte ich das Album noch keine 30-40 Mal anhören. Trotzdem fasziniert es mich und erinnert dabei atmosphärisch durchaus an MANILLA ROAD zu Beginn bis Mitte des ersten Jahrzehnts. Denkt an die Werke von "Atlantis Rising" bis "Voyager", für mich eine absolut bemerkenswerte Phase der Bandgeschichte. Hier würde sich sicher auch "Dark Parade" gut einreihen. Eine Note zu geben, wirkt im Moment unfair, muss aber sein. Daher reicht es Stand jetzt bei mir knapp für eine Neun, denn ich zucke beim Anhören unweigerlich mit. Und das ist ein gutes Zeichen.

Note: 9,0/10
[Jonathan Walzer]

Mit ihrem neuesten Werk "Dark Parade" drängt sich bei mir sofort ein Bild auf: CIRITH UNGOL als der fiese kleine Bruder von IRON MAIDEN. Ein Bild, das an Damien aus "Das Omen" erinnert - ein bisschen brutal, ein bisschen mysteriös und definitiv abgründig. Musikalisch lässt sich die Band auf diesem Album in vielfältige Richtungen treiben. Bei Tracks wie 'Relentless' fühle ich mich an eine orientalisch angehauchte Variante von WOLF erinnert, während 'Sailor On The Seas Of Fate' fast so wirkt, als würde Quorthon aus Valhalla zustimmend nicken. Doch was konstant bleibt, sind die markanten Vocals von Tim Baker. Er strahlt mit einem Charisma, das seit den Frühtagen der Band ungebrochen scheint. Er ist das Herzstück von CIRITH UNGOL und verleiht "Dark Parade" seinen unverwechselbaren Charakter. Das Album fühlt sich an wie ein logisches Produkt von Metal-Veteranen, die schon Jahrzehnte in der Szene aktiv sind. Es ist roh, direkt, aber dennoch mit vielen kleinen musikalischen Entdeckungen gespickt. Dennoch – und das sage ich mit einem wehmütigen Unterton – spürt man, dass die Band jetzt vielleicht alles gesagt hat, was sie zu sagen hatte. Die Ankündigung, dass CIRITH UNGOL ihre Aktivitäten im kommenden Jahr beenden wird, stimmt mich nach diesem Album weniger traurig. Lieber bewahre ich die Erinnerung an eine Band, die ihr Charisma nie verloren hat, als Zeuge ihres möglichen Niedergangs zu werden. "Dark Parade" ist ein Album, das die treuen Anhänger von CIRITH UNGOL sicherlich begeistern wird. Es spiegelt die Essenz und den Charakter der Band in all ihren Facetten wider. Für Neueinsteiger könnte es durchaus eine Herausforderung sein, sich in die Tiefe und Komplexität des Werks einzufinden. Dieses Album ist ein authentisches Statement einer Band, die sich nichts mehr beweisen muss. Es ist ein Zeugnis ihrer Geschichte und ihrer musikalischen Evolution, das am besten von denen geschätzt wird, die mit ihrer Vergangenheit vertraut sind.

Note: 8,0/10
[Julian Rohrer]

Was habe ich CIRITH UNGOL einmal geliebt! Damals, vor der Reunion, als man Shirts und Patches dieser Band, die kaum jemand der Anwesenden je live gesehen hatte, zuhauf auf dem "Keep It True"-Festival erspähen konnte. Ein wissendes, anerkennendes Nicken, ja, mein Gegenüber ist ein Wissender. Ein Connaisseur des Untergrunds. Ein Mensch mit Geschmack! CIRITH UNGOL war anders, geheimnisvoll, kantig. Unzählige Male habe ich etwa das Debüt gehört, diese kauzige Eingängigkeit, diese fast schon punkige "Fuck You"-Attitüde! Oder das düstere "King Of The Dead" mit dem Überhit 'Death Of The Sun'. Schon bei "One Foot In Hell" war ich allerdings skeptisch. Das ist schon alles arg gleichförmig. Wo sind die großen Melodien? "Paradise Lost" hatte dann seine Momente, aber auch Längen. Und dann der große Knall, die Band reformiert sich, tritt live auf, der Wahnsinn! Und es folgte... Ernüchterung. Das zweite Mal live, und der Zauber war für mich wie weggeblasen. Es zog sich, ich wartete immer schon auf den nächsten Song. Das neue Album? Nett, ohne Zweifel. Aber mehr auch nicht. Und damit bin ich endlich da angelangt, wo ich hin sollte: "Dark Parade" ist für mich das folgerichtige Produkt dieser neuen Entwicklung. Ja, Julian, sicher unverwechselbar CIRITH UNGOL, auch Jhonny hat Recht, wenn er dem Album eine gewisse Schwärze und Sperrigkeit unterstellt. Und auch Marcel kann ich zustimmen, es ist homogen und wirkt wie aus einem Guss. Allein: Es reißt mich nicht mit. Die Faszination lag für mich im Unzugänglichen und das ist hier maximal gespielt. Das ist kein Vorwurf, es geht nicht anders. Nun, ich will das Album nicht klein reden, ich habe halt mehr erwartet. Damals. Vor vielen Jahren.

Note: 7,0/10
[Jakob Schnapp]

"Nun ja, wenn selbst ein "devoter Diener des Passes der Spinne" nach all den Runden mit der Scheibe im Player noch hier und da an der massiven Dichte der Finsternis des Werkes zu knabbern hat, was soll dann aus dem Gelegenheitshörer werden, der nicht über die Jahrzehnte hinweg hunderte Stunden mit der Band verbracht hat?" Lieber Rüdiger, als ein solcher CIRITH UNGOL-Gelegenheitshörer zitiere ich gerne aus deiner ausführlichen, sehr schönen Rezension und muss sagen, dass aus mir immer mehr ein Fan der Band wird. Ganz klar, und daraus mache ich kein Geheimnis, habe ich CIRITH UNGOL erst circa ein Jahr vor dem ersten KIT-Auftritt gehört. Damals kaufte ich die ersten zwei, drei CDs der Band beim BYH nach dem KIT, bei dem Tim Baker und Robert Garven die erste Autogrammstunde gaben (Dort gab es natürlich keine mehr zu erwerben, als ich auf die Idee kam). Der Bandname und die legendären Cover waren mir vorher bereits aus dem einen oder anderen Magazin und von T-Shirts her bekannt. Als ich die inzwischen liebgewonnene Musik der Mannen aus Ventura die ersten Male hörte, musste ich schon schwer schlucken: So klingt also diese Kauz-Musik, mit der sich früher junge Metallerchen, heavy waren sie ja schließlich noch nicht, von ihren Freunden abheben wollten. Sicher auch, weil ausgefallene MAIDEN-Patches halt arschteuer waren! Jakob hat das Phänomen ja kurz ziemlich gut beschrieben. Ich brauchte viele Durchläufe, doch dann klebte "Frost and Fire" scheinbar in meines Autos CD-Player fest: Die Scheibe gefiel mit einem Mal und wuchs und wuchs in meiner Wahrnehmung, vermutlich weil ich mittlerweile auch ein angegrauter Kauz war, und um nun endlich zum finalen, hier zu besprechenden sechsten Album der Herren zu kommen: Fast genauso ergeht es mir mit "Dark Parade". Wirklich "sitzt" bis auf 'Relentless' noch keines der Lieder in meinem Musikgedächtnis. Jedoch langweilt mich immerhin auch kein einziges, und die Anzahl der Durchläufe wächst und wächst. Im Gegenteil, zum Ausdruckstanz beim Ausräumen der Spülmaschine reicht die Begeisterung bereits, das heißt schon was! Außerdem schmelzen meine Ohren bei dem göttlichen Götter-Solo des Jim Barraza in 'Looking Glass'! Was für ein Meisterstück! Der Sound des Albums knallt, drückt, schiebt und spielt auf ganzer Länge mit den Muskeln. Fast ohne jegliche Eingängigkeit begeistert mich das Album mit seinen epischen, auf so ganz andere Art metallischen Tracks. 'Velocity (S.E.P.), der Titeltrack oder auch 'Down Below' haben es mir dabei besonders angetan. Mal schauen, was aus meiner "musikalischen Freundschaft" zu dieser abgefahrenen Mucke in den kommenden Jahren noch so wird.

Note: 9,0/10
[Timo Reiser]

Nach dem bärenstarken Vorgänger "Forever Black", gab es für Fans der amerikanischen Gruppe CIRITH UNGOL nur eine Frage. Kann der Nachfolger "Dark Parade" musikalisch ähnliche Akzente setzten? Klare Antwort, er kann. Wenn man sich die Geschichte von CIRITH UNGOL zu Gemüte führt, findet man dort kein auch nur annähernd schwächelndes Album. Umwehte die ersten beiden Scheiben noch der Kultfaktor, so konnte sich CIRITH UNGOL auf den folgenden Platten auch musikalisch etablieren (bis dato mit dem Höhepunkt "Paradise Lost"), dann kam die Auflösung und es wurde still um die Band. Mit dem Paukenschlag "Forever Black" meldeten sich die Amerikaner 2020 dann zurück, nur um 3 Jahre später "Dark Parade" auf die Hörerschaft loszulassen. Gleich der Opener 'Velocity (S.E.P.)' zeigt eine Band, die es anscheinend noch einmal wissen will. Tim Bakers unvergleichliche Stimme klingt mächtig und kräftig. Auch der Einstieg von Basser Jarvis Leatherby (NIGHT DEMON) im Jahr 2016 gibt der Musik von CIRITH UNGOL eine kräftigen Schub nach vorne und in Richtung Heavy Metal, ohne dabei das sichere Fahrwasser des Epic Metal zu verlassen. Das ist die große Stärke von "Dark Parade". Die Band verschiebt die Grenzen spielend und wirkt dabei frisch und unverbraucht, was Songs wie 'Sailor On The Seas Of Fate', 'Sacrifice', dem Titeltrack oder die Gänsehautnummer 'Down Below', eindrucksvoll beweisen. Well done, guys.

Note: 8,5/10
[Colin Büttner]

Jetzt kommt am Schluss mal wieder der mit den komischen Ohren. Allüberall muss ich lesen, wie sperrig, herausfordernd, schwer zu knacken dieses neue CIRITH UNGOL-Album sei. Doch schon bei den ersten Tönen des flotten Openers (nomen est omen) bin ich sicher: Das hier ist voll mein Ding! Auch die nachfolgenden Songs flutschen runter wie Öl. Und nach Beendigung des gesamten Albums war ich schon Feuer und Flamme. Herausragend ist mal wieder die hervorragende Gitarrenarbeit, vor allem von der Leadgitarre und das nicht nur bei 'Looking Glass', lieber Timo. Fehlende Eingängigkeit werde ich bei CIRITH UNGOL garantiert nie bemängeln, es ist keine Hook-Band und den Gesang verstehe ich eher als ein weiteres Instrument, denn als Melodienträger. An "King Of The Dead" hab ich ewig geknabbert bis die Erleuchtung kam, hier kommt sie fast schon zu schnell. Das mag auch an dem für mich sehr angenehmen Sound und Mix liegen (Leadgitarre laut ist immer gut!). Bislang hab ich nix auszusetzen. Das einzige was mich stört ist: Warum ist "Dark Parade" nicht Soundchecksieger geworden?

Note: 9,0/10
[Thomas Becker]

 

Fotocredits: Peter Beste / Metal Blade

Redakteur:
Thomas Becker

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