Gruppentherapie: PSYCHOTIC WALTZ - The God-Shaped Void
25.02.2020 | 08:24Wie gut ist es denn nun, das neue Album von PSYCHOTIC WALTZ?
Die lang erwartete Veröffentlichung von "The God-Shaped Void", dem fünften PSYCHOTIC WALTZ-Album, hat seine Spuren im progressiv-metallischen Underground hinterlassen und erzeugt Aufmerksamkeit über diesen hinaus. Bei einigen Fans erster Stunde - wie unserem Holger - wird das Album gefeiert (zum 10 Punkte-Review), das Album gewinnt auch den Februar-Soundcheck, doch man findet im Netz aber nicht nur die ganz großen Jubelarien. Spannend ist hier insbesondere auch der Eindruck von Leuten, denen WALTZ - anders als beim Verfasser des Textes - kein langjähriger Wegbegleiter war, oder die weniger prog-affin sind. Die Bandbreite solcher Meinungen spiegelt sich dann auch in dieser Gruppentherapie wieder. Aber in einem sind sich dann doch alle Therapeuten einig. Lest selbst.
Ich war nie der größte Fan von PSYCHOTIC WALTZ, fand die ersten beiden Alben aber schon auch genial und kann auch mit den rockigeren, weniger JETHRO TULL-lastigen späteren Alben etwas anfangen. Auch DEADSOUL TRIBE mochte ich, bin da aber noch nicht komplett. Wie viele andere war ich überrascht und erfreut über die Ankündigung von "The God-Shaped Void". Mittlerweile rotiert die Scheibe zum vierten Mal hier und macht auf jeden Fall richtig Spaß. Ich genieße die State-Of-The-Art-Produktion, den superklaren und kraftvollen Gesang von Buddy und die schönen mehrstimmigen Gitarrenleads. Insgesamt wirkt der Sound bei weitem nicht so sphärisch wie auf den ersten beiden Alben, auch wenn einzelne Momente dieses Flair schon aufblitzen lassen. Auch die Flöte wird (leider!) dezenter eingesetzt. Hier hätte ich mir etwas mehr gewünscht. Dass das Artwork großartig ist, konntet ihr sicher alle schon sehen. Wenn ich die Rahmenbedingungen betrachte merke ich, dass man 2020 kaum einen besseren Sound hingezimmert bekommt. Das ist wirklich erste Sahne. Die Songs wachsen, sind bei mir aber noch nicht so groß, dass ich an die ganz frühen Großtaten denke. Ich sitze beim Hören anerkennend nickend da und finde das alles echt stark - aber das euphorische Mitfiebern bei den Songs, wie ich es 2019 zum Beispiel bei ARCH / MATHEOS oder ATLANTEAN KODEX erlebt habe fehlt hier (noch?). Sicher wird das Album übers Jahr verteilt noch viele Runden erhalten, und vielleicht steht dann am Ende noch eine höhere Note. So höre ich "nur" ein sehr gut gemachtes Album, aber keine emotionale Wundertüte, wie sie mir manche Rezensionen versprechen. Aber vielleicht kommt das ja noch.
Note: 8,5 / 10
[Jonathan Walzer]
Nun, im Gegensatz zu unserem Jonathan kann ich die vielen Jubelarien absolut nachvollziehen, denn PSYCHOTIC WALTZ hat mit "The God-Shaped Void" etwas geschafft, was nicht viele Rückkehrer hinbekommen: ein Album, das nicht so klingt wie ich es erwartet habe, aber dennoch exakt so klingt wie ich es mir gewünscht habe. Vom ersten Ton von 'Devils And Angels' an zieht mich Devons mystische Stimme in diese Platte hinein und lässt mich nicht mehr los. Alles hier klingt wie aus einem Guss und vor allem: es klingt nach PSYCHOTIC WALTZ. Ich finde Momente, die nach jedem einzelnen der vier ersten Alben klingen und doch sind das nur Trademarks, die das Quintett eben so besonders macht. Vor allem natürlich die Gitarrenarbeit von Dan Rock und Brian McAlpine, die einmal mehr nicht von dieser Welt ist. Hört dazu nur mal 'The Fallen' oder 'While The Spiders Spin'. Das sind dann auch zwei der allerhöchsten Höhepunkte, die wohl nur noch vom unglaublichen 'Sisters Of The Dawn' getoppt werden. Ebenso darf angemerkt werden, dass die Flöte vielleicht nicht so federführend wie in 'I Remember' eingesetzt wird, dafür aber insgesamt häufiger als auf jedem anderen PSYCHOTIC WALTZ-Album, wenn auch durchaus dezent, aber eben auch immer absolut klar und flüssig eingearbeitet. Dazu kommt die bereits erwähnte, herausragende Produktion und das wunderbare Cover und wir haben es mit dem vierten Album der Bandgeschichte zu tun, das von mir die Höchstnote erhält. Chapeau!
Note: 10,0 / 10
[Peter Kubaschk]
Uff, Peter redet von Erwartungen. Was habe ich denn von einem neuen PSYCHOTIC WALTZ-Album erwartet? Nun, eigentlich wäre ich völlig im Reinen mit den vier bestehenden Alben. Niemand kann mir das unbeschreibliche Gefühl nehmen, als ich das erste Mal "A Social Grace" gehört habe. Es war bei Müller, ich war 16 oder 17 und das Gehörte hat mich so dermaßen fasziniert und irgendwie auch schockiert, dass meine Mutter mich fragte, was denn mir los sei. Ich erinnere mich noch heute daran als wäre es gestern gewesen. Und dann die vielen wundervollen Stunden mit "Into The Everflow", einer Scheibe, die für mich für lange Zeit das maximal Mögliche, das Nonplusultra darstellte. Mit dem erst enttäuschenden "Mosquito" habe ich auch Frieden geschlossen und "Bleeding" wäre ein würdevoller Abschluss einer nahezu perfekten Diskografie gewesen.
Schon die Live-Reunion hat mich dann schon gar nicht so sehr gepackt wie sie es hätte sollen. Aber ich bin immer etwas irritiert, wenn auf einmal ein abgeschlossenes Stück Vergangenheit wieder auftaucht. Klar war ich da, aber es war nicht so wie früher, ich bin anders, die Band ist anders, die Welt ist anders. Ich erinnere mich, dass es ein gutes Konzert war, aber im Vergleich zu den Konzerten in der 90ern verblasste der Eindruck doch sehr schnell.
Tja, und jetzt ist es da, das fünfte Album, nach 24 Jahren. Zur Musik ist ja eh schon alles gesagt und diejenigen, die sich für die Band interessieren, haben "The God-Shaped Void" wohl auch schon etliche Male gehört. Ich finde es auch ein gutes, stellenweise sogar sehr gutes Album, keine Frage. Aber mit was, wenn nicht meinen damaligen Erfahrungen und Gefühlen, soll ich das Album denn messen? Halt, werdet ihr sagen, im Alter erlebt man solche prägenden Musikerlebnisse eh nicht mehr und kein Album wird einen je wieder so prägen wie die wichtigen Alben der Teenager-Zeit. Aber ich halte dagegen. Mir passiert das immer wieder, auch letztes Jahr gab es Musik, die dieses große Gefühl, diese prachtvolle Magie hervorrufen konnte. Aber eben nicht "The God-Shaped Void". Von daher irritieren mich die euphorischen Reaktionen. Ähnlich wie die Massenjubelei bei ATLANTEAN KODEX oder ARCH/MATHEOS, um mal Jonathans Beispiele zu zitieren. Das gibt mir dann immer das Gefühl, auf der Autobahn in die falsche Richtung zu fahren. Denn ich höre hier "nur" ein sehr gut produziertes, aber ansonsten sehr weltliches Album einer Band, die ihr Handwerk versteht und hörbar an ihren Songs gearbeitet hat. Mit Verlaub, das erwarte ich von jeder Band! Ich finde ein paar tolle Songs auf der Scheibe, die Gitarren von Rock/McAlpin sind natürlich auch wieder sehr sahnig, aber Hand aufs Herz, liebe Alt-WALTZianer: Etwas neues auf der Musiklandkarte stellen sie auch nicht mehr dar. Und auf den ersten beiden Alben hat das Duo ganz einfach deutlich (!) spektakulärer gespielt! So etwas zu erwarten wäre aber vermessen, ich weiß, das waren Eskapaden übermütiger junger Männer, unwiederholbar für alle Zeiten. Abzug gibt es von daher eher für ein paar phasenweise doch recht bodenständige Lieder wie 'Demystified', oder für sich in einer gewissen Midtempo-Gleichförmigkeit verlierende Passagen in der ersten Albenhälfte, in denen ich sogar meinen Soundcheck-Kollegen Mario in Schutz nehmen kann, der "The God-Shaped Void" schlicht und einfach öde findet.
Bitte versteht mich nicht falsch, liebe Leser, ich mag das Album wirklich, was auch meine Note zeigt, es wächst auch noch, aber das Riesenalbum, das einige Kritiker und Szenesprecher hier mal wieder ausrufen, ist auch "The God-Shaped Void" nicht. Nicht für mich. Die neue THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA gefällt mir mindestens genauso gut.
Note: 8,5 / 10
[Thomas Becker]
In dieser Gruppentherapie bin ich wohl am weitesten weg von dieser Band, ich kenne nur "A Social Grace". Ein Geniestreich, das müssen selbst Prog-Agnostiker wie ich zugeben. Daher war ich gespannt, ob dieses neue Album mich ebenfalls so begeistern kann. Nun, das kann es nicht. Zwar erkenne ich nach diversen Hördurchgängen die musikalische Klasse, den Einfallsreichtum und die ein oder andere wirklich geniale (weil warme!) Stelle, aber das Debüt hat mich einfach zu jeder Sekunde weggeblasen. Und dieses Gefühl fehlt mir hier einfach. Die Band klingt 2020 unglaublich jung, aber nicht mehr so herrlich experimentell, das kommt heutzutage alles (natürlich?) viel kopfiger rüber. Viel seltener habe ich das Gefühl, von kreativem Chaos überschwemmt zu werden. Dazu kommt, dass mir das irgendwie alles zu modern daherkommt (etwa diese tiefen Gitarrenriffs bei 'Back to Black'). Ich mochte den alten Klang, den alten (technisch vielleicht nicht so dollen) Gesang so viel lieber. Die Kompositionen gingen trotz aller Komplexität sofort ins Ohr. Das fehlt mir auf "The God-Shaped Void" alles ein bisschen. Stattdessen sind mir die Lieder oft eine Ecke zu "cool". Ich entschuldige mich dafür, dass ich daraus so einen Vergleich mache, das sollte man natürlich eigentlich nicht tun. Bei mir gibt es aber, was das Debüt angeht, keinen Nostalgie- oder Jugendbonus, daher erlaube ich mir das mal. Also: Ich kann total verstehen, wie man dieses Album abfeiern kann, denn es handelt sich um eine moderne und frische Version von alten Stärken. Mich persönlich berührt das aber nicht so. Aber vielleicht bin ich auch einfach zu doof für Prog.
Note: 8,0 / 10
[Jakob Schnapp]
- Redakteur:
- Thomas Becker