Gruppentherapie: SANCTUARY - "The Year The Sun Died"
29.09.2014 | 01:35Gruppentherapie zum lang erwarteten Comeback-Album von SANCTUARY.
Musik von und mit Warrel Dane steht für Qualität und es vewundert nicht, dass "The Year The Sun Died" Soundchecksieger wird. Rüdiger spricht in seinem Review von einem Comeback nach Maß, ist sich allerdings der Tatsache wohl bewusst, dass nicht jeder Old-School-Fan mit dem selben Maße messen wird! Dementsprechend verfällt auch nicht jeder in der Redaktion in Euphorie, wobei das erstaunlicher Weise nicht daran zu liegen scheint, dass der Bruch zwischen dem Frühwerk und der neuen Scheibe als zu drastisch empfunden wird. Was nun also toll ist und was es an der neuen SANCTUARY-Scheibe so alles zu kritisieren gibt, lest ihr in der ausführlichen Gruppentherapie.
Schlecht finde ich "The Year The Sun Died" ja auch nicht, nur nicht so gut wie die Mehrheit der Redaktion. Traditioneller Metal hat es bei mir sowieso meistens schwer (Ausnahmen wie WOLF letzten Monat bestätigen die Regel). Was mir an dieser Scheibe gut mundet, ist einmal das moderne, druckvolle, jedoch nicht zu aalglatte Klangbild. Auch das Songwriting zeigt, dass hier echte Profis am Werk sind, alleine das Riffing und die Soli Brad Hulls sind wahre Ohrenschmäuse. Was mir jedoch auf Albumlänge missfällt, und da werde ich wohl auf großes Unverständnis stoßen, ist der Gesang. Klar, Warrel Dane hat ein einzigartiges Organ und er weiß es mit viel Leidenschaft einzusetzen. Mir will die Klangfarbe aber einfach nicht munden, zudem werden die Songs größtenteils in Halftime gehalten, was ziemlich ermüdend ist. Die unauffälligen Halbballaden wie 'I Am Low' und 'One Final Day' unterstützen diesen Eindruck. Wenn SANCTUARY mehr Songs wie 'Frozen' aufgenommen hätte, wäre ich wohl euphorischer.
Note: 6,5/10
[Jakob Ehmke]
Die zwei Hauptmänner von NEVERMORE gehen nach dem Split also sehr unterschiedliche Wege. Jeff Loomis scheint vorwärts gehen und sich in der Modern-Prog/Djent-Szene etablieren zu wollen, und Warrel Dane? Der reaktiviert seinen ollen Hut SANCTUARY. Das war Anfang der Neunziger zwar schon cool aber erfolglos. Doch immerhin gibt es eine treue und enthusiastische Fan-Basis, auf die man bauen kann. Ich persönlich bin aber immer mehr als skeptisch bei solchen Reunions und erwarte genau nichts. "The Year The Sun Died" klingt vom Titel her spektakulär, die Musik bietet aber nur Gewöhnliches. Es war aber auch klar, dass man sich nicht gänzlich auf den alten Sound verlassen und das eine oder andere NEVERMORE-Füßchen mit integrieren würde. Was ich hier höre, ist ein relativ mutloser und kalkulierter Kompromiss. Zudem fällt mir einmal mehr auf, dass Sangeszauberer Dane schon seit Jahren mit dem gleichen Melodien-Kästchen arbeitet. Oder warum weiss ich schon beim ersten Hören dreissig Sekunden im Voraus, was kommt? Werd ich das jemals öfter hören? Und Jakob, mir fehlt auch das Spektakel bei der Gitarrenarbeit, die zwar nie richtig langweilig ist, aber auch selten mitreisst. Dane + Loomis war halt schon was Tolles als Team, vor allem in den Neunzigern. Natürlich ist "The Year The Sun Died" allein wegen Danes Stimme immer noch ein gutes Metal-Album mit einigen feinen Momenten ('I Am Low'), aber bitte erwartet dabei keine Überraschungen. Bestenfalls "nice to have" aber nie im Leben ein "must have".
Note: 7,0/10
[Thomas Becker]
Ob man das Album haben muss, liegt sicher auch daran, mit welchen Ohren und Erwartungen der geneigte Hörer an "The Year The Sun Died" herangeht. Meine Erwartungen waren relativ gering, obwohl sowohl "Refuge Denied" und "Into The Mirror Black" als auch "Nevermore", "Dead Heart In A Dead World" und "The Godless Endeavor" wie auch zu guter Letzt Warrel Danes Soloalbum "Praises To The War Machine" bei mir hoch im Kurs stehen. Dennoch habe ich - wie Kollege Becker - bei solchen Wiedervereinigungen immer ein flaues Gefühl in der Magengegend, welches vom vor allem gesanglich blassen Auftritt beim "Metal Assault" im vergangenen Jahr nur verstärkt wurde. Aber schon der Opener 'Arise & Purify' straft mich als Kritiker hier lügen. Warrels Stimme und seine Melodiebögen wissen auch anno 2014 noch zu fesseln und bleiben zudem auch recht flott im Ohr hängen. Mein Vorschreiber mag damit Recht haben, dass einem die Gesangsmelodien bekannt vorkommen, aber für mich ist das eher wie eine Heimkehr in vertraute Gefilde. Da "The Year The Sun Died" wie eine Mischung aus SANCTUARY, dem letzten NEVERMORE-Werk und Danes Soloalbum klingt, ist das eigentlich auch keine Überraschung. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass bei aller positiver Überraschung hier natürlich kein Klassiker veröffentlicht wurde, wie so häufig zuvor, wenn Warrel Dane seine Stimmbänder hat vibrieren lassen. Aber dank 'I Am Low', 'One Final Day (Sworn To Believe)' und dem grandiosen Abschluss- und Titeltrack ist das dritte Album unter dem Banner SANCTUARY zumindest ein "really should have".
Note: 8.5/10
[Peter Kubaschk]
Ich gehe ja nur äußerst ungern mit meinem biblischen Lebensalter hausieren, aber in diesem Fall muss es einfach sein: Ich hatte das Vergnügen SANCTUARY in ihrer Blüte mehrmals live zu erleben. Bei jeder dieser Gelegenheiten hat der Seattler-Fünfer die anderen Bands des Abends ziemlich alt aussehen lassen und wir sprechen hier nicht von Laufkundschaft, sondern von MEGADETH, TESTAMENT, FLOTSAM AND JETSAM und FATES WARNING! Seither stehen Warrel Dane & Co bei mir sehr hoch im Kurs, woran sich auch in der Zwischenzeit nichts geändert hat, denn sowohl sein Soloalbum als auch sein Schaffenswerk mit NEVERMORE ist verdammt beeindruckend. Da bin ich ganz bei unserem Chefredakteur. Von daher liegt die Messlatte für dieses Comebackalbum verdammt hoch und wurde, meiner bescheidenen Ansicht nach, mit Bravour übersprungen. Wenn Kollege Becker von "einem relativ mutlosen und kalkulierten Kompromiss" spricht, kann ich das absolut nicht nachvollziehen. Warum sollte man einen Kompromiss eingehen, wenn man eh "... Anfang der Neunziger... erfolglos" war? Um die Handvoll Die Hard-Fans nicht zu enttäuschen oder die Charts zu stürmen? Und Warrel aus seinen prägnanten Gesangslinien einen Strick zu drehen, grenzt für mich fast schon an Boshaftigkeit, lieber Thomas! Was sagst du denn dann erst zu Wiederholungstätern wie AC/DC, MOTÖRHEAD, SAXON und Konsorten? Wenn man, wie Jakob, mit Gesang und Genre einfach wenig anfangen kann, ist eine relativ niedrige Wertung verständlich. Und mein Lieblingstrack auf "The Year The Sun Died" ist ebenfalls 'Frozen', den man beim Turock Open Air bereits live dargeboten hat. Mir gefallen allerdings auch die alles andere als "unauffälligen Halbballaden" 'I Am Low' und 'One Final Day', sowie der Rest des Albums (bis auf 'Dying Age', das in der Tat ein wenig uninspiriert daher kommt). Unterm Strich sind das 9 von 10 Punkten.
Note: 9,0/10
[Alexander Fähnrich]
"Die neue SANCTUARY klingt kaum wie SANCTUARY!" hört man die Kritiker, die sich die alte Schule aus Prinzip auf die Fahnen geschrieben haben, bereits jetzt wettern. Das stimmt, ist aber zum einen ganz natürlich und zum anderen auch nicht weiter schlimm, denn die beiden 80er-Alben der Seattle-Legende sind auch von ihr selbst nur schwer zu kopieren und außerdem ist jedes Songwriting, an dem Warrel Dane bislang beteiligt war, immer von einem Blick mehr nach vorn als zurück geprägt gewesen. Dane lässt die 'Battle Angels' natürlich nicht mehr so ungezügelt fliegen wie 1987, doch das ist nun auch nicht erst seit gestern so und wenn man sich damit einmal abgefunden hat, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass seine Stimme in Würde gealtert ist. Sobald er in Songs wie 'I Am Low', 'Frozen' und 'One Final Day' seine Stimme erhebt, wird mir jedenfalls schlagartig wieder bewusst was mir seit dem NEVERMORE-Split fehlte. Ich bin mit "The Year The Sun Died" also rundum zufrieden.
Note: 9,0/10
[Arne Boewig]
Mir geht es nahezu wie Jakob: Kein schlechtes Album, nicht so eingängig und flott wie WOLF [Was ihr immer mit eurem WOLF-Vergleich habt... - R.S.] letzten Monat, und obwohl mit etwas mehr Biss im Ansatz, durch das dauerhaft stampfige Midtempo im Klangbild etwas eingetrübt. Die Produktion ist mir zudem schon etwas zu matschig, wohl dem Loudness War geschuldet. Der Gesang ist eigentlich gut, allein die Stimmfarbe nicht ganz meine, und das macht schon einiges aus. Mit SANCTUARY/NEVERMORE/WARREL DANE-Solo-Vergleichen kann ich nicht dienen, aber was die Songs dessen ungeachtet leisten, ist das Spannen einer Brücke zwischen Heavy und Power Metal. Und das muss einfach mal gewürdigt werden, gerade wo ich sonst mit Power Metal nicht allzuviel anfangen mag. Angriffslustig, dröhnend, wuchtig und dabei doch nie die melodische Seite vernachlässigend reiht sich hier Machtwerk an Machtwerk, selbst die getragenen Balladenmomente haben stets Saft und Kraft. Dichtes Songwriting, keinerlei Längen außer gewolltes Verschleppen, um durch Trägheit die Masse aufzubieten, die sodann wieder nach vorne gewuchtet wird. Das hat Pathos im Stiefel, aber es feiert sich nicht. Sondern greift wieder an, wie der Berggrieche seinen mühsam gerollten Stein. Wäre das nicht "nur Gewöhnliches", wie Thomas zu Recht anmerkt, wäre das Soundbild klarer, träfe Warrel Danes Stimme bei mir einen Nerv und klänge nicht so dauerangestrengt, hätte "The Year The Sun Died" etwas mehr Dynamik in puncto Tempovariation zu bieten, dann, ja, dann wäre ich wohl ähnlich davon angetan wie Peter. Die Grundzutaten von Doom über klassischen Metal bis hin zu Thrash-Einflüssen stimmen nämlich und wurden auch geschickt miteinander verknüpft, bloß eben nicht so zwingend, wie man das wohl gerne hätte. Fazit: Metal as fuck, aber stürmische Leidenschaft oder gar innige Verzückung höre ich da genausowenig heraus wie etwa eine durch den Titel "The Year The Sun Died" suggerierte tiefe, elegische Düsternis.
Note: 7,0/10
[Eike Schmitz]
Ich muss gestehen: Ich bin SANCTUARY-Jungfrau! So sehr ich die NEVERMORE-Alben von "The Politics Of Ecstasy" bis "Enemies Of Reality" auch verehre, so wenig habe ich mich mit der musikalischen Vergangenheit von Warrel Dane auseinandergesetzt. Ein Frevel, ich weiß! Jedoch kann ich daher umso unbefangener an "The Year The Sun Died" herantreten.
Als ich dann zum ersten Mal 'Arise And Purify' gehört habe, musste ich grinsen. Und nach dem zehnten Mal muss ich immer noch grinsen. Und das nicht aus Schadenfreude, weil ich Dane den musikalischen Erfolg mit SANCTUARY nicht gönnen würde, nachdem er meine Lieblinge NEVERMORE mehr oder minder zu Grabe getragen hat. Sondern vielmehr dieses Grinsen der Zufriedenheit. Der Opener könnte nämlich ohne weiteres auch auf "The Politics Of Ecstasy" stehen - das Intro-Riff atmet den Geist von Jeff Loomis, der Kehrvers kann einfach alles und ganz nebenbei beweist Warrel Dane gleich einmal, dass er immer noch die Eier für die ganz hohen Schreie hat! Seine Leidenschaft für Gothic und Dark Wave der späten 1970er und 1980er Jahre musste Warrel Dane zuletzt bei NEVERMORE etwas zurückschrauben. Schade, denn genau Vertreter dieser Genres wie BAUHAUS oder JOY DIVISION waren verantwortlich für die beklemmende Atmosphäre auf Göttergaben wie "Dreaming Neon Black" und "In Memory". Gottlob finden sich unter anderem mit 'Exitium (Anthem Of The Living)' Songs mit deutlich gruftiger Schlagseite. Dieses hohe Niveau hält SANCTUARY fast durchgehend bis zum Schluss. Daher, mehr als verdiente neun Punkte und macht bitte weiter so - wer braucht denn schon NEVERMORE ohne Jeff Loomis?
Note: 9,0/10
[Haris Durakovic]
Comebacks sind ja immer so eine Sache. Entweder sind sie nutzlos, lediglich finanziell motiviert und durch pure Ideenlosigkeit ins Nutzlose gezogen, oder man hat, wie im Fall von SANCTUARY, beinah alles richtig gemacht und präsentiert mit "The Year The Sun Died", dem ersten Album nach 24 langen Jahren, ein rundum tolles, vitales Lebenszeichen, das die Band wieder zurück in die Köpfe der Anhängerschaft wuchtet. Auch wenn ich mit meinen 26 Lenzen zu jung bin, um den wahren Klassikerstatus der "Refuge Denied"- und vor allem der "Into The Mirror Black"-Ära vollends zu erfassen, so weiß ich dennoch, was "The Year The Sun Died" bei allen Fans auslöst: Pure (An-)Spannung! Doch die Anspannung löst sich und es breitet sich Erleichterung aus, wenn man dieses Comeback das erste Mal durchlaufen lässt. Sicherlich kommt, in meinen Augen, SANCTUARY nicht an die damaligen Glanzleistungen heran, doch zumindest hat man mit 'Arise And Purify', 'Let The Serpent Follow Me', 'Question Existence Fading', 'Frozen' und 'The Year The Sun Died', einer sehr gut aufgelegten Mannschaft, einer zeitgemäßen Produktion und dem hin und wieder aufflackernden Geist der Nostalgie doch viele Pluspunkte zu bieten, die diese subjektive Benotung rechtfertigen. Auch wenn die Qualität im Laufe der Scheibe ein wenig schwankt, so überwiegt doch wohl die Erleichterung und Gewissheit, dass SANCTUARY vom "Wir kamen erneut, wir sahen erneut, wir gingen sang- und klanglos unter"-Mythos nun wahrlich nicht betroffen ist. Puuuuuh!
Note: 8,0/10
[Marcel Rapp]
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Review von Rüdiger Stehle
Soundcheck 09/2014
- Redakteur:
- Thomas Becker