Hellfest - Clisson (FR)

09.07.2008 | 15:24

20.06.2008, Festivalgelände

Am letzten Festivaltag ist erst einmal Ausschlafen angesagt, um die letzten Kräfte für weitere musikalische Highlights zu sammeln. Doch bevor es aufs Festivalgelände geht, machen wir uns auf, um die kleine Stadt Clisson zu erkunden, die wohl auch aus touristischer Sicht einiges zu bieten hat. Und tatsächlich, die alten Gässchen und mittelalterlichen Häuser verbreiten wirklich einen ganz eigenen Charme, und die Innenstadt ist voller Metaller, die sich beim Frühstück in den Kaffeehäusern für den letzten Hellfest-Tag stärken. Sogar eine alte Schlossruine hat Clisson zu bieten, und als wir uns auf den Rückweg zu unserem Hotel machen, kommen wir noch in den Genuss einer sehr ungewöhnlichen Darbietung. Mitten auf dem Hauptplatz hat ein Drummer sein ganzes Equipment aufgebaut und versorgt Metaller und Dorfbewohner mit genialen Solo-Einlagen, was allen gefällt und mit ordentlichem Applaus quittiert wird.
[Caroline Traitler]

Die Franzosen ETHS ersetzen die ausgefallenen SOILWORK mit einer enorm groovigen und bösartigen Mischung aus LACUNA COIL und KORN. Die zierliche, aber hochenergetische Sängerin Candice singt und grunzt sich die Seele aus dem Leib, dass es die meisten Death-Metaller das Fürchten lehrt. Bei derart derben Vocals fällt gar nicht gleich auf, dass die Texte auf Französich sind.
[Philip Santoll]

Ich folge ja gerne mal den Empfehlungen von Kollegen und Freunden, und als mir PRIMORDIAL-Gitarrist Mick am Freitag den Tipp gibt, mir doch mal YEAR OF NO LIGHT anzusehen, lasse ich mir das natürlich nicht entgehen. Der Sonntag startet für mich also mit den Franzosen, die sich musikalisch irgendwo im Soundpool von Bands wie CULT OF LUNA und Co. bewegen, allerdings dabei noch einen Tick doomiger zur Sache gehen. Die atmosphärische Post-Rock-Band verzaubert schnell mit einer extrem guten Performance und einer emotionalen, intensiven Show, und ich freue mich über eine weitere Neuentdeckung. Langsam macht die "Discovery Stage" ihrem Name alle Ehre.
[Caroline Traitler]

Ich erinnere mich an das Graspop Festival anno '04, wo die mir noch völlig unbekannten THE DILLINGER ESCAPE PLAN meine erste Festivalband wurden und mich zu einem einzigen Staunen veranlassten. Wie kann man nur so krasse Sachen so locker-flockig runterzocken? Geht das? Vier Jahre später geht das immer noch und steigert sich sogar so weit, dass die Musiker wie wild über die Bühne fegen und dort im Sekundentakt auf die dort abgestellten Kisten springen und sich die unmöglichsten Posen einfallen lassen. Sänger Greg, ein kleines Kraftpaket, hangelt sich bis unters Bühnendach und brüllt kopfüber, während sich die Gitarristen im Dauerspringen üben, dabei gerne mal Saiten ausreißen oder auf dem Rücken landen und auf dem Boden weiterspielen. Un-glaub-lich! Und dabei kommen die komplexen Frickelsounds auch noch fehlerfrei aus den Boxen. Einfach nur beeindruckend! Als MESHUGGAH dann zum Zuge kommen, ihre Version von ultra-technischem Metal zu präsentieren, sichtet man einige der Dillingers auch im Publikum und fragt sich, wie die Jungs nach so einer Show überhaupt noch Energie finden?

Das schwedische Groove-Frickelwerk MESHUGGAH soll also nach diesem Feuerwerk an technischen Sounds noch eins drauflegen? Und das funktioniert mit achtsaitigen Gitarren und einem beeindruckend groovigen Sound schon irgendwie. Leider reicht die Zeit für mich nicht aus, um mich mit den Schweden näher zu befassen.

Für PRIMORDIAL verlasse ich nämlich sogar die Show von MESHUGGAH recht verfrüht, denn wenn die Iren wo aufgeigen, dann ist das eine garantiert sehenswerte Sache, und so entscheide ich mich also für die Zeltbühne, die am heißesten Tag des Festivals mitten am Nachmittag eine wahre Sauna ist. Schweißgebadet sind allerdings nicht nur die Zuschauer, auch die Bandmitglieder sind schnell klatschnass, und Gitarrist Mick behauptet im Nachhinein sogar, dies wäre die heißeste Show, die er je gespielt hat. Aber wen wundert's? Denn wenn Irlands feinster Metal-Export mit Krachern wie 'Empire Falls' oder 'Rome Burns' zum musikalischen Rundumschlag ausholt, dann kann hier keiner still stehen. Und trotz Hitzewelle gibt es spätestens beim Refrain von 'Rome Burns' Gänsehaut pur, denn das ganze Zelt singt mit Alan Nemtheanga mit, und dieser ist sichtlich erfreut über so viel Zuspruch, greift sich eine der zahlreichen in die Höhe gehaltenen irischen Flaggen und hält sie ebenfalls stolz in die Höhe. Dabei widmet er auch den Übersong 'Coffin Ships' seinen Landsmännern, immerhin sei das ja ein Stück über ihre Tragödie. Bei 'Heathen Tribes' vereint Front-Charismatiker Alan alle Nationen und erklärt, er habe schon viele Leute aus aller Welt kennen gelernt, doch in allen habe er am Ende dasselbe Herzblut für die Musik wieder erkannt. Ein schönes Resümee für eine Show voller Energie und echter Musikkunst, die PRIMORDIAL wie kaum eine andere Band authentisch rüberbringen, und auch heute feiern sie wieder einen Siegeszug in Sachen emotionaler Tragik. Für mich eines der Highlights des Festivals!
[Caroline Traitler]

Die Death-Metal-Legende OBITUARY entführt uns in die Frühzeiten des Florida-Death-Metals und präsentiert neben dem neuen Album "Xecutioner's Return" zahlreiche Perlen wie 'Find The Arise', 'Chopped In Half' und 'Turn Inside Out'. Die Fans feiern John Tardy und seine Mannen gewaltig ab mit einem Dauer-Moshpit und der höchsten Crowdsurfer-Frequenz des Festivals.

Die Schweden OPETH beweisen erneut, dass sie eine Klasse für sich sind und selbst mit einem für ihre Verhältnisse bloß durchschnittlichen und routinierten Auftritt noch weit über jeden Zweifel erhaben sind. Die Besetzungswechsel der letzen Zeit haben der Präsenz der Band keinerlei Abbruch getan, dennoch fehlt der zündende Funke letztlich irgendwie. Den Fans macht dies jedoch nichts aus, die sind geplättet von Songs wie 'Demon Of The Fall', 'Baying Of The Hounds' und 'Master's Apprentices'. Diese enorme Resonanz quittiert Bandleader Mikael Åkerfeldt mit einem "I love you, too. I might even fuck you, but only the pretty boys", bevor er erklärt, dass es in 'Heir Apparent' um "the area between the pussy and the ass" geht. Es folgt noch 'The Drapery Falls', bevor OPETH in eine unfreiwillige krankheitsbedingte Festivalpause gehen.

Die britischen Doomster MY DYING BRIDE sind erstmals seit einer Dekade wieder mit Violine am Start und nutzen diese Gelegenheit sogleich zur Performance einiger Frühwerke. Nach 'Here In The Throat’ ertönt der Klassiker 'The Songless Bird', gefolgt von 'From Darkest Skies' und 'And I Walk With Them'. Die Band hat heute wahrlich einen starken Tag und kommt dementsprechend gut an. Was wohl auch an der genialen Setlist liegt, die noch mit 'The Cry Of Mankind' und 'The Snow In My Hand' aufwartet. Jedenfalls ein hervorragender Einstand für die neue Keyboarderin und Geigerin Katie Stone, die von den Fans herzlich willkommen geheißen wird.
[Philip Santoll]

AT THE GATES sind ein weiteres Stück Metal-Geschichte auf dem Hellfest und werden ihrem Ruf als Begründer des Göteborg-Sounds vollends gerecht, denn hier herrscht von der ersten Sekunde Energie ohne Ende! Die Spielfreude der Band ist beeindruckend, und vor allem Sänger Tomas Lindberg ist ein quirliger Frontman, der keine Sekunde stillsteht und mit wilden Grimassen und massig Gepose aufwartet. Die Gebrüder Björler (Bass und Gitarre), die manche sicher noch von THE HAUNTED in Erinnerung haben, scheinen sich ebenfalls über die wiedervereinten AT THE GATES zu freuen und haben kein Riff verlernt. Hier passt einfach alles. Und im Gegensatz zu manch anderen Reunion-Bands hat man hier sofort das Gefühl, dass die Band vor allem aus reiner Spielfreude wieder zusammengefunden hat. Und bei death-metallischen Großtaten wie 'Slaughter Of The Soul' oder 'Blinded By Fear' fehlt es auch der Setlist nicht an Highlights! Da wundert es auch nicht, dass zahlreiche Musiker anderer Bands im Publikum gesichtet werden, die von dieser Performance mehr als begeistert sind.
[Caroline Traitler]

"We are MOTÖRHEAD and we play Rock 'n' Roll!" Lemmy und seine Urgesteine präsentieren zum ungefähr tausendsten Mal Klassiker der Metalgeschichte, von 'Dr. Rock' und 'Killers' über 'Ace Of Spades' bis hin zu 'Overkill'. Wer die Band kennt, weiß, was er zu erwarten hat, und genau darauf ist das Publikum heute erpicht. Der Andrang ist enorm, die Performace solide und die Stimmung fantastisch.
[Philip Santoll]

Geisterhaftes Blau umhüllt die Bühne im Discovery-Zelt, der Raum ist mit Gerüchen von Spezialzigaretten gut versorgt, und als CULT OF LUNA mit ihrem unheimlich intensiven Musikspektakel loslegen, fühlt man sich mit oder ohne Gras einfach wie in einer anderen Dimension. Lange habe ich drauf gewartet, um die Band endlich mal live sehen zu können, und die hohen Erwartungen werden nicht enttäuscht. Im Gegenteil, CULT OF LUNA beweisen sogar, dass sie auf der Bühne noch so viel mehr Emotionen rüberbringen können als auf Platte. Die mystische Lichtshow, die die Band in blau-vernebeltes Licht taucht, tut ihr Übriges, um zur traumhaften Stimmung beizutragen, und am Ende beeindrucken CULT OF LUNA durch ihr geniales Zusammenspiel aus düsteren Soundcollagen und aggressiven Passagen. Einfach nur genial1

Ich geb's zu, ich bin völlig untrue, weil ich SLAYER nicht mag. Aber auf dem Hellfest gibt es ja zum Glück eine Alternative zu Old-School-Thrash, und nach dem herrlichen Genuss von CULT OF LUNA zeigen nun die Japaner ENVY, was Emotionen im großen Stil sind. Dabei gehen die jungen Talente teilweise so ruhig und fragil zu Werke, dass trotz der weit entfernten Main-Stage einige SLAYER-Riffs bis ins Zelt vordringen. Doch ENVY schlagen sich tapfer vor dem zahlreich erschienen, sich ebenso SLAYER verweigernden Publikum und zeigen sich von ihrer schönsten Seite. Selten hat mich eine Band, die ich bis dahin nicht kannte, dermaßen umgehauen, beeindruckt und berührt, und spätestens nach der halben Setliste der mir noch unbekannten Songs (eine CD muss her!) spüre ich ein Tränchen im Auge und die ganze musikalische Intensität der Japaner, die mit ihrem Sound in den Fußstapfen von Bands wie ISIS, PELICAN oder CULT OF LUNA wandeln. Traumhaft schön und eine gelungene Alternative zum Thrash-Programm auf der Hauptbühne!
[Caroline Traitler]

MORBID ANGEL machen ihren Soundcheck gleich selber, bevor sie unvermittelt loslegen und beweisen, weshalb sie eine der wegweisenden Bands der Death-Metal-Szene sind. Neben Songs wie 'Pain Divine' gibt es mit einem neuen Song sogar einen Ausblick auf das kommende Album. Der tosende Applaus lockt die Band nochmals auf die Bühne, um die Fans mit 'God Of Emptiness' endgültig zufrieden zu stellen.

Mit einem derart aufgeheizten Publikum haben SLAYER dann leichtes Spiel und legen mit 'God Hates Us All' und 'Cult' los. Seit der Rückkehr von Schlagzeuggott Dave Lombardo wieder im Original-Line-up, gibt es sodann ein Trommelfeuer von Thrash-Granaten. Bei 'Chemical Warfare' wird die Bühne in giftgrünes Licht getaucht, bevor das Kriegs-Thema mit 'Ghosts Of War', 'War Ensemble' und 'Jihad' noch weiter erörtert wird. Die Fans rasten restlos aus und bangen, als ob es kein Morgen gäbe. Kein Wunder, denn bei Meilensteinen wie 'Dead Skin Mask', 'Hell Awaits', 'South Of Heaven' und 'Raining Blood' kann kein ernsthafter Metaller mehr stillstehen. Mit 'Angel Of Death' geht schließlich das Hellfest zu Ende und die SLAYER-Jünger bleiben zufrieden zurück.
[Philip Santoll]

Redakteur:
Caroline Traitler

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