Rock Hard Festival 2022: Der Bericht - Gelsenkirchen

09.06.2022 | 15:14

03.06.2022, Amphitheater

Endlich!

Wie in jeder Rock-Hard-Festival-Ausgabe gibt es auch in dieser einen dritten Tag voller Überraschungen, schwermetallischer Klänge und allerlei Begegnungen in wunderbarstem Ambiente. Den etwas bewölkten, aber noch nicht bedrohlich nach Platzregen aussehenden Pfingstsonntag läutet WOLVESPIRIT ein. Die Veranstalter zückten schon in den Vorjahren einen Retro-Rock-Act als Tages-Opener aus dem Ärmel und mit den Würzburgern mit Debbie am Gesang könnte der Tag nicht schwungvoller beginnen. Es gibt ein knappes dreiviertel Stündchen schmuckes 70er Jahre Riffing, einen leichten Hippie-Touch und mit 'I Am What I Am' und dem Live-Debüt von 'Change The World' auch recht cooles Material. Zugegeben, allzu viele werden aus dem Highlight-Koma des Vortages noch nicht vor die Bühne gelockt. Doch diejenigen, die nach Frühstück und Kaffee ihren Weg in die ersten Reihen und auf die Ränge gefunden haben, werden Zeuge eines guten, sympathischen Auftritts einer Neo-Vintage-Rockband, die man in den Folgejahren im Auge haben sollte.

Nun scheppert es aber gewaltig. Gott sei Dank erst einmal nur musikalisch anstatt wetterbedingt, denn mit SULPHUR AEON hat sich eine auf Bühnen sehr rare Truppe angekündigt, die mit ihrem urgewaltigen, angeschwärzten Todesblei das Amphitheater unter einer dichten Wolkendecke in den Grundfesten erschüttern möchte. Das klappt bisweilen auch, obgleich der große Ansturm seitens des Publikums noch ausbleiben mag. Das hindert das live zum Fünfergespann aufgestockten Kerntrio jedoch nicht daran, in feinster Lovecraft'scher Manier ein gewaltiges Düstermanifest zu bewerkstelligen. Trotz etwas schwammigen Sounds kommen vereinzelte BEHEMOTH-, DISSECTION- und EMPEROR-Nuancen wie im Programmheft angekündigt sehr gut rüber, teils betonschwere Riffs, teils vertrackte und tückische Melodien sorgen für Dynamik und das Wetter verpasst dem SULPHUR AEON-Auftritt inklusive Songs wie 'Cult Of Starry Wisdom' und 'Inexorable Spirits' das i-Tüpfelchen. Ein Wachmacher par excellence.

Jetzt läuten wieder die Klassikerglocken, denn auf den RAZOR-Ersatz habe ich mich im Vorfeld sehr gefreut. Es wird das erste Mal, dass ich ARTILLERY live sehe und um eines vorwegzunehmen: Die Dänen erfüllen meine ohnehin schon hohen Erwartungen mühelos. Ein glasklarer Klang, eine Setliste, die von neuesten Headbangern wie 'In Thrash We Trust' und 'The Devil's Symphony' und älterem Material der Marke 'By Inheritance' und 'The Almighty' viele kleine Überraschungen bereithält, und eine Band, die in dieser einstündigen Spielzeit ein richtiges Riff- und Doublebass-Spektakel vom Stapel lässt. Hierbei macht auch Kraen Meier an der zweiten Gitarre eine sehr gute Figur, der den erst kürzlich verstorbenen Stützer-Bruder Morten ersetzt. Auch Michael Bastholm Dahl sollte man sich auf den Zettel schreiben, springt und rennt der Gute doch von Song zu Song quer über die Bühne, hält mühelos jeden Ton, ist sich keiner Ansage zu schade und weiß sich öfters für den tadellosen Einsatz des anwachsenden Publikums zu bedanken. ARTILLERY hätte ich mir locker noch eine halbe Stunde länger ansehen und -hören können, haben Songs wie 'Bombfood' und 'Legions' doch durchweg Bock gemacht und meine schon seit Jahren bestehende These gerechtfertigt, dass die Dänen noch lange nicht zum alten Eisen gehören. Im Gegenteil, sorgten jüngst doch "X" und "The Face Of Fear" schon für ordentlich Zunder, doch der heutige Auftritt weiß dem tollen Eindruck noch einen zusätzlichen Push zu versetzen. Auch wenn ich persönlich RAZOR gerne gesehen hätte, ist ARTILLERY ein mehr als würdiger Ersatz.

Nun schlägt die Stunde des Nachtdämons, die folgerichtig durch DEMONs 'Night Of The Demon' eingeläutet wird. Ja, auch ich hätte mir die Live-Qualitäten des Trios schon längst durch den Kopf gehen lassen sollen, doch nun soll es endlich klappen, nun sollen mir die Kalifornier die Kinnlade runterreißen und mir in der einstündigen Spielzeit die Hits im Fünf-Minuten-Takt vor den Latz pfeffern. Der sehr agile Heavy Metal der drei Herrschaften wird durch die umherrennenden Axt-Protagonisten zusätzlich verschärft, Armand und Jarvis kennen kein Halten und mit Trommelwüterich Dusty im Gepäck zocken sie sich durch ihr Set tight as fuck und spielfreudig wie man NIGHT DEMON der Sage nach kennt. Mal etwas hart-rockiger, mal etwas mehr in Richtung Insel schielend aber immer unter Volldampf ist das Publikum gleich zu Beginn des Sets elektrifiziert. Dem einsetzenden Regen zum Trotz krachen 'Empires Fall', 'Kill The Pain', 'Dawn Rider' oder das dynamische THIN LIZZY-Cover 'The Sun Goes Down' wie eine Eins und scheinbar kennen die drei Amis keine Pause. Nahtlos geht es weiter mit dem MOTÖRHEAD-Brecher 'Overkill', 'Are You Out There', 'The Chalice', sowie dem "Darkness Remains"-Titeltrack und der 'Night Demon'-Bandhymne, ehe ich erst einmal ob des Tempos und der Zugkraft dieses Gigs Luft und mir ein Getränk schnappen muss. NIGHT DEMON ging rückblickend betrachtet ab wie ein Zäpfchen und entgehen lasse ich mir diese Live-Bank definitiv nicht noch einmal.

Kaum verstummt der Nachtdämon, ist es um 17:25 Uhr schon Mitternacht. Dem Old-School Black'n'Thrash-Prozedere nach müsste ich die Maskengestalten von MIDNIGHT eigentlich vergöttern, doch zumindest auf Platte – mit Ausnahme des aktuellen "Let There Be Witchery"-Bollwerks – sprang der Funke noch nicht ganz über. Und passend zum angeschwärzten Hau-drauf-Auftritt des Trios ist der Regen allgegenwärtig, was der Stimmung aber nicht schadet. Zumindest die Reihen unter der Bühnenplane wissen MIDNIGHT zu feiern und 'Poison Trash', 'Rebirth By Blasphemy' sowie 'Penetratal Ecstasy' und 'Lust Filth And Sleaze' zu huldigen. Zugegeben, nach der Hälfte des Auftritts zieht es mich in trockenere Gefilde, doch auch von der Ferne befriedigen 'Black Rock'n'Roll' und 'Prowling Leather' meinen inneren Thrash-Metal-Maniac. Kurz und bündig rotzen, rocken, riffen, sägen und rasen sich die Jungs durch ihr Set und hinterlassen mit 'You Can't Stop Steel' und 'Unholy And Rotten' auch ein ordentliches Schlachtfeld vor der Bühne. Dazu passt der schwammige, etwas arg raue Sound, der der Spielmannskapuzentruppe aus Cleveland ob ihres Scheuklappen-Crossover-Gebräus natürlich in die Karten spielt. They don't give a fuck, they are MIDNIGHT and they celebrate fucking speed and darkness… oder so ähnlich.

Der Regen will partout nicht aufhören und so verwundert es auch nicht, dass die Bereitschaft, den nächsten Act, immerhin den Co-Headliner an diesem Sonntag, aus nächster Nähe zu sehen. MICHAEL MONROE, einstiges Aushängeschild von HANOI ROCKS, steht in bester SKID ROW- und TURBONEGRO-Tradition des Rock Hard Festivals für ausgelassene Party- und Mitsing-Mucke, doch ob es nun am tristen Wetter, der überschaubaren Publikumsmenge oder meiner Unkenntnis der MICHAEL MONROE-Gassenhauer liegt, weiß ich nicht. Fest steht jedoch, dass die Stimmung auf der Strecke bleibt. Viel Glam hier, ein bisschen Rock'n'Roll da, dort eine Menge Glam und mit einer objektiv erfrischenden Punk-Note macht der Finne selbst nicht die schlechteste Figur und wirkt quirlig. Und das NAZARETH-Cover zu 'Not Faking It' und 'Oriental Beat' seiner einstigen Hauptband kenne ich sogar und habe kleinere Aha-Effekte im triefnassen Shirt. Doch selbst mit Saxophon oder mitsummendem Material der Marke 'Soul Surrender' und 'Old King's Road' geht der Auftritt am heutigen Abend leider unter. Schade, denn bei dem Sonnenschein 24 Stunden zuvor hätte MICHAEL MONROE effektiver gezündet. Knast, Tod oder Rock'n'Roll? Da bevorzuge ich zumindest in diesem Moment die schwedischen Gardinen, dort ist es trocken.

Dem schlechten Wetter zum Trotz zieht es doch einige vor die Bühne, als nicht nur die Gewinner der Gitarrenverlosung bekanntgegeben werden, sondern auch die berühmt berüchtigte Promoter-Ansprache um 20:40 Uhr ansteht. Was hat Holger Stratmann zu verkünden? Was soll Besonderes auf uns zukommen? Anstatt in ausschweifende Reden zu driften, lässt er Taten sprechen und die entern in Form von Andi Brings und Tom Angelripper die Bühne. Richtig, als Ansprache angekündigt, als SODOM-Überraschungsgig entpuppt. Passend zum 30. Geburtstag meiner ersten SODOM-Begegnung "Tapping The Vein" hauen uns die beiden Originalmusiker der einstigen Besetzung mit 'Wachturm', 'One Step Over The Line' sowie 'Body Parts' die Kernstücke dieses Kultalbums vor den Latz. Eine geglückte Überraschung des Festival-Teams, um die Wartezeit auf ACCEPT zu verkürzen und ein für mich sehr wichtiges Album zu würdigen.

Vor zwei Stunden noch miteinander gequatscht – das Interview mit Wolf und Uwe wird euch natürlich nicht vorenthalten – und schon ist es um 21:30 Uhr Zeit für Solinger Stahlgut bei allmählich einsetzender Trockenheit. Auch Petrus möchte den ACCEPT-Auftritt bewundern. In den letzten drei Tagen kamen Anhänger beinah jeder Sparte auf ihre Kosten. Der Thrash Metal erlebte seinen wiederholten Frühling, die Melodieliebhaber fahren später mit allerlei Ohrwürmer nach Hause und alteingesessene Legenden wie auch junges Bandgemüse haben ihre Duftmarke hinterlassen. Für ACCEPT ist zum krönenden Abschluss eines wunderbaren Wochenendes jedoch immer Platz. Auch diesmal bleibt kein Fanwunsch unerfüllt, sorgt das Urgestein des Heavy Metals doch nun mit gleich drei Gitarren für eine Axt-Power seinesgleichen. Mark Tornillo ist einmal mehr gut bei (Reibeisen-)Stimme und Wolf grinst sich an der Klampfe die Backen wund. Und je seltener die Regentropfen auf das Amphitheater herunterprasselt, desto mehr Zuschauer wollen den Headliner aus nächster Nähe betrachten. So füllen sich bei zunehmender Spielzeit wieder die Ränge, obgleich eine gewisse Menge schon die Heimreise antritt. Die haben allerdings das Pech, eine sehr agile und in sich stimmige Combo zu verpassen sowie zu einer recht ausgewogenen Setliste aus Klassikern und neuem Material zu feiern. 'Zombie Apocalypse' hier, 'Objection Overruled' dort, 'Shadow Soldiers' hier, 'Living For Tonite' da – es geht quer durch die ACCEPT-Diskographie, eine Reise, die vor 'The Abyss' und 'Teutonic Terror' genauso wenig Halt macht wie vor den bandeigenen Evergreens, auf die letztendlich das Publikum auch sehnsüchtig in der Kälte gewartet hat. So werden 'Metal Heart', 'Fast As A Shark' wie auch 'Balls To The Wall' und letztendlich 'I'm A Rebel' frenetisch abgefeiert, ehe sich die Band in den Feierabend verabschiedet, sich die Veranstalter in den Urlaub verziehen und das Amphitheater in Sachen Rock Hard Festival bis zum Pfingstwochenende 2023 die Schotten dicht macht. ACCEPT jedenfalls hat die diesjährige Ausgabe nach der coronabedingten Zwangspause mehr als gelungen abgeschlossen und auf den letzten Metern den zumindest noch anwesenden Zuschauern ein breites Lächeln auf die Lippen gezaubert.

Redakteur:
Marcel Rapp

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