Wacken Open Air 2010 - Wacken

15.08.2010 | 15:38

05.08.2010,

Geboren, um zu wacken!

Drei Schwergewichte und die fette Metal-Hammer-Party sind nun bereits Vergangenheit. Was soll das noch toppen? Die Antwort ist ebenso einfach wie genial: Mehr als sechzig weitere hochkarätige Bands und Künstler. Also raus aus den Zelten, ab vor die Bühne!

Nach so einer Night To Remember mit ALICE COOPER, MÖTLEY CRÜE und IRON MAIDEN schält sich doch niemand um elf Uhr morgens aus dem Zelt. Falsch gedacht! Zum Auftritt der Thrasher DEW-SCENTED stehen die Zuschauer immerhin bis zum FOH-Turm. Die Deutschen bewerben hauptsächlich ihr gerade veröffentlichtes Album "Invocation", welches bereits ihr achtes ist.

Wer sich im Halbschlaf hierher geschleppt hat, wird unsanft geweckt. DEW-SCENTED machen keine Gefangenen und feuern eine Riffgranate nach der anderen ab. Sänger Leif Jensen scherzt, die Band habe überlegt, auch mal etwas Langsames zu spielen. Dieser Vorschlag wurde anscheinend einstimmig abgelehnt, denn eine Verschnaufpause ist den Fans nicht vergönnt. Vielen Dank für diesen zuverlässigen Weckdienst!
[Pia-Kim Scharper]

An diesem Tag machen die Düsterrocker END OF GREEN aus Göppingen den Anfang auf der Party Stage. Im strahlenden Sonnenschein haben sich viele bleiche Gestalten vor der Bühne eingefunden, um den düster-harten Klängen zu lauschen.

Viele blicken noch verschlafen über ihr Guten-Morgen-Bier gegen die über der Bühne stehende Sonne, als 'City Lights' die erste Bewegung abverlangt. Die Gruppierung um Michelle Darkness lässt sich von der frühen Stunde nicht beeindrucken und spielt eine Dreiviertelstunde Musik vom Feinsten. Die Auswahl hat einen deutlichen Schwerpunkt bei "The Sick's Sense" und ist durchsetzt mit diversen Klassikern. Michelles Stimme ist in Topform und belohnt auf jeden Fall für die frühe Anstrengung.

Kaum verstummen die Klänge von END OF GREEN, stehen auch schon AMORPHIS aus Finnland auf der True Stage. Gemäß ihrem Standardprogramm wird mit ein paar Stücken des aktuellen Albums "Skyforger" eröffnet. Besonders das wunderschöne 'Sky is Mine' lässt die Menge lautstark mitsingen.

Ein paar Wolken sorgen für die passende Stimmung und erleichtern den Blick auf die Bühne. Auf dieser ist jedoch wenig zu sehen. Die Band spielt konzentriert, ab und zu wird ein wenig mit dem Kopf geschüttelt. Tomi allerdings macht seine Aufgabe als Frontmann sehr gewissenhaft.

Das Publikum wird zum Klatschen, Moshen und Singen angeheizt, und die Show entwickelt sich zu einem echten Kracher.

Nach 'Against Widows' erfolgt noch ein dezenter Hinweis auf die neue Live-DVD. Bei 'House Of Sleep' darf das Publikum zeigen, was die Stimmbänder so hergeben können. Bis zum Eingang singen Leute mit. Mit 'My Kantele' wird die Show leider schon viel zu früh abgeschlossen.
[Stefan Brätsch]

Kurz vor 13.00 Uhr geht es mit der israelischen Band ORPHANED LAND weiter. Bekannt ist die Combo für ihre Vermischung von Death und Doom Metal mit traditionellen orientalischen Klängen. Hinzu kommt, dass Sänger Kobi Farhi mit einem knielangen weißen Gewand auf die Bühne kommt und mit seinen Locken ein wenig Jesus Christus ähnelt. Aber er ist es nicht, wie er an diesem sonnigen Tag klarstellt. Glauben und Religionen gehören aber zu den Hauptinhalten der Texte, die aufgrund der mangelnden Sprachkompetenz wohl kaum jemand im Publikum versteht. Bis auf die wenigen Fans mit Israelflaggen, die fleißig mitsingen können und ab und zu durch Crowdsurfing auffallen. Doch die abwechslungsreichen Melodien der Songs kommen auch so an: Egal, ob ORPHANED LAND bestimmt härtere Töne anschlagen oder sich in doomigere Gefilde begeben.

Zu Beginn der Songs gibt es dann jeweils kurz die orientalischen Klänge zu vernehmen. Hin und wieder kommt auch Shlomit Levi auf die Bühne: Sie verzaubert das Publikum nicht nur mit ihrem Gesang, sondern in ihrem schwarzen Gewand auch mit dem klassischen Bauchtanz. Nachdem gegen Ende noch 'Nora El Nora' gespielt wird, fordert Sänger Kobi Farhi das Publikum zu hüpfen auf. Bei der positiven Reaktion wird deutlich, wie beliebt die Band ist.

Anschließend geht es lautstark auf der benachbarten Bühne weiter. Die Nu-Metal-Band ILL NINO aus New Jersey betritt die True Metal Stage. Auch sie setzen auf die Vermischung von traditionellen Klängen mit Metal, der auch mal aus der Heavy- oder Thrash-Metal-Richtung kommen kann. Im Gegensatz zu ORPHANED LAND nutzen die ansehnlichen Jungs Einflüsse aus lateinamerikanischer Musik.

Ihre mitreißenden Melodien, das rollende Schlagzeug und der aggressive Gesang von Sänger Cristian Machado kommen bei dem Publikum wunderbar an. Dabei zeigen ILL NINO Abwechslung: Zwischen den knallharten Songs sind auch mal liebliche Sachen zu vernehmen.

Teilweise erinnert ihre Musik ein wenig an SEPULTURA; insgesamt spielen ILL NINO aber einfach gute Musik zum Headbangen. Und während sich die Massen im Takt bewegen, wirbeln sie den Staub auf dem trockenen Boden so sehr auf, dass dieser über den Köpfen der Leute schwebt. Nachdem 'Revolution Revolución' gespielt wurde, macht Cristian Machado noch eine Ansage: "Wir sind nur aus einem Grund hier: Metal, der uns näher zusammenbringt."
[Franziska Böhl]

HACKNEYED spielen auf Wacken und haben einen Neuen mitgebracht. Bassist Alex stieg im Juni aus der Band aus. Nun zeigt Tini, dass es dem Death Metal nicht schadete, wenn mehr Frauen auf den Bühnen stünden. Schon die ersten Songs hüllen die WET Stage in eine Staubwolke. Allerorts wird gemosht, und die ersten Crowdsurfer bahnen sich ihren Weg zur Bühne, auf der auch gute Stimmung herrscht.

Gegen Ende der Show stimmen die Abtsgmünder unter großem Jubel 'Guantanamo Bay Holiday' an. Nun kommen die Surfer wie am Fließband. Die Stimmung ist absolute Spitze, und gerade als es am schönsten ist, ist auch leider die Spielzeit des Death-Metal-Nachwuchses vorbei. HACKNEYED sind immer wieder für eine Party gut und zeigen, dass es in Süddeutschland auch guten Death Metal gibt.
[Stefan Brätsch]

Die Sonne scheint mir aus dem Arsch – so könnte das Motto der APOKALYPTISCHEN REITER heute sein, denn im Moment scheint für die Jungs alles bestens zu laufen. Die letzten Tourneen waren voll bis unters Dach, das vergangene Album ein Chartkracher, und das Neue steht schon am Horizont.

Bis es im Jahr 2011 aber so weit ist, wollen die Thüringer mit einem unvergesslichen Wacken-Auftritt die Wartezeit verkürzen. Mit Krachern wie 'Wir sind das Licht', 'Es wird schlimmer' oder 'Unter der Asche' halten sie den Partypegel hoch und die Wacken-Wächter auf Trab. Denn obwohl Wall Of Deaths und Circle Pits dieses Jahr verboten sind, drehen sich die Fans im Kreise und pfeifen auf die Verbote. Was soll man auch machen? Genau, eine Rutsche herunterrutschen wie Dr. Pest. Keiner macht sich so schön zum Löffel wie er.

Der Rest der Band haut in die Saiten, während Fuchs gewohnt strahlend zur 'Revolution', 'Die Adler' und zur absoluten Reitermania (auf)ruft. Mit 'Wir sind Boten einer neuen Zeit' gibt es obendrauf noch einen ersten Vorgeschmack auf das kommende Album, während beim großen Finale mit 'Seemann' noch einmal Vollgas gegeben wird und der Acker vor der Bühne zur Staubwüste wird.
[Enrico Ahlig]

Parallel zu den REITERN starten VOIVOD mit der Bandhymne 'Voivod'. Sie bieten eine sehr schöne Mischung aus alten und neuen Sachen, und auch vor der Party Stage geht die Post ab.

Die Die Musiker haben an diesem Abend jedenfalls genau wie die Fans riesigen Bock auf gute Mucke und Party pur. Ein Auftritt, der auf jeden Fall in positiver Erinnerung bleibt.
[Wolfgang Kuehnle]

Für eine kurze halbe Stunde gibt es auf der WET Stage an diesem Nachmittag einmal keinen Metal. Die Kölner Horrorpunker von THE OTHER sorgen für mächtig Abwechslung. Voller Energie intonieren die Jungs Lieder wie 'New Blood' und 'Back To The Cemetery'. Sänger Rod Usher scheint äußerst positiv überrascht zu sein, wie gut das Publikum zu dem flotten Horrorpunk abgeht und die Texte mitsingen kann.

Deshalb sagt er vor 'Der Tod steht dir gut' erleichtert: "Wir waren uns nicht ganz sicher, wie die Metalgemeinde auf uns reagieren würde." Danach nehmen die Jungs das Publikum mit auf die 'Lover’s Lane', um anschließend weitere Stücke wie 'Beware Of Ghouls', 'In The Dead Of Night' oder 'Hier kommt die Dunkelheit' zu spielen.

Gegen Ende kommt noch etwas Ruhigeres für die Mädels, wie Sänger Rod Usher sagt: 'The Lovesick Mind'. Immer wieder fällt die Publikumsnähe von Rod Usher positiv auf, der ganz nah herangeht und sein Mikro hin und wieder ins Publikum hält. Zum Abschluss gibt es noch den schnelleren Song 'Transylvania'. Zeit für weitere Stücke bleibt leider nicht.
[Franziska Böhl]

Ja, da brat mir doch einer ’nen Verstärker. Eine Band wie THE BOSSHOSS auf dem Wacken? Aber hallo! Das ist gut so, das muss so sein. Im Ernst. Die Band mag vielen Metalheads nur vom Namen ein Begriff sein, aber die sieben Berliner, die wie gebürtige Cowboys aus der texanischen Einöde wirken (nicht nur aufgrund des amerikanischen Outfits, sondern gerade auch wegen ihres fabulös-phantastischen Südstaaten-Slangs, sowohl gesanglich als auch plump verbal), verbreiten eine ungewohnt lässige und entspannte Tanzbeinatmosphäre im Wackener Land.

Ungewöhnlich viele tanzen sich in volltrunkenem Zustand in völlige Saloon-Ekstase. Und das Befremdliche daran ist das Befremdliche darin. Scheinbar berühren THE BOSSHOSS ganz andere Empfindlichkeitssphären als das konventionelle Wackener Programm. Das Ganze erinnert stark an den Auftritt des DIABLO SWING ORCHESTRAs 2008 auf dem Summer Breeze: Die Metaller entdecken auf einmal den Blues in ihren Shoes.

Denn neuerer Country, Rock 'n' Roll oder der old Hillbilly, mit dem THE BOSSHOSS zweitweilig flunkernd kokettieren, atmen alle mehr oder weniger die Seele des amerikanischen Blues. Da kann man gar nicht anders, als wie ein wilder Redneck seinen ganzen Körper in choreographische Wallung zu bringen. 'Rock On Rock', 'Last Day' oder 'Have Love Will Travel' ... Die Songs muss man auch auf Platte haben!
[Markus Amadeus Sievers]


Am heutigen Tag sind die Fans einmal mehr der Einberufung zu einem ENDSTILLE-Auftritt gefolgt. Die blutbesudelte, stacheldrahtbewehrte Holzbarriere auf der Bühne und das große Banner mit dem Sturmgewehr 44 im Bandlogo geben die Thematik vor. Hier werden keine Gefangenen gemacht. Die Instrumente werden durchgeladen, der neue Sänger Zingultus entsichert sein Mikro, und gleich beim ersten Stück 'Feindfahrt' wird klar, dass hier kein Rohrkrepierer folgt wie bei vielen anderen Black-Metal-Bands, die ihr Breisound live zur Kapitulation zwingt.

Klar und satt wie Geschützfeuer knallt es aus der PA. Das Publikum geht zu Songs wie 'Conquest Is Atheism', 'Unburied In The Sun' (mit Gastsänger Björn von KILT) und 'Bastard' ordentlich mit. Vom kommenden Album "Infektion 1813" ist 'When Kathaaria Falls' zu hören.

Die letzten beiden Stücke, 'Frühlingserwachen' und 'Navigator', singt Lugubrem von MORDSKOG, der optisch den Eindruck macht, als sei er erst kürzlich einem Massengrab entstiegen, und dabei ritzt er sich mit einem Dolch die Zunge.

Kompromissloser Black Metal ist sicher nicht die ideale Musik für Livegigs, schon gar nicht auf einem großen Festival. Dennoch liefert die offenbar treffsichere Truppe ein erstaunlich erfolgreiches Manöver ab, das das Fanbataillon nicht enttäuscht haben dürfte.
[Nuri Jawad]

Im Wackinger-Dorf wird neben allerhand Met, scharfen Schnäpsen (Finger weg vom scharfen Lakritz-Schnaps, der haut die stärksten Kerle um) und diversen Gauklershows auch Musik geboten. An diesem Freitag sind mit der LETZTEN INSTANZ und EQUILIBRIUM gleich zwei deutsche Schwergewichte auf die viel zu kleine Bühne verfrachtet worden. Die LETZTE INSTANZ liefert vor vollen Hause ein gewohnt stimmungsvolles Programm ab und präsentiert neben Klassikern wie 'Mein Todestag' und 'Flucht ins Glück' mit 'Schau in mein Gesicht' und 'Dein Gott' auch zwei noch unveröffentlichte Stücke vom kommenden Album "Heilig".

Stimmung garantiert! Doch leider haben EQUILIBRIUM nicht ganz so viel Glück, denn bei ihnen ist der Fanandrang noch viel größer (was eigentlich positiv ist), doch irgendwann müssen die Sicherheitsleute das Gelände des Wackinger-Dorfs dichtmachen. Sänger Robse dazu "Ich habe die Leute leiden gesehen." Bei Songs wie 'In Heiligen Hallen' oder 'Der ewige Sieg' kommt es im hinteren Bereich zu gefährlichen Situationen. Denn aufgrund des Einlassstopps versuchen einige Fans über die Zäune in den Innenbereich zu gelangen. Zäune fallen, Menschen werden verletzt. Daher muss das Deutsche Rote Kreuz mehrfach das Publikum auffordern, kollegial einen Schritt nach hinten zu vollziehen. Nur blöd, dass dort eben schon wieder die Stände stehen. Fazit: Bands wie die LETZTE INSTANZ und EQUILIBRIUM gehören nicht auf so eine Bühne. Punkt!

Nun folgt mit KAMELOT ein amtliches Kontrastprogramm. Auf die endstillen Kinderschrecks folgt der brave Roy Khan mit seinem netten Lächeln und der außergewöhnlichen Stimme. Diese hat die Band in den letzten Jahren auf die großen Bühnen der Welt gebracht, auch wenn so mancher traditionelle Metal-Head mit der theatralischen Ausrichtung der Jungs wohl nie warm werden wird. Doch jetzt wird eben nicht finster geschaut, sondern freudestrahlend 'Rule The World' erlebt.

Warum allerdings die Sängerin beim Opener maskiert im Hintergrund stehen muss, bleibt ein Geheimnis. Denn ja, sie trifft die Töne kaum. Und ja, dann macht die Maske Sinn. Aber nein, dann sollte sie die Maske nicht beim folgenden 'When The Lights Are Down' absetzen. Dafür ist der Sound im Vergleich zum Wacken-2008-Auftritt um einiges wuchtiger und druckvoller. So werden Songs wie das brandneue 'The Great Pandemonium' oder 'Center Of The Universe' (Gänsehaut!) zu echten Wacken-Highlights.

Die vereinzelten Pyros setzen der tollen Show die Krone auf. Roy vereint die ganze Metalwelt vor seiner Bühne, und diese zeigt stolz ihre Fahnen. Geil! Das ist Wacken! Sollen doch die Kellerkinder zu Kreisligafestivals gehen, hier herrscht der Geist der Champions League.

Mit 'Hunter's Season' schieben KAMELOT noch einen zweiten neuen Song von "Poetry For The Poisoned" nach, bevor mit 'Forever' und dem obligatorischen 'March Of Mephisto' ein wunderbares Konzert beendet wird.
[Enrico Ahlig]

Stets hissen sie ihre Flagge, wenn es wieder mal heißt, an der Kundgebung einer Schwermetallrevolution teilzunehmen: ARCH ENEMY! Die vier schwedischen Virtuosen um die weibliche Ausnahmegrowlmaschine Angela Gossow starten wie erwartet mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks und der Aggressivität eines brüllenden sibirischen Tigers. ’Blood On Your Hands’ killt, und noch immer lässt die Bridge zum Refrain jedes für Groove empfängliche Nacken-, Kopf-, Rücken- und Beinhaar zu Berge stehen.

Ganz zu schweigen von den vielen Nervenzellen, die kollektiv von der eher klassisch orientierten Spielweise der Amott-Brüder umgarnt werden. Gerade auch die mit zusätzlichem Carbon beschichteten Schlagzeugkessel von Daniel Erlandsson ballern einem Rübe und Rohr weg – auch ohne Trigger.

Das, was ARCH ENEMY präsentieren, ist sicherlich wackenwürdig, wenngleich man die eine oder andere wirklich angenehm hörbare und sich nicht im diffusen Notenchaos verlierende, harmonische Intermezzo-Fidelei doch vermisst.

Klar, manch einem geht jene Zurschaustellung von Seitenwichserei gegen den Strich, nichtsdestotrotz darf man das ausgezeichnete Melodie- und Solofeingefühl von Michael und Chris auf keinen Fall unter den Teppich kehren. Jenes kommt dafür aber nichtsdestoweniger pastos-pathetisch in Nummern wie 'I Will Live Again', 'We Will Rise', 'Dead Eyes See No Future' oder 'Nemesis' zur Geltung. Wenn man das Publikum fragen sollte: "Äh? ARCH ENEMY?" Dann hieße es: "Klar, immer wieder gerne."
[Markus Amadeus Sievers]

Zum ersten Mal steht TARJA ohne ihre Ex-Bandkollegen von NIGHTWISH auf der Wackenbühne. Als Kontrastprogramm zu ARCH ENEMY zieht die schöne Finnin die ruhigen Festivalbesucher vor die Party Stage, und diese erscheinen zahlreich, um der Sängerin das Gegenteil von 'I Walk Alone' zu beweisen. Mit 'Lost Northern Star' und 'Ciarán's Well' zaubert sie die Perlen ihres Albums "My Winter Storm" hervor, das Highlight für die meisten Zuschauer dürften jedoch die NIGHTWISH-Klassiker (kann man hier von Covern sprechen?) 'Sleeping Sun' und vor allem 'Wishmaster' sein. Bis jedoch allen klar ist, dass TARJA auch noch 'Over The Hills And Far Away' darbietet, dauert es ein wenig.

Die Coverversion von ALICE COOPERs 'Poison' hätte zwar hervorragend gepasst, bleibt aber leider aus, dafür interpretiert TARJA WHITESNAKEs 'Still Of The Night'. Auf das kommende Album "What Lies Beneath" bieten 'In For A Kill' und 'Falling Awake' einen kleinen Vorgeschmack; Ersteres bezeichnet TARJA als perfektes Titellied für einen James-Bond-Film.

Immer wieder bedankt sich die Finnin, dass sie in Wacken spielen darf und dass so viele Fans erschienen sind. Mit 'Die Alive' endet der Auftritt. NIGHTWISH- und TARJA-Fans sind zufrieden.
[Pia-Kim Scharper]

Gerade aus der Richtung für die Notdurftverrichtung vorgesehenen Anlangen kommend, ist man nicht gerade wenig überrascht, mehr als fünf Hände voll Dudelsackspieler in edelmütig schottischer Tracht zu erblicken, die da das Intro 'The Brave' von "Tunes Of War", dem unzweifelhaft besten GRAVE DIGGER-Album, darbieten. Da läuft einem echt schon der eiskalte emotionale Schauer über den Rücken.

Dann (sieh an, sieh an) kommt doch der gute Herr Chris Boltendahl in nicht weniger imposanter Braveheart-Bekleidung auf die Bühne und singt mit sichtlichem Entzücken und einer gehörigen Portion Schmiedefeuer unter den Achseln 'Scotland United' in die weite Wacken'sche Ferne hinaus.

Nach der Begrüßung wissen wir auch alle endlich, worauf manche schon seit Jahren vergeblich warten: GRAVE DIGGER feiern ihr dreißigjähriges Jubiläum und spielen dann auch noch das komplette Brett: "Tunes Of War" ungekürzt und am Stück mit der Background-Unterstützung aller VAN CANTO-Mitglieder und natürlich den obligatorischen Dudelsäcklern. Hammerobergeil! Furiose Party- und Headbang-Stimmung zieht durch die Herzen der Wackener. Herrlich. Als Gast dürfen wir noch Metalqueen Doro Pesch zu 'The Ballad Of Mary' und Hansi Kürsch zum vollendeten GRAVE DIGGER-Obergassenhauer 'Rebellion' begrüßen.

Nach der vortrefflichen Darbietung von "Tunes Of War" dürfen wir auch noch zu 'Excalibur' und 'Heavy Metal Breakdown' die Matten kreisen lassen. Was für ein Fest der Freude, was für ein glorreiches Geschenk bekommen wir da. Dankbarkeit, nichts als tiefe Dankbarkeit empfindet man da. Dass diese Show von der Band höchstselbst auf der Homepage von Wacken als denkwürdigstes und bisheriges Karrierehighlight betrachtet wird, ist absolut kein Wunder.

Auch wenn man von GRAVE DIGGER pure Heavy-Metal-Power gewohnt ist, ist diese Show doch einfach derartig fulminant und imposant, dass einem die Spucke wegbleibt: sahniger Sound, pointierte Possenreißerei, packende Performance und eine Lehrstunde in Sachen leuchtender Lichtshow.

Hier gab es nicht eine Sache zu beanstanden. Selbst während der Autor diese Zeilen hier schreibt, rührt sich im Innern noch intensives, fettes Geflasht-Sein. Long live Heavy Metal! Long live GRAVE DIGGER!
[Markus Amadeus Sievers]

Daumen drücken ist nun angesagt. Nicht nur, dass SLAYER in den letzten Monaten etliche Tourneen und Gigs platzen ließen, vor allem Toms Stimme machte im Vorfeld allen große Sorgen. Wer das diabolische Quartett beim With Full Force erlebt hat, wird sich an einen bombastischen Sound, aber eine gruselige Gesangsdarbietung erinnern. Was wird heute geschehen? Zunächst etwas Positives: SLAYER spielen.

Alle haben gut gegessen, so dass die Bühne dem Klo vorgezogen wird. Der Zeiger der Uhr zittert so langsam gegen Mitternacht. Doch ein Knall erschüttert die Zeit: 'World Painted Blood' peitscht derart aggressiv aus den Boxen, dass die Zeit stehen bleibt. Die Bühne wackelt, der Acker rappelt. Hass und Verderben wird mit 'Hate Worldwide' verbreitet, bevor heute ein Set gespielt wird, was als gepflegter Mix aus alten und neuen Hits bezeichnet werden kann. Man braucht sich nur die Setlist anzuschauen, um zu begreifen, dass sich hier kein Fan beschweren kann.

Auch stimmlich hat Tom einen guten Tag erwischt. Vor allem bei 'Seasons In The Abyss' zeigt er endlich wieder sein Können und trifft (und traut sich an) die hohen Stellen. Jedoch muss gesagt werden, dass optisch die Marke SLAYER immer mehr zum Oldtimer wird. Tom darf nicht mehr bangen, Kerry im Moment auch nicht, und Hanneman war noch nie der große Showtyp. Daher ist der größte Höhepunkt, wenn Kerry und Jeff ab und an die Seiten tauschen. Das Publikum muss sich selbst bespaßen. Also hoch auf die Massen und ab nach vorne.

Mit dem teuflischen Trio 'Raining Blood', 'South Of Heaven' und 'Angel Of Death' endet eine für ihre heutigen Verhältnisse prima SLAYER-Show. Der Wacken-Abgesang?
[Enrico Ahlig]

Setlist SLAYER
01. World Painted Blood
02. Hate Worldwide
03. War Ensemble
04. Expendable Youth
05. Dead Skin Mask
06. Seasons in the Abyss
07. Hell Awaits
08. Spirit in Black
09. Mandatory Suicide
10. Chemical Warfare
11. Raining Blood
12. South of Heaven
13. Angel Of Death

1349 ist zwar das Jahr, in dem die Pest nach Norwegen kam, aber die Pest kam nicht nach Wacken, sondern eine Band auf die sich sehr viele Fans freuen, so dass auch zu etwas später Stunde (wer geht in Wacken schon schlafen?) eine beachtliche Fangemeinde vor der Party Stage versammelt ist – und das in direkter Konkurrenz zu SLAYER, die gerade die Black Stage entern.

Die Bühne wird mit Nebel und dunklem Rotlicht geflutet und die Musiker betreten unter großem Jubel ihrer Fans die Bretter. Was macht es da schon, dass der Sänger sein Flammenspucken wiederholen muss? Eben, nichts. Was folgt, ist ehrlicher Black Metal, wie er sein muss: ohne Kompromisse. Ein sehr guter Auftritt.
[Wolfgang Kuehnle]

Zum zweiten Mal nach 1998 stehen ANVIL in Wacken auf der Bühne. Durch den Dokumentarfilm "The Story Of Anvil" (2008) sind die Kanadier in letzter Zeit wieder in das Interesse der Öffentlichkeit gerückt. Nach dem tragischen Werdegang der in den frühen 1980ern hoffnungsvollen Band und Konzerten in leeren Hallen bietet sich nun endlich wieder die hoch verdiente Gelegenheit, vor einer der größten Publikumsmassen der Metalwelt zu spielen. Frontmann und Gitarrist Steve "Lips" Kudlow wirkt bei seiner ersten Ansage entsprechend beeindruckt und blickt anfangs ein wenig fassungslos auf die Menge.

ANVIL lassen sich dann aber auch nicht lumpen und gehen mit Elan zur Sache. Zu hören gibt es einige neuere Stücke wie den Titeltrack der 2007er Eigenproduktion "This Is Thirteen" oder 'White Rhino' (mit tadellos gespieltem Drumsolo von Robb Reiner), vor allem aber alte Songs wie 'Mothra', bei dem der ständig grinsende und witzelnde Kudlow mal wieder sein Instrument mit dem Vibrator bespielt.

Die Hits 'Forged In Fire' und 'Metal On Metal' bilden den würdigen Abschluss eines Gigs, der mit Partystimmung und sichtlicher Spielfreude in einem interessanten Kontrast steht zu Auftritten manch kommerziell erfolgreicherer, aber verbraucht wirkender Kollegen derselben Alterklasse. Das festivaltypisch eher junge Publikum zeigt dann auch weit weniger Zurückhaltung, als zu befürchten gewesen war.
[Nuri Jawad]

Nach dem Kult folgt der Bombast. Die umformierten Jungs von CORVUS CORAX beehren das Wacken nun schon zum wiederholten Male mit ihrer CANTUS BURANUS-Vorstellung. Auch heute bleibt die Frage offen, aus welchem Grund das Megaspektakel aller zwei Jahre Einzug hält.

Bombast, Pracht und tolles Licht - gibt es auch Musik? Was hat das mit Metal zu tun? Da kann man eher TANZWUT auf den Acker stellen. Bitte, lasst es das letzte Mal gewesen sein.
[Enrico Ahlig]

Nach einem heißen, langen Tag ist die Luft beim Jubiläumsgig von ATROCITY leider raus. Nicht einmal vier leicht bekleidete Tänzerinnen können das Publikum reanimieren, und so macht die Party Stage ihrem Namen absolut keine Ehre.

Die Band hingegen gibt sich viel Mühe und presst den letzten Tropfen Enthusiasmus aus dem Publikum heraus. Sänger Alexander Krull fordert die Fans immer wieder zum Klatschen, Singen oder Springen auf, und erstaunlich viele Anhänger mobilisieren die letzten Kräfte.

Anlässlich ihres 25-jährigen Bandbestehens spielen ATROCITY altes Material wie 'B.L.U.T.' – was waren die Jungs doch mal krank! – und 'Seasons In Black'. Alex hat seinen alten "Atlantis"-Mikroständer hervorgekramt, passend dazu schallt das thrash-metallische 'Clash Of The Titans' aus den Boxen.

Das "Werk 80"-Album ist mit 'The Great Commandment' und dem Mitsing-Hit 'Shout' bestens vertreten, ebenso wie die kleine Schwester "Werk 80 II" mit 'The Sun Always Shines On TV' und 'Fade To Grey'. Warum ATROCITY ein Lied spielen, in dem der Gesang fast nur gesampelt wird, bleibt ihr Geheimnis.
[Pia-Kim Scharper]

Redakteur:
Enrico Ahlig

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