Wacken Open Air 2010 - Wacken

15.08.2010 | 15:38

05.08.2010,

Geboren, um zu wacken!

Samstag, 07. August 2010

Der letzte Tag des weltgrößten Heavy-Metal-Festivals steht an. Ein letztes Mal die warmen Biere aus dem Kofferraum holen, ein letztes Mal die Ravioli-Dose mit den Zähnen aufschneiden.

Aber denkt dran: Ihr dürft alles machen - außer einer Wall Of Death und einem Circle Pit. Und ab dafür.

In der brütenden Mittagssonne eröffnen EKTOMORF den Festivalsamstag. Die Fans stören sich nicht an der Hitze. Auf Geheiß des Sängers und Gitarristen Zoltán Farkas springt und pogt die Menge. Verwunderlich, dass dabei niemand einen Hitzschlag erleidet.

Die Ungarn ziehen sogar noch mehr Publikum vor die Bühne als DEW-SCENTED am Tag zuvor, und es wird gefeiert, als gäbe es kein Morgen. Gibt es ja auch nicht, zumindest aus Sicht des W:O:A 2010. Mit 'What Doesn't Kill Me' und 'Gypsy' bringen EKTOMORF ihre Fans noch mehr zum Kochen, als es die Sonne vermag.

Den Höhepunkt erreicht der Auftritt jedoch, als Zoltán seine Klampfe gegen eine Akustikgitarre eintauscht und ein paar Lieder allein und unplugged darbietet.
[Pia-Kim Scharper]

Neben den um einiges später aufspielenden "Cannibalen", sollten heute in der Früh auch die "Calibanen" zum Zug kommen. 13.00 Uhr ist nicht wirklich die beste Zeit für ein Event, wo die Ausnüchterungszeit mindestens einen halben Tag beträgt. Aber auch hier zieht es wieder zahlreiche Fans aus allen Teilen der Welt (vermutlich) vor die schmucke Wackener True Stage.

Das Programm der deutschen Metalcoreler von CALIBAN konzentriert sich auf den aktuellen Silberling "Say Hello To Tragedy“, von dem u. a. ’Love Song’ (welcher sich als Opener doch eher als Fehlgriff entpuppt), das weidlich technokratische ’24 Years’ oder das bissig-blastig-deathige ’No One Is Safe’ (das eine nicht unwesentliche Wirkung auf den Aggressionspegel der Meute hat) präsentiert werden.

Und obwohl immer wieder freundlich, ja mit der ministerialen Belehrungsfreude einer exekutiven Obrigkeit darauf hingewiesen wird, bitte doch keine Circle Pits laufen zu lassen, hält sich keiner dran. Bei ’I've Sold Myself’ darf dann auch natürlich nicht die bestimmungsgemäße Wall Of Death fehlen. Fazit: eine letztendlich gute, aber doch vorhersehbare Show ohne tiefgreifende Programmwechsel oder Zirkusüberraschungen.
[Markus Amadeus Sievers]

Wieder einmal spielen UNLEASHED in der heißen Nachmittagssonne in Wacken, was die Schweden nicht davon abhält, das Set ausgerechnet mit 'Winterland' zu eröffnen. Die Songauswahl ist gewohnt ausgewogen und geht von 'Into The Glory Ride' vom 1991er Debütalbum "Where No Life Dwells" über neuere Stücke wie 'Death Metal Victory' bis zu 'Wir kapitulieren niemals' der aktuellen Scheibe "As Yggdrasil Trembles". Gerade bei dem letztgenannten Song wird aber deutlich, dass das ewig wiederholte, langsam ausgelutschte Konzept der Band an dieser Stelle nicht mehr aufgeht. Bei dem tumben Titel, obwohl er auf Deutsch ist, will trotz der enthusiastischen Ankündigung durch Frontmann Johnny Hedlund kaum jemand den Refrain mitgrölen.

Man wird den Eindruck nicht los, dass das Schema F hier einmal zu oft angewandt wurde. Nichtsdestotrotz werden alte Hits wie 'Shadows In The Deep' vom Publikum gebührend gefeiert, aber hinter diesen steht eben auch weit kreativeres Songwriting als bei den meisten neueren Stücken. Einerseits ist es erfreulich, dass UNLEASHED nicht mit der nervenden Ausrede der "Weiterentwicklung" auf andere Stile ausweichen, sobald die Einfälle knapp werden. Andererseits zeigen sie mittlerweile, warum dieses Ausweichen so oft vorkommt.
[Nuri Jawad]

Schweden beherrscht das Wacken Open Air in diesen Stunden: Während UNLEASHED auf der Black Stage den 'Death Metal Victory' heraufbeschwören, rocken CRUCIFIED BARBARA das Partyzelt. So langsam machen sich die vier bildhübschen Rockerinnen einen Namen, und der Zuschauerraum der W.E.T.-Stage ist fast voll. Leider ist dadurch der Blick auf die Bühne nicht für alle frei, der druckvolle Sound bringt jedoch jeden Fuß zum Wippen und jeden Kopf zum Nicken.

Die Setlist besteht aus einer guten Mischung der beiden Alben des Quartetts. Das erste große Highlight ist die aktuelle Single 'Sex Action'. Der verheißungsvolle Titel mit der Aussicht auf mehr ('You Could Be The One Tonight") dürfte kein Männerhöschen trocken lassen. Doch auch 'Play Me Hard' und 'Losing The Game' überzeugen auf ganzer Linie. Am Ende huldigen CRUCIFIED BARBARA noch dem Verzerrer: 'In Distortion We Trust'.
[Pia-Kim Scharper]

Kann das gutgehen, KAMPFAR am frühen Nachmittag? Ja, es geht gut, verdammt gut sogar. Nach dem hammergeilen Intro und den ersten zwei Liedern bedankt sich Dolln bei den Fans für das zahlreiche Erscheinen (bei strahlendem Sonnenschein) und entschuldigt sich persönlich dafür, dass der Gig im letzten Jahr ausgefallen ist. Aber nach diesem Gig dürfte das nicht mehr so wichtig sein.

Nachdem das letzte Album "Heimgang" aus dem Jahr 2008 schon ein bisschen her ist, wird den Fans trotzdem ein sehr erfrischender und abwechslungsreicher Gig geboten, Natürlich fehlen 'Ravenheart' und 'Hyme' nicht. Auch wenn KAMPFAR-Gigs für Außenstehende wie eine Zwei-Mann-Show wirken dürfte, gehört das gerade zu einem guten KAMPFAR-Konzert. Kein überzogenes "Stage-Gehüpfe", sondern zwei Frontmänner, denen man abnimmt, diese Musik zu leben. Jetzt noch endlich den Nachfolger für "Heimgang", und alles ist perfekt.
[Wolfgang Kuehnle]

Bereits zum fünften Mal spielt die Speed-Metal-Legende OVERKILL an diesem Sonnabend auf dem W:O:A. Aber wer lahme Routine erwartet, liegt falsch. Die "Wrecking Crew" um Bobby 'Blitz' Ellsworth beweist, dass Erfahrung keine Langeweile mit sich bringen muss. Mit ungeheurer Energie scheppert die Band der Menge den Opener des aktuellen Albums, 'The Green And Black', und danach alte Hymnen wie 'Hello From The Gutter' und 'Rotten To The Core' um die Ohren, was sehr bald einen Circle Pit auslöst, in dem es bis zum Ende des Gigs rumort und aus dem hin und wieder völlig erschöpfte, zuweilen auch blutende Gestalten stolpern.

'Coma' wird in rasender Geschwindigkeit, aber dennoch mit einiger Präzision heruntergerasselt, und es wird zunehmend anstrengender, auf die zahlreichen Crowdsurfer und herumwirbelnden Mosher zu achten.

Vor allem 'Elimination' von dem genialen "Under The Influence" lässt den Pit zum Hexenkessel werden, interessanterweise vor allem durch Fans, die zum Release des Albums 1988 vermutlich noch nicht einmal geboren waren.

Den Abschluss bildet ein Medley aus dem SUBHUMANS-Cover 'Fuck You' und dem MOTÖRHEAD-Cover 'Overkill'. Keine Frage, der Auftritt ist für Fans (und sicher auch für viele andere) das Highlight des Festivals. Hier stimmt einfach alles.
[Nuri Jawad]

Arbeit ist scheiße, Arbeit ist scheiße! Bereits Minuten vor dem Auftritt der mächtigen KASSIERER ist die W.E.T Stage ein reines Freudenhaus. Der Mob brüllt sich die Leber aus dem Körper, nur das Bier treibt sie wieder zurück.

Als dann Wölfi und der Rest der Saubande die Bühne betritt, flippt das Zelt aus. Wölfi schreitet im Adamskostüm (aus ästhetischen Gründen gibt es diese Bilder nur in der Galerie) und Bierdose vor das Mikro und stimmt sofort "Saufen, saufen, jeden Tag nur saufen" an. Klar, 'Besoffen sein' ist der optimale Opener für ein KASSIERER-Konzert.

Es folgen Perlen wie 'Sex mit dem Sozialarbeiter', 'Blumenkohl am Pillermann' oder 'Komm mach die Titten frei, denn ich will wichsen'. Dabei schafft es Wölfi, auch wirklich jeden Einsatz zu verpatzen und sich zeitweise völlig neben der Spur zu befinden. Aber so ist der Politgott.

Mit 'Sonnenuntergang in Barcelona' wird sogar ein neues phänomenales Stück präsentiert, während die Fans mit gigantischen Gummipenissen um sich werfen. Weibliche Crowdsurfer werden malträtiert und geschändet, bevor mit 'Kein Geld für Bier', 'Das Schlimmste ist, wenn das Bier alles ist' (Wölfi muss wie immer ablesen), 'Mein Glied ist zu groß' und 'U.F.O' zum großen Finale geblasen wird.
[Enrico Ahlig]

Gestartet als Projekt von NAPALM DEATH-Bassist Shane Embury, haben LOCK UP 1999 und 2002 jeweils ein Album herausgebracht und ansonsten keine zwei Dutzend Shows gespielt. Die seltene Möglichkeit, die Band in ihrer aktuellen Besetzung mit dem Sänger des 2002er Albums "Hate Breeds Suffering", Tomas Lindberg, zu sehen, wird aber an diesem Sonnabend von deprimierend wenigen Fans genutzt. Schon lange hat man auf dem W:O:A zu dieser Zeit am Nachmittag nicht mehr so eine Leere vor einer der Hauptbühnen gesehen.

Zum Glück zeigen sich LOCK UP mit ihrem zugegebenermaßen nur eingeschränkt livetauglichen Grindcore davon absolut unbeeindruckt und spielen mit brachialem Verve nackenbrechende Songs wie 'Slaughterous Ways', 'Retroaggression' oder 'Castrate The Wreckage'.

Der harte Kern des Publikums vorn an der Absperrung feiert die Band dann auch frenetisch, so dass ein wenig von der Atmosphäre des W:O:A vor zehn, zwölf Jahren aufkommt, als man sich auch bei bekannteren Acts vor der Bühne noch nicht unbedingt gegenseitig auf die Füße trat. Es bleibt die Vermutung, dass es dieser Gig wohl nicht in die Abendnachrichten schaffen, aber unter Kennern in guter Erinnerung bleiben wird.
[Nuri Jawad]

Als Studioprojekt mit zahlreichen Gastmusikern gestartet, haben sich die Niederländer DELAIN unter der Führung des Ex-WITHIN TEMPTATION-Keyboarders Martijn Westerholt mit ihrem Album "April Rain" mittlerweile zu einer richtigen Band gemausert. Frontmäuschen Charlotte Wessels wickelt das Publikum mit ihrer niedlichen Art um den Finger und weiß auch stimmlich zu überzeugen. Mit 'Invidia' und 'Go Away' starten DELAIN stark in ihr Set.

Der Aufforderung kommt natürlich niemand nach, denn wer will schon auf Leckerbissen wie 'Day For Ghost', 'Silhouette Of A Dancer' und den Partyhit 'The Gathering' vom Debütalbum "Lucidity" verzichten? Schade ist nur, dass sich Liv Kristine bei 'A Day For Ghosts' nicht die Ehre gibt – sie sang das Lied für das Album ein und ist mit ATROCITY zugegen. Gitarrist Ewout Pieters ist nicht in der Lage, die männlichen Vocals richtig umzusetzen. Es ist auch nicht leicht, Marco Hietala (NIGHTWISH) nachzueifern. Trotzdem dürften DELAIN sich hier einige Sympathiepunkte erspielt haben.
[Pia-Kim Scharper]

"I wanna be somebody / Be somebody soon / I wanna be somebody / Be somebody, too." Lalala. Das singt man gerne. Unumwunden gesprochen: 'I Wanna Be Somebody' ist definitiv einer der größten Metalsongs aller Zeiten. Umso verwunderlicher ist's, dass manch einer diesen Größe atmenden, ja vollendet großartigen Number-one-Hit der heute immer noch stark in den Achtzigern verwurzelten W.A.S.P. nicht kennt.

Alleine, um diesen Song live zu hören, sollte man schon einmal kurz vorbeischauen. Für totale Plattenhörer ist das mit Sicherheit oberflächlich, aber sei's drum. Immerhin haben sich doch einige, darunter auch New-School-Kiddies, zusammengefunden, um der Kettensägenästhetik von Blackie Lawless und Co. ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Gewiss nicht umsonst.

Denn trotz teils anachronistisch und irgendwie verstaubt wirkender Chosen rocken W.A.S.P. genau so, wie man es eingangs erwartet hat: sauber, leidenschaftlich und kraftvoll, auch wenn Lawless nicht so ganz zu registrieren scheint, wo er sich gerade befindet. Aber vielleicht hat er auch schon Größeres oder Besseres gesehen? Wer weiß? Mit 'Wild Child' und 'Babylon's Burning' schießt man zudem noch geschützartig zwei weitere Höhepunkte in die Luft, welche "an die gute alte Zeit erinnern".

Unglücklicherweise wird der Schreiber im Falle von CANNIBAL CORPSE nicht umhin kommen, das im journalistischen Milieu teils verhasste "Ich" zu gebrauchen. Aus folgendem Grund: Leider Gottes ermöglicht es mir meine physische Konstitution nicht, die Kannibalkörper bis zum Ende zu sehen. Der Grund liegt auf der Hand – oder vielmehr im Bauch. Ich leide unter Krämpfen, Sodbrennen und einigem mehr.

Aber trotz dieser offensichtlichen Problematik schleppe ich mich pflichtbewusst zum Death-Metal-Inferno. Und was gibt es (bei allem Respekt gegenüber Ruf, Einfluss und musikalischer Pionierleistung der Todesprediger) großartig über CANNIBAL CORPSE zu berichten? Natürlich zocken die stämmigen Amis routiniert knüppeldicke gurgelnde Gainmonster wie 'Hammer Smashed Face', 'I Will Kill You', ’Decency Defied’ oder 'The Wretched Spawn' durch. Lediglich das Sonnenlicht irritiert.

Das Publikum mosht, fletscht die Zähne und bedroht sich mit primitiven Kampfansagen und Kunstblutmorddrohungen. CANNIBAL CORPSE im Gegenzug bangen, propellern, zeigen, wo der Hammer hängt, und beweisen, warum SIE Death Metal sind. Geil wie immer. Punkt.
[Markus Amadeus Sievers]

Sie haben ein Album aufgenommen, sie sind getourt, sie haben Festivals bespielt. Aber sind STRATOVARIUS nach der Trennung von Gitarrist Timo Tolkki, den damit verbundenen Ränke- und Verwirrungsspielen und jahrelanger Abstinenz wirklich schon in der Lage, das Wacken Open Air zu rocken? Und wie werden die Fans sie empfangen?

Beide Fragen klären sich ab der ersten Minute auf: STRATOVARIUS sind stark wie nie und das Publikum heißt sie herzlich Willkommen. Natürlich wollen die Fans die alten Klassiker hören und die Deutsch-Finnisch-Schwedische Combo gibt ihnen, worauf sie so lange verzichten mussten: 'Hunting High And Low', 'Eagleheart' und zum Abschluss 'Black Diamond'.

Was will man mehr? Klar: Material vom neuen Album! 'Deep Unknown' aus der Feder des neuen Gitarristen Matias Kupiainen wird bestens angenommen und abgefeiert, und zu 'Forever Is Today' macht Sänger Timo Kotipelto mehrere La Olas mit den Fans. Nach dem Auftritt kehrt das Quintett noch einmal auf die Bühne zurück und verbeugt sich vor seinen treuen Anhängern. Für beide Seiten ist es ein lang ersehntes, erfreuliches Wiedersehen.
[Pia-Kim Scharper]

Die große Stunde des Tobias Sammet ist gekommen. Konnte er vor zwei Jahren mit AVANTASIA wirklich allen die Show stehlen, steigt er heute mit seiner Hauptformation EDGUY in den Ring. Das Wetter ist perfekt, das Infield toll gefüllt, es kann also losgehen. "Welcome to the freakshow" heißt es, bevor mit 'Dead Or Rock' in die Vollen gehauen wird. Hellfire-Tobi spielt mit der Kamera und den Fans, bevor sofort in das grandiose 'Speedhoven' übergegangen wird.

"Ihr müsstet nach drei Tagen eigentlich müde sein. Habt ihr Bock auf Parteeyyy?", schreit Tobi in die Massen. Diese kommt aus dem Grölen gar nicht mehr heraus und feiert zusammen mit der Band das großartige 'Tears Of Mandrake'. Crowdsurfer, Gummibälle und sonstige Utensilien fliegen über die Köpfe der Fana hinweg. Wacken at its best!

Tobi versucht sich an einem heiteren Deutsch-Englisch-Kauderwelsch, da ein großer Teil der Anwesenden der deutschen Sprache nicht mächtig ist. Doch die Sprache des Rock 'n' Roll verstehen alle, daher wird 'Vain Glory Opera' zu einem einzigen Rausch. Diesen erlebt auch Markus Grosskopf (HELLOWEEN), welcher beim folgenden 'Lavatory Love Machine' zusätzlich in die Saiten hauen darf (da er als Ersatz für Ecki einspringen sollte, der am heutigen Tag hätte Vater werden können, es aber nicht wurde).

Vorher zieht Tobi seine obligatorischen Mitmachspielchen durch. Nachdem die linke Seite komplett versagt, rutscht es aus ihm heraus: "Linke Seite: Magic Circle Festival 2010, rechte Seite: Wacken 2010". Göttlich. Die Fans sehen das ähnlich und starten sogar einen Circle Pit (was wiederum das große Circle-Pit-Verbotschild auf die Leinwand ruft). Großes Kino in Wacken.

Mit 'Superheroes', der Feuerzeugballade 'Save Me', 'Sacrifice' und dem perfekten Rausschmeißer 'King Of Fools' geht ein weiteres Wacken-Highlight zu Ende. Stark!
[Enrico Ahlig]

Mit tiefer Enttäuschung muss jeder ehrliche Fan zugeben: Im Anfangsstadium überfiel einen frostig klirrende Sehnsucht auf einen der wenigen rock- und tanzbaren Acts, eine leibhaftige Legende im norwegischen Schwarzheimer-Sektor, die wie ihr ähnlich kommerziell erfolgreicher Konkurrent SATYRICON stets für die Befriedigung dunklen Verlangens sowie für Furore und Massenandrang sorgt.

So ist es auch nur legitim, dass man für IMMORTAL (wie auch schon zur Reunion 2007) einen Headliner-Slot reserviert hat. Die Bühne wirkt wie ein "bitterunlustiges" eisberghaftes Monument aus industrieller Kälte und nordischer Stacheligkeit.

Die Vorfreude ist trotz grimmig dreinblickender Schwarzlinge im Publikum groß auf Gekeife, Blastbeats, Corpsepaint, Rüstungen aus Killernieten und den Elvis-Posen von Abbath. Tja, schönes griechisch-verklärendes Wunschdenken. Und dann das: Es kollidiert mit der selten kuhmistartigen Realität des größten Metal-Festivals auf diesem Planeten. Man fragt sich schon beim ersten Ton von 'All Shall Fall': "Was ist denn das bitte für eine riesige Scheiße?" Die Frage wird natürlich prompt vom Schreiberling zum Fan in passender Montur herangetragen. Dieser versteht blindlings, was gemeint ist. Antwort: "Da braucht man echt 'n Hörgerät für!" Wie wahr, wie wahr. Wie bitterwahr.

So So einzigartig und erhaben IMMORTAL auch sind, wenn der Sound nicht stimmt, ist alles für die Katz. Zumindest auf so einem großen Festival. Denn den von Schminke durchzogenen Schweiß können wir leider nicht riechen, ein flüchtiger Handschlag mit den Idolen ist auch nicht möglich. Bei 'Sons Of Northern Darkness', 'Damned In Black' und allen weiteren Songs wird es nicht besser. Es wird sogar noch breiiger. Irgendwo kann das nicht wahr sein. Ein Traum, eine Genussvision, eine optimistische Erwartungshaltung. Und dann diese Realität. Diese leise, kratzige und miese Realität. Diese reine Klangverunstaltung. Da hilft kein Posing, keine Grimasse und auch kein Elvis-Hüftschwung. Und genau deshalb ziehen sich viele zurück. So auch ich.
[Markus Amadeus Sievers]

Gegen IMMORTAL haben die Doom-Metaller von CANDLEMASS kaum eine Chance. Vor der Party Stage versammeln sich nur nach und nach einige Fans. Der einzige positive Nebeneffekt: In die ersten Reihen zu gelangen, ist bei dem äußerst geringen Andrang kein Problem. Zu Beginn ertönen von der in rot gehüllten Bühne die Klänge von 'Marche Funebre', so dass sich eine düstere und tragende Stimmung bei dem Intro aufbauen kann. Anschließend wird der ältere Song 'Mirror Mirror' gespielt, bei dem sich Sänger Robert Lowe erst nach einer kurzen Weile von den Knien erhebt. Seine vielen Posen und besonders seine langsamen Bewegungen betonen die Schwere der Musik noch mehr.

Rund eine Stunde begeistern CANDLEMASS das Publikum mit einer Mischung aus neueren und älteren sowie doomigen und rockigen Songs. Unter anderem sind 'Dark Are The Veils Of Death', 'Samarithan', 'If I Ever Die' oder 'Hammer Of Doom' zu hören. Man mag sich dabei nur zurücklehnen und den intensiven Gesang sowie die Schwere der Musik genießen.

Ein toller Auftritt, bei dem scheinbar auch Sänger Robert Lowe Freude hat. Zumindest wirken seine Ansagen, wie "Thanks for the beer, thanks for the Jäger" doch recht freundlich. Nur leider hat es das Publikum nicht so mit dem Mitsingen. Die Aufforderungen dazu scheitern. Die wenigen Fans sind entweder nicht laut genug, oder es mangelt an der Textsicherheit.


Ähnlich wenige Besucher versammeln sich auch bei ROTTING CHRIST in der W.E.T. Stage, so dass man sich die griechische Black-Metal-Band wieder von weit vorn ansehen kann. Es ist schon eine Weile her, dass die Jungs ihr schnelles Geschrammel vor den Wackianern präsentiert haben. Dieses Mal haben sie Stücke vom neuen Album "Aealo" dabei. Gleich zu Beginn spielen sie davon den Titeltrack und 'Eon Aenaos'. Anschließend geht es mit dem älteren 'Athanati Este' weiter.

Die brachiale, härtere Stimmung wirbelt im Publikum sofort die Haare auf. Doch bevor die anderen beiden älteren Stücke, 'The Sign Of Prime Creation' und 'Phobos' Synagogue', intoniert werden, ist noch 'Fire, Death And Fear' zu hören. Die älteren Lieder kommen jedoch bedeutend besser an und sind wohl bereits ins Blut der Fans übergangen, so dass der Kopf und die Haare zu den schnellen Drums und Gitarren bewegt werden will.

Am Ende kann die Matte noch zu dem neuen Song 'Noctis Era' geschwungen und ein letztes Mal die Pommesgabel gezeigt werden. Doch wie bereits vorher klar war: Eine halbe Stunde Spielzeit ist zu kurz. Hoffnungsvoll warten einige Fans und rufen nach Zugabe, aber die muss leider ausbleiben.
[Franziska Böhl]

Nach dem kühlen Norwegern von IMMORTAL geht es auf den Hauptbühnen heiß weiter: Max Cavalera macht mit SOULFLY einen weiteren Stopp im beschaulichen Wacken.

Es gibt Bands, bei denen man glaubt, dass sie sich totgespielt haben. SOULFLY gehör(t)en dazu. Scheinbar jedes Wochenende sieht man die Truppe auf irgendeiner Bühne. Doch heute ist Wacken-Time! Und wenn jemand einen amtlichen Hitalarm auslösen kann, dann doch wohl unser aller Max.

Mit 'Blood Fire War Hate' wird die Meute warmgeschossen, bevor mit 'Prophecy' alles in Grund und Boden geballert wird. Was ist denn hier los? Dachten alle, dass SOULFLY nach EDGUY und IMMORTAL keine Chance hätten, so werden sie heute eines Besseren belehrt. Von einer kochenden Stimmung zu reden, würde die Atmosphäre nur im unzureichend beschreiben.

Explosiv ist das richtige Wort. Max treibt die Fans zur Ekstase, verlangt Circle Pits ohne Ende (und wieder erscheinen die Circle-Pit-Verbotsschilder auf der Leinwand) und liefert Hit auf Hit. 'Babylon', 'Refuse/Resist' (mit Sohnemann an den Drums) und das höllisch abgefeierte 'Roots Bloody Roots' machen heute einfach Spaß und verbreiten Chaos und Verderben. Die Welt feiert mit Max, denn auch wenn wir uns in Deutschland befinden, ist dieser Gig fast ein Heimspiel. Überall hört man Jubelgesänge in verschiedenen Sprachen und Freudenschreie. Klar, Max ist ein Musiker von Weltformat, den man auch in den hintersten Ecken der Welt kennt. Das zeigt sich heute. Feiern die Europäer IMMORTAL ab, feiert bei SOULFLY die ganze Welt. Mit 'Jump Da Fuck Up' und 'Eye For An Eye' verabschieden sich die Brasilianer von ihrer Fanfamilie. Überwältigend. Wer hätte das gedacht?
[Enrico Ahlig]

FEAR FACTORY beehren das Wacken Open Air mit einer ihrer Shows. Zum ersten Mal seit vielen Jahren stehen Dino Cazares und Burton C. Bell wieder gemeinsam auf der Wacken-Bühne. Der Streit mit Herrera und Wolbers um die Band ist noch lange nicht beigelegt. Mit neuem Album im Gepäck und Gene Hoglan an den Drums zeigen FEAR FACTORY jedoch in gewohnter Art, dass diese Besetzung wahrscheinlich die beste Wahl ist.

Die Show beginnt mit den Sahnehäubchen der aktuellen Scheibe: 'Mechanize'. Schon früh zeigt sich mal wieder, dass Burton trotz technischer Unterstützung ein Problem mit den Clean Vocals hat. Die Menge tobt trotzdem und singt diese Passagen eben selbst. Es wird ein Rundumschlag durch die Cazares-Alben geboten. "Transgression" und "Archetype" werden ignoriert. Kracher wie 'Slave Labour' werden jedoch nicht vermisst, da das restliche Material vom Feinsten ist.

Alle Brecher wie 'Linchpin', 'Demanufacture' und 'Shock' werden von Gene Hoglan noch mal deutlich aufgetrommelt. Der Sound wirkt noch härter als gewohnt, und die Ankündigung einer weiteren Tour im Herbst macht Hoffnung auf eine Wiederholung dieses grandiosen Schlachtfestes.

Den Abschluss der Setlist bildet der Discotheken-Klassiker 'Replica'. Der leichte Regen wird vom Publikum sowieso schon ignoriert, nun wird er noch mit mehreren rieseigen Flammenwerfern an den Techniktürmen weggebrannt. Ein eindrucksvolles Schauspiel, welches diese Show noch lange in Erinnerung bleiben lässt.
[Stefan Brätsch]

Zu fortgeschrittener Stunde findet auf der Party Stage der angekündigte Special Gig von TIAMAT mit dem kompletten Durchspielen des "Wildhoney"-Albums von 1994 statt. Tatsächlich werden ohne eine einzige Ansage alle Songs des Albums inklusive Intros gespielt.

Der Sound ist bestens, die Stücke werden überzeugend reproduziert, dabei teils deutlich ausgebreitet und durch Improvisationen ergänzt, was die ohnehin schon reichlich psychedelische Ausrichtung des starken Songmaterials und dessen spezielle Atmosphäre noch verstärkt. Streckenweise wähnt man sich auf einem PINK FLOYD-Konzert. Die Musiker, allen voran Sänger Johan Edlund, wirken dabei oft seltsam abwesend, als stünden sie unter dem Einfluss diverser auf dem Album besungener Substanzen. Aber auch das Publikum ist hypnotisiert.

Manch trunkener Headbanger starrt wie in Trance auf die farbenfrohe Lightshow, einer wedelt gar mit einer Flamme aus dem Feuerzeug. Ein wirklich ungewöhnliches und trotz kaum vorhandenen Stageactings höchst gelungenes Konzert. Es muss eben nicht immer Headbanging zu harten Riffs sein, und es erfrischt, einmal keine Promotion für eine neue Platte vorgesetzt zu bekommen. Solche ungewöhnlichen Gigs sollte es ruhig öfter geben.
[Nuri Jawad]

Langsam neigt sich das Wacken Open Air dem Ende entgegen. Doch mit THE DEVIL'S BLOOD wird auf der W.E.T. Stage noch ein ganz besonderes Highlight präsentiert. Bei den Niederländern gibt es nur zwei Meinungen: Ablehung und Vergötterung. Die einen halten die blutverschmierte Show für abstoßend, die anderen berauschen sich einfach an den zauberhaften Klängen und der ekstatischen Stimme von "The Mouth".

Für den heutigen Auftritt hat sich die Truppe einige Backgroundsängerinnen angelacht, die jedoch weitgehend unbemerkt im Hintergrund agieren und den Sound nicht maßgeblich beeinflussen. Jedoch ist das auch unmöglich. Das, was sich der Soundmann bei diesem Brei gedacht hat, bleibt sein Geheimnis. Ohne Ohrstöpsel ist der viel zu hohe Sound nicht erträglich. Zum Glück haben sich im Zelt auch nur wenige Fans versammelt, so dass wenigstens keine größere Menschenschar vergrault wird.

Die Songs Marke 'Christ Or Cocaine', 'Come Reap' oder das traumhafte 'The Heavens Cry Out For The Devil's Blood' werden ineinanderverwoben und als ein extrem langes Stück präsentiert. Die Darbietung ist zum Niederknien, der Sound zum Wegrennen. So bleibt ein bitterer Nachgeschmack.
[Enrico Ahlig]

Das Wacken 2010 neigt sich dem Ende entgegen, aber bis der letzte Hahn kräht, darf U.D.O. noch ran. Auch der jetzt einsetzende leichte Regen hindert Zehntausende Fans nicht daran, sich auf den Weg zur Bühne zu machen. Denn Regen gehört zu Wacken wie die Hörner an Odins Helm. Nachdem das Licht ausgegangen ist und das Publikum immer lauter nach ihm und seiner Band ruft, kommt der Altmeister ohne große Verspätung auf die Bühne.

Schnell haben er und seine Band das immer noch feierfreudige Publikum im Griff.  Und keiner soll sein Kommen bereuen, denn Udo Dirkschneider lässt kaum einen Hit aus. 'Metal Heart', 'Princes Of The Dawn', um nur einige zu nennen, verfehlen den Geschmack der Fans nicht.

Leider geht alles Schöne irgendwann einmal zu Ende, so auch der U.D.O.-Gig, der mit den grandiosen 'Holy' und 'Balls To The Wall' ein starkes Finale erfährt und das 21. Wacken Open Air stimmungsvoll abschließt.
[Wolfgang Kuehnle]

Redakteur:
Enrico Ahlig

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