Wave-Gotik-Treffen 2002 - Leipzig

06.06.2002 | 14:32

17.05.2002, diverse Veranstaltungsorte

Sonntag, 19.05.

agra

EVE OF DESTINY
Den Sonntag in der agra-Halle eröffneten die Japaner EVE OF DESTINY. Schon eine halbe Stunde vor dem Auftritt schwirrten kleine Mädchen, die aus ganz Europa extra für diesen Gig angereist waren aufgeregt durch die Halle, da sich das Gerücht verbreitet hatte, die Band hätte abgesagt. Zur großen Erleichterung der im japanischen Gothic-Stil gekleideten Teenager, hat es aber eine andere Band getroffen und so konnte man sich darauf konzentrieren, seinem Idol beim Eingang zum Backstage-Bereich aufzulauern.
Meinen Recherchen zufolge hatten es die Mädchen auf den Gitarristen abgesehen, der in Japan mit seiner früheren Band MALICE MIZER riesige Konzerthallen füllte und eine ganz schön große Stange Geld für einen Auftritt verlangte. Die größte Sorge der Fans war folglich, wie sich ihr Idol wohl fühlen würde, in der doch recht leeren Agra-Halle zu spielen.
Unter Kreischeinlagen, die man sonst nur von Fans einschlägiger Boygroups kennt, betraten EVE OF DESTINY die Bühne und lieferten einen grandiosen Auftritt sowohl für die Augen als auch für die Ohren. Sowohl Sänger als auch Gitarrist waren bis zur Unkenntlichkeit geschminkt und als männliche Wesen nicht mehr zu erkennen. Wie der Vokalist sich auf seinen Stilettos beim Tanzen halten konnte, bleibt auch mir als Frau ein Rätsel.
Musikalisch gesehen reiht sich die japanische Formation in die Elektro-Goth-Richtung ein und konnte mich mit ihrer leider nur 40-minütigen Darbietung durchaus zum Mitwippen begeistern. Absolut nicht begeistern konnten mich einmal mehr die Tonmeister in der Messehalle, auf deren Rechnung die eine oder andere Rückkopplung und ein recht mieser Sound gingen.
Trotz lautstarker Zugabeforderungen verließen EVE OF DESTINY ohne eine Gemütsregung über das Gekreische der Fans die Bühne und ließen sich auch zu keiner Zugabe bewegen. Dennoch verließen die jugendlichen Fans freudestrahlend und kichernd die Halle und auch das erwachsene Publikum schien recht begeistert von der Darbietung der weitgereisten Gäste.
(Freya; gothicparadise.de)

MORTIIS
Wer hatte auf diesen Moment nicht sehnsüchtig gewartet, der dann aber doch schon früher kam als geplant und erwartet.
MORTIIS sollten normalerweise erst 17 Uhr in der Agra Halle spielen, jedoch begann ihr minutenlanges Intro schon gegen 16:30 Uhr, da vorher eine Band ausfiel.
Egal, wir hatten es, Odin sei Dank, noch rechtzeitig zum Beginn in die Halle geschafft. Vorbeigehetzt an den anstehenden Massen und Dank Pressepass eher reingekommen.
Alle warteten gespannt auf MORTIIS, und dann kam er endlich aus dem Nebel gelaufen, der Meister live. In voller Verkleidung, mit Maske, Elfenohren und krummer Nase. Alles jubelte und rief nach ihm.
Es wurden eigentlich hauptsächlich Songs von der neuen Scheibe „The Smell Of Rain“ gespielt, die große Überraschungen in sich barg, für die, die MORTIIS noch aus alten Tagen kennen. Die Melodien waren für MORTIIS-Stil sehr elektrisch, aber absolut genial und er selbst kreischte ordentlich mit. Der Rest der Band lieferte auch eine gute Show und moschte zusammen mit den Fans mit.
Die Halle war, so wie mir schien, während des ganzen Wave-Gotik-Treffens nie voller gewesen.
MORTIIS lieferten einen absolut genialen Auftritt bis ca. 17:15 Uhr, leider viel zu kurz. Aber es gab ja noch die Autogrammstunde und MORTIIS mischte sich dann noch mit unter die Besucher, leider alles ohne Maske. Deshalb anfangs unerkannt, aber dann kamen wir!!! ;-)
Der Auftritt war eigentlich unbeschreiblich.
In diesem Sinne zeige ich Betroffenheit für Leute, die nicht dabei sein konnten, ge Merchjo??!! ;-))
(Jasmin; gothicparadise.de)

THE FALL
Jetzt waren ein paar alte Hasen an der Reihe. THE FALL kommen von der Insel, aus Manchester, und sind immerhin schon seit 1977 dabei. Sie spielen Musik, die grob gesagt in Richtung Punk geht (damit also musikalisch eher eine Randerscheinung auf einem solchen Festival). Auf ihre Weise waren sie schon sehr lustig und ziemlich cool. Nicht nur, dass der Sänger Mark E. Smith rein optisch der totale Kontrast zum davor auf der Bühne stehenden MORTIIS-Fronter war, er wirkte auch ein wenig desorientiert. Seine Bühnenaktivität hatte schon etwas Komisches an sich, er machte jedenfalls nicht den Eindruck, als würde er schon seit 25 Jahren die Bühnen unsicher machen. Die Texte musste er z.T. ablesen, aber auch sonst wirkte er nicht gerade textsicher. Das soll jetzt aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Musik nicht von schlechten Eltern war. Die war schön peppig und groovig, natürlich auch mehr als nur ein bisschen punkig, mit einem markanten, treibenden Bass. Vereinzelt konnte man im Sound sogar Querverweise zu THE CLASH oder AC/DC heraushören. Vor allem aber war die Musik absolut tanzbar und von daher waren die vorderen Reihen auch schön am Mitwippen. Die Songs machten einfach Spaß und da war es nur umso schöner, dass THE FALL über eine Stunde randurften. Also, wer open-minded war und mal etwas anderes hören wollte, für den hieß es am Sonntag: Ein Fall für THE FALL.
(Stephan Voigtländer)

THE CRÜXSHADOWS
Obwohl die THE CRÜXSHADOWS aufgrund der Absage der Band THE LORDS OF THE NEW CHURCH bereits zwanzig Minuten früher als geplant auf die Bühne kamen, war die agra-Halle bereits gut gefüllt mit Schwarzgewandeten, die sicher schon mal gehört haben, dass man sich einen Auftritt der Amis nicht entgehen lassen kann. Erwartungsvoll und doch eher skeptisch warteten alle auf die Goth-Band, die bereits seit 1992 vollkommen zu Unrecht eher unbeachtet im Musikbusiness umhertingelt. In Leipzig wurden sie von zwei nett anzusehenden Tänzerinnen unterstützt. Diese Hilfe wäre allerdings nicht nötig gewesen, denn die Show, die der charismatische Frontmann Rogue hinlegte, übertraf alles, was ich bisher auf dem diesjährigen WGT gesehen hatte.
Zu melodiösen Klängen, unterlegt mit klassischen Gothic-Rhythmen und begleitet von Geige, Gitarre und Keyboard, sprang der Sänger, dem man seine Grippeerkrankung absolut nicht anmerkte, über die Bühne und konnte auch die skeptischsten Zuschauer wenigstens zu einem rhythmischen Mitwippen bewegen. Die Massen tobten dann aber spätestens, als Rogue, der sich mit einem Headset die nötige Bewegungsfreiheit verschaffte, die Boxen erklomm und an der Bühne hochkletterte.
Die Security schwitzte dann sichtlich, als der Sänger ins Publikum sprang und mitten in der Halle einen Fan unterhakte und Ringelreihen tanzte. Fast schon traditionell wurde das gesamte Publikum beim Song „Don’t Follow Me“ aufgefordert, die Bühne zu stürmen, was die Sicherheitsleute dann aber erstaunlicherweise sehr freundlich, aber trotzdem bestimmt zu verhindern wussten – zwei begeisterte Anhänger kämpften sich trotzdem zu den Musikern vor.
Nach dem einstündigen und für meinen Geschmack viel zu kurzen Auftritt erlaubten die Organisatoren noch eine Zugabe. Somit blieb dem Publikum auch der wunderschöne Song „Marilyn, My Bitterness“ nicht verwährt, den Sänger Rogue mit einer Videokamera filmte – ob das Video veröffentlicht wird, konnte ich leider nicht in Erfahrung bringen.
Zusammengefasst kann ich sagen, dass THE CRÜXSHADOWS für mich das beste Konzert des ganzen WGT hingelegt haben und ich kann jedem, der melodiösen und dennoch klassischen Gothic liebt, nur empfehlen, auf der momentan laufenden Tour vorbeizuschauen – ich kann mit gutem Gewissen sagen: Es lohnt sich.
(Freya; gothicparadise.de)

18 SUMMERS (SILKE BISCHOFF)
Es sollte der erste von wenigen Auftritten unter neuem Namen werden – Felix Flaucher und Frank Schwer, die nun unter dem Namen 18 SUMMERS arbeiten, wollten im Rahmen des 11. WGT zum einen ihr neues Album „Virgin Mary“ vorstellen und zum anderen ihren Fans beweisen, dass sie ihrem SILKE-BISCHOFF-Stil auch mit neuem Bandnamen treu geblieben sind.
18 SUMMERS sind nur sehr selten live zu sehen – umso mehr Fans hatten sich am vorletzten Tag des WGT voller Vorfreude in der Leipziger agra-Halle versammelt, um ein Konzert zu sehen, dass letztendlich im Desaster endete. Überpünktlich betraten 18 SUMMERS die Bühne und wollten ein Set aus alten und neuen Songs spielen, doch bereits die ersten Töne klangen eher nach Katzenmusik – Frank wurde zum Stimmen der Gitarre Backstage geschickt.
Der zweite Anlauf verlief nicht wesentlich erfolgreicher und aus den Gesichtern auf der Bühne sprach so langsam die Verzweiflung, während sich im Publikum Unruhe und Gelächter ausbreitete. Der Fehler wurde dann doch noch gefunden – das Halbplayback lief ganz einfach zu schnell. Leider schienen die Techniker nicht zu wissen, wie man so ein Ding in normaler Geschwindigkeit abspielt und so bedurfte es noch einiger Beruhigungsversuche seitens Felix Flaucher, bis man sich dann nach dem vierten Anlauf entschied, zunächst ein paar Akustik- Songs zum Besten zu geben, die eigentlich als Zugabe geplant waren. Nicht übel, aber ich hätte lieber Songs vom kommenden Album gehört.
Letztendlich wurde die Musik doch noch zum Laufen gebracht, sodass die Fans dann doch noch ein paar – wenn auch wesentlich weniger als geplant – Songs mit allem drum und dran zu hören bekamen – dies aber auch in einer dermaßen schlechten Tonqualität, dass man sich regelrecht vorstellen konnte, wie sehr der als Perfektionist bekannte Frontmann Felix Flaucher innerlich kochte.
(Freya; gothicparadise.de)

THE MISSION
Die Briten THE MISSION, 1986 von Ex-Mitgliedern der Kultband THE SISTERS OF MERCY gegründet, waren als Urgestein des Gothic Rock sicherlich eines der Großereignisse auf dem diesjährigen WGT. Sie spielten bislang unter andrem zusammen auf Tour mit Größen wie THE CULT, U2 oder THE CURE, und so klingt ihr derzeitiges, auch in den Charts sehr erfolgreiches Album „AurA“ auch wie ein Konglomerat aus Einflüssen aller vier genannten Bands. Die Erwartungen an den Auftritt jedenfalls waren hoch genug gesteckt. Allerdings fragten mich doch tatsächlich zwei Gothic-Schnecken, wer THE MISSION eigentlich sind und ob die genauso langweilig wären wie 18 SUMMERS. Ich glaube, das rotleuchtende Fragezeichen über meinem stirngerunzelten Haupt war weithin zu sehen. Ich glaube, ich werde alt, hehe.
Die viertelstündige Verspätung ihres Auftritts bedarf für WGT-Verhältnisse wohl kaum noch einer gesonderten Erwähnung, doch der Spannungsbogen wurde durch ein exzellentes Instrumental-Intro vom Band – leider begleitet von einer fetten Rückkopplung – noch gesteigert. Als Wayne Hussey, Craig Adams und Scott Garrett dann die Bühne enterten, legten sie sofort und ließen es sofort ordentlich rocken. Leider war die klangliche Aussteuerung lange nicht mehr so ansprechend wie zuvor bei den Amerikanern THE CRÜXSHADOWS, vor allem die Lautstärke war etwas übertrieben und die dominanten Drums störten – wobei das Drumming für sich wirklich beachtlich ist. Live bekam die Musik der Band allerdings um einiges mehr an Druck und Dynamik und packte mich intensiver als von CD.
Obwohl man den Briten ihre live-Erfahrung anmerkte und sie locker auf der Bühne agierten – die Mätzchen von Frontmann Hussey wurden leider offenbar kaum verstanden – sprang der Funke zum Publikum erst so richtig bei ihrem neueren Charthit „Evangeline“ über, was mich vermuten ließ, dass die Zusammensetzung des Publikums mehr als nur zwei vom Schlage der beiden Gothic-Girls beinhaltete.
Gelegentlich artete die Improvisation auf der Bühne ein wenig in Geschrebbel aus, aber dass die Jungs es an den Instrumenten wirklich draufhaben und so einiges an Erfahrung mitbringen, zeigten ihre rein instrumentalen Ausleger, die zudem eine nette Dosis DIRE-STRAITS-Feeling boten.
In jedem Falle ein satter Auftritt, der zu gefallen wusste, aber irgendwie blieb der Eindruck, dass die Zeiten von THE MISSION zumindest in deutschen Gothic-Gefilden ihre Blütezeit bereits hinter sich haben könnten, auch wenn ausreichend Begeisterung gezeigt wurde, um eine Zugabe zu motivieren.
(Andreas J.)

GOETHES ERBEN
Mit etwas gemischten Gefühlen trat ich an dem Hauptakt des Abends heran: Goethes Erben! Eine meiner Lieblingsbands, in ferner Vergangenheit, als ich noch etwas "schwärzer" und depressiver durch die Welt ging. Nichts mehr für meine gut gelaunte und optimistische Einstellung zum Leben heute - So dachte ich! Doch so kann man sich täuschen.
Dem trotz ausgesprochen fortgeschrittener Stunde zahlreich versammelten Publikum – die Haupthalle war brechensvoll - trat ein weiß gekleideter lächelnder Oswald entgegen, der es 100%-ig verstand, den Massen einzuheizen.
Eine gesunde Mischung alter Hits und neuer Klänge sprudelten in die Ohren des Publikums. Lange Pausen zwischen den Songs machten die Show noch interessanter, denn diese Pausen wurden gefüllt durch gedankenanregende Zeilen Oswalds.
Fast nachdenklich und in seinen Gefühlen verflochten, setzte er sich mit den Problemen der Welt und der Menschheit gekonnt auseinander. Plötzliche Bewegungsausbrüche, in denen er sprang und tanzte, ließen die Mengen toben. Doch genauso schnell wurde die Stimmung sehr melancholisch durch die versteckt kritisierenden Texte, untermalt mit den fast dirigierenden Handbewegungen des Frontmanns.
Dieser Mann lebt in seiner Musik, dieses Gefühl hat er wohl mehreren Menschen an diesem Abend vermittelt. Dachte man doch, dass er sehr menschenfremd und unnahbar sei. Als er sich schließlich in die Menge warf und sich auf den Händen seiner Fans durch die Halle tragen ließ, war auch der letzte Ungläubige überzeugt, dass „Grufties“ doch ihr Leben lieben!!!
Die Band vermittelt einen mehr als sympathischen Eindruck und spielt sehr eindrucksvoll. Der Sänger hat eine unverwechselbare Stimme und seine Texte sind anregend, passend zu den Bewegungen dieser Welt. Als der Sänger nach der letzten Zugabe mit einer Entschuldigung auf den Lippen ausgestreckt auf dem Boden liegen blieb, konnte es ihm niemand verübeln. Ein begeistertes Publikum begleitete die Band mit heftigen Klatschen und Rufen hinter die Bühne...
(Gastautorin Nina Merz)


Parkbühne

ARCANA
Ein Konzerterlebnis der etwas anderen Art bekommt man bei ARCANA geboten. Hier gibt's keine elektrischen Gitarren oder ein lautes Schlagzeug. Hier gibt's im Grunde genommen nur den Gesang von Peter und Ida, der sich so kontrastreich voneinander abhebt und doch so gut zusammenpasst. Wobei Peter klar die Linie in den Songs vorgibt und von Ida quasi nur ergänzt wird. Im Hintergrund wird für die begleitende Melodie gesorgt und daneben agieren noch vier Trommler, die der Musik einen gewissen Mystik-Touch verleihen. Das Resultat ist düster-romantisch und vor allem wunderschön traurig. Keine Ansagen sollten dabei die Wirkung der Musik unterbrechen, und so konnte man einfach nur mit offenem Mund dastehen und sich bezaubern lassen. Sängerin Ida sorgte mit ihrem dramatischen Gesichtsausdruck mit den weit aufgerissenen Augen für eine ausdrucksstarke Untermalung der Songs, fast schien es so, als würde sie sich vor ihrer eigenen Stimme fürchten.
Als einzige Band auf dem WGT spielten ARCANA zwei Konzerte, die sich zwar wie ein Ei dem anderen glichen, aber dadurch, dass das erste drinnen (Haus Leipzig) und das zweite unter freiem Himmel (Parkbühne) stattfand, doch relativ verschieden waren. Gemeinsam hatten beide Auftritte, dass sie sich leider trotz lautstarker Versuche des Publikums zu keiner Zugabe mehr hervorlocken ließen, so dass die unter 40 Minuten Spieldauer doch etwas dürftig waren. Auch die Setlist war beide Male, mit Songs wie "Chant Of The Awakening", "Hymn Of Absolute Deceit", den beiden neuen Stücke "We Rise Above" und "Body Of Sin", "Sono La Salva" und noch zwei oder drei anderen exakt dieselbe. Akustisch klang Ida im Haus Leipzig weicher und glatter, dafür waren auf der Parkbühne beide besser zu verstehen und die Texte herauszuhören. Deshalb würde ich schon von einer besseren Akustik auf der Parkbühne sprechen, denn die Songs kamen einfach besser rüber. Auch wenn auf der Parkbühne der gleiche zeitige Schluss wie Tags zuvor etwas schade war, gerade unter freiem Himmel hatte diese tieftraurige Musik schon eine ziemlich starke Wirkung, der man sich, einmal gehört, nicht mehr entziehen konnte und wollte.
(Stephan Voigtländer)

Redakteur:
Andreas Jur

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