LONG DISTANCE CALLING - The Flood Inside
Auch im Soundcheck: Soundcheck 02/2013
Mehr über Long Distance Calling
- Genre:
- Progressive Metal
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- Superball Music (EMI)
- Release:
- 01.03.2013
- Nucleus
- Inside The Flood
- Ductus
- Tell The End
- Welcome Change
- Waves
- The Man Within
- Breaker
Logische Konsequenz echter Künstler.
LONG DISTANCE CALLING ist keine Band, die es sich leicht macht und an einer einmal gefundenen Erfolgsformel festhält. Denn Stillstand ist Rückschritt und das passt nicht zu der musikalischen Vision des Quintetts. Und so war es zumindest für Bandkenner keine allzu große Überraschung als im Herbst des vergangenen Jahres Martin 'Marsen' Fischer als Sänger vorgestellt wurde. In frühen Interviews wurden die Jungs häufiger gefragt, warum sie denn letztendlich eine instrumentale Band geworden sind und die Antwort war stets, dass sie schlicht nicht den passenden Sänger gefunden hatten. Mit Marsen hat sich dies nun geändert.
Dennoch ist die Truppe smart genug, die erfolgreiche instrumentale Seite nicht komplett über Bord zu werfen und so ist "The Flood Inside" nun zur Hälfte instrumental und zur Hälfte mit Gesang versehen. Dabei singt Marsen lediglich auf drei Songs, während beim vierten Song - wie gewohnt - Gastsänger (im Plural!) zu hören sind.
Entsprechend groß ist natürlich die Spannung, nachdem "Satellite Bay", "Avoid The Light" und "Long Distance Calling" Maßstäbe gesetzt haben und für den Autor das Beste darstellen, was im instrumentalen Rock/Metal bisher veröffentlicht wurde.
Die erste Erkenntnis nach nur wenigen Sekunden ist, dass LONG DISTANCE CALLING immer noch nach LONG DISTANCE CALLING klingt. Egal, ob mit oder ohne Gesang. Der klare, lebendige und doch druckvolle Sound, das Gitarrenspiel von Dave & Flo, die Rhythmusarbeit von Jan & Janosch. Das ist unverkennbar LONG DISTANCE CALLING. Daran gibt es keinen Zweifel.
Das eröffnende 'Nucleus' ist ein Beleg dafür, wie es das Quintett schafft mit Erwartungen zu spielen. Wenn nach dem ruhigen Aufbau ein Break folgt und man im Geiste als Hörer schon losrockt, da ja nun der Ausbruch kommen muss, schalten die Herren erst noch einmal einen Gang zurück und lassen den Hörer ins Leere laufen, nur um dann die deutsche Blues-Hoffnung Henrik Freischlader mit einem großartigen Solo in den Mittelpunkt zu rücken. Dass der Ausbruch dann doch noch folgt und man am Ende der Nummer doch wieder wild zappeln muss, ist ein typisches Qualitätsmerkmal.
Doch sind die Songs dieses Mal nicht nur wegen des häufigeren Gesangs deutlich abwechlungsreicher ausgefallen, auch die instrumentalen Songs bedienen sich eines größeren Spektrums. Und auch wenn es böse klingt, liegt das auch am Abschied von Keyboarder/Elektroniker Reimut, der der Band nun eine größere Freiheit beschert hat. Das sehr sphärische 'Waves', der Ruhepol des Werks, wäre wohl auch mit ihm möglich gewesen, doch das mit echten Streichern untermalte 'Breaker' klingt so viel natürlicher, als wenn die Töne aus der Konserve gekommen wären. Und so stellen alle vier instrumentalen Songs auch die gewohnte Klasse der Band dar. LONG DISTANCE CALLING schafft es einfach wie kaum eine zweite instrumentale Vereinigung echte Songs mit viel Dynamik und Widerhaken zu schreiben, die man quasi mitsingen kann.
Die entscheidende Frage ist natürlich, ob sie das auch mit Sänger schaffen und die Antwortet darauf lautet: "Ja, aber." Was das Songwriting angeht, gibt es an 'Inside The Flood', 'Tell The End' und 'The Man Within' absolut nichts auszusetzen. Das sind spannend arrangierte Prog-Monster, die im Ohr bleiben und zudem mit echten Glanzlichtern aufwaten, wie das grandiose Solo von Dave in 'Inside The Flood' beweist. Das "aber" ist dann der Gesang von Marsen selbst. Von der Band als "zeitlose Rockstimme im Stil von FAITH NO MORE oder SOUNDGARDEN" bezeichnet, ist es vielleicht auch die damit einhergehende Erwartungshaltung, die mich ein wenig enttäusch zurücklässt, denn mit einem Chris Cornell oder einem Mike Patton kann Marsen bei aller Wertschätzung nicht mithalten. Dabei ähnelt seine Stimme in den mittleren Tonlagen durchaus einem Mike Patton, aber ihm fehlt dabei diese Prise Extravaganz, ja Genialität und Wahnsinn, die aus Mike Patton einen sensationellen Sänger machen. Marsen singt. Und er singt gut. Aber was mir persönlich in den Songs etwas fehlt, ist die Extraportion Leidenschaft. Einfach ein bisschen mehr Farbe.
Wie das geht, beweisen Petter Carlsen und Vincent Cavanagh (ANATHEMA) im Albumhöhepunkt 'Welcome Change'. Zwar klingt vor allem Petter Carlsen beinahe feminin und ich hätte ohne Wissen um den Gastsänger wohl geschworen, dass hier eine Dame am Werk ist, aber die Intensität, mit der Petter & Vincent hier zu Werke gehen, erreicht Marsen nur in wenigen Momenten bei 'The Man Within'. Ich bin sehr gespannt, ob er mich da livehaftig Lügen straft. Eigentlich hoffe ich es sogar.
Dennoch ist dies natürlich ein Makel, der dafür sorgt, dass "The Flood Inside" bei mir persönlich nicht auf einer Stufe mit den durch die Bank großartigen Vorgängern liegt. "The Flood Inside" ist also "nur" ein exzellentes Album geworden, aber eben nicht das in der Vergangenheit schon mindestens zweimal vorgelegte Meisterwerk. Allerdings bin ich ziemlich sicher, dass es die sympathische Truppe schafft, mit diesem Album noch einen Schritt nach vorne zu machen. Vor allem, wenn es Marsen auf der Bühne schafft, den Songs absolut seinen Stempel aufzudrücken. Ich bin äußerst gespannt.
Mehr zu diesem Album:
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Peter Kubaschk