METALLICA - Kill 'Em All
Auch im Soundcheck: Der METALLICA-Soundcheck
Mehr über Metallica
- Genre:
- Thrash Metal
- ∅-Note:
- 9.50
- Hit The Lights
- The Four Horsemen
- Motorbreath
- Jump In The Fire
- (Anesthesia) - Pulling Teeth
- Whiplash
- Phantom Lord
- No Remorse
- Seek And Destroy
- Metal Militia
Klassiker 'Em All!
Durch dengerade erst ins Netz gestellten neuen METALLICA-Song 'Lords Of Summer' angeregt, lief in den letzten Tagen der Erstling der einstmals so bahnbrechenden Band wieder einmal bei mir. Ich wäre kein Hobbyschreiber, wenn es mir nicht in den Fingern gekribbelt hätte, hier nun einmal meinen Senf zu dem Album niederzuschreiben. Da es eventuell ein paar jüngere Leser unter unseren Besuchern gibt und da es dieses epochale Werk obendrein verdient hat, schreibe ich dieses Mal sogar ein paar einleitende Worte. Die Altehrwürdigen mögen es mir verzeihen und gegebenenfalls den nächsten Absatz einfach überspringen.
Die Vorgeschichte: Die Band METALLICA – den Namen hat Drummer Lars Ulrich einem smarten Menschen namens Ron Quintana quasi gestohlen, als beide gemeinsam einen Namen für dessen zukünftiges Magazin suchten und Lars Metallica als "nicht gut" abtat, nur um die Idee für sein Bandprojekt zu verwenden – entsteht als sich der junge dänische Trommler Lars Ulrich, der gerade mit seinen Eltern nach Übersee gezogen war, auf James Hetfield trifft. Beide verbindet eine Liebe zur NWoBHM. So schrammeln die zwei Jungspunde erstmal als Duo drauf los und spielen ihre Lieblingssongs nach. Lars bekommt mit, dass Brian Slagel, Besitzer des Plattenladens "Record Vault" eine Compilation-Reihe mit Newcomern starten will und fragt ihn, ob er seine Band auf den ersten Sampler packen würde. Dieser sagt natürlich "Ja" und so muss Ulrich nur noch eine komplette Band zusammen bekommen. Leichter gesagt als getan und so hören wir auf der ersten Plattenaufnahme der Band noch Ron McGovney am Bass und einen gewissen Lloyd Grant an der Sologitarre. Dass diese Besetzung nicht lange Bestand hatet, dürfte bekannt sein, denn schnell ist mit Dave Mustaine ein "richtiger" Leadgitarrist gefunden. Ebenso schnell wird das "No Life Til Leather"-Demo eingespielt, welches wie eine Bombe im Underground einschlägt. Ach, was schreibe ich: Wie ein Bombenhagel. Ich erinnere mich noch, wie ich die Kassette in damals üblicher Manier von einem meiner Tauschpartner bekommen habe und völlig fassungslos vor meiner Stereoanlage saß und nicht glauben konnte, dass man so schnell und gleichzeitig so kontrolliert spielen konnte. Die perfekte Mischung aus VENOM und DIAMOND HEAD. In kürzester Zeit kamen auch noch Liveaufnahmen in Umlauf, die sich zwar alle durch beinahe unhörbare Klangqualität auszeichneten, uns aber unendlich glücklich machten. Als dann die frohe Botschaft eines ersten Albums die Runde machte, konnten wir es kaum abwarten. Täglich sind wir wie ein Rudel hungriger Wölfe bei den uns bekannten Plattendealern aufgeschlagen, um das Teil bloß am ersten Tag zu bekommen. Eine heute unvorstellbare Problematik: Ohne Internet und beinahe ohne vernünftige Presse wussten wir den genauen Veröffentlichungstermin nicht. Es sollte der 25. Juli werden. Es waren Sommerferien und ich war trotz des bombastischen Wetters mehr unter meinem Kopfhörer zu finden, denn an der frischen Luft. Eine neue Ära hatte begonnen.
Wenn wir nun aber den Blick konkret auf das Album werfen, fallen zuerst das Artwork und der Titel ins Auge. Eine Hand mit Hammer und eine übergroße Blutlache, dazu der Titel "Kill 'Em All". Wenn man weiß, dass der ursprüngliche Titel "Metal Up Your Ass" damals von den Vertriebsketten als unverkäuflich abgelehnt wurde, darf man hier dezent schmunzeln. Aber um solche Kleinigkeiten wollen wir uns hier nicht scheren. Viel spannender war die Tatsache, dass die Band, quasi auf dem Weg ins Studio, Dave Mustaine mit einem Busticket vor die Tür gesetzt hatte und mit Kirk Hammet ein völlig neues Gesicht an dessen Stelle die Leadgitarre eingespielt hatte. Völlig neu war das Gesicht natürlich nicht, denn Undergroundlern war der Name als Bandmitglied von EXODUS durchaus ein Begriff. Dass der gute Mann, der ja bis heute zum Kader METALLICA zählt, keine Zeit mehr hatte, Musik zum Album beizusteuern, ist selbstverständlich. Er wird ausreichend Beschäftigung darin gefunden haben, sich in Windeseile das bereits bestehende Material auf die Fühler zu pulen.
Legt man das Album also ein bzw. auf – je nachdem ob man eine analoge oder digitale Version zur Hand hat – kracht einem erstmal das bereits von oben erwähntem Sampler bekannte 'Hit The Lights' entgegen. Lustig, dass die erste Textzeile "No life til leather we are gonna kick some ass tonight". Wie hieß das Demo gleich noch? Aha. Musikalisch bietet dieser erste Gehversuch des Komponisten-Teams Hetfield/Ulrich extrem rasanten Heavy Metal, der schnell unter dem Fachbegriff Thrash verschubladet wurde. Zwischen den Verspassagen blitzen immer wieder kurze Soloparts auf und der abgestoppte Chorus klinkt sich unbarmherzig im Kleinhirn ein. Mister Hetfield entpuppt sich auch im Studio als mächtig angepisster Schreihals und die später auffallenden Rhythmusstörungen von Mister Ulrich fallen bei dem Geholze nicht ins Gewicht. Schnell spielen kann der Mann.
Weiter im Takt geht es mit der Sieben-Minuten-Riffarmada 'The Four Horsemen'. Die vier Reiter der Apokalypse, um die es natürlich textlich geht, machen dabei keine Gefangenen. Mit entschlossenen Mienen galoppieren sie aus den Lautsprechern, um im besänftigenden Solopart eine kurze Verschnaufpause einzulegen. Dann geht es weiter mit dem Verteilen solch netter Geschenke, wie der Pest... und dem Tod. Bei diesem bis heute gern im Liveset der Band befindlichen Song sticht das erste Mal der dröhnend-pumpende Bass von Urgestein Cliff Burton deutlich hervor. Der gute Mann ist einer der wenigen Bassisten im Metalbusiness, der sich eben nicht damit begnügt, im Hintergrund ein paar tiefe Töne in den Asphalt zu wummern. Aber dazu später noch ein paar Takte mehr.
'Motorbreath', der Songname lässt es erahnen, ist dann schlicht und ergreifend eine Art Blaupause für superschnellen Thrash. So schnell und dabei kontrolliert hat das bis zu diesem Zeitpunkt kaum eine Band hin bekommen. Die deutschen ACCEPT mit ihrem 'Fast As A Shark' oder die kanadischen EXCITER verschweige ich mal dezent. Erbsen zählen können heute einmal die anderen. Bei der nachfolgenden Singleauskopplung 'Jump In The Fire' frage ich mich bis zu heutigen Tage: Warum? Warum wurde ausgerechnet diese Nummer als Single ausgekoppelt? Weil sie nicht ganz so schnell ist und somit vielleicht mehr Leute Zugang zu der Musik finden konnten? Schwachfug, denn bei dem bellenden Gesangsstil kommt kein Mainstreamhörer auf den Gedanken, ein ganzes Album zu kaufen. Und den Stil des Albums spiegelt dieser hardrockige Song auch nicht wieder. Vielmehr offenbart er, dass James' Stimme zu so einer handzahmen Nummer nicht passt und dass es nicht besonders schlau ist, langsam in ein Feuer zu hüpfen. Man verbrennt sich irgendwas. Im Ernstfall die Ohren. Schnell weiter.
Was nun folgt, darf man gern als außergewöhnlich bezeichnen. 'Anesthesia (Pulling Teeth)' ist nämlich kein simples Instrumentalstück, sondern ein Basssolo von Cliff Burton, der dabei lediglich in der zweiten Hälfte von Lars unterstützt wird. Wer nun glaubt, ein Basssolo sei eine stinkend langweilige Angelegenheit, der hat dieses hier offensichtlich noch nie gehört. Der gute Cliff spielt nämlich eine herrlich schräge Melodie, hat dabei sämtliche Effektgerät im Anschlag und wird mit dem Fuß fröhlich auf dem Wah-Wah-Pedal auf und nieder steppen. Ganz fantastisch und ein erster Einblick in das, was Burton auf zukünftigen Alben noch zustande bringen würde. Obendrein ist diese Nummer der ideale Einstieg in den Hyperspeedster 'Whiplash'. Dieser Song ist die musikalische Umsetzung des wahren Bösen. Salvenartige Riffs zu Beginn lassen den Adrenalinspiegel bis zu Anschlag steigen und entladen sich in offenen, von finster grummelnden Drums unterlegten Gitarrenakkorden. Ein Einstieg nach Maß. Die rasierklingenscharfen Riffs, die hiernach wie Hornissen mit Kriegsbemalung aus der Beschallungsmaschinerie schießen, kennen nur ein Ziel: Trommelfellzerstörung. Wer hier nicht unwillkürlich in animalische Euphorie verfällt, ist taub. Eine andere Erklärung kann es hierzu nicht geben.
Adrenalin starts to flow
You're thrashing all around
Acting like a maniac
Whiplash
Noch Fragen? Danke.
Im Falle eines Vinyls hat man hier nun eine notwendige Verschnaufpause, denn man muss das Album umdrehen. Im heutigen Zeitalter geht es unbarmherzig mit dem ebenfalls sehr flotten 'Phantom Lord' weiter im Takt. Noch eine Nummer aus früheren Tagen, an denen Mustaine mitgewirkt hat. Das merkt man sofort am sehr coolen Mittelpart, der etwas Auflockerung in dieses krasse Hochgeschwindigkeitsinfero bringt. Die abschließende Zeile "Fall to your knees and bow to the phantom lord" ist dann auch mehr eine Zustandsbeschreibung des Zuhörers, denn eine Aufforderung. Gerade stehen kann zu diesem Zeitpunkt wohl kaum noch jemand.
Zum Glück folgt das irritierend betitelte 'No Remorse'. Irritierend, weil man gerade hier eben eine gewisse Gnade walten lässt. Diese gut sechs Minuten lange Nummer bewegt sich im ersten Teil etwas behutsam vorwärts und zeigt so leider wieder die Schwächen im Gesang klar auf. Obendrein ist der rhythmisch etwas verschachtelte Chorusteil nur mäßig umgesetzt, so dass ich diese Nummer gerne mal überspringe. Schade, denn die flitzfingerigen letzten zwei Minuten haben schon was.
Was nun folgt, wird auch jeder Spätgeborene kennen: 'Seek & Destroy' gehört zum Standardprogramm einer jeden METALLICA-Show. Bis heute. Und dabei ist diese Nummer gar nicht so toll. Rhythmisch eher schleppend unterwegs, überzeugten hier vor allem die immer wieder durch wummernden Soloeskapaden von Cliff Burton. Der lang gezogene und vor allem viel zu häufig wiederkehrende Refrain nervt irgendwann und funktioniert lediglich in der Livesituation als Stimmungsanheizer. Dieser Nummer fehlt Feuer.
Ein Manko, welches das abschließende 'Metal Militia' flugs ausbügeln kann. Da sind sie wieder, die Hornissen, die Schwadronen von pfeilgenauen Saitenhieben, die wie Nadelstiche auf's Ohr prasseln und das angenehme Gefühl eines Twisters im Ohr bewirken. Eine Melodie im üblichen Sinne gibt es in diesem Song "zum Glück" ebenfalls nicht. Zumindest nicht für ungeübte Ohren. Hier geht es zum Schluss noch einmal darum, möglichst rabiat zu agieren. Interessant, dass auch diese Nummer vom verstoßenen Dave Mustaine mitgebastelt wurde.
Summa summarum haben wir es hier also mit einem Album zu tun, welches nicht umsonst den Grundstein zu einer Bilderbuchkarriere legen konnte. Dass die Herrschaften Musiker in späteren Jahren zuerst auf Drogen, dann auf Country, dann auf Napster und noch später auf Selbstmitleid kamen, in der Zwischenzeit etliche Bassisten herausekeln konnten und sich einige Jahre lang kaum noch auf die Musik an sich konzentrierten, tat ihrem Erfolg keinen Abbruch. Sogar ein experimentelles Album in Zusammenarbeit mit Lou Reed, welches so gar niemandem zusagen wollte, hat nicht verhindert, dass METALLICA bis heute zu den kommerziell erfolgreichsten Rock- und Popbands der Neuzeit zu zählen ist.
Dass Dave Mustaine nach seiner Entlassung seine Band MEGADETH gegründet hat und mit dieser lange Zeit ganz exzellente Alben veröffentlichen konnte, dürfte bekannt sein. Dass Cliff Burton am 27.091986 bei einem tragischen Busunglück ums Leben kam, ebenfalls.
Dass "Kill Em All" erst im Zuge des übernächsten Albums "Master Of Puppets" (1986) Einzug in die amerikanischen Billboard-Charts nehmen konnte, ist eventuell eine neue Information. Bitte sehr.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Holger Andrae