METALLICA - St. Anger
Auch im Soundcheck: Der METALLICA-Soundcheck
Mehr über Metallica
- Genre:
- Heavy Metal
- Label:
- Vertigo/UMG
- Release:
- 05.06.2003
- Frantic
- St. Anger
- Some Kind Of Monster
- Dirty Window
- Invisible Kid
- My World
- Shoot Me Again
- Sweet Amber
- The Unnamed Feeling
- Purify
- All Within My Hands
Kaum ein Album dieses Jahres, vielleicht sogar der Rockgeschichte, wurde so sehnlich - allerdings auch mit so gemischten Gefühlen - erwartet wie METALLICAs neuester Output "St. Anger". So war es wenig verwunderlich, dass ich am Release-Tag morgens nicht allein vor dem WOM in Stuttgart stand, um die Scheibe zu erwerben. Als ich eine halbe Stunde nach Ladenöffnung schließlich das Digipack in der Hand hielt, freute ich mich zugegebenermaßen wie ein kleines Kind an Weihnachten, der Besitzerstolz übermannte für einige Zeit den bei METALLICA leider inzwischen angebrachten Skeptizismus. Wie dem auch sei, nun sitze ich im InterCity Treff des Stuttgarter Hauptbahnhofes, balanciere mein Laptop auf einem unglaublich instabilen Bistrotisch und begutachte die Verpackung. Sofort fällt das seit längerem bekannte Coverartwork ins Auge, das mit seinen Anleihen an den sozialistischen Realismus eher auf eine SEPULTURA- oder RAGE AGAINST THE MACHINE-Scheibe schließen ließe. Ein harter Bruch dann das Artwork im Innencover: einerseits Death Metal-Mäßiges Artwork mit einem gequälten Engel, andererseits aber ist das alte Logo wieder da - ein Lächeln umspielt meine Lippen...
...um allerdings sofort zu erfrieren, denn neben dem Booklet fällt aus dem dafür vorgesehenen Schubfach auch ein kleiner Zettel, der nicht nur ein Passwort für gratis(!) Downloads(!!) beinhaltet, sondern auch für den Backkatalog wirbt: "Also Available: Black Album, Load, ReLoad, S&M" BITTE WAS? Wieso werden hier Meilensteine wie "Kill Em All" totgeschwiegen? Ich darf die Herren erinnern: "We'll never stop, we'll never quit, 'cause we are METALLICA!". Das Booklet selbst entspricht vom Stil her dem, was wir seit "Load" ähnlich in jedem METALLICA-Album finden konnten.
Im Digi befinden sich übrigens zwei Silberlinge, neben dem eigentlichen Album noch eine Video-DVD namens "St. Anger Rehersals", die das komplette Album nochmal mit Bild zu enthalten scheint. Die DVD jedoch soll nicht Thema dieses Reviews sein.
Deshalb zurück zur Musik.
Ist dieses Album tatsächlich die Versöhnung mit uns alten Fans, die - mal wieder - versprochen wurde? Ist es wirklich "In die Richtung von ENTOMBED", wie aus dem METALLICA-Camp tönte, haben METALLICA also vom Thrash der Anfangstage über seichten AOR und Countryrock den Weg ins Deathster-Lager eingeschlagen? Werden METALLICA-Skeptiker sich noch umgucken, wie angeblich vorab informierte Herren in Online-Foren tönten?
Die CD eingelegt und zunächst einmal erfrischt festgestellt: Wenn die Scheibe einen Kopierschutz hat - wovon ich bei METALLICA beinahe ausgehe - so lässt sich mein Notebook davon nicht aus der Fassung bringen, XMMS kündet von 11 Tracks und einer Gesamtspieldauer von großzügigen 77 Minuten. Falls die Mucke nun auch noch taugen sollte, ist das wirklich Value for Money.
Und das Album legt gut los: Die ersten Riffs gewahren jedenfalls mehr an selige Tage in den Achtzigern als an den Weichspülrock der letzten Outputs, auch Michael Kamen und sein Orchester sucht man vergebens. Was mir sofort auffällt ist die höllisch fette Produktion, obwohl ich immer noch mit Laptop und billigst-Ohrstöpseln im InterCity Treff hocke, bekomme ich ordentlich Druck auf die Ohren. Beim Hören auf einer tauglichen Anlage zeigt sich dann ein etwas gewöhnungsbedürftiger Sound, der mich am ehesten an MACHINE HEAD erinnert, aber auf jeden Fall nett zu hören und in gewisser Weise zeitgemäßer als der Sound der METALLICA bis einschließlich Black.
"St. Anger" ist ein Album, daß die klassischen fifty/fifty-Formel zu erfüllen scheint - die Hälfte der Songs ist genial, der Rest nebensächlich. 'Frantic' ist ein netter, ansprechender Opener, der mit seinem "This Search goes on"-Chorus bereits eine gewisse Stiländerung zeigt aber mit gewaltigen Mengen an Biss rüberkommt. Der Titeltrack ist ja bereits von der Website bekannt - und es ist mir schleierhaft, wieso METALLICA ausgerechtnet diesen schwachen Song als Vorabmaterial nutzen mussten. Nachdem er eine Minute lang mit voller Kraft loslegt, ändert sich der Stil plötzlich zu etwas jammerhaften, das mich an Nu Metal-Popper erinnert, aber nur wenig mit METALLICA zu tun hat. Mit 'Some Kind Of Monster' und dem von der Qualität her auf jeden Fall an alte Tage heranreichenden 'Dirty Window' folgen wiederum zwei absolute Kracher, bevor mit 'Invisible Kid' leider wieder zum grossen Teil der Jammerrock herausgekramt wird. Bei 'Dirty Window' marschiert die alte METALLICA-Karawane übrigens teils mit einem Hammertempo rockig voran, dass ich den Eindruck habe, MOTÖRHEAD im Player zu haben.
'My World', der Song zur Albumhalbzeit, ist ein sehr abwechslungsreicher Song, der mich vor allem durch den sauschnellen "I don't even know what the question is"-Part überzeugt, wogegen der Refrain ein wenig abfällt, aber immer noch im Top-Bereich verbleibt.
Nun folgt mit 'Shoot Me Again' ein Song, der nicht zuletzt wegen einer gesprochenen Passage und dem allgemein etwas hardcorelastigen Gesamtkonzept einige Anläufe braucht, bevor er reinknallt. Wer möchte, mag in diesem Song auch Einflüsse aus der Funpunk-Liga oder aus dem KORN-Lager erkennen – ich ziehe es vor, den Song zu mögen.
'Sweet Amber' klingt nach Ballade, der Text liest sich wie eine Ballade und der Song beginnt wie eine Ballade. Glücklicherweise wird aber bereits nach 20 Sekunden Akustik-Intro das Gaspedal wieder voll durchgetreten und beinahe schon an der Grenze zwischen Thrash und Melodic Death gewildert.
'The Unnamed Feeling' beginnt mit einem klasse Basslauf, um sich dann leider zwischen an Keith Caputo erinnerndem Gesang und Gitarrengeschrabbel zu verlaufen und nirgendwo herauszufinden. Da hilft es auch nicht mehr viel, dass der Refrain nen ordentlichen Schuss klassisches METALLICA drin hat.
Der Aggressionsbrocken erster Güte, der auf den Namen 'Purify' hört, geht zwar tatsächlich stark in die Richtung von MACHINE HEAD (wobei mich irgendwas an diesem Song auch an NO USE FOR A NAME erinnert, auch wenn ich bei besten Willen nicht sagen kann, was), tritt aber dermaßen geradeaus in die Fresse, das es eine Freude ist. Dieser Song gehört definitiv zu meinen Favoriten.
Zum Abschluss bekommt der - zu diesem Zeitpunkt hoffentlich bereits begeisterte – Fan mit dem überlangen 'All Within My Hands' einen leider völlig unausgegorenen Song zu hören, bei dem METALLICAs Versuch, SYSTEM OF A DOWN nachzuspringen, in einem klassischen Flachköpper endet. Die zugegebenermaßen sogar in diesem Song vorhandenen guten Passagen hätte man sicher zu 'nem ansprechenden Fünfminüter zusammenstutzen können, aber so - Nee!
Nachdem ich das Album ein paar Mal durchgehört habe, kann ich auf jeden Fall feststellen: METALLICA sind wieder da und machen ganz schön schönen Krach! Das Niveau alter Heldentaten ist zwar noch nicht erreicht, aber der Dampfhammer wird wieder ausgepackt und der Weg in die richtige Richtung ist eingeschlagen. Wäre dies Album Nachfolger der Black gewesen, ich hätte den METALLICA-Patch nicht von meiner Kutte abtrennen und rituell verbrennen müssen. METALLICA haben den alten Biss wieder und klingen als hätten sie kurz vor der Black 'ne Abzweigung genommen, den alten Thrash mit Nu Metal- und Death-Elementen versetzt, kurzum auf ein zeitgemäßes Niveau gehoben.
Ob man es glaubt oder nicht - einen Bonuspunkt obendrauf gibt es noch für eine hundert Prozent balladenfreie Metalscheibe. Wasn Wechsel!
Hinzu kommt, dass "St. Anger" voll von wundervollen Zeilen wie "I'm judge and i'm jury and i'm executioner too" und "My lifestile determines my deathstile" ist.
Kauft dies Album, kauft T-Shirts, schreibt Fanpost, signalisiert METALLICA das wir sie alle wieder lieb haben, wenn sie auf diese Weise weitermachen! Ein Tipp noch für die, die knapp bei Kasse sind: Wenn ihr "Load" und "Reload" gebraucht vertickt, habt ihr Eure "St. Anger" schon fast finanziert.
Anspieltipps: Dirty Window, My World, Sweet Amber, Purify
- Redakteur:
- Philipp von dem Knesebeck