SIGH - In Somniphobia
Auch im Soundcheck: Soundcheck 03/2012
Mehr über Sigh
- Genre:
- Avantgarde Metal
- ∅-Note:
- 9.50
- Label:
- Plastic Head (Soulfood)
- Release:
- 30.03.2012
- Purgatorium
- The Transfiguration Fear Lucid Nightmares
- Lucid Nightmare
- Somniphobia
- L´Excommunication A Minuit
- Amnesia
- Far Beneath The In-Between
- Amongst The Phantoms Of Abandoned Tumbrils
- nding Theme: Continuum
- Fall To The Thrall
- Equale (a. Prelude, b. Fugato, c. Coda)
Die wahnsinnigen Japaner verstören und begeistern mit Irrwitz und genialer Musikalität.
Dass SIGH die Band musikalischer Wahnsinniger ist, das wird schon bei den ersten Tönen ihrer zehnten Studioscheibe "In Somniphobia" klar. Drei Schläge auf dem Schlagzeug, und dann fährt Saitenhexer Shinichi gleich mit einem herrlichen, hypermelodischen und ultraschnellen neoklassischen Lead durch die Botanik, dass es eine wahre Freude ist. Kurz darauf steigt dann die ganze Truppe in das irrwitzige Musizieren ein, der Synthesizer beamt dich weg, die Streicher spielen ihr erhabenes Lied, Mirais fieses Keifen zerfetzt die Anmut und die ganz eigene Dynamik der SIGH-Klangwelt trägt den Hörer in ein bizarres Theater mit Spiegelkabinett, Geisterbahn und einem Karussell, worin sich Figuren aus "Tanz der Vampire" tummeln. Wie heißt der Opener gleich? Ach ja: 'Purgatorium'. Das erklärt einiges, denn im Fegefeuer dürfte ähnlich krude musiziert werden.
Mit 'The Transfiguration Fear' geht es sofort ähnlich mitreißend weiter. Warme Synthesizer, sphärisches Pfeifen, herrliche und doch bizarre Chöre, wahnwitziges Gelächter, ein rockiger Drive, Klatschen, wirre Perkussion, Saxophon und bizarre Klangcollagen - ja, hier findet sich einiges von dem wieder, was vor gut sieben Jahren "Gallows Gallery" zu meinem Album des Jahres gemacht hat, auch wenn Mirai sich hier mehr auf das Keifen versteift und die cleanen Vocals und das Saxophon seiner Kollegin Dr. Mikannibal überlässt.
Was folgt, ist eine siebenteilige Gruseloper namens 'Lucid Nightmare', die erst einmal von einem nach Horror-Soundtrack klingenden Intro mit Erzählerpassagen eingeleitet wird. Es folgt das etwas wirre Titelstück, das von allerlei instrumentaler Varianz, gesanglichen Eigenwilligkeiten und elektronischen Spielereien geprägt wird. Da hat von orientalischer Folklore über Psychedelic Rock bis hin zu elektronischer Musik allerlei Pate gestanden. Das Instrumentarium, welches die Band aufführt, ist schlicht beeindruckend. Neben allerlei noblen Synthesizern lässt Mirai auch Sitar, Table, Tampura, Maultrommeln und Glockenspiel erklingen.
Dass diese Bandbreite nicht nur in wirren Soundcollagen, sondern auch in tollen Songs Niederschlag findet, die bei aller Komplexität eingängig sind, zeigt das folgende 'L'Excommunication A Minuit' mit seiner Mischung aus grimmigem Black Metal, locker beschwingter Orientalik, Saxophon und Sitar, während uns beim schwebenden, jazzigen 'Amnesia' die Klarinette begegnet und eine ganz besondere Note einbringt. Der lange, konzeptionell strukturierte Mittelteil offenbart dann allerdings auch die einzige Schattenseite des Albums, da sich die Band zeitweise einfach etwas zu sehr in fiependen Sphären verfährt und nichts mehr klare Songstrukturen erkennen ließe. Wie bei HAWKWIND wechseln sich tolle Songs mit scheinbar ziellos irrenden Passagen ab.
Soweit wie die alten Herren aus England treiben es unsere Japaner aber dann doch nicht, denn auch wenn hier und da einige Minuten lang bizarre Sphärenklänge das Ruder übernehmen, so kommen wir doch immer wieder zurück auf nachvollziehbar strukturierte Stücke wie das großartige 'Far Beneath The In-Between' das eine bizarre Synthese aus Death-Metal-Passagen, der belebten Stimmung eines indischen Marktes und einem englischen Teehaus in den Zwanzigern erzeugt. 'Amongst The Phantoms Of Abandoned Tumbrils' begeistert mit ausgedehntem Einsatz der Trompete, einem beachtlichem Maß an schwarzmetallischer Raserei und wunderbar warmen, erhabenen Gitarrenleads, bevor der Konzeptteil wieder in sphärischen Klängen endet.
Das Finale des Albums schließlich ist zwei eigenständigen Songs vorbehalten, wobei deren erster, 'Fall To The Thrall', sich zunächst als schnörkellose, fiese, rabenschwarze Black-Thrash-Attacke präsentiert, die man so an dieser Stelle gar nicht mehr erwartet hätte. SIGH wäre natürlich nicht SIGH, wenn die Band nicht auch hier noch einen lockeren, schrägen und unschwarzen Refrain parat hätte, aber dennoch zeigt der Song sehr eindrucksvoll, wo die Band mit "Scorn Defeat" vor zwanzig Jahren ihre Anfänge nahm. Von der Stimmung und Schwärze her schlägt der beschließende Achtminüter 'Equale' in eine ähnliche Kerbe, wobei hier vor allem klassische Sequenzen und flüsternde Horror-Atmosphäre viel Raum beanspruchen und dem Stück eine sehr eigene Note verleihen.
Wie ihr seht, haben Mirai und seine Mitstreiter erneut keine Mühen gescheut, uns ein vielseitiges und verstörendes Werk zu liefern. Dabei drängt sich natürlich die Frage auf, ob darunter nicht die Stringenz und die Verdaulichkeit des Albums leiden, ob sich die Band zu sehr verzettelt, oder ob sie doch einen roten Faden erkennen lässt. Dazu kann ich nur sagen, dass es natürlich immer eine Herausforderung ist, sich auf die beim ersten Eindruck verwirrend wirkende Musik und die schrägen lyrischen Gedankengänge SIGHs einzulassen. Doch bin ich klar der Meinung, dass es sich einmal mehr lohnt, sich dieser Herausforderung zu stellen. Denn bei aller Verschrobenheit hat jedes SIGH-Album so viele geniale Momente zu bieten, dass es immer eine besondere Freude ist, darin zu versinken. "In Somniphobia" macht da keine Ausnahme.
- Note:
- 9.50
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle