ALTER BRIDGE: Interview mit Brian Marshall, Scott Phillips

07.10.2008 | 12:36

Angesichts einer ausverkauften Clubtournee und einem prall gefüllten Interviewkalender ist es verwunderlich, dass ALTER BRIDGE relativ locker ans Interview rangehen. Auf der anderen Seite hat das Quartett mit "Blackbird" eine starke Scheibe im Gepäck, und lässt daran während der kompletten Interviewdauer keinen Zweifel. Zusammen mit Brian Marshall (b.) und Scott Phillips (dr.) machen wir es uns im Elfer-Club gemütlich. Genauer gesagt am Tresen des Raums, wo in der Regel ganz intime Shows über die Bühne gehen.
Apropos intim: Während die Vorgängercombo CREED in den Staaten zu ihren Hochzeiten Arenen gefüllt hat, freuen sich die ALTER BRIDGE-Mitglieder auf die noch anstehenden Clubshows. Unter welch widrigen Umständen "Blackbird" in die CD-Rillen gepresst wurde, warum es letzten Endes so lange gedauert hat bis die Scheibe das Licht der Öffentlichkeit erblickt hat, welche Auswirkungen die Download-Problematik auf die Band hat und weshalb sich ALTER BRIDGE-Anhänger ab dem nächsten Album auf einen fahrbaren Untersatz freuen können, erfahrt ihr im sehr aufschlussreichen und ehrlichen Gespräch mit der sympathischen Rythmus-Fraktion.

Tolga:
Würdet ihr mir zustimmen, wenn ich sage, dass "One Day Remains" das perfekte CREED-Album und "Blackbird" das erste richtige ALTER BRIDGE-Album darstellt?

Brian Marshall:
Das perfekte CREED-Album? Nun, darüber kann ich nichts sagen. Für "One Day Remains" haben wir drei Monate lang geprobt. Mark (Tremonti, Gitarrist und Hauptsongschreiber von ALTER BRIDGE - Anm. d. Verf.) hat die Hälfte der Stücke geschrieben und als Demoversion eingezockt. Wind Up Records hatten auch ihren Anteil daran, dass wir die Songs sehr schnell eingespielt und letzten Endes das Album schnell veröffentlicht haben. Wind Up hatte daraufhin CREEDs "Greatest Hits" am Start, womit wir sehr schwer zu kämpfen hatten. Die ALTER BRIDGE-Platte ging mit der Trennung von Wind Up einher, zeigte uns aber auf der anderen Seite als Band die Richtung, die wir einschlagen wollten. Ich denke, dass wir nun auf diesem Weg sind.

Tolga:
Was auffällt, ist, dass "Blackbird" um einiges düsterer klingt als "One Day Remains". Ist dies eine natürliche Weiterentwicklung oder ein bewusster Schritt weg vom originalen CREED-Sound?

Brian Marshall:
Ich denke, es ist eine natürliche Evolution seitens der Band. Die erste CD wurde innerhalb von sechs bis acht Monaten fertiggestellt, wobei wir bei dieser Scheibe drei bis vier Jahre als Band zusammen sind, was schon einen gehörigen Unterschied darstellt. Ich denke, dass die Musik und die Texte um einiges düsterer ausgefallen sind als noch bei "One Day Remains". Vieles hat mit persönlichen und arbeitsrelevanten Unwägbarkeiten zu tun, die wir als Band und als Menschen durchgemacht haben.

Tolga:
Kannst du auf Einzelheiten eingehen? Persönliche Tragödien zum Beispiel.

Brian Marshall:
'Blackbird' wurde zum Beispiel von Myles (Kennedy, Sänger von ALTER BRIDGE - Anm. d. Verf.) verfasst und ist sehr persönlich gehalten. Es dabei um einen Freund von ihm, der mit einer Krankheit zu kämpfen hatte und ihr zum Opfer gefallen ist und mit der Hoffnung, dass er jetzt an einem besseren Ort ist. Wenn du dir die Texte zu 'Ties That Bind', 'Come To Life' und 'Brand New Start' anschaust, merkst du, dass diese sehr symbolisch gehalten sind und aufzeigen, was wir als Band durchgemacht haben, indem wir uns von unserem alten Label getrennt und eine neue Labelheimat gefunden haben. Im Grunde haben wir uns neu erfunden. 'Buried Alive' und 'Watch Over You' sind Songs, die sich mit verschiedenen Arten von Sucht auseinandersetzen; Süchtige und multiple Persönlichkeiten. 'Damage Done' hat übrigens die selbe Thematik.

Tolga:
Mit Myles, der ja auch Gitarre spielt, habt ihr einen richtigen Jackpot am Haken, oder?

Brian Marshall:
Definitiv! Er ist unser Jackpot.

Tolga:
Er hat eine einzigartige Stimme und steht somit nicht im Schatten von Scott Stapp. Darüber hinaus ist er ins Songwriting involviert. Wie seht ihr Myles im Vergleich zu Sängern wie Chris Cornell und - natürlich - Scott Stapp?

Brian Marshall:
Myles ist dahingehend einzigartig, dass er multitalentiert ist. Er ist so erfahren in Musikdingen und absolut umgänglich. Überdies war er eine riesengroße Bereicherung beim Songwriting zur aktuellen Scheibe. Das ist sehr offensichtlich und resultiert aus der nun eingeschlagenen Richtung. Wenn man sich unsere Vergangenheit anschaut, so ist unsere jetzige Arbeitsweise mit ihm komplett anders. Scott war sehr talentiert, ohne Frage. Myles ist ebenfalls talentiert, und wir versuchen uns von unserer Vergangenheit abzugrenzen. Nur um es nicht misszuverstehen: Wir schämen uns über unsere Vergangenheit in keinster Weise.

Tolga:
Stellen die ALTER BRIDGE-Lyrics einen Selbstheilungsprozess bzw. eine Reflexion von Mark und Myles dar?

Brian Marshall:
Ich denke schon, dass sie das darstellen. Myles hat die Texte für dieses Album verfasst. Mark war diesmal nicht so sehr darin involviert. Es ist sowohl für ihn als auch für uns als Band sehr persönlich. Jeder von uns kann seine Schlüsse aus den Texten ziehen. Ich denke, viele Leute haben ähnliches durchlebt: Verlust, Abhängigkeit oder das Wiederfinden in einer unkomfortablen Position, und der Versuch, das Beste daraus zu machen. Das sind schon universelle Themen. Ich denke, der Unterschied zwischen den Texten jetzt und denen in den CREED-Tagen, wobei dies nicht die Intention von Scott war, ist, dass er viel in seinen Texten gepredigt hat. Wir versuchen dahingehend eine Distanz zu wahren, dass die Musik und die Texte für sich selbst stehen und die Fans sich das aus den Texten ziehen können, was ihnen beliebt. Wir wollen nicht als Moralpostel dastehen und den Leuten erklären, was sie zu tun und zu lassen haben.

Tolga:
Ihr habt ja angesprochen, dass es drei Jahre gedauert hat bis ihr "Blackbird" einspielen konntet. Warum? Habt ihr in der Zeit viel getourt oder musstet ihr euch erst als Band finden?

Brian Marshall:
Wir sind ungefähr ein Jahr lang mit der "One Day Remains"-Scheibe getourt. 2006 haben wir offiziel mit dem Schreiben angefangen. Genau in dieser Zeit kamen die Schwierigkeiten mit unserem Label, was eine Menge Zeit in Anspruch genommen hat. Im Sommer 2006 waren wir noch auf einer Europa-Tournee. Zu Hause angekommen haben wir uns wieder ans Songschreiben gemacht und waren gleichzeitig beschäftigt, Labelangebote auszuloten. Wir mussten in der Zeit durch eine Menge Businessscheiße laufen, was du als Musiker so oder so machen musst. Es hat schon verdammt lange gedauert bis wir einen gescheiten Deal in der Tasche hatten, was erst zur Fertigstellung des Albums der Fall war. Obwohl es für uns schmerzhaft war, war es auf der anderen Seite auch gut so. Der Grund, warum das Album so klang, war auch in diesem ganzen Prozess, den wir durchlaufen hatten, begründet.

Tolga:
War die Erwartungshaltung bei "One Day Remains" oder bei "Blackbird" größer? Immerhin habt ihr vom Debüt 500.000 Einheiten allein in den USA verticken können.

Brian Marshall:
Ich denke, dass von unserer Seite her die Erwartungshaltung bei jedem Album unterschiedlich ist. "One Day Remains" war der Versuch und die Hoffnung etwas Neues zu kreieren. Etwas, was sich komplett von CREED unterscheidet. Damit war auch die Hoffnung verbunden, dass die Leute mit einer anderen Erwartungshaltung rangehen wie bei CREED. Es war schon ein Druck dahingehend vorhanden, dass wir ein gutes Produkt und gute Songs an den Mann/die Frau bringen wollten.
Bei diesem Album lastete eine schwere Last auf unseren Schultern, nach all dem was wir durchgemacht hatten. Der Druck sah dabei so aus, dass wir uns Gedanken darüber gemacht haben, ob wir in unserem Haus noch wohnen bzw. unser jetziges Auto noch fahren können.

Tolga:
Wie sieht's von der Publikumsseite her aus? Erwarten sie, dass ihr bei euren Gigs CREED-Songs spielt, oder vertretet ihr eher die Meinung nach dem Motto "Wir sind ALTER BRIDGE und spielen ausschließlich ALTER BRIDGE-Songs".

Brian Marshall:
Diesen Punkt haben wir von Anfang an unterbunden. Es gibt genug Leute da draußen, die noch nicht wissen was wir machen und dementsprechend mit der Haltung rangehen, CREED-Songs zu hören. Damit ALTER BRIDGE etwas Beständiges ist, war es für uns von Beginn an wichtig, dass wir keine CREED-Songs spielen. Wir möchten, dass die Fans ALTER BRIDGE ernst nehmen und hoffentlich auch genießen. Wir möchten das mit CREED-Songs nicht vermischen.

Tolga:
Wie war's mit 3 DOORS DOWN als Support in Europa zu touren? Ihr genießt ja in den USA einen größeren Status, oder?

Brian Marshall:
Mit 3 DOORS DOWN haben wir eine Tour durch kleine Hallen gemacht. Mit dabei war noch eine dritte Band namens SHINE DOWN IN THE MIDDLE, wobei man dazu sagen muss, dass 3 DOORS DOWN die Headliner waren und wir der Support-Act. Im Sommer 2006 entschlossen wir uns in Europa zu touren, und wie's der Zufall so wollte, waren 3 DOORS DOWN zu dem Zeitpunkt auch unterwegs. Dabei stellten wir fest, dass sich unser Tourplan überschnitt, weshalb es nahe lag, mit unseren Freunden erneut zu touren.

Tolga:
Ihr habt die kleinen Hallen erwähnt. Ist es nicht schwer für euch wieder in den kleinen Hallen zu touren und vermisst ihr die großen Arenen?

Scott Phillips:
Es ist ein zweischneidiges Schwert. Auf diesem Level ist es extrem schwer. Wir hatten kleine Bars mit lediglich vierzehn Leuten drin. In der selben Zeit gibt es nix Schöneres als so nah am Publikum zu sein und die puren Emotionen in ihren Gesichtern zu sehen. Das kann man nicht toppen! In einer großen Halle kommt es nicht so rüber. Es ist sehr schwer zu beschreiben. Live zu spielen ist so eine Sache. Zu den 22 Stunden vor dem Auftritt kann man so oder so stehen. Die zwei Stunden auf der Bühne jedoch machen alles wieder wett.

Tolga:
Ist es im Download-Zeitalter nicht schwer eine Tour zu buchen? Wenn man lediglich die Albumverkäufe nimmt, kann man nicht sagen, wie viele Leute eure Musik hören. Demzufolge bucht ihr kleine Clubs und es ist sehr oft – wie am heutigen Abend auch – ausverkauft. Geht euch da nicht durch den Kopf "Warum haben wir keine größere Halle gebucht"?

Brian Marshall:
Es ist definitiv schwer heutzutage. Man kann nicht sagen, wie viele Leute die Scheibe haben, weswegen wir mittlerweile unsere sechste oder siebte Tour seit Gründung von ALTER BRIDGE absolviert haben. Wir versuchen Schritt für Schritt an die Sache ranzugehen. Wir wachsen natürlich. So lang die Shows ausverkauft sind, denke ich schon, dass wir auf dem richtigen Weg wandeln.

Tolga:
Glaubt ihr, dass ihr, wenn ihr mit CREED vor drei oder vier Jahren gestartet wärt, so viele CDs verkauft hättet wie ihr es letzten Endes mit CREED getan habt? Immerhin war die Download-Problematik zu CREED-Zeiten nicht so gravierend wie sie es jetzt der Fall ist.

Brian Marshall:
Ich hab mit einigen Leuten aus dem Business gesprochen, und die meinen, dass man, wenn es die Download-Problematik nicht gäbe, heutzutage das Dreifache von dem verkaufen könnte was zurzeit die Regel ist.

Scott Phillips:
Es sind die dunklen Zeiten. Es ist hart zurzeit in der Musikindustrie tätig zu sein. Auf die Albumverkäufe können wir uns in diesen Zeiten nicht mehr verlassen. Mit Merchandise und dem Touren können wir hoffentlich die entstandene Lücke schließen.

Tolga:
Denkt ihr, dass die Maßnahmen der Labels, wie Extra-CDs und Limited Editions, etwas bringen?

Brian Marshall:
Offensichtlich schon. Für die Die-Hard-Fans und die Sammler, die Wert auf Sammlerstücke legt, ist es auf jeden Fall eine tolle Sache sich alles zuzulegen, was von seiner Lieblingsband veröffentlicht wird. Es hilft schon die CD-Verkäufe anzukurbeln. Auf der anderen Seite gibt es noch einige Plattenfirmen, die sich den neuen Medien gegenüber nicht öffnen. Und darauf haben wir beim neuen Deal Wert gelegt, dass das Label den Puls der Zeit fühlt und sich dem Medium Internet gegenüber aufgeschlossen zeigt. In der Hinsicht war Universal die richtige Wahl für uns.

Tolga:
Was haltet ihr davon, dass RADIOHEAD ihr neues Album auf ihrer Homepage reingestellt und ihre Fans dazu aufgefordert haben, das zu zahlen, was ihnen das Album wert ist? Das Maximum betrug dabei hundert Dollar. Ist das die Zukunft der Musikindustrie?

Brian Marshall:
Ich weiß es nicht! Ich weiß nicht, wie erfolgreich diese Aktion war.

Tolga:
Soweit ich weiß, ging das sehr erfolgreich über die Bühne. Jeder, der sich das Album downgeloaded hat, hat auch einen bestimmten Betrag überwiesen. Einige Fans befanden das Album sogar für so gut, dass sie den Maximalbetrag in Höhe von hundert Dollar transferiert haben.

Brian Marshall:
Das klingt zumindest sehr interessant. Ich weiß nicht, ob das die Zukunft darstellt oder nicht. Schön für RADIOHEAD, dass sie in der Industrie einiges zum Rollen gebrach haben.

Scott Phillips:
Ich glaube, PRINCE hatte seinem letzten Werk bei den ersten tausend CDs Tickets beigefügt, damit sie sich eine Show von ihm anschauen. Ich denke, dass die Musiker heutzutage die Konsumenten stärker in ihre Musik einbinden müssen. In der Hinsicht ist iTunes ein großer Vorreiter.

Tolga:
Es zeigt auf, dass die Leute heutzutage schon bereit sind für Musik zu zahlen.

Brian Marshall:
Ich denke, wir müssen es ähnlich handhaben wie PRINCE, dass die Leute, die etwas kaufen, noch was obendrauf bekommen und somit für ihren Kauf belohnt werden, was sie davon abhalten sollte die Musikdateien vom Computer ihres Freundes runterzusaugen. Ich glaube, unserer nächsten CD fügen wir Autoschlüssel bei. (Schallendes Gelächter aller Beteiligten)

Tolga:
Habt ihr zum Ende hin euren Fans noch etwas mitzuteilen?

Brian Marshall:
Checkt das Album an! Wir sind sehr stolz darauf und haben eine Menge hinein investiert und mussten einiges dafür durchmachen. Ich hoffe, es gefällt jedem und wir bedanken uns für die Unterstützung der Fans. Es ist sehr loyal wieder durch Europa zu touren.

Scott Phillips:
Im Mai/Juni werden wir Festivalshows absolvieren (was beim Erscheinen des Interviews schon der Fall gewesen ist - Anm. d. Verf.) und im Gespräch ist eine weitere Europatour im November (was auch in trockenen Tüchern ist, nachzulesen bei unseren Tourdaten - Anm. d. Verf.)

Tolga:
Ich wünsche euch weiterhin viel Erfolg und eine gute Show. Die Show in München am Vorabend muss sehr gut gewesen sein, sofern man einem Fan Glauben schenken darf. Er bezeichnete es als den besten Gig, den er jemals von euch gesehen hat.

Brian Marshall:
Wir spielen jeden Abend die selbe Show, aber die Zuschauer machen für uns den Unterschied.

Scott Phillips:
Ich kann ehrlich und ohne Umschweife behaupten, dass es zurzeit die besten Shows in meiner Karriere sind.

Redakteur:
Tolga Karabagli

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