BLACKFIELD: Interview mit Aviv Geffen

18.09.2013 | 10:58

Aviv Geffen ist mittlerweile BLACKFIELDs Sprachrohr. Anlässlich des neuen Albums trafen wir uns mit dem introvertierten Künstler zur Bestandsaufnahme.

Interviews für BLACKFIELD werden längst nicht mehr in muffigen Backstage-Räumen oder Tourbussen abgehalten und so folgen wir der Einladung ins Kölner Hyatt-Hotel, um Aviv Geffen etwas auf den Zahn zu fühlen. Der Medienrummel um den israelischen Popstar wird auch hierzulande immer größer, weswegen an diesem Montag außer mir fast nur Vertreter von Radio oder Mainstream-Medien einen Stück vom Interview-Kuchen haben wollen.

 

 

Nils: Haben wir mittlerweile zu Israel aufgeschlossen, wo du ja viel bekannter bist als in Europa?

Aviv: Ich würde sogar behaupten, dass es hier mittlerweile mehr ist. Die Medienlandschaft ist natürlich viel größer, in Israel gibt es quasi bloß zwei Zeitungen und eine Handvoll Websites, die über mich berichten.

In Israel spielt Radio dafür eine andere Rolle als bei uns. Hattest du je Probleme, weil deine Texte Kritik am Regime üben?

Nein, die Menschen respektieren mich und die Ideen, die ich habe. Außerdem habe ich dort eine sehr große Fanbase, so leicht kann man mich nicht aufhalten.

Reden wir über das neue BLACKFIELD-Album "IV". Haben sich die Rollen von dir und Steven Wilson dahingehend geändert, dass es immer mehr zu deinem Projekt wird?

Die meisten Songs für BLACKFIELD habe schon immer ich geschrieben, aber seit unserem dritteln Album "Welcome To My DNA" sind die Rollen tatsächlich noch einmal anders geworden und ich schreibe sämtliche Songs. Als wir mit BLACKFIELD begonnen haben, war ich Steven gegenüber ziemlich schüchtern, muss ich gestehen. Da sich das aber geändert hat, habe ich in vielen Dingen die Freiheit, die ich benötige.

Als ihr 2004 damit begonnen habt, kanntet ihr euch ja kaum. Wie sehr hat sich die Chemie seither verändert?

Mittlerweile sind wir sehr gute Freunde geworden, die Arbeit ist entspannter. Er hat seine Solo-Karriere, ich habe meine, und eine Schnittmenge davon gipfelt in BLACKFIELD. Wie bei einer großen Liebe gewissermaßen. So können wir beide unsere Trademarks einbringen. Steven sein Gitarrenspiel und ich beispielsweise die ruhigen Klavier-Passagen und Orchestrierungen.

Ist BLACKFIELD für dich überhaupt noch ein Nebenprojekt?

Nein, es ist schon meine Hauptbeschäftigung geworden. Mein letztes Soloalbum kam 2009 raus, seitdem konzentriere ich mich mehr oder weniger auf BLACKFIELD.

Wenn du die künstlerische Perspektive vergleichst - gibt es einen Unterschied zwischen Aviv Geffen solo und BLACKFIELD?

BLACKFIELD hat seine eigene Gestalt angenommen, was man den Songs auch anhört. Sie haben so eine dunkle, aber dennoch zarte Seite. Diese Dramaturgie gibt es bei meinen anderen Songs normalerweise nicht, hier passt es aber. Damit haben wir anscheinend einen Nerv getroffen und einen Sound, der nicht wie die nächste amerikanische oder britische Band klingt. Wir sind anders. Und dazu stehen wir auch.

Meiner Meinung nach hat jedes Album seine eigene Stimmung, wie hat sich "IV" für euch angefühlt?

Man kann auf diesem Album hören, dass ich mich weiterentwickelt habe und ehrgeiziger geworden bin. Und auch musikalisch mutiger - die letzte Nummer ist ja schon beinahe Dubstep. Und ich liebe diese gewonnene Freiheit wirklich sehr!

Da muss ich dir zustimmen, ihr klingt selbstbewusster als noch auf "Welcome To My DNA", das in der Tat sehr introvertiert klang. Dann lass uns doch über ein paar Songs reden. Beim ersten Track 'Pills' geht es doch um die moderne Gesellschaft und den Konsum-Eskapismus der Menschen, die sich irgendwie aus der Realität flüchten wollen.

Ja darum geht es. Wir Menschen entfernen uns jedes Jahr ein Stück weiter von dem, was uns eigentlich ausmacht. Wir sind alle ständig auf Pillen. Wenn du Sex haben möchtest, gibt es eine Pille dafür. Willst du glücklich sein, gibt es auch dafür Pillen. Für mich ist diese Entwicklung aber eher verstörend, denn so werden wir immer mehr zu Robotern.

Unterscheiden sich Europa und Israel in dieser Hinsicht? Ich würde vermuten, dass die politische Lage in Israel eine andere Grundstimmung bei vielen Menschen auslöst.

Um ehrlich zu sein, Tel Aviv ist eine der fortschrittlichsten und modernsten Städte der Welt. Damit ist selbst Köln hier nicht vergleichbar. Ich bin wirklich verrückt nach dieser Stadt! Letztes Jahr gab es zum Beispiel eine große Schwulenparade - auch in dieser Hinsicht ist Israel offen und tolerant wie kaum ein anderes Land.

Ein großer Kontrast hinsichtlich der religiösen Ausrichtung, oder nicht?

Weißt du, in Israel geht es nicht vielen Menschen um Religion. Es gibt viele Atheisten wie mich, die einfach ihr Leben leben wollen, ohne sich von geistlichen Autoritäten hineinreden lassen zu wollen.

Als Außenstehender denkt man zumindest, dass das eine große Rolle spielt.

Ich muss dich leider enttäuschen, wir reiten nicht mehr auf Kamelen durch die Wüste.

Bevor wir zu weit vom Thema abkommen, lass uns über den Song 'Firefly' sprechen. Wenn ich den Text richtig deute, geht es darum, dass nicht alles in der Welt eine Bedeutung haben muss. Wie eben die Glühwürmchen. Sie sind nett anzuschauen, treiben aber umher und streben nicht in eine bestimmte Richtung. Stattdessen werden sie vom Wind getragen.

Es geht wieder einmal um uns. Wir Menschen sind wie die Glühwürmchen, alles bloß kleine Lichter, die denken, sie kennen die ganze Welt. Aber eigentlich können wir nur unsere nähere Umgebung betrachten und darauf hoffen, dass uns der Wind woanders hin weht. Darüber hinaus ist das Leben ziemlich kurz. Da fand ich das Bildnis dieser kleinen Tiere ganz passend.

Liegt es deiner Meinung nach nicht auch in der Natur des Menschen, eben diesen Zustand zu ändern und sich stattdessen selbst eine Richtung zu geben? Schau dir doch die Unruhen in der Türkei oder in Ägypten an.

Wir können es aber nicht! Seit dem ersten Tag bemühen wir uns, den Dingen eine Ordnung zu geben. Gute Noten in der Schule, eine nette Partnerin heiraten, die Eltern ehren. Alles soll innerhalb gewisser Rahmenbedingungen ablaufen. Insgeheim wissen wir aber, dass wir eigentlich von chaotischen Zuständen bestimmt werden. Diese Vergänglichkeit spielt für mich eine große Rolle bei BLACKFIELD. Wenn wir beide in einigen Jahren sterben, werden wir uns kaum daran erinnern, dass wir hier zusammengesessen und geredet haben. Das Leben ist doch verrückt!

Auf dem Album hast du ein paar tolle Gäste versammelt. Wurden die Songs extra für sie geschrieben oder wie kam es zu den Gastauftritten?

Die Songs existierten erst als Demos, die ich dann gemeinsam mit Steven aussortiert habe. aus 25 Songs wurden dann 11, die jetzt auf dem Album sind. Danach kam mir die Idee, doch ein paar Gäste einzuladen. Das waren letztendlich Musiker, die ich selbst sehr bewundere.

Eine gute Idee! Der Song mit Vincent Cavanagh ('XRay') könnte tatsächlich auch von ANATHEMA stammen, findest du nicht?

Das sehe ich ähnlich. Der Song verbreitet eine sehr offene Atmosphäre, Vincents Gesang passt hervorragend dazu.

Du sagtest gerade, dass du einige deiner Lieblingsmusiker ins Studio holen wolltest. Was für Musik hörst du denn ansonsten?

Zu Hause höre ich ausschließlich gute Reggae-Songs. Reggae und Hip Hop (lacht). Das war natürlich ein Scherz. Ich hasse Reggae. Am meisten höre ich vermutlich Metal. Ich stehe total auf BURZUM. Seine Musik ist sehr interessant. Dann mag ich MESHUGGAH, höre gelegentlich aber auch Jazz. Ich möchte mich da nicht künstlich einschränken und meinen Musikgeschmack katalogisieren.

Da stimme ich dir zu, aber ich finde es immer interessant mit Musikern darüber zu reden und zu schauen, ob sich die Hörgewohnheiten auch stark in der Musik widerspiegeln. Das kann ich bei dir nicht feststellen - BLACKFIELD klingt nicht gerade nach BURZUM oder MESHUGGAH.

Nein aber MESHUGGAH ist einfach gut produziert und klingt richtig gut. Wir spielen ja auch kein Metal, aber finden seltsamerweise immer in der Metalpresse statt. Ich würde sagen, wir spielen gut gemachte und durchdachte Popmusik.

Das mit der Presse kann ich insofern gut nachvollziehen, als dass ich bewusst eher keine Popmusik mag. Wenn aber Künstler, die ich sehr schätze, wie beispielsweise Steven Wilson sich in andere Genres bewegen, kann ich mir das oft anhören. Da geht es mehr um den künstlerischen Ausdruck, nicht so sehr um die bloße Musik. Popmusik aus dem Radio ist meistens hohl, ohne tiefere Bedeutung oder Anspruch. Und das ist eben bei BLACKFIELD anders.

Ja, das kann ich gut verstehen.

Du hast vorhin gesagt, dass ihr fast 30 Songs zur Auswahl hattet, elf davon haben es aufs Album geschafft. Waren die anderen Nummern nicht gut genug oder ging das Material in eine andere Richtung?

Ich hatte das Gefühl, dass die übrigen Songs nicht so recht zum Album passen. Einige davon waren zu poppig, andere wiederum zu düster oder zu komplex.

Ich frage, weil das Album ja mit 32 Minuten nicht gerade zu den längsten LPs gehört.

Ja, ich weiß. Man sollte Kunst aber nicht in Minuten bewerten.

Das hatte ich auch nicht vor, es ist mir bloß aufgefallen.

Weißt du, ich mag kurze Songs. Dementsprechend ist das Album auch kurz ausgefallen. Wichtig ist, dass die Message rüberkommt, unabhängig von der Länge.

Die meisten Songs sind in der Tat sehr "straight forward", und angenehm zu hören. Stevens Material ist für gewöhnlich ausufernder, nicht so leicht zu erschließen.

Das ist nicht so mein Ding. Welcher ist denn dein Lieblingssong?

Ich mag 'Pills' und 'Jupiter' sehr gerne. In der Hinsicht habt ihr mich überrascht, denn 'Jupiter' ist recht weit weg von meinen üblichen Hörgewohnheiten, trotzdem hat die Nummer etwas ganz spezielles.

Dazu haben wir auch einen Videoclip gemacht, den solltest du dir mal ansehen!

Das werde ich tun. Viele eurer Texte handeln von zwischenmenschlichen Beziehungen. Basieren die Songs auf Erlebnissen aus der Vergangenheit oder sind sie fiktiv?

Es kann manchmal fiktiv sein, aber meistens beschäftige ich mich mit grundlegenden Fragen und erarbeite im jeweiligen Song verschiedene Gedankengänge dazu. Oft drehen sich diese Gedanken um die Liebe, wo aus einer vermeintlich einfachen Situation die unterschiedlichsten Dinge werden können.

Du hast gerade gesagt, dass einige der Songs nicht so recht ins Schema passen wollten. Was war denn die Marschroute für das neue Album? Und gilt das auch für kommende Veröffentlichungen, oder könnte es da etwas vollkommen anderes geben?

Ja, das könnte passieren. Steven und ich sind frei in der Entscheidung, denn BLACKFIELD ist ein sehr aufgeschlossenes Projekt und lässt sich nicht einfach in eine Schublade einordnen.

Also ist es eine Momentaufnahme, dass ihr viele homogene Songs auf dem Album haben wolltet.

Richtig.

Im März habe ich mit Steven Wilson gesprochen und er hat viel Wert darauf gelegt, dass es für ihn ermüdend ist, sich zu wiederholen. Du scheinst vom gleichen Schlag zu sein. Tickt ihr wirklich so ähnlich?

Ich würde schon sagen, ja. Wobei mir auch wichtig ist, dass eine klare Linie erkennbar ist. Wenn ein Musiker sich in zu vielen unterschiedlichen Projekten verdingt, verliert man sich irgendwann selbst. Deswegen verwende ich auch so viel Zeit auf BLACKFIELD. Für mich ist BLACKFIELD das neue PORCUPINE TREE. Meine Konzentration gilt ganz diesem Projekt und ich möchte mich nicht zu sehr ablenken lassen.

In dieser Hinsicht ist er etwas anders, neben seiner Soloband arbeitet er oft mit verschiedenen Bands zusammen.

Genau, die ganzen Remaster-Sachen, die er so macht und die BLACKFIELD 5.1-Mixes etc.

"IV" ist das erste Album BLACKFIELDs, das von dir produziert wurde. Wie habt ihr euch im Vorfeld darüber verständigt?

Eigentlich gab es gar nicht so viel zu produzieren. Es ging vielmehr um die endgültigen Entscheidungen, eine Idee zu verwenden oder eben nicht. Es hat sich also nichts wirklich geändert.

Hast du Lieblingssongs?

Nein, würde ich nicht sagen. Ich mag 'Pills' und 'Jupiter', aber alle anderen gefallen mir auch.

Wie steht es mit den anderen LPs, hast du da einen Favoriten?

"Welcome To My DNA"! Das meiner Meinung nach rundeste Album, das wir bisher gemacht haben.

Hattet ihr den Eindruck auch als ihr es aufgenommen habt? Schließlich ist es die einzige Platte ohne die fortlaufende Nummerierung.

"Welcome To My DNA" war ein Wendepunkt für BLACKFIELD, wir entwickeln uns immer weiter. Aber auf diesem besagten Album habe ich mich als Künstler stärker emanzipiert, während Steven vorher so etwas wie ein großer Bruder für mich war. Seit dem dritten Album bin ich bei BLACKFIELD tonangebend.

Hörst du dir deine eigene Musik noch an, nachdem ein Album fertig ist? Ich treffe immer wieder Musiker, die erstmal eine Weile Abstand brauchen.

Nein, nicht wirklich. Man hat mit den Songs so viel zu tun, dass man es zur Veröffentlichung nicht mehr hören kann.

Wird man euch in Zukunft wieder auf der Bühne zusammen sehen können?

Absolut! Im Februar nächsten Jahres werden wir touren. Und zwar hier in Europa und in den Staaten.

Noch eine Frage zur Tour: Werdet ihr eine Band ins Vorprogramm nehmen?

Ja, auf jeden Fall. Wir denken gerade darüber nach, wer am besten zu uns passen könnte.

Ist dir bei euren Shows eine große Produktion mit Licht etc. sehr wichtig, so wie man es bei Stevens Solo-Shows sieht?

Ich bin da eher minimalistisch eingestellt, denn bei BLACKFIELD geht es um Songs. Nicht um Technik oder um eine große Show.

Magst du die Kontraste bei Konzerten? In Israel bist du ein Popstar und spielst vor riesigen Menschenmengen, mit BLACKFIELD sind die Clubs eher kleiner.

Auch mit BLACKFIELD füllen wir mittlerweile größere Hallen, teilweise 1000 bis 2000 Menschen pro Konzert. Ich hätte mir nie vorstellen können, mit Steven so viele Fans zu haben. Der Erfolg macht mich wahnsinnig stolz.

 

Bildmaterial: Chiko Ashkenazi / Kscope

Redakteur:
Nils Macher

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