CRYPTOSIS: Interview mit Laurens Houvast

05.03.2025 | 22:26

Vom bionischen Schwarm zum himmlischen Tod? Unsere niederländischen Freunde von CRYPTOSIS haben ihrem ohnehin schon tollen Debüt nun einen kongenialen Nachfolger an die Seite gestellt. Und "Celestial Death" hat es mächtig hinter den Ohren, wie uns Laurens Houvast, Sänger und Gitarrist des gewaltigen Abrisskommandos, erzählt. Es geht um die Technologie der Zukunft, das Chaos auf Mutter Erde, Widerstand und Verzweiflung sowie die Wanderung ins Licht – hui, hier gehts ab!

Hallo Laurens. Wie geht es euch, wie läuft es im Moment im Lager von CRYPTOSIS?
Hallo Marcel, danke, dass wir hier sein dürfen! Uns geht's super. Die Aufregung im CRYPTOSIS-Lager ist auf einem Allzeithoch, da die Veröffentlichung von "Celestial Death" vor der Tür steht. Nachdem wir 2021 unser Debütalbum "Bionic Swarm" veröffentlicht haben, können wir es kaum erwarten, das neue Kapitel unserer Musik aufzuschlagen.

Seitdem sind fast genau vier Jahre vergangen. Kannst du mir ein kleines Update geben, was bei euch abgesehen von der "The Silent Call"-EP noch so passiert ist?
Es ist in der Tat schon eine Weile her seit unserem Debüt. Natürlich gab es zu Beginn die COVID-Pandemie, so dass es keine Möglichkeit gab, Shows zu spielen oder überhaupt zu touren. Wir starteten unsere erste Tour Ende 2022, um unser Album zu promoten, das damals schon 1,5 Jahre alt war. Ein paar Monate vor dieser Tour begannen wir aktiv mit dem Songwriting-Prozess. Seit der Veröffentlichung von "Bionic Swarm" waren wir damit beschäftigt, unseren Sound und uns künstlerisch weiterzuentwickeln. Wir haben 2023 die EP "The Silent Call" veröffentlicht, die einen Vorgeschmack auf unsere musikalische Richtung gab, aber unser Hauptaugenmerk lag auf dem Schreiben von "Celestial Death". Jetzt, mit diesem neuen Album, haben wir die Möglichkeit, zur besten Zeit auf Tour zu gehen und diese Songs so schnell wie möglich auf der Bühne zum Leben zu erwecken.

Ich mochte euren futuristischen, progressiven Stil des Thrash Metals schon auf dem ersten Album sehr. Wie sehr waren Pioniere wie VOIVOD, VEKTOR oder CORONER die Inspiration für euren Sound, wie sehr haben euch diese Bands beeinflusst?
Diese Bands, zusammen mit vielen anderen, haben vielleicht bewusst oder unbewusst eine Rolle dabei gespielt, unsere Herangehensweise an das, was jetzt CRYPTOSIS ist, zu formen. Wir lassen uns von vielen Quellen inspirieren, von denen wir viele unbewusst in unseren Songwriting-Prozess einfließen lassen. Zunächst einmal hören wir natürlich alle Metal, aber abgesehen davon gibt es zwischen allen Bandmitgliedern Unterschiede, was andere Genres angeht. Marco steht mehr auf Heavy Metal, Thrash Metal, Hard Rock und Death Metal, während Frank mehr auf Avantgarde, Atmosphärisches, Black Metal und elektronische Musik steht. Ich stehe mehr auf Progressive, Black Metal und technische Musik. Wir sind große Fans von MASSIVE ATTACK, KLAUS SCHULZE, JEAN-MICHEL JARRE, VANGELIS, TRENTEMOLLER, DEAD CAN DANCE und vielen anderen, wenn wir über Dinge sprechen, die nichts mit Metal zu tun haben.

Ihr habt mit "Celestial Death" ein neues Album in der Pipeline, bei dem Fredrik Folkare für den Mix und Tony Lindgren für das Mastering verantwortlich waren. Das kann man auf dem Album hören. Wie war es für dich, mit so erfahrenen Kollegen an deinem zweiten Album zu arbeiten?
Die Methode bei den Aufnahmen zu "Celestial Death" war mehr oder weniger die gleiche wie bei "Bionic Swarm". Wir haben bei beiden Alben das gleiche Team eingesetzt (Aufnahme, Mix und Master). Wir hatten mit Olaf Skoreng bei den Aufnahmen unseres Debütalbums zusammengearbeitet. Er ist nicht nur ein wirklich großartiger Tontechniker und weiß, wie Musik wirklich funktioniert, er ist auch ein persönlicher Freund der Band. Er kennt also unsere Fähigkeiten und Schwächen, weiß, wie man die besten Takes von jedem einzelnen Bandmitglied bekommt und wie man die Songs mit ein paar coolen Effekten, Ideen und kreativen Visionen noch ein bisschen aufwertet. Was den Tontechniker Fredrik Folkare betrifft, so wussten wir, dass er unseren Sound versteht und wirklich gut weiß, wie er mit dem Material, das wir ihm geschickt haben, eine Atmosphäre schaffen kann. Der Schlagzeugsound auf diesem Album ist meiner Meinung nach fantastisch. Was das Mastering angeht, so ist Tony Lindgren einfach einer der Besten in der Branche heutzutage.

Welche Ziele habt ihr euch für dieses Werk gesetzt? Und folgt "Celestial Death" einem übergreifenden Thema, einem roten Faden, der sich konzeptionell durch das Album zieht?
Für uns sollte es eine Weiterentwicklung von "Bionic Swarm" sein, die melodischer, reifer und experimenteller klingt. "Celestial Death" steht für das Ende einer Realität und das Entstehen einer anderen, wobei die transformative Kraft von Enden, die zu neuen Anfängen führen, betont wird. Es symbolisiert die Auflösung alter Überzeugungen, Systeme und Existenzweisen und macht Platz für etwas Größeres oder Erleuchtetes. Im Kontext des rasanten technologischen Fortschritts, wie z.B. der Künstlichen Intelligenz, befinden wir uns in einer Welt, die sich selbst noch definiert. Dieses Album ist unsere künstlerische Auseinandersetzung mit diesem Übergang und fängt die Essenz des Wandels und die grenzenlosen Möglichkeiten ein, die vor uns liegen.

Das Artwork gefällt mir extrem gut und es passt perfekt zur Musik. Was sagt es außerdem aus, welche Assoziationen hattet ihr mit dem Cover?
Für das Album-Artwork haben wir Eliran Kantor (KREATOR, TESTAMENT, MY DYING BRIDE) gebeten, sich die Demos unserer Musik anzuhören und ihm gesagt, worum es auf dem Album geht. Wir gaben ihm völlige Freiheit, dies in ein Bild zu übersetzen.
Eliran selbst kommentiert: "Die Menschheit und ihre Erinnerungen zerfallen zu digitalem Staub. Das ist der Hauptteil des Konzepts, dem ich ein Gesicht geben wollte. So wie sich die Retro-Futuristen den heutigen "digitalen Staub", also Pixel, Bits und Bytes, binäre Codes und Kompressionsartefakte, nicht vorstellen konnten (also stellten sie die Zukunft mit glänzendem Metall und Röhren dar), habe ich versucht, mir die Pixel/Codes/Artefakte dessen vorzustellen, was kommen wird, wenn Realität und virtuelle Welt verschmelzen und die Grenzen verschwimmen. Ich habe vor ein paar Monaten eine Podiumsdiskussion über automatisch generierte Kunst und Musik gehalten, in der ich argumentierte, dass Programmierer sich den künstlerischen Prozess ähnlich wie eine Computerübung vorstellen, bei der Einflüsse und Referenzen kombiniert werden, um etwas Neues zu schaffen und "kreativ" zu sein, während sie ignorieren, dass die Gründe und die Art und Weise, wie wir Menschen bestimmte Momente, Ideen und ja, Einflüsse und Referenzen auswählen, nicht nur darin liegen, dass sie Anhaltspunkte dafür sind, wie man etwas akkurat darstellen kann, sondern dass wir sie auch aufgrund der biochemischen Reaktion, die wir von ihnen bekommen, auswählen und so behandeln, wie wir es tun, d. h. mit Gefühlen und Emotionen. Es ist das, was ein Stück Kunst und Handwerk von "gut gemacht" zu bedeutungsvoll, zeitlos und persönlich beeindruckend macht. Was wäre also, wenn die Technologie der Zukunft versuchen würde, diesen biochemischen Vorteil der menschlichen Erfahrung zu überwinden, indem sie dem automatisierten Prozess eine chemische Reaktion hinzufügt? Und das wäre dann der "digitale Staub", der die Grenze, um die es in dem Album geht, völlig verwischen wird. Also habe ich die Auswirkungen von flüssigen Partikeln und Formen studiert, und was passiert, wenn wir sie umkehren (um die sich auflösende Version von ihnen zu erhalten), so dass die Realität nicht in blankes Schwarz (die Leere in der realen Welt), sondern in blankes Weiß (die Leere in der synthetischen Welt) verschwindet."

Ein spannendes Thema. Dazu ist die Reise auf "Celestial Death" melodisch und cineastisch, aber auch hart und düster - inwieweit hat das aktuelle Weltgeschehen, das Chaos auf Mutter Erde, das Songwriting beeinflusst?
Es sind faszinierende Zeiten, voller schneller technologischer Fortschritte und großer Veränderungen in der Art und Weise, wie die Gesellschaft funktioniert, was sie zu einem spannenden Thema macht, über das man schreiben kann. Futuristische Themen inspirieren uns, weil sie unendliche Möglichkeiten aufzeigen, bei denen man sich von seiner Fantasie leiten lassen kann. Der Himmel ist die Grenze. Wir befinden uns gerade mitten in einem gewaltigen Wandel von einer traditionellen zu einer digitalen Welt. Dinge wie künstliche Intelligenz und Automatisierung verändern fast jeden Bereich unseres Lebens. Das Positive daran ist, dass diese Fortschritte erstaunliche Möglichkeiten bieten und das Leben bequemer und effizienter machen. Aber es gibt auch eine andere Seite. Wir werden immer abhängiger von der Technologie, und das wirft wichtige Fragen auf. Zum Beispiel verändert sich die Art und Weise, wie Menschen miteinander umgehen. Wir verbringen Stunden am Telefon, und echte Gespräche von Angesicht zu Angesicht finden immer seltener statt. Die Menschen scheinen heutzutage sogar Angst zu haben, mit einem Fremden zu sprechen. Mit unseren Texten wollen wir keine Meinungen aufdrängen. Stattdessen wollen wir die Hörer auf diese Veränderungen aufmerksam machen und sie dazu anregen, darüber nachzudenken, was das alles bedeutet. Wie sie ihr Leben leben wollen und was für sie wichtig ist. Jeder muss selbst entscheiden, wie er dazu steht. Uns geht es nicht darum, Antworten zu geben, sondern Ideen anzuregen und ein Gespräch zu beginnen.

Das schafft ihr auf jeden Fall! Was genau ist mit dem Titel 'Faceless Matter' gemeint - ist es eine Metapher? Zumal mir auch dieser Opener sehr gut gefällt.
Ja, 'Faceless Matter' ist eine Metapher für den Verlust der Individualität in einer Welt, in der künstliche Intelligenz tief in das menschliche Bewusstsein integriert wurde. Der Song thematisiert die Idee, dass die Menschheit ihre einzigartige Identität verloren hat und Teil eines homogenen, kollektiven Geistes geworden ist. Der Titel steht für den existenziellen Kampf, auf die bloße Materie reduziert zu werden. Lebendig, aber gesichtslos, namenlos und ununterscheidbar vom Rest.

Die Mischung aus Black Metal und symphonischen Elementen in 'Static Horizon' ist sehr eingängig. Dennoch ist das Gefühl, das hinter dem Song steht, sehr beklemmend. Kannst du erklären, was mit der statischen Realität gemeint ist?
Das Konzept von 'Static Horizon' handelt von einer dystopischen Gesellschaft, in der Freiheit und Privatsphäre komplett abgeschafft wurden. In dieser Welt sorgen fortschrittliche Technologie und ständige Überwachung dafür, dass alle Individuen jeglicher Form von Autonomie beraubt werden, um die absolute Kontrolle durch die herrschende Macht zu gewährleisten. Der Protagonist, der einst vom Widerstand träumte, erkennt die Vergeblichkeit der Rebellion, da jeder Akt der Auflehnung sofort niedergeschlagen wird. Es symbolisiert die Akzeptanz eines Daseins, in dem Nachgiebigkeit der einzige Weg nach vorne ist, da Widerstand nur zur Verzweiflung führt.

Das Album endet mit 'Coda' und der Wanderung ins Licht - steht es für einen Neuanfang, wenn man sozusagen wiedergeboren wird, oder für den Tod, wenn man ins Licht geht?
Beide Interpretationen sind möglich. Es ist ein Schluss, der den Hörer zum Nachdenken und zur Reflexion anregt. Sind wir auf dem Weg zur Transzendenz oder verschwinden wir einfach im Nichts?

Gute Frage! Zumindest geht es zuvor im Mai/Juni mit den Veteranen von ONSLAUGHT auch durch Deutschland. Worauf können wir uns freuen und wie ist es für dich, mit solchen Größen auf Tour zu sein?
Unsere Europatournee wird vom 29. Mai bis zum 14. Juni gehen und wir werden natürlich auch Deutschland besuchen! Mit ONSLAUGHT zu touren ist eine große Ehre für uns! Sie sind Legenden in der Thrash-Metal-Szene, und die Bühne mit ihnen zu teilen, wird großartig sein. Die Fans können eine intensive, energiegeladene Show mit vielen Songs vom neuen Album "Celestial Death" und einigen Songs von unserem Debüt "Bionic Swarm" erwarten.

Deutschland und die Niederlande grenzen zwar aneinander, aber die holländische Metalszene ist mir noch nicht so erschlossen. Was hältst du von der Szene in deinem Heimatland, hat der Metal einen ähnlichen Hype wie in Deutschland?
Die Metalszene in den Niederlanden ist großartig. Wir haben hier viele wirklich gute Bands wie DOOL, HELLERUIN, GOD DETHRONED, FLUISTERAARS, ASPHYX, CARACH ANGREN, URFAUST, VERWOED, GOREFEST. Aber auch Mainstream-Vertreter wie EPICA, WITHIN TEMPTATION und THE GATHERING sind Bands, die den niederländischen Metal über die Landesgrenzen hinaus bekannt machen.

Absolut, was möchtest du unseren Lesern und euren Fans noch mitteilen?
Danke, dass wir bei POWERMETAL.de zu Gast sein durften, Marcel! Wir hoffen, dass ganz Deutschland seine Gedanken zu dieser Platte teilen wird. An alle Leser und Fans da draußen: Wir haben unser Herz und unsere Seele in "Celestial Death" gesteckt und wir hoffen, dass es euch auf mehreren Ebenen anspricht. Ihr solltet uns auf jeden Fall in Deutschland oder den Niederlanden auf Tour besuchen. Wir sehen uns!


Fotocredits: Maaike Ronhaar (erstes) und Ewout Scholte Op Reimer (zweites)

Redakteur:
Marcel Rapp

Login

Neu registrieren