Demo-Klassiker (3): SIEGES EVEN "Repression And Resistance" (1988)
21.01.2024 | 21:27Auf zu neuen Ufern
Nachdem es eine Weile still war in unserer Reihe "Demo-Klassiker", soll der Faden nun wieder aufgenommen werden. Wir öffnen unsere Schatzkiste für euch ein weiteres Mal und möchten das Jahr 2024 mit der Besprechung eines waschechten Klassikers aus Deutschland beginnen, der heute noch von vielen zu Recht verehrt wird. Es handelt sich um das dritte Demo der Münchner Progressive-Metal-Band SIEGES EVEN mit dem Titel "Repression And Resistance" aus dem Jahr 1988. Wenn hier von Progressive Metal die Rede ist, so gilt das im Falle von SIEGES EVEN im Grunde genommen nur für eine relativ kurze Phase. Denn kaum eine Band hat sich im Laufe ihrer Geschichte stilistisch so sehr verändert wie SIEGES EVEN. Auf den ersten beiden Demos "Demo 1986" und "Bootleg Kassette 1987" kann von Progressivität eigentlich noch keine Rede sein. Geboten wird relativ straighter Thrash Metal mit gelegentlichen Hardcore-Einflüssen. Auf "Repression And Resistance" aus dem Jahr 1988 ist die Musik plötzlich deutlich anspruchsvoller, ein Break löst das andere ab und die Darbietung ist virtuos; sogar so virtuos, wie man es zuvor noch von keiner europäischen Metal-Band auf einem Demo gehört hatte. Hier hat eine Band ihren Stil gefunden und ein spielerisches Niveau erreicht, das einen noch heute staunen lässt. Der oft bemühte Vergleich mit WATCHTOWER kommt nicht von ungefähr, denn beide Bands boten damals extrem verschachtelten und technisch brillanten Thrash Metal, aber dennoch gibt es doch auch große Unterschiede etwa in der Rhythmik, der Produktion und natürlich auch im Gesang. In puncto Kompromisslosigkeit, Innovationskraft und künstlerischer Ausdrucksfähigkeit ähneln sich SIEGES EVEN und WATCHTOWER wiederum. Die Bereitschaft, Heavy Metal weiter zu denken, war bei keiner anderen Truppe der 80er so ausgeprägt wie bei diesen beiden Leuchttürmen des progressiven Stahls.
Das Tape
Das Demo wurde im Januar 1988 in nur 22 Stunden in den Münchner Charisma-Studios in folgender Besetzung aufgenommen, die bis zum zweiten Album "Steps" aus dem Jahr 1990 bestehen bleiben sollte: Franz Herde (Gesang), Alex Holzwarth (Schlagzeug), Oliver Holzwarth (Bass) und Markus Steffen (Gitarre). Produziert wurden die Tracks von SIEGES EVEN. Das schicke Logo wurde schon auf dem ersten Demo eingeführt, aber "Repression And Resistance" zeigt es in größerer Verfeinerung.
Die A-Seite beginnt mit 'Apocalyptic Disposition', einem All-Time Favourite von mir. Natürlich hat das Tape noch nicht den fetten und bissigen Sound des von Kalle Trapp produzierten Debüts, aber ansonsten ist der Song schon vollkommen ausgereift und wurde später mit nur geringfügigen Änderungen auf das Album gepackt. Die unglaubliche Rhythmusfraktion brilliert hier schon und Markus Steffen zaubert an der Leadgitarre, dass es eine wahre Freude ist. Auch die Gesangslinien von Franz Herde sind schon ebenso unvollkommen genial wie auf "Life Cycle". Als zweiten Track ziert die A-Seite 'Las Palabras Secreto De Libertad (Repression And Resistance)' – ebenfalls ein unvergesslicher Klassiker, der natürlich auf dem Debütalbum ungleich muskulöser tönt. Franz Herde kämpft hörbar mit dem komplizierten Text, aber dennoch macht er seine Sache sehr gut. Ich liebe, nein vergöttere jede Sekunde dieses Songs! Die Jazz- und Fusion-Einflüsse sind einfach erstklassig.
Die B-Seite beginnt mit dem wunderbaren instrumentalen Zwischenspiel 'Arcane', welches auf dem Demo den Bass sehr deutlich hervortreten lässt. Hier ist herauszuhören, dass für "Life Cycle" das Stück umarrangiert wurde. Und es folgt der Zwölfminüter 'Straggler From Atlantis', der auf der gleichnamigen Story von Manly Wade Wellman aus dem Jahr 1975 beruht. Diese gehört zum Kardios-Zyklus des Autors. Die Fantasy-Thematik ist im Schaffen von SIEGES EVEN ja eher ungewöhnlich. Auch dieses Stück ist schon perfekt durchkomponiert und erscheint dementsprechend nahezu unverändert auf "Life Cycle". Der famose Songaufbau lässt die zwölf Minuten wie im Flug vergehen, und die Kombination von vertrackten Rhythmen und orientalischen Harmonien klingt noch heute innovativ.
Der Hintergrund (Interview mit Gitarrist Markus Steffen)
Um noch etwas tiefer in die Geschichte des Demos einzutauchen, ist die Perspektive eines Bandmitglieds von damals natürlich von unschätzbarem Wert. Dankenswerterweise hat sich Gitarrist Markus Steffen bereiterklärt, Informationen zu "Repression And Resistance" beizusteuern.
Hallo Markus, danke, dass du dir die Zeit nimmst, einige Fragen zum Demo "Repression And Resistance" zu beantworten! Wenn man sich das vorangehende zweite Demo "Bootleg Kassette 1987" anhört, fällt sofort die enorme kompositorische und technische Weiterentwicklung auf, die die Band in ganz kurzer Zeit vollzogen hat. Hatte das nur mit den verbesserten spielerischen Fertigkeiten zu tun oder gab es noch andere Gründe wie etwa neue musikalische Einflüsse?
Es war sicherlich ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Wir haben damals sehr viel zusammen geprobt, aber auch individuell viel geübt. Wir waren noch jung, aber wir haben uns ganz sicher auch anderen Stilen und Spielarten zugewandt. Traditionell kamen wir ja eher vom Metal in seinen unterschiedlichsten Ausformungen, nun kam aber auch Fusion oder vielleicht sogar gut gespielte Popmusik oder Klassik hinzu. Aber der Hauptgrund lag sicher in einer gewissen Besessenheit von uns allen, als Band, als Songwriter oder als Musiker immer besser zu werden. Um dies hinzubekommen, war es unerlässlich, sich anderen Genres gegenüber offen zu zeigen.
Wenn ich mir die Texte der drei Demos von SIEGES EVEN so anschaue, so ist es auffällig, dass einerseits die phantastische Literatur vertreten durch die Erzählungen von Edgar Allan Poe und Manly Wade Wellman eine wichtige Rolle spielt, andererseits gibt es aber auch sehr ambitionierte sozialkritische Lyrics. Diese Kombination ist doch sehr ungewöhnlich. Wie kam es dazu?
Ich glaube, dass wir nicht nur musikalisch offen für Vieles waren, sondern auch gegenüber der Kunst, der Politik, der Geschichte oder Soziologie. Das lässt sich ja ohnehin nicht trennen. Ich persönlich habe mich schon immer für Literatur in allen Formen interessiert, Oliver ging es mehr um die politischen Themen. Und wir hatten auch keine große Lust, klischeehafte Texte zu schreiben. Wir wollten mit unserer Musik anders sein, und das sollte sich auch in den Lyrics widerspiegeln.
Gerade auf "Repression And Resistance" ist ein großes Interesse für politische Themen erkennbar. 'Apocalyptic Disposition' finde ich geradezu zeitlos in seiner Aussage. Es geht im Text natürlich um das atomare Wettrüsten, aber hat die Menschheit generell einen Hang zur Selbstauslöschung?
Wenn man sich die Weltlage ansieht, könnte man zu diesem Schluss gelangen. Hat sich seit den achtziger Jahren viel zum Guten geändert? Ich denke nein. Aber war es in der Menschheitsgeschichte irgendwann einmal anders? Blickt man in die Geschichtsbücher, dann lässt sich unsere Geschichte als ein einziges Hauen und Stechen lesen; Kriege, Gewalt, Macht. Heute werden wir in ungeheurer Geschwindigkeit über Gräuel am anderen Ende der Welt informiert. Was uns in diesem Informationschaos verborgen bleibt, ist aber wohl die Tatsache, dass die meisten Menschen in Frieden leben wollen. Ich denke aber schon, dass unter dieser dünnen Schicht, die wir Kultur nennen, etwas Primitives schlummert, das immer wieder hervorbrechen kann, um den Mitmenschen zu unterjochen und seinen Allmachtsfantasien nachzugehen.
Persönlich sind mir die vier Stücke des Demos auch die liebsten auf eurem Debüt "Life Cycle". Gibt es für dich einen Song, den du heute noch besonders gerne hörst? Oder beschäftigst du dich mit den frühen Veröffentlichungen gar nicht mehr und es ist wichtiger, dich mit deiner Band SUBSIGNAL musikalisch weiterzuentwickeln?
Ich höre die Sachen nur noch selten. Aber das liegt hauptsächlich daran, dass ich musikalisch auf anderen Pfaden unterwegs bin. Wenn ich die Musik höre, bin ich oft erstaunt, wie wir das damals – wir waren ja noch jung und unerfahren – hinbekommen haben. Es war zweifellos eine wichtige, prägende Zeit, menschlich und musikalisch. Wer weiß, wie und ob wir uns als Musiker entwickelt hätten, wäre SIEGES EVEN nicht gewesen.
Metaller sind ja oft Nostalgiker und das aus guten Gründen. Für mich gehört dein Solo im Song 'Apocalyptic Disposition' nach wie vor zu den besten im Heavy Metal überhaupt. Auch auf "Life Cycle" ist das meiner Meinung nach der Höhepunkt des Albums. Es ist natürlich schon lange her, aber kannst du dich an die Umstände erinnern, als du das Solo ausgearbeitet hast?
Vielen Dank! Die meisten Soli auf "Life Cycle" waren gar nicht ausgearbeitet. Wir haben ja damals bei dem Produzenten Kalle Trapp (u. a. BLIND GUARDIAN) in Münster aufgenommen und dabei viel ausprobiert. Ein paar Fragmente hatte ich schon im Kopf, aber gerade auf dem Debütalbum war vieles noch nicht festgelegt. Was die Soli angeht, habe ich tatsächlich wenig Erinnerungen, aber der gesamte Aufnahmeprozess des Albums ist mir noch sehr präsent.
Kommen wir zum Artwork. Ist die Covergestaltung von "Life Cycle" die folgerichtige Fortsetzung von "Repression And Resistance"? Und welchen Bezug hat das Motiv zum Titel des Demos? Ich denke übrigens auch an das Chamäleon, das sich offenbart, wenn man die J-Card auffaltet.
Die Idee war die Verbindung von Technik, Verstand und Seele; etwas, was wir damals auch durch unsere Musik versucht haben, zum Ausdruck zu bringen. Wir haben die Idee vom Demo einfach auf dem Cover von "Life Cycle" weitergeführt und ausgearbeitet. Mein Vater hatte uns damals noch das Bild der Platine aus seiner Firma mitgebracht – damals gab es ja noch keine wirklichen Stockfotografien. Ein Grafiker unserer Plattenfirma SPV hat es dann ausgearbeitet. Es steht somit eher als Sinnbild für den Anspruch, den wir an unsere Musik gestellt hatten, weniger im Bezug zu einem einzelnen Song. Das Chamäleon hat übrigens keine tiefere Bedeutung.
Ich hatte da ja so eine Theorie, dass sich das Motiv des Chamäleons vielleicht auf euren musikalischen Ansatz beziehen könnte. Man sollte also vorsichtig sein mit Spekulationen. Ich habe mich immer gefragt, wer sich hinter dem Künstler Sockslashing Fritz verbirgt. Kannst du das heute auflösen?
Das war der Fritz – an seinen Nachnamen kann ich mich nicht mehr erinnern. Er war ein Freund der Band. Es gab ja damals hier in München den berühmten Rockclub "Fantasy", wo montags immer Metal und Hard Rock gespielt wurde. Dort waren wir oft. Fritz war auch Teil dieser Community, so kam der Kontakt zustande. Sein Pseudonym kam übrigens daher, dass er sich bunte Socken auf seine Jeansjacke genäht hatte.
Ich gehe mal davon aus, dass "Repression And Resistance" ausschlaggebend war für euren Plattenvertrag mit Steamhammer/SPV, oder? Habt ihr dem Label ganz klassisch die Kassette zugeschickt und sie haben sich dann gemeldet, oder wie ist das damals gelaufen?
Wir waren mit der Schweizer Band DRIFTER befreundet. Wir haben einige Konzerte zusammen gespielt, und sie hatten ja einen Majordeal mit Teldec ergattert und wurden von Kalle Trapp produziert. Wir waren dann bei ihnen im Studio eingeladen und durften sogar ein paar Backing Vocals auf ihrem Debütalbum singen. Dort haben wir Kalle kennengelernt und ihm unsere Musik vorgestellt. Er war begeistert, animierte uns noch zu dem "Repression And Resistance"-Demo und ging mit diesem dann zu Steamhammer/SPV. Ein paar Wochen später hatten wir unseren ersten Plattenvertrag.
1988 muss ein turbulentes Jahr für SIEGES EVEN gewesen sein. Im Januar wurde das Demo aufgenommen und am 1. Oktober kam schon euer Debüt raus. Wie sah das Jahr für euch aus?
Ja, es ging alles furchtbar schnell. Anfang 1988 das Demo, ich glaube im April waren wir dann schon für die Aufnahmen von "Life Cycle" in Münster im Studio. Ich habe zu der Zeit eine Lehre gemacht und kann mich noch erinnern, dass ich in der Mittagspause meine Mutter angerufen habe und sie mir mitteilte, dass ein Brief von einer Plattenfirma gekommen wäre. Unser Plattenvertrag! Damals war ich der glücklichste Mensch auf Erden. Wir waren natürlich alle sehr aufgeregt, waren dann auch zum ersten Mal in Hannover in den heiligen Hallen unserer Plattenfirma und sahen zum ersten Mal das Cover.
Habt ihr damals Demos gesammelt oder mit anderen Bands welche ausgetauscht? In den Danksagungen wird zum Beispiel Sven von DRIFTER erwähnt, deren Demos in unserer Reihe ja auch schon Thema waren.
Ich war eine Zeitlang Tapetrader. DRIFTER war da dabei – ich glaube mich zu erinnern, dass da auch der Kontakt zustande kam. Eine lustige Anekdote dieser Zeit ist, dass ich viel mit Jason Newsted – damals bei FLOTSAM AND JETSAM - geschrieben habe. Er war auch Tapetrader. Als er dann bei METALLICA war und sie hier in München spielten, bin ich kurzerhand in ihr Hotel gegangen und konnte ihn tatsächlich sprechen. Er hat dann für uns alle Backstagepässe für das METALLICA-Konzert am nächsten Tag im Deutschen Museum organisiert. Eine aufregende Zeit war das.
Und dann noch eine letzte Frage: Besitzt du eure drei Demos noch?
Ich habe noch das zweite und das dritte Demo. Das erste ist verschollen.
Die bisherigen Teile aus unserer Reihe "Demo-Klassiker":
Demo-Klassiker (1): SIREN "Iron Coffins" (1985) / "Dead Of Night" (1986)
Demo-Klassiker (2): DRIFTER "Tales Of Dragonia" (1985) / "Beyond The Burning Circles" (1986)
- Redakteur:
- Jens Wilkens