END OF GREEN: Interview mit Michael Setzer

01.01.1970 | 01:00

Nach dem wirklich erstklassigen "Songs For A Dying World“-Album im letzten Jahr erscheint dieser Tage mit "Last Night On Earth“ ein weiterer depressiv-melancholischer Rundumschlag des Schwaben-Quintetts END OF GREEN. Musikalisch wird man dem Albumtitel zu 100% gerecht, aber wie es scheint hat mein Interviewpartner Michael Setzer (Gitarre) so seine Probleme, wie er seine letzte Nacht auf Erden verbringen würde …

Michael: Wenn man das nur so genau sagen könnte. Das Grundproblem wird immer sein, dass man vorher nicht weiß, ob’s nun wirklich die letzte Nacht ist. Es sei denn, man entscheidet selbst, dass sie das sein wird. In diesem Fall würde ich sie wohl alleine mit einem guten Wein, vielen Zigaretten, Kaffee, Zettel, Papier, „Harold & Maude“ und guter Musik verbringen wollen. Dann würde ich mich vermutlich doch anders entscheiden. Der Gedanke um so eine Nacht kann einen an schlechten Tagen sehr beschäftigen.

Oliver: Ist ja auch nicht weiter wichtig, war ja nur eine hypothetische Frage. Anonsten alles klar bei Dir?

Michael: Mir geht’s prächtig, abgesehen von der Tatsache, dass ich ein wenig kaputt bin, da es gestern etwas länger gedauert hat. Ansonsten gibt’s aber nix zu meckern.

Oliver: Bevor wir weiter auf das neue Album eingehen, erst einmal Gratulation! Zum ersten Mal habt Ihr mit "Songs For A Dying World“ & "Last Night On Earth“ zwei Alben hintereinander auf dem gleichen Label veröffentlicht. Scheint so, als ob Silverdust etwas Stabilität in Euer Muckerleben gebracht hätten!?

Michael: Wir sind auch ganz verdattert. Wir hatten noch nie derartigen Rückhalt wie bei Silverdust. Das ist schön! Silverdust haben uns damals aus einem sehr tiefen Loch geholt, das schweißt zusammen.

Oliver: Wie sind denn die Reaktionen bis dato auf "Last Night On Earth“ so ausgefallen? Die Frage kann ich mir eigentlich schenken, denn wer das Album gehört hat, muss es einfach lieben…

Michael: Danke für die Blumen. Ehrlich gesagt haben wir noch gar nicht so viele Reaktionen über die Platte mitbekommen. Sie ist bislang ja noch nicht offiziell erschienen. Hauptsächlich gab’s bislang von Freunden und Bekannten Rückmeldung. Sie haben meistens gesagt, dass ihnen "Last Night On Earth“ recht gut gefällt. Ich hoffe mal, dass die das nicht nur aus purer Rücksichtnahme gesagt haben.

Oliver: Nimmt man die Titel Eurer letzten drei Alben her, könnte man meinen, Ihr erzählt eine fortlaufende Story. "Believe My Friend“ birgt noch etwas Hoffnung in sich, während "Songs For A Dying World“ den langsamen Untergang beschreibt und man mit "Last Night On Earth“ kurz vor dem Ende steht! Ist das an den Haaren herbeigezogen oder steckt da etwa doch ein Funken Wahrheit dahinter?

Michael: Du willst uns endlich loshaben, oder? (Nein, auf keinen Fall!!! - Anm. d. Verf.) Nach dieser Theorie bleibt uns ja höchstens noch Zeit für ein Album. Nein, geplant war das sicherlich nicht, obwohl es in mancherlei Hinsicht schon zutreffen könnte. War aber ehrlich keine Absicht von uns, ich meine, die erste Platte heißt "Infinity“ und danach ist ja alles möglich.

Oliver: In der Vergangenheit ward Ihr ja nicht gerade die fleißigsten Songschreiber, da gab es doch erhebliche Leerzeiten zwischen den Alben. Diesmal liegt nur ein Jahr dazwischen, wie kam das? Vor allem im Hinblick auf die Qualität der Scheibe - von Anfang bis Ende nur geil!!!

Michael: Merci. Aber hey, wir waren eigentlich immer sehr fleißig in Sachen Songwriting – die Leerzeiten waren nicht wirklich unsere Schuld. Die Tatsache, in so einem kurzen Zeitraum wieder eine Platte machen zu dürfen / müssen / wollen, war anfangs allerdings wirklich etwas irritierend. Das hatten wir noch nie. Ich empfinde "Last Night On Earth“ gerade deshalb als eine sehr direkte und ehrliche Platte. Wir sind aber auch gottfroh, dass es dieses Mal nicht wieder vier Jahre gedauert hat mit einer Platte an den Start zu gehen.

Oliver: Auf dem Album befindet sich ein Song names 'Melanchoholic'. Seid Ihr damit selbst gemeint?

Michael: Ja, die Melancholie ... Sie macht einen kaputt, aber dennoch gibt man sich ihr immer wieder hin. Das liegt wohl in der Natur der Dinge. Jeder Raucher weiß, dass es nicht gesund ist und trotzdem raucht er weiter. 'Melanchoholic' trifft voll und ganz auf unsere Grundstimmung zu, keine Frage.

Oliver: Worum geht es in den Lyrics zum Song 'Highway 69'?

Michael: Kann ich nicht wirklich sagen. Michelle schreibt die Texte und recht oft geht’s mir so, dass sich da in meinem Kopf etwas ganz eigenes entwickelt und ich lieber nicht frage, ob das der Wahrheit entspricht. Ich denke, ich kann aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass es nicht um Sex auf der Landstraße geht. Es hat eher etwas mit Selbstzerstörung zu tun. Ich denke der Text spricht für sich.

Oliver: Wonach greift die Hand auf dem Cover der neuen Scheibe? Kann man das Cover in irgendeiner Form mit dem Albumtitel in Verbindung bringen? Das Cover unterstreicht in jedem Fall die melancholisch deprimierende Stimmung der Scheibe…

Michael: Ich weiß es nicht. Aber der Hand fehlt bereits ein Finger. Das Foto hat unser Gitarrist Oliver gemacht, wir haben das Foto gesehen und eigentlich gar nicht mehr darüber gesprochen. Es war klar. Das Bild trifft voll auf die Stimmung der Platte zu. Ein wirkliches Konzept verfolgen wir damit aber nicht. Ich bin mir nicht einmal sicher was zuerst da war, Cover oder Titel.

Oliver: Ihr wolltet ja schon im letzten Jahr mit Euren Labelkollegen UNDERTOW im Herbst auf Tour gehen, was ja leider nicht geklappt hat. Dieses Jahr sieht es da doch besser aus. Warum hat es 2002 nicht geklappt und wie sicher ist die Tour in diesem Jahr?

Michael: Das war damals sehr ärgerlich. So genannte "Business-Sachen“ liefen da nicht so, wie sie es hätten tun sollen. Aber Mist passiert nun mal. Von der damals geplanten Tour ist gerade noch ein Konzert in Köln übrig geblieben – das war aber sehr schön. Dieses Mal wird es klappen, höchstens wir geraten in "friendly fire“ von irgendwelchen sehr unfreundlichen Menschen. Wir freuen uns jetzt schon ordentlich, denn mit UNDERTOW würden wir vermutlich überall hinfahren.

Oliver: Was ist für Dich "der perfekte Song“? Welchen Eurer Songs würdest Du als perfekt bezeichnen?

Michael: Himmel, nein! Ich würde es nie wagen eines unserer Lieder perfekt zu nennen. Da kann man sich ja gleich vor dem Spiegel einen – Verzeihung – runterholen. Bei Dingen, die man selbst zu verantworten hat, kann man so etwas wohl nie behaupten. Es sei denn man findet sich selbst außerordentlich spitzenmäßig. Perfekt ist ja nicht zu toppen. Wer so denkt, verliert seine Leidenschaft. Ich höre allerdings oft Lieder von anderen Bands, die ich selbst für perfekt halte. Aber nicht unsere. DEPECHE MODE werden 'In Your Room' nicht perfekt finden – ich schon. Oder 'Unsung' von HELMET.

Oliver: Was geht Dir am meisten in Sachen Musik-Biz auf die Nüsse?

Michael: Der Trick ist, glaube ich, sich über solche Dinge nicht zu sehr aufzuregen. Wenn wir uns den ganzen Tag damit aufhalten uns über Marketing-Püppchen, lieblose Musik oder grausige Idioten zu ärgern, werden wir zwangsläufig reif für den Psychiater. Worüber ich mich in letzter Zeit aber zugegebenermaßen wirklich aufgeregt habe, waren Bands, die mit unqualifizierten Kommentaren über den Irak-Krieg hausieren gingen. "Krieg ist Scheiße! - Hey, wir haben übrigens eine neue Platte. Kauft die bitte alle recht schnell!“ war dabei genauso übel wie Gene Simmons von KISS, der Schwachsinn wie „Wer ein Problem mit Amerika hat, der hat auch eins mit mir!“ erzählte. Um Himmelswillen, wenn ich eine qualifizierte Aussage über Weltpolitik haben möchte, frage ich doch keine Musiker. Von Zakk Wylde will ich Rock’n’Roll hören, keine Analyse der US-Außenpolitik. Ich denke Statements sind wichtig, aber nur um die neue Platte zu promoten, eine Pressemitteilung mit Politik-Diskurs zu veröffentlichen, ist pure Heuchelei. Stell dir vor, Tony Blair würde ein Rundfax rauslassen, nur weil die neue BLUR-Platte langweilig ist...

Oliver: Etliche Bands nehmen heutzutage im eigenen Studio auf. Dies scheint ein Trend zu sein, den ich in letzter Zeit häufiger beobachte. Was glaubst Du, ist durch die heutige moderne Technik, die es vielen Bands erlaubt im eigenen Proberaum zu recorden und dies mit sehr guten Ergebnissen, das Zeitalter der großen Studios und Studioproduktionen besiegelt? Habt Ihr Ambitionen in Richtung eigenes Studio?

Michael: Das wäre sicherlich der Traum. Man könnte viel flexibler sein und Michelle ist in Sachen Studioarbeit ja auch versiert. Leider fehlt uns die nötige Finanzkraft uns quasi selbständig zu machen. Das Wichtigste ist aber, dass man sich im Studio wohlfühlt. Wir haben "Last Night On Earth“ zum Beispiel im nagelneuen Studio von unserem Livemischer Marc Martin und Mitch Meister aufgenommen. Da wir auch beim Umbau geholfen haben, war es fast so ein Gefühl, wie im eigenen Studio zu arbeiten. Ich denke, die Größe oder der Luxus eines Studios ist nicht entscheidend, ob eine Platte gut wird. Die Atmosphäre ist da weit wichtiger. Wir hatten eine Playstation, einen Videorecorder, eine Espresso-Maschine und einen griechischen Heimatverein mit Spitzenessen (billig) in der Nachbarschaft – das war unser Luxus. Teure Großstudios unterscheiden sich von anderen Studios meist nur darin, dass es noch einen Fitnessbereich, Hallenbad und angeschlossenen Erlebnispark gibt. Nötig ist das gewiss nicht!

Oliver: Kommt eine neue Scheibe einer Band auf den Markt, wird diese von der Presse in den meisten Fällen mit dem/den Vorgänger(n) verglichen. Ist das in Eurem Falle o.k. für Dich oder ist es Dir lieber, wenn jede Eurer Scheiben als eigenständiges, einzelnes Produkt angesehen wird?

Michael: Wir haben kein Problem damit, wenn jemand von "Songs For A Dying World“ redet. Das ist schließlich eine Platte von uns - und keine schlechte, wenn ich das mal so sagen darf, haha. Ich verstehe vollkommen, wenn jemand da vergleicht: "neu“ – "alt“. Ich glaube allerdings, dass Bands das immer anders sehen werden als Redakteure. Wir haben uns ja nicht hingesetzt und gesagt: "So, jetzt machen wir mal das Nachfolge-Album“. Ganz nüchtern betrachtet ist es eher so: Wir schreiben Lieder und wenn sie uns gefallen, kommen sie auf die nächste Platte. Dabei wollen wir weder ums Kaltverrecken ein brandneues Kapitel aufschlagen, noch uns ständig wiederholen. Wir machen einfach! Und letztendlich werden Bands dann immer stinkig, wenn man ihnen entweder zu viel Weiterentwicklung oder eben keine vorwirft. Wir wissen, dass man es nicht allen Recht machen kann, also versuchen wir das erst gar nicht!

Oliver: Wenn Du kein Problem hast über "Songs For A Dying World“ zu reden, kannst Du mir sicher auch sagen, wie das Album verkaufstechnisch so gelaufen ist?

Michael: Zu viel zum Sterben – zu wenig zum Leben. Ehrlich gesagt, weiß ich das gar nicht genau. Wir sollten mal bei Silverdust nachfragen.

Oliver: Wenn das so ist, seid Ihr sicher gezwungen "vernünftigen“ Jobs nachzugehen um Euren Lebensunterhalt zu bestreiten. Was machen die Jungs von END OF GREEN neben der Musik?

Michael: Ja, unsere Miete können wir mit END OF GREEN nicht bezahlen. Michelle arbeitet als leitender Luft- und Raumfahrttechnik-Ingenieur in Brüssel, Oliver ist Innenarchitekt für medizinische Gemeinschaftspraxen in Oberösterreich, Maze verdient seine Miete mit dem An- und Verkauf russischer Antiquitäten, Rainer ist Chemielaborant und Agent für den Geheimdienst und ich bin Pilot bei Lauda-Air. Oder so! (Oder so!? Da würde ich als Papst-Stellvertreter und Porno-Verleger doch noch recht gut ins Bandbild von END OF GREEN passen… oder!? - Anm. d. Verf.)

Oliver: Was sind die drei wichtigsten Alben in Deiner Sammlung?

Michael: Das wechselt recht oft bei mir. Ich mag aber Platten, die mich an bestimmte Lebensabschnitte erinnern und die Stimmung von damals wieder hervorholen. Da habe ich einige Favoriten: "River Runs Red“ von LIFE OF AGONY, "Badmotorfinger“ von SOUNDGARDEN, "Gentlemen“ von AFGHAN WHIGS, "Doomsday For The Deceiver“ von FLOTSAM & JETSAM, "Slip“ von QUICKSAND, aber auch "Severed Survival“ von AUTOPSY zum Beispiel oder „Ozma“ von den MELVINS. Ich kann mich da wirklich nicht auf drei beschränken. Die erste PORTISHEAD. Ich hör jetzt auf…

Oliver: Wie viel Prozent der Fragen, die Du von der Presse gestellt bekommst, hältst Du persönlich für "Schrott“? Welche Frage wurde Dir im Zusammenhang der Veröffentlichung von "Last Night…“ am meisten gestellt?

Michael: Das ist alles gar nicht so schlimm. Wir geben ja keine 2000 Interviews im Jahr. MADONNA oder SYSTEM OF A DOWN geht’s da sicherlich anders. Wir sind recht gelöst. Manchmal merkt man, dass ein Redakteur weder die Platte richtig angehört hat, noch Lust auf das Interview hat. Das bringt man dann eben etwas schneller hinter sich. Andersherum freut es uns natürlich, wenn wir merken, dass sich jemand wirklich für unsere Musik interessiert. Da wir gerade erst anfangen, Interviews für "Last Night On Earth“ zu geben, gibt’s eigentlich noch keine Frage, die uns besonders oft gestellt wurde.

Oliver: Thema Frauen: Wie würde die Entscheidung ausfallen, wenn Dich eine Frau vor die Wahl stellt „Ich oder Band!“? Standest Du schon jemals vor einer solchen Entscheidung?

Michael: Ich stand glücklicherweise noch nie vor dieser Entscheidung. Würde mich meine Freundin vor diese Wahl stellen, wäre es wohl das beste Anzeichen dafür, dass wir kein Paar sein sollten. Das hat nichts mit mangelndem Respekt vor der Liebe zu tun, eher damit, dass man Band und Freundin nicht vergleichen kann.

Oliver: Was steht für Euch in nächster Zeit so an? Auf welchen Bühnen wird man Euch so vor die Linse bekommen?

Michael: Wir werden im Sommer u.a. beim Summer Breeze, Metal Fest in Wien, Metal Dayz in der Schweiz, Bretthart und noch bei vielen anderen Festivals spielen. Und Ende September geht’s dann endlich mit UNDERTOW auf Tour. Wir schauen selbst immer bei www.silverdust.de nach, um zu schauen, wo wir spielen. Wir freuen uns schon sehr, endlich wieder live zu spielen, schließlich haben wir das seit Januar nicht mehr getan, weil wir im Studio waren. So lange haben wir noch nie kein Konzert gespielt.

Oliver: Gut, dann machen wir mal hier Schicht im Schacht. Danke für Deine Zeit und die Antworten. Du hast das letzte Wort, hier kannst Du loswerden, was Dir schon immer auf der Seele lag … come on!

Michael: Ich bedanke mich bei Dir für das Gespräch und für die witzige Autogrammstunde an Eurem "Summer Breeze“-Stand vergangenes Jahr. Wir hoffen natürlich, dass allen Lesern unsere neue Platte gefällt. Vielleicht sehen wir uns ja demnächst. Eines hätte ich fast vergessen: "Krieg ist Scheiße! Hey, wir haben übrigens eine neue Platte. Kauft die bitte alle recht schnell“, haha. Nein! Danke an all die Menschen, die uns seit Jahren unterstützen – das mag schleimig klingen, ist aber so!


Redakteur:
Oliver Kast

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