EP-Euphorie (Teil 1): Die Herzens-EPs der Redaktion

29.09.2025 | 10:46

Hier wird es einmal richtig emotional bei POWERMETAL.de. Elf Redakteure stellen ihre Herzens-EPs vor.

Die EP hatte es schon immer schwer, gegen das Album zu bestehen. Es gibt aber so viele Beispiele dafür, dass diese kleine Form nicht nur großartige Musik bieten kann, sondern definitiv auch für die Entwicklung des Heavy Metals prägend war. Viele Bands, die Geschichte geschrieben haben, starteten ihre Karriere schließlich mit einer EP. Wir möchten uns daher mit dem Thema einmal intensiver auseinandersetzen. Mit einem Artikel ist es da nicht getan. Wir starten im ersten Teil mit den Herzens-EPs etlicher Redakteure. Es geht also vor allem um die emotionale Komponente der Thematik. Als ich die Idee eines EP-Specials in der Redaktion vorstellte, rechnete ich fest damit, dass METALLICA und HELLOWEEN genannt werden würden. Aber falsch gedacht! Wir haben natürlich etliche Klassiker dabei, aber auch die eine oder andere Überraschung. Wir gehen einfach ganz chronologisch vor, wobei manche Veröffentlichungsdaten nur wenige Monate auseinander liegen. Die EP-Euphorie möge beginnen…

 

1. QUEENSRŸCHE - Queensrÿche (1982)

Bei diesem Thema muss natürlich QUEENSRŸCHE mit von der Partie sein. Vergessen wir für einen Moment alle Querelen und die unspektakulären bis unterirdischen Alben der Phase nach "Promised Land" bis zum Einstieg von Todd La Torre. Darüber berichtet ja ausführlich der erste Teil unseres Diskografie-Checks. Blicken wir stattdessen auf die Frühphase der 1981 zunächst als THE MOB in Bellevue bei Seattle gegründeten Band zurück. Die selbstbetitelte EP wurde zunächst als 24-Spur-Demo in den Triad Studios in Redmond, Washington aufgenommen. Geoff Tate sollte zunächst als Aushilfssänger bei den Aufnahmen fungieren, stieß dann aber doch zur Band, die sich dann in QUEENSRŸCHE umbenannte. Die EP erschien 1982 zunächst auf dem bandeigenen Label 206 Records, wurde aber dann wegen der überaus positiven Reaktionen ein Jahr später bei EMI-America wiederveröffentlicht. Wer das Original besitzt, darf sich glücklich schätzen.

Schon optisch ist die Scheibe etwas Besonderes. Als Freund echt metallischer Logos ist dasjenige der selbstbetitelten EP für mich ein Fest für die Augen. Es ist schon schade, dass das von Todd Rockenfield, Bruder von Schlagzeuger Scott Rockenfield, entworfene Logo nur dieses eine Mal Verwendung fand, denn es kündigt unmissverständlich an, dass auf der Scheibe messerscharfer und präziser Metal geboten wird.

Da mein metallisches Erweckungserlebnis in das Jahr 1987 datiert, lernte ich QUEENSRŸCHE 1988 erst mit "Operation Mindcrime" kennen, und mir war damals schon klar, eines der besten Alben aller Zeiten in den Händen zu halten. Natürlich mussten dann auch alle anderen Veröffentlichungen möglichst zeitnah erworben werden. Bei der EP dauerte es tatsächlich einige Monate, bis das gute Stück den Weg in die Sammlung fand. Als Bewohner einer Kleinstadt war man damals im Nachteil, was den Zugang zu den begehrten Tonträgern anging.

Die Genrebezeichnung US Metal war mir damals nicht bekannt, aber was da zu hören war, klang einfach nur fantastisch! Hat es jemals einen besseren Opener in der Königsdisziplin US Metal gegeben als das heroische 'Queen Of The Reich'? Na gut, vielleicht 'Valhalla' von CRIMSON GLORY. Auch heute noch klingt das Stück frisch, heiß und unverbraucht wie am ersten Tag, auch wenn die Produktion entstehungsbedingt noch nicht die Klasse der folgenden Veröffentlichungen bieten konnte. Schon 1982 lieferte QUEENSRŸCHE mit diesem Titel die Blaupause für feinsten, zeitlosen US Metal. Auch das folgende 'Nightrider' ist kaum weniger spektakulär. Hier gibt es Passagen, die schon das Fabeldebüt "The Warning" vorwegnehmen. 'Blinded' ist vielleicht nicht ein solcher Klassiker wie die ersten beiden Stücke, aber qualitativ kaum schlechter. Dass Geoff Tate ein Meister des atmosphärischen Pfeifens ist, zeigt der Beginn des abschließenden 'The Lady Wore Black', wie der Opener eine Komposition aus der Feder von Chris DeGarmo – meiner Meinung nach der begnadetste Songschreiber von QUEENSRŸCHE. Aus heutiger Sicht ist mir die Frühphase ebenso lieb wie "Operation Mindcrime" und ebenso unverzichtbar. Wenn eine Band gleich mit der ersten EP ein Genre definiert, ist das geschichtsträchtig.

[Jens Wilkens]

 

2. MERCYFUL FATE - Mercyful Fate (1982)

Als wir die Idee zu diesem Thema hatten, war mir eigentlich sofort klar, welche EP ich hier nennen muss. Weshalb? Nun, diese EP war ein substanzieller Bestandteil meiner musikalischen Sozialisation, nicht nur akustisch, sondern auch visuell und im Szenen-Gefüge. Die Rede ist natürlich von der MERCYFUL FATE-EP, die meist namenlos, manchmal aber auch unter "Nuns Have No Fun" geführt wird. Die vier Songs auf dieser Extended-Play-Rille sind allesamt unverwüstlich und haben eine Messlatte für beinahe alles gesetzt, was danach schwarz-weiß bemalt den musikalischen Höllenfürsten besingen wollte. Gekauft habe ich das Teil mit diesem wundervollen Schwarz-Weiß-Artwork in erster Linie wegen eben jener Optik, denn einen Ton hatte ich vorher nicht von der Band gehört. Als ich damals im leider viel zu schnell geschlossenen Platten-Paradies namens "Inferno" diese Scheibe in Händen hielt, musste sie einfach ungehört mit nach Hause. Dort aufgelegt, dachte ich zuerst, ich hätte die falsche Geschwindigkeit am Plattendreher eingestellt, denn mit der extremen Höhe dieser Gesangsstimme hatte ich natürlich nicht gerechnet. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass dies alles seine Richtigkeit hatte, und ein Artikel im ebenfalls dort frisch erworbenen Aardshok-Magazin, in welchem ein Bericht über eben diese Band zu lesen war, dies gleichermaßen verifizierte, schwebte ich auf Wolke Sieben. Und ja, auch dort wurde von dieser extremen Gesangsstimme berichtet. Wenn ich mich korrekt erinnere, waren die holländischen Kollegen von eben jenem Magazin auch daran beteiligt, dass dieser Band ein Plattenvertrag mit dem neuen, ebenfalls holländischen, Label Rave-On-Records angeboten wurde. Dort erschienen später noch solche Wunderwerke wie H-BOMB oder SORTILÈGE. Aber das nur am Rande. 

Legt man die Schallplatte nun auf den Teller, wird man sofort (!) von den ersten Solo-Angriffen überwältigt, bevor King Diamond gleich klar macht, dass der Frosch dort wohl doch Locken hat. Seiner lautstarken Aufforderung "Listen!" muss man nämlich intuitiv Folge leisten. Schon in dieser ersten Nummer wird schnell klar, welches Potenzial sich in diesen fünf Musikern befindet. Die Rhythmuswechsel von Kim Ruzz und Bassist Timi Grabber Hansen sind bis heute unerreicht und das Gitarrengespann Michael Denner/Hank Sherman ist für mich das beste europäische Doppel überhaupt. Die okkulten Texte waren für einen Vierzehnjährigen, der gerade erst angefangen hatte, sich für Rockmusik zu interessieren, natürlich genauso spannend, wie das Corpse Painting vom König. Und Leichen ohne Seele sind ja auch mal gleich ein toller Name für einen ersten Song. Der später als Titelsong fungierende zweite Song, in dem behauptet wird, Nonnen hätten keinen Spaß, ist dann so etwas wie der Hit dieser EP, ist er doch etwas kürzer ausgefallen und fräst sich somit noch schneller in die Kleinhirnrinde des Zuhörers. Die Melodieführung ist auch hier wieder atemberaubend und kann auch gern mit dem Attribut "hypnotisch" umschrieben werden. Dass wir damals erstmal nachschlagen mussten, was es mit der Abkürzung "c.u.n.t." auf sich hatte, wird heute sicherlich mit zwei schallend-lachenden Augen kommentiert werden. Völlig egal, es war eine andere Zeit. 

Auf der zweiten Seite gibt es dann mit 'Doomed By The Living Dead' die nächste okkulte Abfahrt deluxe, denn auch hier zaubern die fünf Dänen eine Rifforgie aufs Parkett, die auch heute noch Maßstäbe setzen würde. Wie wir das im Jahr 1982 empfunden haben, kann man sich daran gemessen vielleicht vorstellen. Auch der schneidende Klang der Aufnahme addiert sich zum Gesamtpaket hinzu, denn diese Klangwelt hat nach den ersten beiden Longplayern der Band niemand wieder zu fassen bekommen. Bei aller Transparenz schneiden die Gitarren so tief und messerscharf, dass man Angst hat, sich beim bloßen Anhören zu verletzen. Da stört es dann auch nicht, dass 'Devil Eyes' schließlich deutlich melodischer ausfällt als die anderen drei Songs.

Die Begeisterung für diesen extremen Sound war geboren, ein Startschuss ins Okkulte und in den Underground, denn nichts anderes war MERCYFUL FATE zu diesem Zeitpunkt. Durch diese Band und die kursierenden Liveaufnahmen bin ich dann schnell zum Tapetrader geworden und hatte so fast alle Songs von "Melissa" schon vor der Veröffentlichung, da diese bis auf den Titelsong und 'At The Sound Of The Demon Bell' Bestandteil der Liveshow waren. Selbstverständlich musste auch ein Shirt der Band heran und was lag näher, als eine Bestellung bei Bullshirt zu tätigen, die in einer ihrer Anzeigen ein solches Shirt anboten. Die Anzeige war ohne Abbildung, was mich aber nicht von einer Bestellung abhielt. Es kam, wie es kommen musste, und das Motiv war natürlich das Coverartwork. Unfröhliche Nonne in unbequemer Haltung inmitten vermummter Tattergreise, die offenbar ein Feuerchen entfachen wollten. Dies war das einzige Shirt, welches ich nicht zuhause tragen durfte, weil das Motiv meinem Dad zu krass war. Logischerweise wurde es zum Lieblingsshirt, weil der jugendliche Rebell ja eben genau dies sein wollte: rebellisch. Heute schmunzelt man darüber, damals durfte ich damit nicht am Religionsunterricht teilnehmen. Für mich eine Win-Situation, meine Eltern waren weniger begeistert, haben mir aber trotzdem im Folgegespräch mit dem Lehrer den Rücken gestärkt.

Abgeschwiffen, sorry. Heute wird die weiß umrandetet Version des Vinyls für horrende Preise feilgeboten und auch ich habe einmal mit mir gehadert, sie mir neben meine schwarz-umrandete Version zu stellen. Habe mich auf dem Festival dann aber für ca. 25 andere Tonträger und Leibchen entschieden, denn ich bin offenbar doch kein richtiger Sammler-Nerd.

[Holger Andrae]

 

3. SAVAGE GRACE - The Dominatress (1983)

Lang, lang ist's her. In meiner alten Heimat Braunschweig, metaltechnisch eher Terra Incognita in einer Zeit, in der man seine Informationen noch aus dem Plattenladen zog, gab ein Plattengeschäft auf. Govi hieß das Ding, in dem man neben guten Preisen tatsächlich auch immer unbekannte Schätze entdecken konnte. Als das Geschäft aufgegeben wurde, durfte ich im Ausverkauf als guter Kunde mal durch die restlichen Schubladen im hinteren Bereich des Ladens stöbern. Da nahm ich einige Schätze mit nach Hause, darunter eine Platte mit einer leicht bekleideten, vieldeutig schauenden Dame von einer Band namens SAVAGE GRACE. Warum? Na, das war Metal Blade Records! Auf dem Label waren doch die berühmten "Metal Massacre"-Sampler erschienen, Nummer zwei übrigens mit einem Song dieser Band, die wir alle gerne mal im Original und nicht nur in kopierter Form auf Cassette gehabt hätten, was kann man da falsch machen? 

Genau, nichts. Allerdings hatte ich einige Schätze von Shrapnel Records ebenfalls erstanden, und so kam es, dass die Platte mit dem Namen "The Dominatress" erst mal warten musste. Aber irgendwann kam auch diese wilde Schönheit an die Reihe, und plötzlich merkte ich, dass das sogar besser war als EXCITER, BROCAS HELM und die U.S. Metal Sampler, die ich Tor zuerst auf den Plattenteller gelegt hatte, denn die Kombination aus harten Gitarren und umwerfend starkem, melodischem Gesang verband das Beste aus der US-Metal-Szene mit genug Melodie, um sich sofort in den Ohren festzusetzen. Diese ersten Gehversuche der Band hatten mit dem späteren Speed Metal von "Master Of Disguise" und "After The Fall From Grace" noch nichts zu tun, sondern waren erdig und klassisch, aber mit einem Anflug von Anrüchigkeit und Anarchie, ohne zu versuchen, den Metal in irgendeiner Weise ins Extrem zu zerren.

Die erste Seite beginnt mit dem schnellen 'Fight For Your Life', in dem Sänger John Birk sofort eine umwerfende Gesangsmelodie einwirft und damit dem harten Metal einen weichen Schutzumschlag gibt – bis er zum ersten Mal schreit! Danach kommt das seichtere 'Curse The Night', das sich bald zu meinem absoluten Liebling des Jahres 1984 entwickelte. Tatsächlich kann die EP jedoch auch auf der B-Seite das Niveau locker halten, der Titelsong, das erneut schnelle 'Live To Burn' und das wiederum hochmelodische und mitsingbare 'Too Young To Die' waren die weiteren Offenbarungen der Scheibe. Im Nachhinein mögen die US-Metal-Fans die folgenden Scheiben von SAVAGE GRACE höher einschätzen, aber 1984 war dieser Rundling für mich eine metallische Offenbarung. Zudem war dies der Grund, warum ich später sofort und ohne zu zögern das OMEN-Debüt wie einen Schatz mit nach Hause nahm, denn Kenny Powell spielte zuvor auf "The Dominatress". 

Ich finde, diese fünf Lieder haben auch heute noch nichts von ihrem Reiz verloren. Ich habe sie beim Schreiben gerade zweimal durchgehört. Ich glaube, ein drittes Mal geht noch...

[Frank Jaeger]

 

4. SORTILÈGE - Sortilège (1983)

"Sor - ti - lège

Il fait froid dans le dos
Il t'empêche de dormir
Tu ne sais pas d'où il vient
Il caresse tes nuits
De ses ailes rougies
Par le sang des humains
/
Zauber(ei)
Ein kalter Schauer läuft dir den Rücken runter,
er raubt dir den Schlaf.
Du kennst seine Herkunft nicht -
er streichelt deine Nächte mit blutgefärbten Flügeln."

Es gibt 10-Punkte-Alben. Darüber hinaus gibt es Tonträger, die in ganz anderen Sphären beurteilt werden müssen: perfekte Aufnahmen, Klänge für die Ewigkeit, genreprägend, zeitlos. Würde ich ein Fach in meinem Schallplatten- und CD-Regal mit solchen Schätzen nach meinem Musikgeschmack füllen wollen, fänden sich darin allerhöchstens zehn Tonträger, bei genauesten Überlegungen eher weniger. Die selbstbetitelte Debüt-EP der französischen, aus Paris stammenden Band SORTILÈGE, welche im September 1983 beim niederländischen Label Rave On Records erschien, gehört für mich seit ca. 15-20 Jahren ohne Wenn und Aber dazu.

Die Band bestand damals aus
- Christian "Zouille" Augustin - Gesang
- Stéphane "L'Anguille" Dumont - Gitarre
- Didier "Dem" Demajean - Gitarre
- Daniel "Lapin" Lapp - Bass
- Jean-Philippe "Bob Snake" Dumont - Schlagzeug

Seit wann ich die fabelhaften Lieder dieses wahrhaft bezaubernden Heavy-Metal-Meilensteins wirklich kenne beziehungsweise zum ersten Mal gehört habe, kann ich gar nicht mehr genau sagen, jedenfalls bin ich definitiv "Spätberufener". Ich las seit ca. 1996 kontinuierlich das Rock Hard-Magazin sowie unregelmäßig andere Zeitschriften und hatte schon mindestens vier bis fünf Berichte über diese EP gelesen, bevor ich sie irgendwann zwischen 2005 und 2010 endlich das erste Mal hören durfte, ich meine, das war über Bandcamp. Jahre später bestellte ich mir dann eine CD-Box mit T-Shirt. Bis auf das Shirt fällt diese jedoch recht mager aus, weshalb ich die Mitarbeit an diesem EP-Artikel zum Anlass nahm, mir den neuesten Re-Release von High Roller Records als magentafarbene, fabelhaft ausgestattete Vinyl-Variante zu bestellen. 

Auch wenn stets andere Bands in diesem Zusammenhang genannt werden: SORTILÈGE prägte das Genre, speziell in Frankreich, wie nur wenige andere. Dazu gehörten die Lederoutfits und metallischen Accessoires genauso wie einmalige Cover. Gleich mit der EP gelang ein zeitloses Kult-Dokument eines Signature-Schallplattencovers, das bis heute auf abertausenden T-Shirts, Patches und Postern dargestellt und verarbeitet wurde. Das von Brigitte Dumont, meiner Internetrecherche zufolge die Verwandte eines damaligen Bandmitglieds, gestaltete Cover ist von einem roten Rand umgeben. Auf schwarzem Hintergrund prangt darin der Bandname in altertümlichen Lettern. Darunter ist eine an einen Stempelabdruck erinnernde, kreisrunde Abbildung zu sehen. Die Kreislinie wird durch eine runde Flammenaura dargestellt. In ihrer Mitte ist auf weißem Hintergrund eine rote Figur mit spitz zulaufendem Hut auf ihrem Ziegenkopf, sowie mit Klauen, Fledermausflügeln und einem Schwanz in einer tänzerisch-bedrohlichen Pose dargestellt. Ich mutmaße, dass es sich um eine an mittelalterlichen Abbildungen orientierte Darstellung eines Zauberers handelt.

Wenn ich nun zum Wichtigsten komme, nämlich zur auf der EP enthaltenen Musik, ist mir eine Feststellung besonders wichtig: Mehr Heavy Metal geht nicht! Von messerscharfen, etwas dumpf tönenden, virtuos dargebotenen Gitarrenriffs, über Christian "Zouille" Augustins mit schneidend-hohen Metal-Screams garnierten metallischen Heldentenor, bis hin zum packenden, dramatisch-kunstvollen Songwriting, das auch beim zighundertsten Durchgang mit keinem Ton langweilt, ist alles enthalten, was man hören möchte, wenn man sich mit Heavy Metal infiziert hat. Die Titel der Lieder, Namen und Bezeichnungen von Personen, unterstreichen diese Empfindung ebenfalls und geben bereits einen Vorgeschmack auf das, was an die Ohren dringen wird:

'Amazone' (Kriegerin/Amazone) - 'Progéniture' (Nachkommenschaft) - 'Gladiateur' (Gladiator) - 'Sortilège' (Zauberei) - 'Bourreau' (Henker)

Mit der martialisch, durch ein furioses Riff beginnenden 'Amazone' auf der A-Seite des Originaltonträgers geht der Zauber los. Die Gitarrenmelodie und die sich durch Zouilles dramatisch-hektischen Gesang verdichtende, wilde und antreibende Atmosphäre der Musik ziehen den Hörer sofort in ihren hypnotischen Bann. Wer die Band schon einmal live gesehen hat, weiß, dass speziell dieses Lied wahrhaftig Magie ausstrahlt. Es folgt das komplexer, ja progressiver aufgebaute 'Progéniture', das vor allem Zouille Großes abverlangt, was seine stimmlichen Fähigkeiten angeht. Getragener, drückender startet die Musik, bevor deutlich wird, zu welchen gesanglichen Höchstleistungen Christian Augustin 1983 in der Lage war. Auch beim tausendsten Durchgang ist hier Gänsehaut garantiert! Der dritte Song, der die A-Seite beendet, ist der heroisch, heldenhaft stampfende 'Gladiateur'. Es handelt sich für mein Empfinden um eine so großartige, historisch inspirierte Hymne, dass man sich schon fragt, wieso das Lied nicht zumindest im Abspann von Ridley Scotts Spielfilm "Gladiator" zu hören ist.

Die B-Seite wird vom durch Mark und Bein gehenden, in seine drei Silben geteilten Schrei eröffnet, den ich als Überschrift für diesen Beitrag ausgewählt habe: 'Sor - ti - lège'. Dieser Song ist, und ich wiederhole mich, ich weiß, musikalische, in Töne gefasste Zauberei! Besser geht es schlichtweg nicht. "Der Titel ist Programm", 5€ ins metallische Phrasenschwein! Abgerundet wird dieses epochale Stück Heavy Metal von 'Bourreau', einer etwas getrageneren, mit langsameren, düsteren Parts durchsetzten Hymne, die neben unglaublichen Riffs abermals Zouille im Jahr 1983 als einen der besten Sänger, wenn nicht als den Besten der damaligen Zeit, erkennen lässt.

Um diesen vor Emotionen triefenden Abschnitt über die EP, die mir am meisten bedeutet, abzuschließen, möchte ich mich mit dem Beginn meines Reviews des SORTILÈGE-Albums "Apocalypso" von 2023 selbst zitieren:
"Was die französischen Heavy-Metal-Helden von SORTILÈGE betrifft, war am Anfang die EP. Jene legendäre, selbstbetitelte von 1983, die bis heute in Artikeln und Listen zu den besten Metal-EPs aller Zeiten, jemals, um es auch neudeutsch auszudrücken: EVER gezählt wird."

[Timo Reiser]

 

5. MAYHEM - Deathcrush (1987)

Ich kann nicht behaupten, von Anfang an dabei gewesen zu sein. Jahrgang 1985 – zwei Jahre vor der Veröffentlichung von "Deathcrush" von MAYHEM. Aber ich kann erzählen, wie geflasht ich vom Cover war, als ich die CD das erste Mal in der Hand hielt: das schrille Signalrot, dieses unheimliche Logo, die abgeschnittenen Hände, die an Seilen von einem Balken hängen. So brutal, dass ich die Scheibe heimlich im Rucksack ins Kinderzimmer schmuggelte. Und dann der Moment, als ich die CD in meinen portablen Player mit Kopfhörern schob – über den Aiwa-Multi-CD-Wechsler laufen lassen? Undenkbar – und auf Play drückte. Zugegeben: Ich war enttäuscht. Was sollte dieser Trommelwirbel für Arme? Das Intro sollte erst später in meinen Kanon rutschen, als wir es in einer lieben Freundesrunde regelmäßig zu – na, wer errät's? – genau: Silvester hörten. 

Aber dann der titelgebende Song 'Deathcrush', dieses Riff für die Ewigkeit. Noch heute bekomme ich Gänsehaut. Maniacs grenzdebiles Gekreische, die Rohheit, die Geschwindigkeit. Kniend, bangend, die Hände nach oben reckend – so genießt man diese Ungötterspeise. Vielleicht der wichtigste Extrem-Metal-Song für mich: pure Energie, purer Wahnsinn, purer katalytischer Hass. 

Vieles habe ich erst später verstanden, recherchiert, gehört: die tiefe Verneigung vor VENOM. Dass das Intro vom Berliner Synthesizer-Komponisten Conrad Schnitzler stammt. Dass die Hände auf dem Cover mal einem mauretanischen Dieb gehört haben sollen. Dass es nach 'Deathcrush' überhaupt noch weitere Songs auf der EP gibt. Im Ernst: Der Titeltrack bleibt mein maßgeblicher Go-to-Point. Aber das schleppende 'Chainsaw Gutsfuck', das basswummernde VENOM-Cover 'Witching Hour' mit seinen entrückten Vocals, das zunächst träge 'Necrolust' und das vom "stimm mich oder ich fress dich"-Klavierintro eingeleitete 'Weird Manheim' ergeben zusammen ein einzigartiges, genreprägendes Gesamtkunstwerk.

Ich hatte das – hm, ja – Glück, MAYHEMs Schaffen um die Jahrtausendwende direkt und am Stück nachzuholen. Wie schlimm muss es gewesen sein, ganze sieben Jahre auf das nächste Studioalbum zu warten. Fair enough, dazwischen gab es immerhin Live-Kost – aber trotzdem…

"Deathcrush" bleibt für mich das Paradebeispiel für künstlerisch radikale, aber brutal ehrliche Metal-Musik. Ich liebe diese EP für ihre Facetten und die bedingungslose Aufopferung gegenüber dem frühen Black Metal, die ich den jungen Männern zu dieser Zeit zu 100% zuschreibe. Was danach mit MAYHEM und seinem Umfeld passierte, ist Geschichte.

[Julian Rohrer]

 

6. AUDITORY IMAGERY - Reign (1992)

Ich mag mich mantraartig wiederholen, aber auch im Hinblick auf die nun folgende EP muss ich wieder einmal klarstellen: Die 90er Jahre waren weit besser als ihr Ruf, der der Dekade am Ende des letzten Millenniums bis heute (nach meinem Dafürhalten völlig zu Unrecht) anhaftet.

Gerade im Bereich des US-amerikanischen Progressive Metals gab es in jenen Tagen einen nicht enden wollenden Platzregen an qualitativ hochwertigen Veröffentlichungen. Von den meisten dieser Releases sprechen heute nur in absoluten Fach- und Nerdkreisen noch ein, zwei Händchen Leute. Eine dieser Bands war die aus Boston, Massachusetts stammende AUDITORY IMAGERY, welche bereits 1989 mit einem Demotape für erstes Aufsehen im hiesigen Underground sorgen konnte. Drei Jahre später folgte dann die mit "Reign" betitelte erste EP. Auch wenn der Tonträger bei den heiligen Metal Archives als Langspieler geführt wird, handelt es sich dabei lediglich um die Version, welche die Band kurze Zeit später mit den fünf Songs des angesprochenen Demos noch angereichert hatte.

Hier soll es jetzt einzig und allein um die sechs Stücke der EP-Version gehen, welche ich seinerzeit bei dem von Patrick Schmidt geführten Undergroundlabel Dynamo Records erstanden hatte, das uns Musikjunkies regelmäßig mit auf Schreibmaschine verfassten DIN A4-Dokumenten auf dem Laufenden hielt. An den guten Herrn hatte ich für mich damals nicht gerade unbeträchtliche Summen meines spärlichen Nebenjob-Einkommens in Briefumschlägen geschickt, nur um einige Tage später dann den materiellen Gegenwert in Form von Kassetten und CDs zu erhalten. Ach, schön war die Zeit…

Ist die CD dann endlich im Schacht gelandet, sollte man auch nicht allzu viel Zeit für das Betrachten des Covers aufbringen, denn dieses ist im Gegensatz zur hervorragenden Musik leider eher so lala geraten. Denn in welchem Zusammenhang das am Meereshorizont schauende Auge mit dem Kopfhörer tragenden und wahrscheinlich Musik hörenden Totenkopf steht, weiß ich leider auch heute noch nicht wirklich.

Gleich im Eröffnungstrack 'No Friend Of Mine' macht man keine Gefangenen und geht in die Vollen. Treibendes Drumming und ein schönes Gitarrensolo erwarten den Hörer gleich in den ersten 15 Sekunden. Die dann einsetzende Stimme von Sänger und Gitarrist Paul Wabrek erinnert wirklich stark an einen gewissen John Arch von FATES WARNING. Auch musikalisch ist man nah dran an der Band aus Hartford, Connecticut. Aber sowohl Kombos wie QUEENSRŸCHE, LETHAL als auch deutsche Prog-Bands wie SECRECY und SOUL CAGES stehen hier klangtechnisch Pate. Geheimnisvoll, dunkel-balladesk, ein paar Tempostufen niedriger und mit wunderschöner Keyboardbegleitung tönt  'Eyes' dann aus den Boxen. Was für ein fantastischer Track, bei dem mir erst jetzt nach über dreißig Jahren die Ähnlichkeiten zu ALICE IN CHAINS ins Ohr fallen. Wozu die einzelnen Musiker schon hier in der Lage gewesen sind, beweisen die Herren nicht nur im darauffolgenden Stück 'Mirror Crack'd' eindrucksvoll. Besonders Schlagwerker Mark Flaherty mit seinem großartig akzentuierten und manchmal intelligent rhythmusverschiebenden Schlagzeugspiel setzt grandiose Akzente und verdient in diesem Zusammenhang hier einmal besondere Erwähnung. Verschachtelter und komplexer Prog Metal mit einem klitzekleinen funky Einschlag, der nicht vergisst, dass auch großartige Melodien in einem Song nie zu kurz kommen sollten. Der mit knapp fünf Minuten längste Titeltrack (Prog Metal muss also nicht zwingend immer mit langen Songs aufwarten) zeigt, wie viel Finessenreichtum man ergo in kompakte 297 Sekunden so alles stecken kann, ohne sich in selbstverliebten Instrumentalorgien zu verlieren. Daher hält man sich im folgenden, ausgezeichneten Instrumental 'Steps' auch kurz, bevor es fließend in den EP-Closer 'Darkened Night' übergeht. Der Song bündelt noch einmal alle Kräfte der Band. Sagenhaft kompaktes Songwriting, ein enorm starkes Gespür für zauberhafte Melodien, dezenter und nie überbordender Einsatz der Keyboards und wahnsinnig gutes Handwerk an den einzelnen Instrumenten, ohne sich dabei jedoch, ich erwähnte es bereits, in egomanischen Selbstbeweihräucherungstrips zu verfranzen.

Die hier besprochene Original-CD ist meines Wissens ausverkauft. Leider wurden weder dieses Kleinod noch der drei Jahre später folgende und nicht minder brillante Nachfolger "So Alive" neu aufgelegt. Immerhin die 11-Track-Version von "Reign", zu deren Kauf ich auch eher raten würde, ist bei Discogs noch zu humanen und erträglichen Preisen zu bekommen. Katzen würden Whisky saufen, ich hingegen würde dringend den Kauf eben jener EP empfehlen. Bereuen absolut ausgeschlossen!

[Stephan Lenze]

 

7. GEHENNA - First Spell (1994)

Die EP ist seit jeher ein Format, das mir viel Freude bereitet. Zum einen haben viele Bands auf diese Weise ihren ersten Schritt in die Öffentlichkeit gewagt, und was sie im Gepäck hatten, waren die spürbare Neugier auf die eigene Zukunft, gepaart mit einem unstillbaren Erkundungsdrang, einem Sack voll kreativer, frischer Ideen, und der irre spannenden Suche nach dem eigenen Platz in alledem. Zum anderen ist die Kürze einer EP oft auch ein besonders schneller Weg der einzelnen Songs in Herz und Hirn des Fans, weil man sie mal schnell zwischendurch hören kann, auch wenn wenig Zeit ist, und weil der Finger eben auch rasch zur Repeat-Taste zuckt, wenn die Stimmung der EP dich mitreißt.

So nehmen tatsächlich zahlreiche EPs einen besonderen Ehrenplatz in den jeweiligen Diskographien meiner Lieblingsbands ein, Frank, Julian und Holg haben einige davon bereits erwähnt, und wenn ich mit der Nennung von "Medieval Steel", "Helloween", "The Emperor" oder "Aske" fortfahre, dann wird klar, wie schwer es für mich ist, hier die eine zu benennen, die sie alle überstrahlen soll. An sich ein unmögliches Unterfangen und vielleicht auch von der Tagesform abhängig. Am Ende ist die Wahl dann aber doch recht eindeutig, weil da dieses eine, ganz besondere Stück schwarzen Stahls immerdar in meinem Köpfchen herumspukt. Die wenigsten haben es auf dem Schirm, doch in meinen persönlichen Bestenlisten landet es Mal ums Mal ganz oben, wenn es um die großen Klassiker des Genres geht. Denn für mich hat es mit einem sehr kurzen, aber unbeschreiblich finsteren, durch die manischen Keyboards gleichermaßen gotisch wie wahnhaft angehauchten, und thematisch ultimativ treffenden Stück, eine der fünf größten Black-Metal-Hymnen aller Zeiten im Gepäck. Der Titel dieses Stücks? Nun, ganz einfach: Es heißt 'Angelwings & Ravenclaws'!

Damit ist auch klar, dass mein Spitzenplatz nach Rogaland, genauer gesagt in die wunderschöne Stadt Stavanger vergeben wird, die ich mehrfach besuchen durfte. Wir reisen nicht nur nach Nordwesten, sondern zudem zurück in das Jahr 1994: Die große norwegische Black-Metal-Welle brandet hart gegen die Gestade der Welt. Der große Sturm nimmt gerade richtig Fahrt auf, ist bereits auf der Schwelle zum Trend, doch noch den entscheidenden kleinen Schritt davor, von den großen Labels ausgeschlachtet zu werden. Es formieren sich die letzten Bands, die noch heute einhellig zu den großen Alten des Genres gezählt werden, und darunter sind eben auch fünf junge, gerade mal achtzehnjährige Norweger aus Stavanger... also genau in meinem Alter, und genau auf meiner musikalischen Wellenlänge! Ihre Namen? Sanrabb, Dolgar, Sarcana, Dirge Rep und Svartalf, oder kurz gesagt: GEHENNA!

Ihre Debüt-EP "First Spell" ist ein Monster sondergleichen! Auf eine eindringliche, gespenstische Weise verbinden die vier Jungs und das Mädel die Rohheit des Black Metals, die vor allem in den rauen, grimmigen, aber stets in jedem Wort verständlichen Stimmen von Dolgar und Sanrabb und der magischen Low-Fi-Produktion transportiert wird, mit ihrem Faible für eine dichte, mystische Horror-Atmosphäre, welche von den gespenstischen, betörenden Leadmelodien unterstrichen wird. Hier liefern die vielseitigen Gitarren und das Songwriting der beiden Vorgenannten und das Tastenspiel der Keyboarderin Sarcana eine einmalige Performance, die Gothic Horror mit Quorthon'scher Epik und unverkennbarer Norway-Nineties-Stimmung verschmilzt; mantrisch und doch eindringlich und voranpreschend getragen von der simplen und doch in ihren Bann ziehenden Rhythmusarbeit von Dirge Rep und Svartalf.

Auch wenn ich exponiert die Engelschwingen und Rabenklauen hervorgehoben habe, den zentralen Dreh- und Angelpunkt der Scheibe, so stehen die beiden Stücke davor und die beiden danach dem in nichts nach: 'The Shivering Voice Of The Ghost', 'Unearthly Loose Palace', 'The Conquering Of Hirsir' und das finale 'Morningstar' gehören allesamt zum Besten, was Black Metal zu bieten hat. Große Worte? Wahre Worte! Dies ist ein phänomenal guter Einstand für eine blutjunge Band, die für mich auch heute noch – dreißig Jahre später – zu den zwar oft übersehenen, aber unterm Strich doch wichtigsten und besten Black-Metal-Bands aller Zeiten gehört.

Alt for GEHENNA!

[Rüdiger Stehle]

 

8. THY SERPENT - Death (2000)

THY SERPENT kommt aus dem Land der 1000 Seen und bereitete mir um das Jahr 2000 herum mit den Alben "Forests Of Witchery" und "Christcrusher" viel Freude. Das zweitgenannte Werk hatte ich bei Nuclear Blast bestellt. Ja, sowas gab es damals, man erwartete das Paket sehnsüchtig und hörte das ganze Wochenende die bestellten CDs. Die EP "Death" blieb das letzte Lebenszeichen, und was für eins: eine EP von circa 20 Minuten Länge mit vier Tracks. 

Finnvox und Mika Jussila waren in Finnland seinerzeit das Maß aller Dinge, so wie Studio Fredman oder Tägtgren in Schweden. Die Band bezeichnete ihre Musik als "Dark Metal", da sie nicht satanisch sei. 'Deathbearer' eröffnet die EP in fließendem Rausch, beschwingt nahezu, Keys und Gitarren waren damals nicht von einer KI und zogen wie eine dunkle Wolkenfront über den Hörer hinweg. Diese Band kreierte eine Atmosphäre, die sich durch alle Songs zog und nicht durch eigenwillige Experimente unterbrochen wurde. Im Wald möchte man eben kein Gegröle hören, keinen verirrten Gestalten im Safari-Look oder Outdoor-Design begegnen. 

Die Melodie, dieser vertonte Nebel über verhangenen Wipfeln, blieb mir im Gedächtnis wie solche von DIMMU BORGIR, DISSECTION oder NAGLFAR. Oder die ihrer genialen Landsleute von THROES OF DAWN. 'Wounds Of Death' eröffnet akustisch, baut sich turmhoch auf, zaubert eine grandiose Melodie und das Break ab Minute 3:30 ist nicht von dieser Welt: Wie der Gesang einsetzt, melancholisch treibend durch den Forest, sich nicht aufhalten lässt wie ein Sommergewitter über dem heimischen Thing, das ist so genial, ich habe diese Passage nie vergessen und immer wieder diese kleine unbekannte Band herausgekramt, um diesem Geniestreich zuzuhören. 

'Sleep In Oblivion' führt den eingeschlagenen Weg konsequent fort – was waren diese Bands damals kreativ. Der dunkle, majestätische Gesang ist eigentlich zu hörbar für Black Metal, Geschrei gibt es hier keins. Manchmal streuen die Finnen Riffings ein, der Fluss zieht jedoch magisch weiter, es geht vorwärts, immer weiter der dunklen Festung entgegen, die sich seit Tagen am dunstigen Horizont abzeichnet, jedoch in nicht zu erreichender Ferne verbleibt. 

'Rarasites' beendet den Galopp am Ufer entlang, das Tempo wird gehalten, auf der einen Seite der Wald, auf der anderen der Fluss. Verlust, Trauer und ein kaum zu bändigender Enthusiasmus wechseln sich ab, um diese von großartigen Melodien getragene, mitreißende Stimmung zu erzeugen, die den Hörer auch nach 25 Jahren noch voll ergreift. 

THY SERPENT hatte großes Talent. Die Band hätte auch noch ein Album dieser Güte aufnehmen können, Besetzungswechsel erschwerten jedoch die Weiterarbeit. Die Kombo scheint es noch zu geben, denn aufgelöst hat sie sich nicht. Oder keiner weiß es, denn sehr bekannt ist sie nicht.

[Matthias Ehlert]

 

9. DISILLUSION - Three Neuron Kings (2001)

Back to the beginning: Im Jahr 2004 landeten die Leipziger Progressive-Death-Metaller DISILLUSION bei Metal Blade Records und veröffentlichten ihr bis heute in der Szene als stilprägend gefeiertes Debütalbum "Back To Times Of Splendor". Doch zu jenem Zeitpunkt existierte die Band bereits stolze zehn Jahre. Gehen wir in der Historie einen Schritt zurück, landen wir im Jahr 2002 und bei "The Porter" – eine Zwei-Track-Single, deren Aufnahme man als Sieger eines Bandcontests des "Legacy"-Magazins gewonnen hatte, was der Band natürlich bereits eine gewisse überregionale Aufmerksamkeit bescherte. Doch ich möchte noch einen weiteren Schritt zurückgehen ins Jahr 2001, als nach zwei früheren Demos die EP "Three Neuron Kings" das Licht der Welt erblickte, mit welcher im Gepäck man dann auch den eben erwähnten Bandcontest erfolgreich für sich entscheiden konnte.

Im Grunde sind die vier Songs auf dieser EP die Geburtsstunde des typischen DISILLUSION-Stils, der bis zu "Back To Times Of Splendor" dann ausgefeilt und perfektioniert werden sollte. Die Stücke wirken also noch recht roh und ungestüm – aber dennoch ist das zweifellos bereits der vielschichtige und extrem eigenständige Progressive Death Metal, der die Leipziger später auch über die Landesgrenzen hinaus bekannt machen sollte. Dabei war diese Qualität der vier neuen Songs zu diesem Zeitpunkt schon etwas überraschend – hatte die Band doch zuvor einige Zeit auf Eis gelegen und kam nur durch zwei Neuzugänge überhaupt wieder in die Gänge, als Rajk an der Gitarre und Schlagzeuger Jens dazustießen.

Die wilden, ungezügelten Riffattacken und der charakteristische Gesang von Vurtox, wie sich Andy Schmidt damals noch nannte, dominieren den trotz des ruhigen Mittelteils äußerst aggressiv tönenden Opener 'In Vengeful Embrace', während dem nicht weniger harten, aber auch etwas unspektakulären 'Expired' ein paar symphonische Melodien beigemengt werden, die für zusätzliche Farbtupfer sorgen. 'The Long Way Down To Eden' drosselt dann das Tempo phasenweise etwas und lässt dem Wahnsinn freien Lauf – hier braucht es ob der ganzen Richtungswechsel definitiv einige Durchläufe, um sich die Nummer zu erschließen. Die Gesangsmelodien erinnern hier bereits so deutlich an das geniale Debütalbum, dass es eine wahre Freude ist, dies jetzt, fast ein Vierteljahrhundert später, noch einmal retrospektiv nachzuhören. Immer noch meine Lieblingsnummer auf "Three Neuron Kings". Der melodischste Song auf diesem Viererpack ist der abschließende Titeltrack, der mit einer Prise Epik daherkommt und auch schon einen schönen Vorgeschmack auf künftige Großtaten liefert.

Auch wenn die Songs direkter und stellenweise vielleicht sogar noch etwas irrwitziger sind und DISILLUSION in Sachen Komplexität und Finesse im Songwriting (natürlich) noch zulegte, ist "Three Neuron Kings" ein Zeitdokument, ohne das die Geschichte dieser einmaligen Band nicht vollständig erzählt ist. Und die EP belegt zusammen mit der Single "The Porter" (2002), warum zumindest im lokalen Umfeld die Vorfreude und Erwartungshaltung in Bezug auf den ersten Longplayer damals riesig groß waren: "Back To Times Of Splendor" sollte diese nicht enttäuschen, doch die Klasse und vor allem die Originalität und Eigenständigkeit DISILLUSIONs hatte sich bereits 2001 auf "Three Neuron Kings" unzweifelhaft gezeigt.

[Stephan Voigtländer]

 

10. STORMWARRIOR - Heavy Metal Fire (2003)

Lange habe ich überlegt, welche EP es sein soll. Hätte man mich vor ein, zwei Jahren gefragt, hätte ich ohne mit der Wimper zu zucken SOILWORKs "A Whisp Of The Atlantic", dieses verdammte Meisterwerk aus der Feder der Schweden, genannt. Doch möchte ich etwas tiefer graben und wähle "Heavy Metal Fire", die EP meiner All-Time-Favoriten von STORMWARRIOR, zufälligerweise auch eine der ersten Platten, die ich für POWERMETAL.de rezensiert habe. Es kommt also, wie es kommen muss.

Traurigerweise hört man von den Nordköppen seit einiger Zeit recht wenig, was mir von Tag zu Tag noch mehr die Kehle zuschnürt. Mir bleiben also Göttergaben wie "Northern Rage", das selbstbetitelte Debüt oder eben die EP, die mich damals wie heute gleichermaßen mitreißt. Natürlich sind es Songs wie das Titelstück oder 'Thy Last Fyre', die den inneren Schweinehund von der Leine lassen. Doch vor allem packen mich die einstigen Demo-Songs der Marke 'Spikes And Leather' und 'Storm Of Victory', die mir noch immer die Tränen der Entschlossenheit in die Augen treiben, mir die Kehle vor Inbrunst, Gewalt und roher Undergroundpower zuschnüren, die mir – und jetzt wird es richtig emotional – nach wie vor das zeitlose Gefühl geben, dass STORMWARRIOR nächste Woche eine neue Platte herausbringt.

Anstatt mich also mit der Realität auseinanderzusetzen, ist "Heavy Metal Fire" mein persönlicher Eskapismus-Soundtrack, der die Anfänge sowie die Hochphase dieser einzigartigen Band in 27 Minuten und 44 Sekunden optimal zusammenfasst und das perfekte Bindeglied zwischen den heroischen Anfängen und der Blaupause des epischen, rasanten und entschlussfreudigen Schwermetalls auf "Northern Rage" darstellt. Die Hoffnung, dass Wunschdenken doch irgendwann zur Realität wird, bleibt nach wie vor bestehen. Doch so oder so höre ich "Heavy Metal Fire" und verliere mich auf einem vor Kriegern nur so gespickten Schlachtfeld mit Schwert und Schild... auf dem Weg nach Valhalla!

[Marcel Rapp]

 

11. DIE TOTEN HOSEN - Friss oder stirb (2004)

Zugegebenermaßen bin ich nicht der große EP-Hörer. Am ehesten landen diese bei für mich interessanten Bands in Playlisten. Nur selten findet ein kurzer physischer Tonträger den Weg in meine Sammlung. Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Eine davon ist diese hier: Anfang des Jahrtausends war als Teenager meine Liebe zu den TOTEN HOSEN voll entflammt. Nach dem starken Album "Auswärtsspiel" und der dazugehörigen Tour habe ich neuen Stoff der Düsseldorfer richtig ersehnt. Als erstes kam 2004 die EP "Friss oder stirb" auf den Markt. Ich weiß noch, wie ich mit Freunden im Park vor der Schule saß und wir über den Release und das Musikvideo diskutiert haben. Den halben Freundeskreis hat dies in den Bann gezogen. Hinzu kam, dass in damaligen Internetforen diskutiert wurde, ob möglicherweise der Song 'Friss oder stirb' der ominöse Track ist, der vom Album "Auswärtsspiel" geflogen ist. Denn ein Song dieser Platte wurde nach den Anschlägen auf das World Trade Center im Jahr 2001 von den TOTEN HOSEN von dem Album genommen. Es gab also viel Raum zum Diskutieren und für Spekulationen. Einen in der Pubertät befindlichen Teenager fixt dies natürlich voll an. 

Der Titeltrack der EP ist dann auch ein echter Brecher. Ein knallhartes Brett, das mich voll angesprochen hat und das ich bis heute mag. Allerdings bin ich mir nicht mehr hundertprozentig sicher, ob der Text noch in die heutige Zeit passt oder ob er vor dem Hintergrund aktueller politischer Entwicklungen leider zu schnell falsch verstanden werden kann. Anschließend folgt 'Goodbye Garageland', ein klassischer Punkrock-Kracher mit klarem Bezug zum britischen Punkrock der siebziger Jahre. Dies gilt sowohl für die Musik als auch für den Text, der nur aus Zitaten von Lyrics der Band THE CLASH besteht. 'Leb' wohl und danke sehr' ist ein typischer melodiöser TOTE HOSEN-Song mit nettem Text über das Ende des Lebens, bevor 'Wir sind das Volk' musikalsch sehr ungemütlich und mit kritischem Blick auf die Gesellschaft die EP abschließt.

Nach vier Songs und nicht einmal zehn Minuten ist die EP beendet. Alle vier Lieder sind stark und hätten das ungefähr ein halbes Jahr später erschienene Album "Zurück zum Glück" aufgewertet, da dieses leider recht durchwachsen geworden ist. Für mich schwingt bei der EP neben der musikalischen Qualität immer viel persönliche Erinnerung mit, sodass sie eindeutig meine Herzens-EP ist.

[Dominik Feldmann]

Redakteur:
Jens Wilkens

Login

Neu registrieren