FLOYA im Interview

19.07.2024 | 23:58

Ich sauge morgens gerne.

Nach dem Release des Debüt-Albums haben wir mit FLOYA ein Interview ergattert. Als Noah und ich die Band via Zoom zum Interview treffen, ist zunächst nur Marv Wilder (ehemals ALAZKA) da, den ich für seine coole Jacke aus dem 'Yume'-Musikvideo lobe. Nach einigen Minuten gesellt sich Phil Bayer (ehemals TIME, THE VALUATOR) zu uns, der von Köln ins Ruhrgebiet fahren musste und sich deshalb ein bisschen verspätet. Die Band erkennt uns sofort von einem ihrer vergangenen Konzerte, wo wir nach Autogrammen gefragt hatten. Endlich komplett starten wir sofort ins Interview, das erstmal holprig startet, weil wir eines der ersten Interviews sind, das die beiden auf Deutsch führen. English is the business language!

 

Erstmal: Für alle, die euch vielleicht nicht kennen, könnt ihr eure Bandgeschichte vielleicht in vier, fünf Sätzen mal zusammenfassen.

Marv: "Phil und ich haben uns kennengelernt, als Phil ursprünglich als Sänger für meine alte Band einsprang. ALAZKA war auf einer Tour, die durch Corona nie beendet wurde. Im Anschluss haben wir uns leider aufgelöst. Phil und ich haben weiterhin Kontakt gehalten, waren mit unserem Produzenten dann im Anschluss in Norwegen auf einem kleinen Trip für drei bis vier Wochen, um uns besser kennenzulernen. Wie man sieht, hatten wir einen Vibe zusammen und so kam das Ganze dann ins Rollen."

Inwiefern hat euch eure Norwegen-Reise zu FLOYA und weiterführend zu "Yume" inspiriert?

Phil: "Ehrlich gesagt gab es zu diesem Zeitpunkt, als wir in Norwegen waren, gar keinen Plan für irgendwas. Wir waren einfach drei Jungs, die sich ins Auto gesetzt haben und dann eine Fähre genommen und irgendwo in der Telemark ein Haus gemietet haben, um da einfach ganz zwanglos, ohne Deadlines, ohne Label, ohne Bandnamen Musik zu machen. In diesen drei Wochen haben wir dann 'Lights Out', 'Epiphany' und 'Wonders' geschrieben. Da haben wir einfach gemerkt: 'Hey, das könnte echt ganz gut funktionieren.' Aber dass wir über ein Album oder überhaupt einen Bandnamen nachgedacht haben, das war nicht so."

Warum habt ihr euch dazu entschieden, nach der Auflösung ALAZKAs weiter Musik zu machen?

Marv: "Ich bin erstmal in ein krasses Loch gefallen nach der Auflösung, wenn man auf einmal kein Musikprojekt mehr hat, das jahrelang der absolute Lebensmittelpunkt war. Es wurde dann schnell klar, dass für uns beide was fehlt und wir diese große Lücke wieder füllen möchten."

Phil: "Für mich gab es, seitdem ich ganz klein war, eigentlich gar keine anderen Karriereoptionen als das hier zu machen. Ich war ein schwieriger Teenager, der nichts anderes machen wollte als Musik. Na ja, es ist, wie sagt man, das zweithärteste Geschäft der Welt. Nach Drogen? Nach Prostitution? Irgendwas war da." (alle lachen) "Musiker zu sein ist ein hartes Brot. Als ich 2018 mein altes Projekt verlassen habe, habe ich einen kleinen Identitätsverlust erlitten. Man definiert sich nun mal zu großen Teilen über das, was man artistisch schafft. Dann stehst du da und hast irgendeinen Nebenjob gekloppt, über den du dich jetzt definieren sollst? Als wir dann die Chance gefasst haben, hat ja alles ganz gut funktioniert. Ich bin zumindest ziemlich glücklich mit "Yume"."

Phil, wie schwer war es, von düsteren Liedtexten zu positiven zu wechseln?

Phil: "Schwer. Ich bin relativ behütet und isoliert aufgewachsen, während Marvin mit super vielen Freunden aufgewachsen ist. Diese Gruppe hat eine sehr positive Atmosphäre. Aufgrund der Isolation in meiner Kindheit und frühen Jugend bin ich immer wieder in diese dunkleren Themen eingestiegen. Als ich zu dieser Gruppe gestoßen bin, habe ich gemerkt: 'Hey, ich habe gar keine Lust mehr, solche traurigen Themen überhaupt zu behandeln.' Wir haben es mit 'Lights Out' versucht, weil das der erste Song war, den wir tatsächlich ins Studio mitgenommen haben. Für diesen Song habe ich versucht, mich mehr auf die positiven Dinge zu konzentrieren. Das wollte der Song aber nicht. Bei 'Wonders', wo ich dachte, dass ich ewig für diesen Scheißtext gebraucht habe, bin ich jetzt happy damit."

Ihr wart beide schon in härteren Musikstilen mit heftigeren, wütenden Texten unterwegs und FLOYA geht davon ein Stück weg, eher in Richtung Pop und IDM. Hat sich euer Verhältnis dazu verändert?

Phil: "Alles hat seinen Platz und seine Zeit. Ich war in meinem Leben sehr wütend über Themen, die wir jungen Erwachsenen so kennen. Oder besser gesagt, was heißt wir? Ihr seid vermutlich ein bisschen jünger als wir. Ich habe irgendwann gedacht: 'Ich habe jetzt genug Zeit damit verbracht, wütend zu sein und ich werde mich jetzt auf das konzentrieren, was ich Positives mitnehmen kann.' Das ist nicht nur eine künstlerische Entscheidung, sondern auch eine identitäre Entscheidung. Ich bin nicht mehr böse."

Marv: "Dennoch höre ich gerne traurige Musik oder Songs, die auch sehr emotional sind. Aber man muss das auch trennen: was wir selber für Musik machen wollen und welche Musik wir konsumieren."

FLOYA klingt ein Stück erwachsener als die Projekte, in denen ihr vorher wart. Und zufriedener.


Phil: "Das kann man so beschreiben, wir sind etwas mehr 'gesettelt'. FLOYA ist für uns einfach nur ein Synonym dafür, dass Marv und ich tun können, was wir wollen, dass wir alle 'Tools of Expression' nutzen können. Wenn es dann irgendwann kein künstlerischer Ausdruck mehr ist, langweilt einen das auch als Musiker. Was ich mir für diese Band wünsche, ist die Reaktion: 'Hey, da ist ein neues FLOYA-Release, what could it be? You don't know.' Es wird auf jeden Fall immer überraschend sein!

Inwiefern haben eure Familien euch beeinflusst bei den positiven Texten und der Musik per se?

Phil: "Ich habe mal mit meinem Vater ein Album gehört, das ich vorher gemacht hatte, und er hat sich dazu im Booklet die Texte durchgelesen und dann zu mir gesagt: 'Hey, das ist, ähm, ganz schön dramatisch. Müssen wir uns Sorgen machen? Geht es dir gut?' Das war mir gar nicht so bewusst in dieser Zeit, auch wenn ich wusste, dass viel davon autobiografisch ist. Meine Mama... (zu Marv): Ich glaube auch deine Mama, das sind unsere Heldinnen, daraus beziehen wir die meiste positive Energie. Bei dir natürlich auch dein spektakulärer Vater, unser Logistikzentrum. Bei meinem Vater und mir ist es ein bisschen anders."

Inwiefern hat euer zweiter gemeinsamer Trip nach Kroatien inspiriert zu euren Texten?

Marv: "Wir haben da ein bisschen über unsere Verhältnisse gelebt, um Inspiration zu sammeln, mit einem schönen Haus mit Pool und in den Bergen. Ich bin eigentlich nicht so der Frühaufsteher, aber bei der Umgebung und dem Vibe bin ich Fan davon, früh aufzustehen, den Laptop raus, auf die Veranda setzen und kreativ zu sein. Das ist kaum zu vergleichen mit dem Büro, wo der Ausblick einfach nur grau ist."

Phil: "Fun Fact: Was ihr dazu über Marvin wissen müsst, ist, wenn er in einer inspirierenden Umgebung arbeitet, dann ist er wirklich ein Frühaufsteher. Er macht dann auch vorher nichts, er nimmt seine Gitarre und sitzt auf seinem Stuhl. Und wehe, man stört ihn in seiner Soundwelt."

Marv: "Wenn Leute dann anfangen zu saugen, zum Beispiel."

Phil: "Ja, ich sauge morgens gerne."

Marv: "Soll Vibes killen, habe ich gehört."

Phil: "Ja, passiert." (Beide lachen) "Aber generell sind diese kleinen Reisen, wenn wir sie finanziell hinbekommen, für uns. Wir versuchen jedes Jahr, uns von der gewohnten Umgebung auch mal zu lösen. Das ist nicht die Umgebung, die mich dazu inspiriert, ein neues Kunstwerk zu schaffen."

Wie kam es dazu, dass ihr jetzt eine Band-Konstellation von einem Sänger, einem Gitarristen und einem Drummer habt und keinen Keyboarder oder Bassisten?

Phil: "Wir haben am Anfang auch darüber nachgedacht, wen wir rekrutieren könnten. Wir dachten uns: Statt jetzt krampfhaft Members zu suchen, lass uns doch einfach das, was uns an Personal fehlt, zu unserer Stärke machen und die 'missing Elements' elektronisch und digital erzeugen. Das eröffnet natürlich auch Sounddesign-Möglichkeiten, die vorher nicht so denkbar waren.

Mit Sachen vom Band habt ihr also keine Berührungsängste? Das ist im Metalbereich eher verpönt.

Phil: "Das ist mir komplett egal, muss ich ehrlich zugeben."

Marv: "Wer seinen Horizont nicht erweitern kann, verpasst einfach eine Menge guter Musik. Oft genug werden wir angesprochen: 'Hey, war 'ne coole Show, aber warum habt ihr denn keinen Basser?' Schlichtweg, weil wir es nicht müssen. Die Besetzung an sich ist ein Statement. Wem es nicht gefällt, es gibt doch so viel coole Musik da draußen."

Live habt ihr aber auch einen Drummer, ist er Teil des Projekts?

Phil: "Unterstützung. Wir teilen diesen Drummer-Sitz zwischen zwei Leuten auf, je nach Verfügbarkeit. Die beiden helfen uns überall, aber die Verantwortung und die kreative Entscheidung und Direction unterliegt uns."

Wie fühlt es sich für euch an, das Album in der Hand zu haben und zu wissen, ihr habt jetzt nicht nur einzelne Fragmente, sondern einfach ein ganzes Album geschaffen?

Marv: "Krass, krass. Wir haben drei Jahre gearbeitet, den Sound zu shapen, auch wenn wir den wahrscheinlich nie zu Ende gebracht haben werden. Es ist einfach schön, dass das Projekt jetzt auch in der Industrie sichtbar ist. Es ist totaler Quatsch, aber ein Album hat in den Ohren der meisten Agenturen mehr Gewicht als neun Singles."

Phil: "Wenn es um Tour Pitching geht oder generell, wenn man neue Partner sucht oder ähnliches, ist es schwierig, direkt ernst genommen zu werden, wenn man sagt: 'Hey, wir haben sechs Songs draußen.' statt 'Hier ist unser Album.' Es ist natürlich von strategischer Bedeutung."

Was bedeutet das Album für euch auch musikalisch? Wie geht es danach weiter, auch stilistisch?

Phil: "Ich finde, Entwicklung ist nie eine aktive Entscheidung, sondern das passiert automatisch. Abhängig davon, mit welcher Musik ich mich gerade beschäftige und welche Art von Medien konsumiere ich."

Marv: "Diese Songs sind auch immer Snapshots, vielleicht ist man, als man diesen Song geschrieben hat, gerade mehr in dieser Musikrichtung auch privat unterwegs gewesen. Das sind unbewusste Einflüsse, die sich immer zeigen. Es kann sein, dass Album zwei völlig anders ist."

Wir hatten das vorher schon ein bisschen, aber wie fasst ihr die Idee von einem Lied bis hin zum tatsächlichen Song?

Marv: "Kommt darauf an, mit welcher Grundidee man startet. Sobald die Basis da ist, formulieren wir das zusammen komplett aus. Dann schreibt man Texte und Phil finalisiert die Vocals. Bis zum Punkt, wo wir ins Studio gehen. Dann involvieren wir unseren Produzenten. Das klingt jetzt gerade wie so ein gradliniger Approach, der nicht existiert. Da führen 10 Prozent zum Ziel und der Rest existiert irgendwo in einer geheimen Cloud, wo man nicht weiß, ob die jemals das Tageslicht sehen werden. Teilweise sind viele Dinge auf dem Album, lyrisch betrachtet, autobiographisch, aber auch bei weitem nicht alle."

Phil: "Mancher Song erzählt vielleicht auch nur eine Geschichte. Ich werde auch nicht sagen, welcher, weil ich den Leuten das nicht wegnehmen möchte, weil jeder macht daraus sein eigenes Ding. Ich glaube fest daran, dass gerade bei Kunst, egal, welches Medium es ist, diese Sachen auch der Audience gehören, es passiert etwas im Kopf des Konsumenten, womit er sich das zu eigen macht."

'Hymn' ist euer am meisten gestreamter Song, den ihr auch ziemlich früh released habt. Gibt es einen gezielten Traum für euch, den ihr damit niederschreiben wollte?

Phil: "Ja, wir beziehen uns da auf die Musikkarriere als Ganzes, also unseren Traum, Musik leben zu können und zu dürfen. Dieses Privileg hat man einfach zu zelebrieren. Wir haben in unserem Leben miteinander und getrennt voneinander viele Opfer bringen müssen. Diese Opfer sind nicht immer nur finanzieller Natur. Zum Job gehört dazu, dass du viel arbeitest, dass du sehr wenig zu Hause bist, dass du Sechs- bis Sieben-Tage-Wochen hast, dass du auf Tour gehen musst. Und viele Partnerinnen und zwischenmenschliche Beziehungen haben da keinen Bock drauf. Das kann man niemandem verübeln, weil natürlich möchte man, wenn man eine Partnerschaft führt, auch den Partner präsent haben. Es gibt diese Konventionen und man bringt auch emotional zwischenmenschliche Opfer, um das hier am Leben zu halten."

Was wäre dann euer wildester Traum, wenn ihr euch den ausmalen dürftet für die Zukunft? Sagen wir mal in fünf Jahren.

Phil: "Ich will in Arenen. Dafür arbeiten wir jeden Tag. Also, ihr müsst euch vorstellen: Wir haben Sieben-Tage-Wochen, ich habe einen Nebenjob. Marvin ist nebenbei noch selbstständig und damit kommt man in Summe auf sieben Tage und sehr lange Tage mit wenig Verschnaufpausen. Wenn ihr mir in zwei Jahren sagt, ich kann mit Marvin in einer 20.000-Menschen-Arena spielen, als ob ich da 'nein' sagen würde."

Was oder wer hat euch zu dem Lied 'Yume' inspiriert?

Phil: "Für mich war es der Tod meiner Großmutter, zumindest für den Kontext. Es ist ein Verlustsong, ich nehme niemandem großartig irgendwas weg, weil das Konzept für jeden greifbar ist, etwas, das fast jeder erlebt hat. Da ist die traurige Wahrheit, dass dieser Tag kommt, an dem man sich mit dem Verlust seiner Liebsten beschäftigen muss, weil es einfach nicht abzuwenden ist. Meine Großmutter hat mich zu großen Teilen aufgezogen und sie zu verabschieden war schon sehr, sehr schwierig für mich. Ich wollte ihr mit dem Song Tribut zollen und zeigen, dass sie nicht vergessen ist. Also ein ganz normales menschliches Bedürfnis, eben verschriftlicht. Klingt es so, als hätte ich ein Anwaltsdokument aufgesetzt."

Wie seid ihr bei 'Stay' auf die Idee mit dem Anfangs des Liedes gekommen? Für mich klingt das nach so einem Serienanfang oder einem Anime-Intro.

Phil: "Dass wir von asiatischer Kultur beeinflusst sind, ist unverkennbar. Ich weiß, dass es in Asien eine Musiknische gibt, in der sich beispielsweise solche Anime-Song-Intros und so etwas bewegen. Ich meine jetzt nicht "Shaolin Soccer" oder so, sondern "Dragonball" und solche Kisten. Man nimmt unbewusst ein bisschen was mit und es passt in diese positive, lebensbejahende, feierliche FLOYA-Stimmung. Wobei ich finde, der Anfang von 'Drift' erinnert mehr an Anime, bei 'Stay' vielleicht ein ernsterer, ein bisschen erwachsenerer Anime. Es gibt auch viele Videos auf YouTube, in denen Leute unsere Songs für "Finnlands Saga" und andere Anime zusammenschneiden. Wäre schön, wenn der der Ghibli-Typ einfach mal bei uns anruft und sagt 'Hey, mach doch mal ein Intro.'"

Was war als FLOYA eure beste Fan-Interaktion bis jetzt?

Phil: "In Köln, auf jeden Fall, in der Essigfabrik, weil da unsere Homebase vermischt war mit vielen Leuten, die uns aber nicht kannten. Ich glaube, die Kombination war die beste Erfahrung, die wir bisher gesammelt haben. Außerdem waren wir auf die ELECTRIC CALLBOY-Kinofilm-Premiere in Essen eingeladen und wir kennen uns, aber nicht persönlich. Aber dann trafen wir die beiden Sänger im Artist-Bereich und von denen aufgehalten zu werden, die uns dann sagten, dass sie riesige Fans sind, das war krass. Wenn man als Künstler von anderen Künstlern komplementiert wird, ist das immer etwas ganz Besonderes, denn die kennen natürlich die schweißtreibende Arbeit, die man hier verzapft. Und da ist es dann gerade bei jemandem, der es letztes Jahr geschafft hat, Arenen im Großraum zu füllen, ein wirklich tolles Kompliment."

 

Fotocredits: Noah-Manuel Heim

Redakteur:
Katharina Jäger
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