Gruppentherapie KHEMMIS - "Hunted"
20.11.2016 | 20:37Notentechnisch herrscht in dieser Gruppentherapie Einigkeit darüber, dass "Hunted" zwar gut, aber nicht der ganz große Wurf ist. Die Begründungen gehen dennoch ein Stück weit auseinander (insbesondere, welcher Song nun heraussticht), und auch Platz 2 im Oktober-Soundcheck spricht eine etwas andere Sprache. Wer recht hat, liegt wie immer im Auge und vor allem Ohr des Betrachters.
Platz zwei bei den Soundcheckern, und Altschüler Jonathan gibt 9 Punkte. Da muss ich Doomkopf reinlauschen. Sperrig wirkt das Klangbild: Eine seltsame Ästhetik, die unschlüssig zwischen Doom Metal und Stoner Rock verharrt. Trockenstes Schlagzeug, kaum Bassvolumen, erhabene Gesangslinien; epischer Doom? Dazu aber derb rotzige Gitarren mit dröhnendem Säge-Fuzz, dem jedoch der nötige Punch fehlt, das macht so keine Schnitte, die nötige Heaviness fehlt; Stoner Rock? Doch dazu fehlt der treibende Groove. Der Gesang bleibt seltsam blass, der Gesamtsound versinkt mitunter beinahe im noisigen Sludge, ohne jemals dessen eigentümlich ätzende Aggression aufzubieten. Was beides sehr schade ist, denn KHEMMIS hat in den Kompositionen durchaus tolle Melodien aufzubieten. Doch wer grabesdustre Doomstimmung erwartet, der ist hier falsch. "Hunted" bietet Metalblaupausen, die als Heavy Rock gespielt wurden. Das Doom-Element bleibt so unter seinem Potential. Ob des nahezu unmetallischen Klangbildes würde man rauchende Psychedelik erwarten, doch auch die bleibt aus. Zu einem "vollwertigen" Metalalbum fehlt der zupackende Biss. Klage auf hohem Niveau meinerseits? Sicherlich. Denn der erste und letzte Song funktionieren auch so. Aber das Album klingt so nun mal ziemlich anstrengend, setzt sich für mich genau zwischen die stilistischen Stühle: An Referenzen wie REVEREND BIZARRE gemessen fehlt das Malmende, Zerstörerische; im CANDLEMASS-Vergleich gehen wohldosiertes Pathos und ohrenschmeichelnde Tragik ab. Zwingende Hypnotik wie etwa bei KYUSS sucht man auch vergebens. Wer eigensinnige Grenzgänger mag, Songwriting alter Schule und einen schrägen Lo-Fi-Sound unter einen Hut bringen kann, sollte dennoch mal ein Ohr riskieren. Denn Eigenständigkeit wird geboten.
Note: 7,0/10
[Eike Schmitz]
Tja, also irgendwie stehen meine Ohren beim Thema KHEMMIS eher auf Eike Seite als bei dem, was uns Jhonny in seiner Hauptrezi schildert. Hier wird KHEMMIS sogar als genresprengende Weltherrschafts-Band im Bereich Doom angepriesen. Das ist immer sehr gefährlich, finde ich. Der satte Fuzz-Sound ist sehr cool, aber auch gerade hip. Dagegen habe ich auch absolut gar nichts, aber ein Vorreiter-Sound ist das nun bei bestem Willen nicht. Eher Hinterher-Reiter. Aber es ist sowieso unzuträglich, einer jungen Band gleich solche Lorbeeren vorweg zu tragen, denn sie hat merklich Spaß an der Sache. Schöne zweistimmige Leads sind ein unverkennbares Merkmal von KHEMMIS, ein angenehmer unprätentiöser Gesang, der weder knödelt noch leidet, ist ein weiteres Plus. Manchmal ist mir das Gebotene etwas zu behäbig, Eike drückt hierbei sehr gut aus, warum dies so wirken kann. Richtig stark wird KHEMMIS also erst gegen Ende, das bereits erwähnte 'Hunted' ist tatsächlich ein echter Knaller und trotz seiner 13 Minuten straff und spannend genug komponiert. Ich mag es einfach, wenn Bands auch mal minutenlang herzhaft solieren. Das könnte gerade live auch ein Fest werden. KHEMMIS? Ich halte meine Lauscher offen!
Note: 7,5/10
[Thomas Becker]
Interessant, wie hier die Meinungen (zwischen Rezension und obigen GT-Beiträgen) auseinander gehen. Genre-Vorreiter oder "auf den Zug aufgesprungen"? Zudem mit Zuschreibungen zu Doom, Sludge, Epic Metal und sogar Stoner Rock offenbar genau mein Beuteschema - erst recht, wenn noch Fuzz-Sounds und neben Clean Vocals auch Growling dazu kommen. Überlängesongs mag ich sowieso, was also hat 'Hunted' auf dem Kasten, das einer als echten (und einzigen) Knaller empfindet, währenddessen es für den anderen der am wenigsten mitreißende Song ist?
Bevor ich jetzt mit nichtssagenden Floskeln à la "gut gemacht", "verstehen ihr Handwerk" u.ä. um die Ecke komme, benenne ich mal, was mir fehlt. So sind Epik und Pathos zwar vorhanden, kommen aber nicht als zentrales Stilmittel daher wie bei ähnlich gelagerten Band wie WHILE HEAVEN WEPT oder auch (etwas düsterer) PRIMORDIAL. Selbst die cleanen Vocals wirken trotz prägnanter Gesangsmelodien seltsam zurückgenommen und bleiben oftmals im Hintergrund (im Gegensatz zum schön gurgelnden Growling). Insgesamt ist das Gebotene schon recht gleichförmig - es fehlt mir häufig der Gegenpol, also ein düsterer oder heftiger Einschlag, der die melodischen Gitarrenflächen auch mal abdunkelt oder in eine härtere Eruption münden lässt. Deshalb ist auch der sludgige Einstieg in das heftige 'Three Gates' so stark, das knallt ohne Ende, bleibt damit aber die absolute Ausnahme.
Noch einmal: Die Gitarren- und Gesangsmelodien sind fabelhaft, aber es passiert auf Albumlänge viel zu wenig Überraschendes, auch Vielseitigkeit geht anders, trotz des grenzgängerischen Stilgemisches. Daher ist insbesondere das 13-minütige 'Hunted' für mich auch eher ein Langweiler. Überlängesongs, die mich so richtig packen konnten, kamen beispielsweise im letzten Jahr von TEMPEL und KEEP OF KALESSIN. Da hört man Epik, Schwere, Düsterkeit und Härte in einer wohltuenden Melange, während ich das bei KHEMMIS eher als Stückwerk empfinde. Schade. Lediglich das sehr starke 'Three Gates' rettet das Epic-Doom-Einerlei etwas und das Cover-Artwork ist ganz witzig - ach komm, dafür gibt's noch 'nen halben Bonuspunkt.
Note: 7,0/10
[Stephan Voigtländer]
KHEMMIS, da klingelte etwas bei mir. Doom. Aber noch so ein unentdeckter, einer, der überraschend sein soll und trotzdem böllert. Das Album Nummer Eins schwirrte 2015 über meinen Radar, ohne aber richtig anzukommen. Dass das seit 'Candlelight' vom aktuellen Album "Hunted" anders sein wird, habe ich bereits nach den ersten zwanzig Sekunden dieses Hammerstückes bemerkt. So gelingt ein Einstieg in diesen Fünftürer. Kann aber auch ein Nachteil werden, wenn ein - in meinen Augen und Ohren - Überflieger das restliche Material "drückt". Ich bleibe dabei, an benanntes zweites Stück und Siebenminüter reicht kein anderes der anderen heran, aber muffig oder öde ist das Gesamte dann auch wieder nicht. Nein, hier gehen die vier Denverdoomer gute und frische und unkonventionelle Wege. Die Tradition nicht aus der Verantwortung entlassend, ist "Hunted" ein weiteres Beispiel für die Lebendigkeit des Genres, das immer mehr Heavy Metal mit in die Gruft lässt. Gefällt, aber ohne dass die Sinne explodieren.
Note: 7,0/10
[Mathias Freiesleben]
- Redakteur:
- Stephan Voigtländer