Gruppentherapie: ARCH ENEMY - "Blood Dynasty"
28.03.2025 | 15:25Ohne Loomis und mit Klargesang besser denn je?
Wir starten mit einer Bombe in die März-Gruppentherapien! Es geht um die neue ARCH ENEMY-Scheibe "Blood Dynasty"! Diese ist im Soundcheck auf Platz 2 gelandet und punktet auch bei Chris Schantzen gewaltig (zum Hauptreview). Dieser hatte letztens Michael Amott im Interview, in dem wir viel mehr erfahren als "nur" Fakten zum neuen Album. Und auch in der Therapiesession schweifen die Musikärzte gerne ab. Manchmal geht es mehr darum, welches das beste ARCH ENEMY-Album ist. Gibt es denn jemanden, der hier "Blood Dynasty" wählt?
Meine erste und sogleich positive Berührung mit ARCH ENEMY hatte ich etwa um die Jahrtausendwende, als die Band noch mit dem Sänger Johan Liiva unterwegs war. Auf ihn folgte Angela Gossow und vor allem das grandiose Album "Anthems Of Rebellion". Die Platte ist in meiner persönlichen Top-5-Albenliste der Nullerjahre fest zementiert. "Rise Of The Tyrant" konnte das noch im Ansatz erreichen, danach war (unabhängig vom Sängerinnenwechsel) die Luft, was meine Begeisterung für die Band anging, etwas raus – quasi umgekehrt proportional zum stetig wachsenden Erfolg der schwedischen Gruppe.
Und nun kommt "Blood Dynasty" daher und schon nach dem ersten Hördurchlauf ist mir klar: Das ist das beste ARCH ENEMY-Album seit dem Einstieg von Alissa White-Gluz. Dies liegt vor allem an der unglaublichen Bandbreite. Der Opener 'Dream Steeler' ist ein starkes Stück metallischer Kompositionskunst. Hier wird mit Nuancen des Black Metal gespielt, als hätte man nie etwas anderes getan. Das französische 'Vivre Libre' ist eine tolle Halbballade, die zeigt, dass Alissa eben nicht nur die Screams draufhat. Dazwischen präsentiert uns ARCH ENEMY immer wieder für die Band typische Songs, nur für mich persönlich oft griffiger als zuletzt. "Blood Dynasty" ist ein starkes Album, das aufgrund der hohen Anzahl an sehr guten Songs, der überragenden Produktion und nicht zuletzt Dank der wie immer hochkarätigen Gitarrenarbeit den zweiten Platz in diesem Monat mehr als verdient hat.
Note: 9,0/10
[Frank Wilkens]
Das beste Album mit Alissa White-Gluz am Mikrofon? Da muss mein lieber Kollege Frank ein kleines und unfassbar großartiges Album namens "War Eternal" wohl unterschlagen haben. Für mich markieren jedenfalls der ewige Krieg und auch der direkte Vorgänger "Khaos Legions" die Höhepunkte der ARCH ENEMY-Diskografie, die seither nicht mehr erreicht werden konnten. "Will To Power" war nämlich eine eher hüftsteife und eintönige Angelegenheit und "Deceivers" nur marginal besser.
Und diese Feststellung bringt mich dann doch wieder auf einen Nenner mit dem Kollegen Wilkens, denn auch ich habe das Gefühl, dass "Blood Dynasty" nach der Durststrecke endlich wieder packender und vor allem auch an der Gitarrenfront vielseitiger aus den Boxen hämmert. 'Dream Stealer' etwa ist ein echter Kracher, der Titeltrack hat endlich wieder mal ein wirklich prägnantes Gitarrenthema und auch das massiv im Heavy Metal der Achtziger beheimatete 'Paper Tiger' funktioniert hervorragend.
Gleiches kann ich von Klargesangsexperimenten wie in 'Liars & Thieves' nicht behaupten, wobei das mitnichten heißen soll, dass Alissa hier nicht gesanglich punkten könnte. Das Alleinstellungsmerkmal von ARCH ENEMY war nur für mich stets die Tatsache, dass Amott und Co. es eben immer verstanden, mit Gitarrenmelodien und einprägsamen Textmetren Eingängigkeit zu vermitteln, ohne den leichten Weg über die heute so populäre Klargesangsschiene zu wählen. Unter dem Strich bin ich aber in großen Teilen doch bei Frank: "Blood Dynasty" macht endlich wieder richtig Spaß und auch wenn wir nicht die Höhen der eingangs erwähnten Kracher erreichen, ist mir der Silberling gute 8,5 Zähler wert.
Note: 8,5/10
[Tobias Dahs]
Wie beim Kollegen Franky war auch mein Erstkontakt mit ARCH ENEMY zu Johan Liiva-Zeiten und dem grandiosen "Burning Bridges"-Album, welches für mich bis heute mit zum Besten gehört, was die Band jemals veröffentlicht hat. Dass Kollege Tobias "Khaos Legions" als das beste Werk der Schweden ansieht, überrascht mich dann doch total, denn ich war schon zur damaligen Zeit der Veröffentlichung nicht sonderlich begeistert von der Platte. Und rückblickend betrachtet war die Scheibe der Startschuss zu einer Meinung, die ich vielleicht exklusiv zu haben mag. Mittlerweile ist nämlich nur noch jedes zweite Album von ARCH ENEMY wirklich stark. Angefangen mit dem mauen "Khaos Legions", war dann "War Eternal" - da stimme ich mit Tobias komplett überein - wirklich großartig, ehe dann "Will To Power" nicht mal ansatzweise mit dem Vorgänger mithalten konnte. "Deceivers" war dann wieder grandios und nicht nur marginal besser, lieber Tobias.
Jetzt ist die Messlatte und Erwartungshaltung an "Blood Dynasty" entsprechend hoch gewesen. Ich war allerdings mit jeder neu veröffentlichten Single immer enttäuschter und fühlte mich in der Zwei-Alben-Theorie bestätigt. Ja, 'Dream Stealer' hätte auch noch auf "Deceivers" stehen können, hätte dort aber eher zu den schwächeren Songs gehört. ARCH ENEMY ist für mich in den letzten Jahren immer dann grandios gewesen, wenn die Band überraschende Elemente drin hatte und neue Wege versucht hat. Klar, 'Vivre Libre' gehört in diese Kategorie, aber die Ballade kann mich nur durch Alissas tolle Stimme überzeugen, ansonsten ist der Song doch recht mau.
Insgesamt fehlt es mir auf "Blood Dynasty" an wirklichen Überraschungen und ist für mich, wie auch "Khaos Legions" und "Will To Power", eine Scheibe, die zu sehr auf Nummer sicher gehen will und damit im Vergleich zu den Glanzstücken der Bandgeschichte nicht ansatzweise mithalten kann. Ich möchte aber auch noch klarstellen, dass die Scheibe durchaus viele andere Releases des Genres in die Tasche steckt, lediglich innerhalb der Banddiskografie hat "Blood Dynasty" deutlich das Nachsehen. Aber, wenn meine Zwei-Alben-Theorie stimmt, kann der Nachfolger zu "Blood Dynasty" ja nur stark werden und darauf freue ich mich.
Note: 7,5/10
[Mario Dahl]
Findet ihr nicht auch, dass eigentlich "Doomsday Machine" das beste Album der Band ist? Seit dem Einstieg von Alissa White-Gluz wurde die Band in meinen Ohren immer kommerzieller und weniger harsch - und dadurch auch irrelevanter. Umso überraschter bin ich, als mir "Blood Dynasty" erstaunlich brutal entgegen ballert. Wow, hier geht ganz schön die Post ab! Auch die Gitarren empfinde ich als deutlich brutaler und radikaler als auf dem Vorgänger. Wenn man die Keyboards weitestgehend ausmerzen würde, hätte diese Scheibe fast das Niveau von vor 20 Jahren.
Die Songs bleiben im Ohr, sind dabei aber nicht nur auf das Mainstream-Massenpublikum der großen Festivals hin komponiert, sondern nehmen auch Freunde des gepflegten, qualitativ hochwertigen Lärms mit. Für mich ist "Blood Dynasty" um Längen spannender als der Vorgänger und bereitet mir auch auf Anhieb mehr Freude als jedes bisherige Album mit der aktuellen (und schon langjährigen) Sängerin. Echt ein Brett!
Note: 8,5 / 10
[Jonathan Walzer]
Obwohl ich nach dem Einstieg von Alissa sehr angetan war, hat mein persönlicher Hype-Train mit dem letzten durchwachsenen Album eine andere Abzweigung genommen. Doch gleich zu Beginn von "Bloody Dynasty" werden die Weichen durch 'Dream Stealer' wieder richtig gestellt. Ein Brett! Das folgende 'Illuminate The Path' stampft ordentlich und erwischt mich eiskalt mit seinem Klargesang. Damit hätte ich in dem Moment nicht gerechnet. Ich mag diese Art der Überraschung und finde, dass Alissas Gesangskünste tatsächlich immer wieder angenehme und abwechslungsreiche Momente bereithalten. Das gilt auch - und hier muss ich Tobias widersprechen - für 'Liars & Thieves', in dessen Geschwindigkeitsexpress ich bei der letzten Tour schon gerne eingestiegen bin. Trotzdem dürfte "Bloody Dynasty" das Album von ARCH ENEMY sein, das am meisten Klargesang enthält.
Dazu beweist Michael Amott an der Gitarre mal wieder, wie gut er sein kann und wie sehr sich die Band zumindest streckenweise auf dem Vorgänger "Deceivers" unter Wert verkauft hat. Natürlich gibt es auch auf "Bloody Dynasty" Songs wie 'A Million Sons' oder 'Don't Look Down', die so sehr nach dem typischen ARCH-ENEMY-Schema funktionieren, dass es anödet. Dagegen stehen vor allem der Titeltrack, 'March Of the Miscreants' oder die etwas experimentierfreudigeren 'Vivre Libre' und 'Paper Tiger', die dem Longplayer eine schöne Note verpassen.
Unterm Strich muss man sagen, dass ARCH ENEMY mit kleinen Abstrichen in allen Bereichen wieder nahe an der Bestform agiert. Das hätte ich aufgrund der Omnipräsenz in den vergangen Jahren nicht erwartet. In diesem rasenden Zug fahre ich gerne mit.
Note: 8,5/10
[Dominik Feldmann]
Gehen wir kurz einmal ein paar Schritte weg von ARCH ENEMY zu einer meiner absoluten Lieblingsbands der härteren Musik – nämlich NEVERMORE. Und das liegt nicht nur an dem göttlichen Warrel Dane (RIP) sondern zu gleichen Maßen an Jeff Loomis und seiner Art und Weise das Gitarrenspiel zu zelebrieren. Trotzdem war ich nur so semi-begeistert, als er 2014 die schwedischen Melodic-Death-Metaller verstärkte. Bei aller Bewunderung über seine Technik befürchtete ich, dass seine Herangehensweise nicht zu ARCH ENEMY passen würde und irgendwie konnte mich auch keines der Alben mit seiner Unterstützung dann wirklich begeistern.
Nun liegt aber das erste Post-Album seiner Ära mit der Band vor mir und ich fühle mich in meiner damaligen Einschätzung bestätigt. Jetzt ist nämlich der Knoten (endlich) wieder beim "Erzfeind" geplatzt. Alles ist etwas reduzierter, effektiver und von unnötigem Brimborium befreit, so dass man förmlich ein Aufatmen im Gitarrensound vernehmen kann. Nahezu jeder Song klingt befreiter, knallt ohne Ende und beruht neben den eh omnipräsenten Melodic-Death-Schlagseiten wieder vermehrt auf Michael Amotts Vorliebe für räudigen Punk und edlem Classic Rock. Also Spielarten, die sich auch eher über Gefühl definieren, als der von Jeff Loomis mit stärkerer Gewichtung bedachte Tech-Thrash (auch wenn ich ihm damit nie einen Sinn für Gefühl absprechen möchte).
Selbst wenn mir aktuell noch die absoluten Killertracks fehlen, welche "Deceivers" noch mit 'The Watcher' und 'House Of Mirrors' in petto hatte, ist das Album in Summe schon deutlich stärker als die Vorgänger. Mit 'Vivre Libre' ist den Schweden zusätzlich eine der besten Cover-Versionen der letzten Zeit gelungen, welche sich wunderbar in den Albumkontext einfügt und von Alissa erstklassig veredelt wurde. Da hatte der Soundcheck leider ganz andere "Unfälle" zu bieten. Also beide Daumen hoch für "Bloody Dynasty" und abschließend noch ein kleiner, verschmitzter Wink in Richtung Kollegen. Das beste ARCH ENEMY-Album ist natürlich "Anthems Of Rebellion" und das sage nicht nur ich, sondern auch unser Diskografie-Check der Band.
Note: 8,5/10
[Stefan Rosenthal]
Fotocredit: Chris Schantzen
- Redakteur:
- Thomas Becker