Gruppentherapie: AVATARIUM - "Between You, God, The Devil And The Dead"

28.01.2025 | 08:47

Entenpelle für die Gänsehaut oder emotionale Nullnummer?

Seid ihr gut angekommen in 2025? Habt ihr unseren Januar-Soundcheck schon seziert? Und den Podcast schon gehört? Dann wisst ihr ja, wer gewonnen hat, nicht wahr? Kollege Thunderlaan spricht in seinem Review zu AVATARIUMs neuer Scheibe namens "Between You, God, The Devil And The Dead" von einem "Kaufzwang für Aufrechtgehende". Kollege Macher befragt Sängerin Jennie-Ann zu den "großen Fragen des Lebens". Dazu gehört für Musiknerds immer die Reihenfolge der Jahresliste. Lest hier, wo das Album anno 2025 bei ein paar Kollegen landen wird, was John Lord auf dieser Scheibe zu suchen hat, wie viel CANDLEMASS noch in der Musik versteckt ist und ob Jennie-Ann wirklich so gut singen kann, wie alle behaupten.


Da ist es also, das erste Album-Ausrufezeichen 2025 in Gestalt der neuen AVATARIUM-Scheibe. Und auch Platte Numero sechs macht deutlich: Die Schweden machen es einfach nicht unter der Kategorie "Klassealbum". Der musikalische Bauchladen auf "Between You, God, The Devil And The Dead" ist wie eh und je prall gefüllt. Musik von der Stange auf Nummer sicher überlässt die Band nach wie vor anderen Kapellen, so dass auch hier wieder ein Song schöner und außergewöhnlicher als der andere daherkommt.

Man agiert nicht mehr ganz so metallisch und rifffokussiert wie noch auf den ersten Werken und lässt es wie auf den letzten Alben ein wenig ruhiger angehen, in Sachen Intensität und Variationsbreite erreichen aber nur sehr wenige Combos aus dem Doom-Segment das enorm hohe Level. Was Marcus Jidell mittlerweile so alles an der Gitarre anzustellen weiß (z.B. in 'Being With The Dead' oder 'Notes From The Underground'), ist einfach unverschämt gut. Und darüber hinaus greift er ja auch noch in die Keyboard- und Klaviertasten und verwandelt Songs wie 'My Hair Is On Fire (But I'll Take Your Hand)' und den Titelsong (Entenpelle deluxe!) dadurch in ganz sagenhafte Songkostbarkeiten. Die Orgel lässt er mitunter klingen, als stände Jon Lord himself hinter den Tasten ('Long Black Waves').

Und dass Jennie-Ann Smith eine der besten ihres Fachs ist, beweist sie auf diesem Album eigentlich mit jeder gesungenen Note, in die sie so viel Leidenschaft legt, als sei es ihre letzte Platte. Aber das wissen wir AVATARIUM-Jünger ja ohnehin schon lange. Wenn das Album dann auch noch typische verspielte Riffrocker wie 'I See You Better In The Dark' und 'Being With The Dead' bereithält, muss man abschließend einfach konstatieren: Wieder einmal alles richtig gemacht. Auch wenn das Jahr noch jung ist, bin ich mir bereits jetzt sicher. Die Scheibe landet in meiner Top 20-Jahresliste. Wo genau, wird sich dann zeigen.

Note: 9,5/10
[Stephan Lenze]

 

Das AVATARIUM-Debüt lief damals völlig an mir vorbei, aber mit dem Zweitling hatten die Schweden mich dann. Die emotionale Bindung ließ dann etwas nach bei mir, aber mit dem letzten Scheibchen war ich wieder voll an Bord.

Jetzt steht das sechste Album an, und mein früherer Gedanke, dass es sich bei dieser Band um einen weiteren einigermaßen interessanten CANDLEMASS-Ableger handeln könnte, ist völliger Unsinn. Diese Band ist spannend, abwechslungsreich, kreativ, emotional, tiefgründig, verspielt!

Ich liebe die sehr präsenten Siebziger-Einflüsse auf "Between You, God The Devil And The Dead". Gerade die Orgel-Sounds sind phänomenal, und auch wenn ich - anders als Stephan - nicht sofort an Jon Lord denken muss, steckte ich vom Kopf her schnell in der gleichen Epoche. Jennie-Ann Smith ist eine extrem starke Sängerin, die nicht nur technisch alles drauf hat, sondern mit ihrer Stimme vor allem unter die Haut geht. Die Scheibe hat definitiv auch Hits, die mich begeistern. Mitte Januar wage ich es noch nicht, Scheiben in meine Top 20 hineinzureden. Aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Scheibe bei der Zusammenstellung der Liste eine Rolle spielen wird.

Note: 9,0/10
[Jonathan Walzer]

Bei der Benotung von Jhonny gehe ich komplett mit, seinem letzten Satz möchte ich aber schon widersprechen: "Between You, God, The Devil And The Dead" wird sehr sicher in meiner Top 20 landen. Es gibt Alben, da spürt man einfach sehr schnell, dass man eine emotionale Verbindung herstellen kann und die Musik auf mehr als nur der reinen Klangebene funktioniert. Genau das ist bei AVATARIUM der Fall, zumindest bei diesem Album wieder.

Auch ohne Doom-Vorvater Leif Edling macht sich die Band um das Ehepaar Jidell/Smith prächtig, und wie meine Vorredner auch teilweise schon gesagt haben, bleibt sie nicht auf der Stelle stehen. Für mich sind die Songs auf diesem fantastischen Album der beste Beweis dafür, dass auch ein Stil mit sehr "klassischen" Wurzeln (SABBATH, PURPLE, LED ZEP) frisch klingen kann, ohne sich an neumodische Klangideale anbiedern zu müssen. Am Ende des Jahres wird es für die anderen Bands verdammt schwer, den Ohrwurm-Charakter von 'I See You Better In The Dark' oder 'Lovers Give A Kingdom To Each Other' zu übertreffen. So gefällt mir der Start ins neue Musikjahr sehr gut!

Note: 9,0/10
[Nils Macher]



Selbst ich, der Doom meistens lieber umschifft als sich anhört, muss zugeben, dass auf der neuen AVATARIUM-Platte instrumental wirklich Großes geleistet wird. Hier passt nahezu jedes Riff und ich muss nicht nur einmal an glorreiche CANDLEMASS-Zeiten denken. Allerdings muss meinen Vorrednern in einer Hinsicht massiv widersprechen: beim Gesang! Das soll eine der besten Sängerinnen sein, lieber Stephan? Ja gut, ich gebe Jhonny insofern Recht, dass sie technisch viel drauf hat. Aber emotional nimmt sie mich null mit. Und da hilft dann auch keine Technik, bei mir kommt absolut gar nichts rüber bei ihrer Stimme.

Und das ist mein ganz großes Problem mit "Between You, God, The Devil And The Dead". Bei aller instrumentalen Klasse langweilt mich der Gesang so dermaßen, dass ich keinerlei Motivation verspüre, die Platte nochmal zu hören. Ich habe mir einige Songs und insbesondere Refrains mit dem Gesang des ehemaligen CANDLEMASS-Fronters Messiah Marcolin vorgestellt und das hat mich direkt mehr einnehmen können, als es hier die Original-Versionen tun. Schade, denn mit gutem Gesang wäre ich hier sicherlich bei einer 8,5 gewesen, so gibt es einen massiven Punktabzug.

Note: 6,5/10
[Mario Dahl]

Eigentlich bin ich, was das Thema Doom betrifft, ja doch eher Team Mario, aber AVATARIUM ist in meinem musikalischen Kosmos bereits seit dem Debüt eine ziemliche Ausnahmeerscheinung. Klammert man BLACK SABBATH mal aus, gibt es keine andere Genre-Band, die mich so sehr begeistert. Und das liegt zu einem sehr großen Anteil an Jennie-Ann Smith und ihrer fantastischen Stimme. Als großer Fan von starken Frauen im Pop-Business bin ich auf ständiger Suche nach Äquivalenten im Rockbereich. Somit kann ich Mario in dem Kritikpunkt zwar verstehen, aber finde keine plausible Erklärung dafür, wie zum Beispiel der Titeltrack es nicht schaffen kann, ihn zu begeistern. Unabhängig von der technischen Performance ist das so eine reduzierte, emotionale Gefühlsgranate par excellence und empfiehlt sich schon jetzt für einen Favoriten für den Song des Jahres. Da kriegt doch selbst die Gänsehaut eine Entenpelle. Dazu kommt noch die gigantische Vorab-Single 'Long Black Waves' (der Refrain ist tatsächlich ein Tsunami) und ein erstklassiger Rocksong mit 'I See You Better In The Dark'. Der ist zwar nicht die Kategorie von 'All I Want' oder 'Girl With The Raven Mask', aber funktioniert im Albumkontext schon verdammt gut.

Bei den restlichen Songs bin ich aber einfach noch nicht so weit. Ich spüre, dass insbesondere 'Lovers Give A Kingdom To Each Other' eine gewisse Magie versprüht, aber kann sie aktuell noch nicht final entschlüsseln. Und das betrifft auch noch 2-3 weitere Tracks. Bis auf das doch sehr traditionelle Doom-Stück 'Until Forever And Again' gibt es nämlich keinen Song, bei dem ich nicht glaube, dass er noch wachsen wird. Jetzt im persönlichen Party-Marathon (Weihnachten, Silvester, Geburtstage) ist die Diskrepanz zur restlichen gehörten Musik jedoch noch zu hoch und so wirken manche Songs auf "Between You, God, The Devil And The Dead" bei aller Klasse mitunter deplatziert. Ich brauche hier einfach eine gewisse Ruhe mit dem Earbook auf dem Schoß, und dann könnte AVATARIUM locker nochmal einen bis anderthalb Punkte aufholen. Und wenn sich eine Doom-Scheibe erst gaaaanz laaaangsam ins Herz spielt, kann das ja so schlecht nicht sein, oder?

Note: 8,0/10
[Stefan Rosenthal]

 

Ich freue mich über die Gedächtnis-Auffrischung. AVATARIUM war für mich  Mitte der 2010er-Jahre eine der großen Entdeckungen, sowohl auf Platte als auch live (könnt ihr hier oder hier nachlesen). Während und nach Corona habe ich aber ein wenig den Anschluss verloren. Umso schöner ist jetzt das Wiederhören. Klar, wenn einem wie Mario die Vocals nicht gefallen, ist das ein Killerkriterium, gegen das man nicht argumentieren kann. Ähnlich wie Stefan aus dem Rosenthal wundere ich mich aber, wie diese Stimme einen so kalt lassen kann.

Klar, ich bin bekanntermaßen ein Hörer, der überdurchschnittlich stark von weiblichen Vocals eingenommen werden kann, also sollte es keinen wundern, wenn ich Stephan, dem Lenze beipflichte, wenn er sagt, Jennie-Ann sei eine der Besten. Vor allem bei 'My Hair Is On Fire' brennt es lichterloh bei mir, doch auch die anderen Songs haben großartige Passagen. Die Band agiert so abwechslungsreich und vielseitig, dass die Zeit wie im Flug vergeht. An CANDLEMASS muss ich hier aber eher selten denken. Allerdings sind auch bei mir noch nicht alle Songs angekommen, das Album braucht also definitiv seine Zeit und ist nichts für den hektischen Konsum während der Mittagspause. Wobei, 'I See You Better In The Dark' funktioniert auch da.

Note: 8,5/10
[Thomas Becker]


Fotocredits: Niklas Palmklint

 

Redakteur:
Thomas Becker

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