Gruppentherapie: CORONER - "Dissonance Theory"
30.10.2025 | 22:32Introspektive Schwärze am Pool der Philosophen.
Nach TESTAMENT (zur Gruppentherapie) bleiben wir beim Thrash und widmen uns dem für viele unerwarteten Comeback der Schweizer Präzisions-Metaller CORONER. Die Soundchecker mochten das neue Album namens "Dissonance Theory" und zwei Beinahe-Höchstnoten von Rüdiger und Björn katapultierten es bis aufs Stockerl (Rang 3 im Oktober-Soundcheck). Auch Kollege Lenze ist mit dem Album "komplett tutti". Doch wir wissen, auf dem Therapiesessel gelten mitunter andere Regeln. Finden sich hier Redakteure, die mit Dissonanzen und Denksportaufgaben weniger anfangen können?

Das neue CORONER-Album nennt sich nicht umsonst "Dissonance Theory". Es überzeugt mit einer Art Rezitativ-Gesang, der zu den dissonanten, postrockigen und reduzierten Passagen passt wie der Schäfer zum Siebenschläfer. Und das gefällt mir sehr. Hat diese Band wirklich seit dreißig Jahren kein Album aufgenommen? Eigentlich eine Sensation, diese Veröffentlichung.
Die Schweizer sind modern und old school in einem. Das geht! Mit Zucker halten sie sich gar nicht erst auf, so gibt es ein (geiles) SLAYER-Gedenkriffing, kantige und dornige Parts und manchmal erinnern sie etwas an frühere MEKONG DELTA und Bands dieser Art: immer etwas komplex, aber dafür umso interessanter zu hören und dabei immer im Flow. Ist der Wald besonders sperrig, folgt eine eingängige Akkordfolge, ein Licht hinter dem grauen, bleiernen Vorhang, der, wenn das Licht durch monströse Wolkenfronten verdeckt wird, ebenfalls verführerisch wirkt. Cool, diese Alpen-Heroes!
So spielt man gerne Luftgitarre, schüttelt die Matte, nimmt aber zugleich auch die kleinen Facetten wahr, die diese Combo so unvergleichlich machen: Unerschütterlich marschieren die Schweizer vorwärts, setzen ein ausdrucksstarkes wie souveränes Statement, ohne sich um Anbiederung oder Mainstream zu bemühen. Es scheint, als hätten sich bei CORONER viele Ideen angesammelt, der Kreativitätsprozess brodelte und die Buben konnten sich so leichtfüßig aus ihrem Pool bedienen.
Die Gitarren spielen sie so, dass sie manchmal an ein Saxophon erinnern, was ich unendlich geil finde. Sie walzen auch mal nach Art von BOLT THROWER, dann kommt die Zeile "I am the Laaaw", wenn ich es richtig verstehe, ziemlich lässig. Die Band hält dabei das hohe Niveau über das ganze Album und zudem gefallen mir auch die Texte ganz ausgezeichnet, die rund um das Thema (kognitiver) Dissonanzen kreisen.
Die komplexen Arrangements sitzen. Harsche Vocals, perfekt eingetaktete Drums und ein geiles Riffing sorgen dafür, dass die Wiederholungstaste immer wieder gern bemüht wird. Herr Vetterli erzählte, dass er nur einem von fünfzig Riffings erlaubte, auf das Album zu gelangen und dass jeder Hörer immer wieder Neues entdecken sollte. Ich ergänze mal: versteckt, im Schatten des Pools der Philosophen, dort, wo die Steintreppen liegen und der Mond weiß über der schattigen Nacht seine Bahn zieht.
Note: 9,0/10
[Matthias Ehlert]
Den Schweizern CORONER ist mit "Dissonance Theory" ein ganz schönes Brett gelungen. Ich muss zugeben, dass meine Erwartungen eher überschaubar waren, da ich das von vielen so hochgelobte Altwerk nie so wirklich verstanden habe - zumindest nicht in dem Sinne, dass es für mich außerordentliche Thrash-Highlights gewesen wären. Bei "Dissonance Theory" gehe ich aber seit Tagen innerlich steil, wenn die Scheibe wieder rotiert. Äußerlich eher nicht, da ich meist am Schreibtisch beim Arbeiten Musik höre. Meiner Family wäre das in der Küche beim Kochen womöglich zu heftig.
Ich finde, dass CORONER eine extrem eigenständige Scheibe gelungen ist. Ich kenne kein Album, das ähnlich klingt wie "Dissonance Theory". Mir gefällt, dass der Sound erstaunlich kalt, fast klinisch ist, aber dabei nie unnötig kaputt komprimiert wirkt. Das ist trotz allem eine modernisierte Oldschool-Geschichte, die wir hier zu hören bekommen. Instrumental ist genügend Spannung da, um auch bei einer steigenden Spin-Zahl immer neue Feinheiten zu entdecken. Fastfood-Metal geht anders! Ich freue mich bei jedem Durchlauf über die dissonanten Gitarren, den gerufenen Gesang, die Atmosphäre. Ein faszinierendes Werk.
Note: 9,0/10
[Jonathan Walzer]
 
Den Begriff "Thinking Man’s Metal" habe ich gefühlt vor einer halben Ewigkeit zum ersten Mal gelesen. Vielleicht vor knapp 20 Jahren. Doch so lange ist das immer noch nicht her wie das letzte Lebenszeichen von CORONER. 1993 pendelte ich musikalisch noch irgendwo zwischen "Happy Nation" (ACE OF BASE) und "Seiltänzertraum" (PUR) und somit weit entfernt von allem, was auch nur im Entferntesten nach harter Musik klang. Und selbst damals dürfte CORONER in der Szene eher noch als Geheimtipp gegolten haben.
Umso überraschender trifft mich das neue Album "Dissonance Theory" wie ein Schlag ins Gesicht. Instinktiv würde ich vom Debüt des Jahres sprechen, wenn ich nun nicht wüsste, dass diese Band längst mehrere Alben veröffentlicht hat. Dann eben: Comeback des Jahres. Eigentlich ist das Etikett aber nebensächlich, denn entscheidend ist: Wer etwas mit dem Begriff "Thinking Man’s Metal" anfangen kann und geistig fordernde Musik liebt, sollte diesem Album unbedingt eine Chance geben.
Wenn das im Kern noch Thrash Metal sein soll, dann kommt er bei mir nur in Spuren an. Viel öfter fühle ich mich an "The Year The Sun Died" von SANCTUARY erinnert und sogar TOOL blitzt immer wieder durch meine Gedanken. Doch all diese Referenzen bleiben Stückwerk, denn sie erfassen nie wirklich das, was man hier hört. Dafür klingt dieses Album zu ungewöhnlich, zu individuell und gleichzeitig auf seltsame Weise vertraut. Schon der Quasi-Opener 'Consequence' mit seinem Vocoder-Einsatz ist pures Kopfkino. Und eigentlich verdient fast jeder Aspekt des Albums ein Lob. Sei es der ungewöhnliche, aber packende Gesang, der fesselnde Gesamtklang, den man wohl am treffendsten als "introspektive Schwärze" beschreibt, und vor allem die Instrumentierung in Summe (der Bass verdient dabei noch einmal Extrapunkte).
Auch der Aufbau des Albums überzeugt mich komplett - dramaturgisch schlüssig, im Flow großartig und mit echten Höhepunkten wie den eingestreuten Abrissbirnen 'Symmetry' und 'Renewal'. Dazu kommen Texte, die erstklassig formuliert, atmosphärisch dicht und perfekt in die Songs eingebettet sind. Ist das progressiv, avantgardistisch oder experimentell? Nicht im klassischen Sinne. Ist es kompliziert, verkopft oder elitär? Keineswegs. Es ist Musik für Menschen, die beim Hören denken und fühlen wollen, ohne dass beides zur Pflichtübung verkommt.
Kurz gesagt: Ja – "Thinking Man’s Metal" trifft es perfekt.
Note: 9,0/10
[Stefan Rosenthal]
Was für ein geiles Teil. Ich fand die Band schon immer gut, wenn auch nicht überragend. Ihr letztes reguläres Album "Grin" steht bei mir aber sehr hoch im Kurs, sodass meine Erwartungshaltung schon enorm war. Und was soll ich sagen? Sie wurde sogar übertroffen. Das Trio setzt seine musikalische Ausrichtung konsequent fort, nur eben noch fetter, noch abwechslungsreicher, noch kälter, noch brutaler. Weiterhin laufen die Riffs und Beats fast schon hypnotisch kalt und emotionslos vor sich hin. Doch während es vielleicht früher ein wenig monoton wirkte und mir gelegentlich der Höhepunkt fehlte, schafft die Band es auf dem aktuellen Werk, den Songs jeweils noch eine neue Facette hinzuzufügen, die streckenweise überrascht und mich aufhorchen lässt.
Gitarrist Tommy Vetterli beweist einmal mehr, dass er zu den besten seines Fachs gehört. Seine Riffs sind kraftvoll (und sehr dominant in Szene gesetzt), seine Soli eh erste Sahne, aber dieses Mal hat er die technische Komponente noch einmal erhöht. Er eröffnet damit CORONER eine weitere Welt, die perfekt zu diesem düsteren, durch die dezenten elektronischen Spielereien auch leicht futuristischen Sound passt. Einzelne Songs hervorzuheben, verbietet sich eigentlich, da sich bei jedem neuen Durchlauf andere Songs in den Vordergrund schieben. Das gesamte Album ist ein Kunstwerk. Mir als Melodie-Fetischisten fehlt am Ende des Tages vielleicht dann nur ab und an eine Hookline, die ich auch noch Tage später mitsinge. Das ist aber Jammern auf sehr hohem Niveau. Definitiv ein Anwärter auf das Album des Jahres.
Note: 9,0/10
[Chris Staubach]
 Wie lange hat das Trio jetzt an diesem Album gewerkelt? Da hatte ich schon Befürchtungen, wir würden hier ein unterkühlt-klinisch klingendes Techno-Thrash-Ungetüm serviert bekommen, auf welchem man an das von mir wenig geschätzte "Grin"-Album anknüpfen würde.
Wie lange hat das Trio jetzt an diesem Album gewerkelt? Da hatte ich schon Befürchtungen, wir würden hier ein unterkühlt-klinisch klingendes Techno-Thrash-Ungetüm serviert bekommen, auf welchem man an das von mir wenig geschätzte "Grin"-Album anknüpfen würde.
Weit gefehlt! Denn bereits 'Consequence' zeigt, wo der Frosch die Locken hat! Wuchtig produziert, ohne dabei im Klangwall zu ersticken, ballert das Trio sofort thrashig, gradlinig und gar ohrwurmend aus der Beschallungsmaschinerie in die herbstliche Wohnstube. Hat er tatsächlich "gradlinig" geschrieben? Ja, hat er! Aber in einem CORONER-Zusammenhang bedeutet dies, wir bekommen säbelzahntigerartige Riffs von Tommy T. Baron um die Ohren gepustet, die so typisch klingen, wie nur irgendwas. Es ist frostig, geprägt von einer klirrenden Klarheit, wie ein singender Eisberg. Man hat sofort dieses Sci-Fi-Feeling.
Postapokalyptische Giger-Skulpturen tanzen vor dem geistigen Auge und eine wundervolle Mischung aus VOIVOD, MEKONG DELTA und CELTIC FROST erklingt. Trotz dieser Parallelen klingt CORONER einzigartig. Es liegt aber nicht nur an der außergewöhnlich effektiven Art des Gitarrenspiels, es liegt auch an dem unverkennbaren Gesang von Ron Royce, der ja ganz nebenbei auch noch den Bass bedient. Er klingt immer wütend, knurrend wie ein schwarzer Leitwolf im Schneegestöber. Dazu der neue Drummer, der gewohnt sensationell für das nötige Grundgewitter sorgt. Breitwandklang, in dem überraschenderweise beim Abschlusssong eine Orgel Platz findet. Davon beim nächsten Mal bitte noch mehr! Toller Farbtupfer!
Zwischen den ganzen hackend-zerstörerischen Thrash-Kanonaden gibt es immer wieder diese Überraschungsmomente, wie im spacigen 'Crisium Bound', wo es kurz mal bedrohlich leise wird. Das sind die ganz besonderen Passagen innerhalb eines ganz besonderen Albums voll mit feingeistiger Sci-Fi-Mystik, gepaart mit der musikalischen Zerstörungskraft eines Atom-U-Bootes. Welcome back, CORONER!
Note: 9,5/10
[Holger Andrae]
 Zugegeben, ich bin ein ganz großer CORONER-Fan der ersten Stunde und habe vielleicht eine etwas getönte Fanboy-Brille auf. Aber das ist auch gut so. Die Band war ganz vorne mit dabei, als Ende der 1980er Jahre ein kleine, aber feine Technical-Thrash-Welle durch den europäischen Metal-Underground ging. Erinnert sich noch jemand an DEATHROW, TARGET, HEXENHAUS, frühe SIEGES EVEN, DESPAIR, MEKONG DELTA und wie sie alle hießen? Ich hatte damals meine größte Freude an diesen sympathisch Bekloppten, die leider fast alle nach zwei, drei Alben sang- und klanglos wieder von der Bildfläche verschwanden. CORONER hat länger durchgehalten, was wahrscheinlich daran lag, dass die Schweizer damals von Noise Records vernünftig unterstützt und auf die eine oder andere veritable Tournee mitgeschickt wurden, zum Beispiel in Deutschland mit MOTÖRHEAD 1988 oder mit KREATOR und TANKARD 1989/90. Von letzterer Tour gibt es ein exzellentes Live-Dokument; mir besonders in Erinnerung ist aber eine Show mit WATCHTOWER in Holland, wo der viel zu kleine Saal von der begeisterten Meute fast abgerissen wurde.
Zugegeben, ich bin ein ganz großer CORONER-Fan der ersten Stunde und habe vielleicht eine etwas getönte Fanboy-Brille auf. Aber das ist auch gut so. Die Band war ganz vorne mit dabei, als Ende der 1980er Jahre ein kleine, aber feine Technical-Thrash-Welle durch den europäischen Metal-Underground ging. Erinnert sich noch jemand an DEATHROW, TARGET, HEXENHAUS, frühe SIEGES EVEN, DESPAIR, MEKONG DELTA und wie sie alle hießen? Ich hatte damals meine größte Freude an diesen sympathisch Bekloppten, die leider fast alle nach zwei, drei Alben sang- und klanglos wieder von der Bildfläche verschwanden. CORONER hat länger durchgehalten, was wahrscheinlich daran lag, dass die Schweizer damals von Noise Records vernünftig unterstützt und auf die eine oder andere veritable Tournee mitgeschickt wurden, zum Beispiel in Deutschland mit MOTÖRHEAD 1988 oder mit KREATOR und TANKARD 1989/90. Von letzterer Tour gibt es ein exzellentes Live-Dokument; mir besonders in Erinnerung ist aber eine Show mit WATCHTOWER in Holland, wo der viel zu kleine Saal von der begeisterten Meute fast abgerissen wurde.
Ja ja, der alte Mann hört schon auf euch zu langweilen und kommt endlich zum Punkt. "Dissonance Theory" ist von der ersten bis zur letzten Sekunde 100% CORONER pur, ein großartiges Geschenk für die Fans. Der Sound hat einen moderat modernen Anstrich bekommen, bleibt dabei aber wunderbar griffig und transparent, zumindest in meinen Ohren. Kompositorisch wird durchweg Qualitätsarbeit abgeliefert, auch wenn die ganz großen Hits und Hymnen fehlen. Darum geht es aber auch gar nicht bei CORONER; Vetterli und Broder geben alles an den Saiteninstrumenten ('Consequence'), es groovt manchmal pechschwarz wie bei CELTIC FROST ('The Law'), es gibt melodische Intermezzi, die sich gen VOIVOD verneigen ('Sacrifical Lamb') und die geradlinige eidgenössische Doppelaxt wird auch geschwungen ('Renewal'). Herz, was willst du mehr? Tatsächlich wächst das Album, wie es bei CORONER eigentlich immer der Fall ist, mit jedem Durchlauf gerade noch, so dass ich zum Jahresrückblick 2025 meine Note vermutlich noch nach oben korrigieren werde.
Note: 8,5/10
[Martin van der Laan]
Mir geht es ein wenig wie Jhonny. Aller Jubelreden zum Trotz hat CORONER nie bei mir gezündet, ich habe es immer wieder versucht. Also wäre ich wohl der beste Kandidat, hier ein bisschen Salz in die Jubelarien zu streuen. 
Doch man muss schon arg im Zickzack hören, um sich nicht von diesem Sound, dieser Wucht, diesem Monument vereinnahmen zu lassen. CORONER schlägt hier ein ganz neues Kapitel auf, spricht alte sowie moderne Ohren an, wie Kollege Ehlert schon festgestellt hat, überzeugt bei Instrumental-Fetischisten und ist dennoch immer wieder eingängig. 
"Dissonance Theory" kann tatsächlich viele Facetten des so bunten Metal-Universums vereinen, und selbst ich kann meine Ablehnung gegenüber dieser Art des harschen Gesangs ablegen. Ich denke, dieses CORONER-Album ist das erste, das ich in meiner Sammlung haben muss und ich freue mich auf eine tiefere Beschäftigung damit!
Note: 8,5/10
[Thomas Becker]
Fotocredits: Nives Ivic, aufgenommen beim Rock Hard Festival 2018.
- Redakteur:
- Thomas Becker
 
	





