Gruppentherapie: CRESCENT SHIELD - The Stars Of Never Seen
18.05.2009 | 19:35Mit "The Last Of My Kind" konnte die Band um den ehemaligen NEW EDEN-Gitarristen Dan DeLucie vor zwei Jahren einen absoluten Volltreffer in Sachen US Metal landen. Nun steht der sehnsüchtig erwartete Nachfolger in den Regalen, und die Redaktion hat diesen auf Herz und Nieren respektive Prog und Power getestet.
[Peter Kubaschk]
Uiui, schwere Kost! CRESCENT SHIELD waren mir bislang nicht der große Begriff, was sich sicherlich nach dem Genuss von "The Stars Of Never Seen" ändern wird. Was haben wir hier? Aufzählung gefällig? Zunächst mal die authentischste Reinkarnation graubärtiger ICED EARTH (sowohl Musik als auch die Klangfarbe der Stimme) und ein deftiger Spritzer seliger SANCTUARY, permanent anspruchsvolle Instrumentalarbeit und eine Detailvielfalt, die sich erst nach mehrmaligem Hören als wahre Schönheit entpuppt. Perfekt?
Naja, ganz so weit sind wir noch nicht. Das liegt jedoch nicht an CRESCENT SHIELD, sondern eher an der biederen und verflucht achtzigerlastigen Produktion, die zwar sauber und transparent tönt, aber viel zu wenig Druck entfacht, um die Pole Position zu erlangen. An den Songs liegt es aber nicht, die samt und sonders als Blaupause für meine ganz subjektive Definition von Power Metal dienen könnten: Melodien en masse, ohne sich bei millionenmal gehörten Kinderharmonien zu bedienen, Twin Guitars, wohin das Auge reicht, Vocals, die der ohnehin schon trauernd-gewitternden Klampfenarbeit die melancholisch phrasierte Krone aufsetzen, punktgenau punshende Drums und Basslines, die wie bei Gott Harris (IRON MAIDEN) ihren eigenen Weg gehen. Das Gesamtbild ist famos, wenn auch nicht beim ersten Durchgang zu erfassen.
CRESCENT SHIELD bieten auf "The Stars Of Never Seen" Power Metal vom Feinsten: amerikanisch geprägt, reif, erwachsen und ausgefeilt ins i-Tüpfelchen. Fehlt eigentlich nur noch die Kohle, um beim nächsten Mal eine richtig geile Produktion an den Start zu bringen. Dann traue ich den Jungs die SANCTUARY-Nachfolge zu. Und allein das sollte Respekt und Lob genug sein. Sehr gut.
[Alex Straka]
[Rüdiger Stehle]
Auf dem Niveau der Selbstreflexion ist es unheimlich spannend zu sehen, wie schwer es ist, sich von seinem ersten Eindruck zu lösen. Auch und gerade wenn man rational zu einem Ergebnis gekommen ist, das den ersten Eindruck definitiv in Frage stellt. Warum ich das schreibe? Nun, passiert ist mir das mit der aktuellen CRESCENT SHIELD-Platte: Diese Kultband des traditionell geschmiedeten Stahls findet mit dieser Platte zum ersten Mal länger und ausführlicher den Weg in meinen CD-Player und musste sich so also erst mal in meine Gehirnwindungen hineinfressen. Doch schon von Beginn an, also mit der ersten Note, war mir der Gesang von Michael Grant ein Gräuel. Diese Stimme ist einfach ... anders. Und diese Andersartigkeit bezieht sich nicht auf die Technik, die ist nämlich großartig, sondern vielmehr auf die Klangfarbe der Stimme. Aus diesem Grund stecke ich nun also in einem Dilemma: großartiger, epischer Heavy Metal mit einem technisch einwandfreien Sänger und tollen Songs, die mir prinzipiell sofort gefallen würden, wird mit einer Stimme gepaart, mit der ich überhaupt nix anfangen kann. Das macht jeden Durchlauf zu einem Gefühlschaos, das eine Dauerrotation leider ausschließt. Um es auf den Punkt zu bringen: Traditionalisten und Fans haben die Therapie sowieso nicht gelesen. Allen anderen ähnlich Jungen wie ich einer bin, sei der Vergleich mit KING DIAMOND aufs Auge gedrückt: geiler, mächtiger Heavy Metal, dessen Sänger polarisiert. Vorher anhören ist Pflicht.
[Julian Rohrer]
[Martin Loga]
Auf diese Scheibe habe ich mich gefreut! Das Debüt war eine so unverhofft frische Überraschung, dass natürlich auch an "The Stars Of Never Seen" höchste Ansprüche gestellt werden. Leider gelingt es den Amerikanern nicht, diese in vollem Umfang zu erfüllen. Stilistisch hat sich zwar nichts zum Negativen verändert, es ist immer noch guter, melodischer Power Metal mit schwirrenden Gitarrenläufen, die in einigen Songs wie 'The Grand Horizon' und 'My Anger' an HELSTAR oder SPIRIT WEB erinnern, gelegentlich gut gemischt mit Feeling wie in '10,000 Midnights Ago' und sogar mit einem epischen Longtrack 'The Endurance'. Die Zutaten sind alle da, aber der ganz große Knüller ist es dennoch nicht. Auf längere Sicht entpuppen sich mehrere Songs nicht als große Versuchung, und mit 'The Bellman' ist sogar ein Lied gelungen, das nach mehreren Runden am besten übersprungen werden sollte. Die besten Songs finden sich am Anfang des Albums, gegen Ende geht ihnen leider etwas die Luft aus. Ein klarer Fall von zu hohen Erwartungen und dem mächtigen Schatten des überragenden "The Last Of My Kind". Daher: beileibe kein schlechtes Album, aber in der Diskographie von CRESCENT SHIELD klarer Zweiter.
[Frank Jaeger]
Eine weitere Meinung zu "The Stars Of Never Seen" in Form einer ausführlicheren Rezension findet ihr hier.
- Redakteur:
- Holger Andrae