Gruppentherapie: CRYPTOSIS - "Celestial Death"
17.04.2025 | 14:26Chaotischer Klang-Overkill oder Abenteuer für Hochpulser?
Die letzte Gruppentherapie zum März-Soundcheck machen wir, nun, warum eigentlich? "Celestial Death" von CRYPTOSIS macht es sich im Mittelfeld bequem und die Notenvarianz ist auch überschaubar. Kollege Björn gehört hier zum unteren Spektrum und findet sich im kosmischem Chaos nicht zurecht (zum Hauptreview). Die meisten Therapeuten kommen aber besser mit CRYPTOSIS zurecht, unserem Cheffe treibt die Musik den Puls sogar in ungeahnte Höhen. Hoffen wir also, dass er nach seinem Interview mit der Band nicht auch noch eine Therapie benötigt!
Zum Teil kann ich das Hauptreview vom Kollegen Björn schon nachvollziehen, denn auf "Celestial Death" passiert relativ wenig, was die Etikettierung brillant rechtfertigen würde. Auf der anderen Seite finde ich aber auch keinerlei Ansätze von "unfertigen Songs" oder "fahrigem" Songwriting. Das sind in Summe schon sehr unterhaltsame 40 Minuten mit einer melancholischen, futuristischen Klangfarbe, also ein Album, welches auch ohne große Songhighlights über die komplette Laufzeit faszinieren kann.
Mal ist es etwas progressiver, mal basischer, manchmal auch melodisch durchaus packend, aber in jeder Inkarnation immer latent anarchisch. Grade der Doppelpack 'Absence Presence' und 'In Between Realities' hat es mir hier wahrhaftig angetan. Wirklich redundant finde ich nur das Reboot von 'The Silent Call' was aber im Kern auch nicht stört. Wer sich eine Mischung aus NAGLFAR ("Pariah"), VINTERSORGs Phase von 2000 bis 2004 und der Ideenlandschaft von COVENANT vorstellen kann, der sollte sich die Niederländer mal rasch zu Gemüte führen. Bei so vielen unzähligen nostalgischen Black-Metal-Veröffentlichungen jeden Monat ist der himmlische Tod eine willkommene Abwechslung.
Note: 8,0/10
[Stefan Rosenthal]
Björn ist nicht so angetan von "Celestial Death". Ich kenne CRYPTOSIS bisher nur vom Namen und kann daher ziemlich unbefangen an das Scheibchen herangehen. Von der Produktion her ist das schon ziemlich geil gemacht! Unfertige Songs kann ich hier auch nicht wahrnehmen. Dafür sind mir die Keyboards aber definitiv zu dick aufgetragen. Nicht alles, was es schon mal gab, war ja auch gut, und die von Stefan angesprochene Phase des Black Metals oder die von Björn aufgeführten neueren DIMMU BORGIR-Alben sind jetzt nicht unbedingt dicke Argumente für mich, mich mit einer Veröffentlichung zu beschäftigen.
Dafür geschieht hier im Gitarrenbereich viel Spannendes. Die Riffs, die sehr melodisch sind und sogar an IN FLAMES erinnern, sind ebenso spannend wie die teils überraschend eingestreuten Schlenker, die hier auf der Leadgitarre durchgeführt werden. Der etwas ballernde Schlagzeugklang passt vorzüglich zu der Chose. Das anarchische Momentum, das Stefan hier entdeckt, höre ich nicht so ganz. Das wirkt schon alles geschickt geplant und kalkuliert. Das ist aber keine Kritik, denn hier sind Könner am Werk. Da auch der Gesang angemessen ist, habe ich außer den teils kleisterigen Keys nicht wirklich etwas zu beanstanden. Um ganz große Hits zu entdecken, so ehrlich muss ich dann auch sein, kenne ich das Album einfach zu wenig. Aber mein Eindruck ist insgesamt ein positiver. Diese Scheibe ist eigenständig, überraschend und trotz aller Kommerzialität auch hart. Fans des Spätneunziger-Keyboard-Black-Metals dürfen einen ganzen Punkt addieren.
Note: 7,5/10
[Jonathan Walzer]
Ich dachte ja, dies sei mein erster intensiver Höreindruck mit CRYPTOSIS, aber das ist gar nicht wahr. Die Split-Veröffentlichung aus dem Jahr 2021 zusammen mit VEKTOR hatte ich bereits auf den Ohren und war nicht so begeistert. Nun, jeder hat eine zweite Chance verdient. So auch diese Niederländer. Erwartet habe ich technisch-hektischen Thrash, was wohl grundsätzlich ein fehlerhafter Ansatz meinerseits war. Denn bereits während des ersten Durchlaufs muss ich zur Ohrenlüftung mal eben besagte VEKTOR zwischenschieben.
Dieser kosmische Klang-Overkill ist einfach erstmal überbordend, überfordernd und auch reichlich eindimensional in seiner Wirkung. Breitwand-Geschrote im blitzblanken Meister-Proper-Outfit. Fanfaren bis die Poperze blutet, Gitarren und Synthies in verschmolzenem Lavasound und ein Sänger, dem man gerne mal zwei bis zwölf Tüten Fisherman's Friend ins Osternest legen darf. Richtige Songs können meine Alte-Schule-Ohren auch beim dritten Durchlauf nicht finden, allerdings gewöhnen sie sich so langsam an die Klangwelten. In 'Ascending' entdecke ich als Ankerpunkt plötzlich so etwas wie einen Chorus, wobei in dieser Nummer der heisere Elchgesang während der ruhigeren Momente nach meinem Dafürhalten gar nicht funktioniert. Dafür mag ich aber die flirrenden Gitarren, wenn sie mal nicht von der Tastatur oder anderem Klimperquatsch übertönt werden.
Ich fühle mich als Unwissender in diesem musikalischen Schlachtfeld an KOVENANT/COVENANT erinnert, wobei ich dort die Gitarrenarbeit deutlich mitreißender fand. Von daher stehe ich auf das atmosphärische 'Absent Present', in welchem ich mich nicht komplett überfahren fühle. Auch das daran anschließende 'In Between Realities' kann mich mit seiner beinahe rockenden Art abholen. Insgesamt ist das aber kein Album für mich, denn auch nach fünf bis sechs Durchläufen bleibt hier nicht viel hängen, abgesehen von dem allgemeinen Eindruck, dass die Jungs spieltechnisch extrem fit sind, diese Klasse aber in ein Soundgewand kleiden, das mich eher ermüdet als aufputscht.
Note: 6,5/10
[Holger Andrae]
Warum nur beschäftigen sich meine Kollegen fast ausschließlich mit dem Soundgewand von "Celestial Death"? Wobei es zwischen den bombastischen Arrangements und der eher schrammelig-trockenen Klangfarbe dieser Platte durchaus Widersprüche gibt, was ich der Band auch als Hausaufgabe für die Zukunft mitgeben würde. Aber in meinen Ohren sind die ästhetischen COVENANT-Anleihen nicht das wesentliche Charakteristikum der Musik von CRYPTOSIS.
Man höre nur mal einen Song wie 'The Silent Call', der ist gar nicht so weit weg von der frühen Phase von VEKTOR. Und tatsächlich höre ich auch dort und anderswo Passagen in der Gitarrenarbeit, die von den Prog-Thrash-Göttern CORONER inspiriert sein könnten. Der Song 'Cryptosphere' ist auch so eine Granate vor dem Herrn, ich hoffe, ich kann den Holg davon überzeugen, sich zumindest diese Nummer noch mal in Ruhe anzuhören.
Von DIMMU BORGIR-Behaglichkeit ist das jedenfalls meilenweit entfernt. Ich bin vielmehr der Auffassung, dass CRYPTOSIS gerade in Sachen Songwriting und Spannungsbögen auf einem sehr guten Weg ist. Es fehlt noch das gewisse Etwas, diese berühmte Kirsche auf der Sahne auf der Torte. Und ein erfahrener Tontechniker wäre vielleicht auch ein Gewinn. Trotzdem überzeugt mich CRYPTOSIS auf "Celestial Death" sowohl handwerklich als auch kreativ. Das Album bietet gut abgehangenen Prog-Thrash im klanglichen Melodic Black / Death-Kleid, den man als qualitätsbewusster Metalhead auf jeden Fall mal gehört haben sollte. Ich hebe meinen Daumen für diese Platte!
Note: 8,0/10
[Martin van der Laan]
Ich habe es nicht häufig bemerkt, wenn mein Puls- und Herzschlag von Minute zu Minute ansteigt. Doch "Celestial Death" steckt so voller Spannung und Abenteuer, dass mir sowohl ein Schubladendenken als auch die kleineren Abzüge in der B-Note vollkommen egal sind. Ist mir doch wurscht, ob wir hier progressiven Thrash, melodischen Death oder jazzigen Black Metal vor den Latz geknallt bekommen. Es kümmert mich nicht die Bohne, dass 'Motionless Balance' oder 'In Between Realities' nicht ganz so überzeugen können wie vor allen Dingen das erste Drittel des neuen Rundumschlags.
Nein, hier geht es um das Gefühl, akustisch gegen die Wand gedrückt zu werden, solch ein dichter Soundteppich, so derart stimmungsvolle Synthie-Momente, die elegant und geschmackvoll mit der instrumentalen Wucht des neuen CRYPTOSIS-Hammers Tango tanzen, als würde mich "Celestial Death" von Song zu Song auf andere Sphären hieven. Irgendwie zwischen Sci-Fi-Filmmusik, in Form gebrachte Dystopie und der Klasse, die bereits der "Bionic Swarm"-Vorgänger versprühte, kreist "Celestial Death" immer und immer wieder seine wohlverdienten Runden. Manchmal beängstigend, mal pechschwarz und finster, mal episch as fuck und höllisch as hell – und dabei so herrlich homogen als sei ein roter Faden im Umlauf, der die verschiedensten Blickwinkel schön in Reih und Glied hält. Puh, das ist heftig. Heftig und verflucht gut!
Note: 9,0/10
[Marcel Rapp]
Fotocredits: Ewout Scholte Op Reimer
- Redakteur:
- Thomas Becker