Gruppentherapie: DARK QUARTERER - "Ithaca"

19.05.2015 | 01:51

Von Italo Prog bis Epic Metal, von MARILLION bis CIRITH UNGOL, diese alten Italiener haben alles drauf.

Überraschend hoch platziert sich die italienische Underground-Legende DARK QUARTERER im April-Soundcheck inklusive einer lupenreinen Zehn von Kollege Päbst (zum Review). Wir begeben uns auf eine Spurensuche, warum das so sein könnte. Dabei stellt sich schnell die Frage, ob der Sänger nun FISH oder Fleisch ist, eine Frage, der unser hauseigener MARILLION-Experte schließlich vehement zum Ende verhilft. Davon abgesehen sind sich jedoch alle Therapeuten einig: "Ithaka" ist eine vielschichtige Reise durch Prog, Epik und die Musikgeschichte.




So tief, so atmosphärisch: "The Colossus Of Argil" ist zurecht einer meiner Lieblingssongs aus den Achtzigern. Über das großartige "Dark Quarterer" von 1986 hinaus hatte ich mit der Band allerdings keinen Kontakt mehr. Umso neugieriger stimmte mich die Ankündigung des neuen Albums. "Ithaca", das sind 56 Minuten voller Variation und musikalischer Tiefsinnigkeit, die den Spirit der alten Aufnahmen atmen, den Sound gleichzeitig adäquat in die Gegenwart transportieren.

Sei es das akzentuierte Riffing im Opener, das so übrigens schon bei HOLLENTHONSs modernem Ausdruckstanz ‘Son Of Perdition' zu hören war, sei es der theatralische 'Night Song', sei es der orgelig-dunkle DEEP-HEEP-Tribut ‘Mind Torture' mit Ennio-Morricone-Part: die dargebotene Bandbreite ist enorm und steckt so voller Details, eine wahre Freude. Natürlich werden nicht alle Hörer wahre Freunde des Albums, dafür sorgt Sängerbassist Gianni Nepi. Dessen Stimme ist eigenartig wie charakteristisch, für den einen Rausschmeißer, für den anderen Droge, dazwischen gibt es nichts. Um es kurz zu machen: Ich brauche das Zeug, schöner kann Abhängigkeit nicht werden.

Note: 9,0/10
[Julian Rohrer]


DARK QUARTERER ist eine Band deren Name mir immer mal wieder begegnet ist, den ich aber aufgrund der momentan reichhaltigen Auswahl an großartiger, noch zu entdeckender Musik neuer wie alter Natur, nicht weiter verfolgt habe. Dass dies ein böser Selektions-Fehler gewesen ist, macht bereits der Erst-Durchlauf von "Ithaca" klar, und diese Erkenntnis verfestigt sich mit jeder weiteren Umdrehung des Albums im CD-Schacht, denn es gibt viel zu entdecken. Umwege erhöhen schließlich die Ortskenntnis, wie auch Odysseus gelernt hat. Auf 'Ithaca' passiert in musikalischer Hinsicht nämlich ziemlich viel: verschrobener Epic Metal, wie ich ihn bei CIRITH UNGOL und MANILLA ROAD liebe, trifft auf Neo Prog á la MARILLION, denn Sänger Gianni Nepi hat in seiner Stimmfarbe und Phrasierung ungeheuer viele Berührungspunkte mit Fish. Die schnellen und knüppeligen Parts wie bei 'Rage Of Gods' stehen der Band allerdings genauso gut zu Gesicht wie mancher Thrash Band, bilden aber die Ausnahme, sodass man sich auch einfach nur der episch schwelgerischen Irrfahrt hingeben kann, auf die einen das Album mitnimmt. Die verschiedenen Stilrichtungen und Einflüsse fügen sich nämlich auf wundersame Weise zu einem schlüssigen großen Ganzen zusammen, sodass weder Knüppelei noch Prog-Abfahrt oder Epic-Keule wie Fremdkörper wirken würden. Das hätte nun alles herzlich wenig Wert, wenn die Songs an sich trotz allem nichts taugen würden, doch da kann natürlich Entwarnung gegeben werden, denn "Ithaca" ist von vorn bis hinten gespickt mit hervorragenden Songs, weshalb ich aufgrund des homogenen Niveaus im Songwriting keine Highlights herausstellen möchte. Man wird die Scheibe sowieso immer in einem Stück hören wollen. Odysseus hat seine Irrfahrt ja schließlich auch nicht auf der Hälfte der Strecke angefangen. Lange Rede, kurzer Sinn: ich bin entzückt!

Note: 9,5/10

[Arne Boewig]




Hui, unser lieber Arne kommt so langsam auf die Prog-Schiene. Erst seine Euphorie für BLEEDING und jetzt ne Fast-Zehn für DARK QUARTERER; proggige Glückwünsche, junger Padavan! Schön finde ich vor allem den MARILLION/FISH-Vergleich, denn dies ist auch meine alles überstrahlende Assoziation beim Hören von "Ithaca", obwohl die Band natürlich deutlich mehr metalt als die Prog-Legende. Allerdings habe ich nach mehreren Spins immer noch den Eindruck, Sänger Gianni Nepi würde hier eine Parodie auf FISH geben wollen. Vielleicht ist es sein Italo-Akzent, vielleicht die eigenwillige Intonation, aber irgendwie hört sich Nepis Gesang für mich etwas kasperig an und ich habe deshalb Probleme, das Gehörte allzu ernst zu nehmen. Vor allem die ganz hohen Passagen schütteln mich. Ansonsten ist "Ithaka" ein sehr feines, ausgefeiltes, intelligent arrangiertes und damit über weite Strecken spannendes Prog-Metal-Album. Dauerrotation wird aber durch den Gesang verhindert. Und Arne würde ich auf jeden Fall eine Reise in die Achtziger empfehlen: "Script For A Jester’s Tear" und "Misplaced Childhood" sind dann halt schon noch ganz andere Kaliber, die auch mich als jungen Prog-Einsteiger nachhaltig fasziniert haben.

Note: 7,5/10

[Thomas Becker]

Mein lieber Thomas, nun erzähle doch dem Arne nicht, dass DARK QUARTERER Prog spielt. Das ist nämlich falsch. Die mir wasserfall-artigen, den Rücken herunter rauschenden Schauer sind als Beweis ausreichend. Auch das zwanghafte Nachlesen der literarischen Quelle (den Stoff lernt man ja nicht mehr in der Schule) ist ein weiteres Zeichen. DARK QUARTERER ist episch, viel epischer geht gar nicht. Und nein, Gianni Nepi ist auch kein Wassertier-Parodist, sondern macht mit seinen italienischen Kollegen schon seit 1980 Musik. Das ist - Kenner wissen bereits worauf ich hinaus will - nur ein Jahr nach der MARILLION-Gründung. Aber lassen wir das Faktische und die nichtsnutzige Genre-Diskussion doch beiseite und lauschen einfach mal der Musik. "Ithaca" startet schon direkt mit dem künftigen Klassiker 'The Path of Life', nach dem ich süchtig bin. Wirklich süchtig, mit Entzugserscheinungen! Aber Moment, jetzt läuft 'Night Song'! Verdammt, ist der nicht sogar noch besser? Gianni Nepi ist wahnsinnig gefühlvoll, die Musik magisch und packend und gänsehäutig. Und das geht die ganze Zeit so weiter! 'Mind Torture' glänzt mit fetter DEEP HEEP-Schweineorgel, der längste Song 'Rage of Gods' mit Könner-Dramaturgie. Ich bin verliebt in "Ithaca"! Das habe ich nicht mehr erwartet, nachdem ich die Diskographie-Aufarbeitung nach der Einfuhr vom gruseligen Sound des Zweitwerks "The Etruscan Prophecy" aufgegeben hatte. Ich sollte das nun nachholen. 2015 haben die Italiener aber vermutlich gewonnen.

Note: 10,0/10

[Marius Lühring]



Ja, sagt mal, wie seit ihr denn gebürstet? Theatralik, ja. Das ist aber auch tatsächlich die einzige Parallele zu MARILLION, denn sonst stehen sich hier Welten gegenüber. Musikalisch, nicht aber Bezug auf die Qualität. Ich muss das eben mal gerade rücken, damit hier nicht Kenner der Band glauben und fürchten, die Burschen würden jetzt Art Rock machen. Keine Angst, das ist weiterhin Nepi, wie er leidet, krakeelt, eigentümlich haarscharf an der Dissonanz vorbei singt, und in großartiger Epik das Leben, die Geschichte der Welt, ja, des Universums, die ganze Zahl 42 zu verarbeiten sucht. Ein Album mit Tiefgang, das den Hörer anfangs fordert, danach entzückt. Nicht mehr auf die krude Art von "War Tears", nicht so rockig wie "Symbols", aber mir drängt sich eine andere Parallele auf, nämlich die zu URIAH HEEP. DARK QUARTERER wird wieder etwas progressiver und trifft auf URIAH HEEP. Wenn das nicht eine Empfehlung ist, was ist es dann?

Note: 9,0/10
[Frank Jaeger]

Mehr zu diesem Artikel:

Soundcheck 04/2015
Review von Raphael Päbst

Redakteur:
Thomas Becker

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