Gruppentherapie: HEAVEN SHALL BURN - "Heimat"
06.07.2025 | 00:54Metalcore für Metalfans, die keinen Metalcore mögen?
Einen einzigen Zehner gibt es im Juni-Soundcheck. Und der geht an "Heimat" von HEAVEN SHALL BURN! Das Album landet auch insgesamt auf Platz vier, also wehe, es behauptet einer nochmal, wir "könnten" diese metallische Spielart nicht. Und einen Podcast mit Gitarrist Maik gibt es hier auch. Doch was ist dran an HEAVEN SHALL BURN, dass das auf einmal alle mögen?
Man kann irgendwie nicht anders, man muss vor den Thüringern den Hut ziehen, selbst mit dem zehnten Album vermag man meiner Ansicht nach noch einen drauf zu setzen. Das liegt aber sicher auch daran, dass ihr Sound immer ein bisschen weiter Richtung Mainstream rückt. Was für andere ein Schimpfwort ist, empfinde ich als Reife, zumal man von einer allgemeinen Zugänglichkeit für Ottonormalhörer weit entfernt ist.
Aber ein Stück wie 'War Is The Father Of All', das herrlich nach der Göteborg-Schule klingt, das Verschieben des Gesangs von Growls zu Screams in 'Confounder' oder der Klargesang in 'Numbered Days' sind Stilmittel, die Abwechslung in das bringen, was für mich immer noch die größte Hürde bei der Band ist, Marcus Bischoffs Gesang. Dabei würde ich ihn so gerne verstehen, denn auch lyrisch ist HEAVEN SHALL BURN üblicherweise großartig. Auf "Heimat" agiert er variabel im Rahmen der selbst gesteckten Grenzen, während die Instrumentalfraktion unglaubliche Melodiemonster abschießt, keine Genregrenzen kennt und uns eine echte Lektion in Sachen Riffing serviert. Meine Skepsis gegenüber der Band wandelt sich langsam in Begeisterung.
Note: 8,0/10
[Frank Jaeger]
Schande über mein Haupt, aber meine ursprüngliche Benotung von 8,5 Punkten muss ich tatsächlich um einen weiteren, halben Notenpunkt nach oben schrauben. "Heimat" ist ein so gewaltiges, aussagekräftiges Album, das ungemein viel zu bieten hat: einen Hallo Wach-Titel, eine mehr als geschmackvolle Coverversion eines KILLSWITCH ENGAGE-Songs, ein Artwork, das mir die Tränen in die Augen treibt und ein so geniales wie zerstörerisches Zusammenspiel aus Melo-Death-Gewalt und Epik, das die Band auf die nächste Stufe hievt.
Explosionen, Schüsse, Dampfwalzen, Wutausbrüche, aber auch Chöre und Zerbrechlichkeit und und und - "Heimat" klettert von Mal zu Mal zum HEAVEN SHALL BURN-Magnum Opus hoch. Als Beleg höre man sich allein mal 'War Is The Father Of All', 'My Revocation Of Compliance' oder 'Those Left Behind' an. Zwar gleichen nicht restlos alle Songs einem Urknall, doch in Kombination mit In- und Outro sowie mit 'Imminence' als Ruhephase erfährt "Heimat" eine Dynamik, die ihresgleichen sucht. Daher bin ich nun im Vergleich zum Soundcheck zu einer noch höheren Benotung für dieses durch und durch besondere, bedeutungsschwere Album gekommen.
Note: jetzt 9,0/10
[Marcel Rapp]
HEAVEN SHALL BURN ist die Metalcore-Band für Metalfans, die keinen Metalcore mögen. Denn musikalisch stand man immer knieftief im Death Metal, ohne in anstrengende Deathcore-Ecken abzudriften. "Heimat" ist wieder ein ziemliches Statement geworden, und aus meiner Sicht auch wieder deutlich mehr Metal als Core. Trotzdem habe ich etwas zu mäkeln: Die fetten Chöre und Einspieler vom Band schaden der Musik aus meiner Sicht mehr als sie nutzen.
Im Metalcore habe ich immer die Voll-Auf-Die-Zwölf-Attitüde geschätzt. DIMMU BORGIR-Sound-Ästhetik passt dazu in meinen Augen überhaupt nicht. Dass moderne, jüngere Metalcore-Bands so etwas ständig machen ist mir bekannt, und es ist zweifelsohne eine musikalische Katastrophe. Ich hoffe, die Thüringer lassen sich davon nicht dauerhaft anstecken, denn 'War Is The Father Of All' zum Beispiel wäre mit einem reduzierteren Klangbild noch stärker.
Insgesamt ist "Heimat" schon ein starkes Album, aber erlaubt mir kundzutun: Mit "weniger" im Klangbild wäre hier noch "mehr" drin gewesen. Und meine Note fällt ja jetzt schon nicht schlecht aus. Ich dachte mir aber: All die positiven Aspekte werden von den anderen Rezensenten eh zur Genüge betont, daher konzentriere ich mich hier mal auf den Grund, der für mich im Gegensatz zu Marcel die neun Punkte verhindert.
Note: 8,5/10
[Jonathan Walzer]
HEAVEN SHALL BURN gefällt mir immer dann, wenn die Band keinen Metalcore spielt, kurz gesagt, wenn sie ein wenig an die "Colony"-Phase von IN FLAMES erinnert. "Heimat" eröffnet opulent mit 'War Is The Father Of All' (nach kurzem klassischem Intro). Das kann ich mir gut geben, das Medium-Steak ist mit Barbecue angerichtet, die Pfeffersauce daneben mischen wir dazu und es passt.
Dann wird wieder heavy geknüppelt, wobei anzumerken ist, dass glücklicherweise softe Gesangslinien in Chorusnähe tunlichst unterbleiben. So geht das über einige Tracks - sie zu unterscheiden, fällt nicht immer leicht. Immer wieder streut HEAVEN SHALL BURN kurz IN FLAMES-Gedächtnisriffing ein, um das Gemetzel aufzulockern. Meine Güte, Gefangene machen die Buben nicht. 'Empowerment' ist sehr melodisch geraten, wären da nicht die verzweifelten Vocals: Der Mann muss fertig sein nach solch einem Vortrag.
Es gibt noch ein kurzes instrumentales Intermezzo, dann wird wieder inbrünstig gebrüllt. Mir ist das alles bisweilen zu gleichförmig, wenngleich ich schon sagen muss, dass mir die Band besser gefällt als alles, was Metalcore sonst ausmacht. Ich habe aber auch zu wenig Ahnung von dieser Art Gehämmer, nach DIMENSION ZERO ist bei mir Schluss. Und das gilt doch als Melo Death, oder? 'Ten Days In May' ist nicht nur des Titels wegen einer meiner Faves. 'A Silent Guard' gedeiht auch prächtig. Outro, Finito.
Note: 7,5/10
[Matthias Ehlert]
Ich bin hin- und hergerissen, und auch nach mehreren "Heimat"-Durchläufen komme ich noch nicht an den Punkt eines klaren Urteils. Auf der einen Seite Begeisterung ob der offenkundigen Rückbesinnungen an den Sound aus den guten alten "Deaf To Our Prayers"-Tagen. Wohlwollen angesichts des wie ich finde absolut stimmig symphonisch untermalten Auftaktes. Diebische Freude über die aggressive Urgewalt, die Marcus und Kameraden auch nach dreißig (!) Bandjahren noch antreibt und die in wunderbaren Death-Metal-Keulen wie 'Confounder' oder 'Empowerment' Ausdruck findet.
Auf der anderen Seite fehlt es mir auf "Heimat" jedoch an Abwechslung - ja, ich fand die Experimente auf "Of Truth And Sacrifice" absolut bereichernd und pendle immer noch gerne zwischen den Extremen, die 'La Resistance', 'Uebermacht' oder 'Expatriated' markierten. Es fehlt mir an der einen oder anderen Stelle die letzte Finesse und Tiefe im Songwriting, die beispielsweise 'Passage Of The Crane' oder 'Godiva' prägten. Und - darf ich das wirklich sagen? - ich hatte mich wirklich daran gewöhnt, dass ein HEAVEN SHALL BURN-Album regelrechte Hits aufweist, Melodic-Death-Metal-Ohrwürmer, die aus dem Schlachtenlärm hervorstechen. Diesmal suche ich Pendants zu 'Downshifter', 'Hunters Will Be Hunted' oder erst recht 'The Weapon They Fear' oder 'Endzeit' vergeblich.
Bezeichnenderweise bleibt mir diesmal in erster Linie das obligatorische Cover, also KILLSWITCH ENGAGEs 'Numbered Days', nach einer knappen Stunde "Heimat"-Unterricht im Gedächtnis. Daher stecke ich mit meiner Bewertung aktuell kurz vor den absoluten Edelnoten fest und bleibe mit der Hoffnung am Ball, dass sich auch "Heimat" für mich noch weiter entfalten wird. Und auf dem Weg dahin lasse ich mir von der Thüringer Vorzeige-Combo gerne amtlich die Hucke verprügeln.
Note: 8,5/10
[Timon Krause]
Ach Mensch - alles nicht so einfach. Auch ich tue mich mit dem neusten Streich von HEAVEN SHALL BURN sehr schwer. Und das liegt nahezu vollständig an drei Faktoren. Zum einen muss ich immer noch meine persönliche Enttäuschung verarbeiten, dass "Heimat" dann doch kein deutschsprachiges Album geworden ist und sich die Jungs mit der "Keinen Schritt zurück- EP" begnügen, welche dem Album zumindest in der limitierten Version beiliegt. Da entgeht den Thüringern eine sehr gute Möglichkeit dem aktuellen Langdreher ein Alleinstellungsmerkmal in der Diskografie zu geben. Sehr schade.
Somit bekommen wir "nur" einen sehr traditionellen neuen Output serviert, der alle Stärken und Schwächen der Band einmal mehr offenbart. Wobei mir eine der Kernkompetenzen leider (noch) verborgen bleibt, da wie Tobi es bereits im Review angemerkt hat, die Texte nicht vorliegen. Jetzt ist Marcus' Gesangsperformance auch nicht ideal dafür in einer fremden Sprache direkt jeglichen lyrischen Kontext zu erschließen - somit tue ich mich verdammt schwer ein solches Album zum Status Quo zu bewerten.
War immer gut und wird somit auch dieses Mal gut sein, ist mir da tatsächlich zu wenig. Gerade bei einem Song wie 'Dora' bin ich sehr gespannt, wie das "vermutliche" Thema des Mittelbau-Dora (Zwangsarbeiterlager zur Raketenproduktion in der NS-Zeit) verarbeitet wurde. Somit kann ich nur eine Note in einem Korridor abgeben, welche auch klar erkennbar macht, wie wichtig mir im Kontext dieser Band auch die Texte neben der Musik sind.
Warum es im Idealfall aber im Gegensatz zu Tobi trotzdem nicht zu Höchstpunktzahl reicht, haben meine Kollegen schon ganz gut erläutert und zu Highlights wie "Iconoclast" oder gar "Veto" fehlen mir hier einfach noch die ganz großen Ausnahmetracks. Stellvertretend dafür steht auch die obligatorische Cover-Version 'Numbered Days', welche für sich genommen nur okay ist und sich deutlich hinter 'Black Tears' und 'Valhalla' (auch ohne BLIND GUARDIAN-Fanbrille) einreihen muss.
Note: von 7,5 bis 9,0/10
[Stefan Rosenthal]
Fotocredits: Candy Welz
- Redakteur:
- Thomas Becker