Gruppentherapie: KERRY KING - "From Hell I Rise"

01.06.2024 | 20:45

Gut schon, aber gut genug?

Kollege Björn schreibt es schon in seinem Hauptreview zu "From Hell I Rise": Es ist wohl eines der heißersehntesten Metal-Alben dieses Jahres. Klar, kaum ein Metalhead ist wohl ohne SLAYER groß geworden und jeder hat eine Meinung zu der Band. Unsere Soundchecker wählten das Album "nur" auf den siebten Platz des Mai-Soundchecks. Auffällig ist, dass das Album alle gut finden, aber keiner so richtig hohe Noten zückt. Doch wie sieht dies außerhalb der Klangarbeiter-Front aus? Stimmen gibt es wie immer in unserer Gruppentherapie!



SLAYER ist ein Band, die mich früh musikalisch sozialisiert hat, deren spätere Alben ich aber zumeist maximal gut fand. Erst ganz zum Schluss wurde es für mich musikalisch wieder etwas besser. Allerdings war die Band bei mir eben immer mit diesem Früherziehungs-Bonus behaftet, sodass ich schon ein bisschen gespannt war, mit welcher Besetzung Kerry denn nun sein erstes Album einspielen würde. Dass er mit Phil Demmel hier mal eben den für mich bestmöglichen Sidekick aus dem Killian-Käfig befreien konnte, hat den ersten Euphorieschub bei mir erzeugt. Mark von DEATH ANGEL als einen der besten aktiven Thrash-Metal-Shouter dann additiv dazu und meine Erwartungshaltung steigt immens. Dies soll jetzt nicht die Leistung der beiden verbleibenden Musikanten schmälern, aber HELLYEAH war nie meine Band und Paul Bostaph war jetzt keine Überraschung.

Hört man sich "From Hell I Rise" an, so gibt es einen netten Querschnitt aus vielen Phasen des alten Bandkataloges. Das ist jetzt keine Riesenüberraschung, denn wenn Kerry King Riffs schreibt, klingt es eben genau so. Trademark-Sound. Allerdings vermisse ich dann doch die ganz großen Killer-Tunes; jene, die wahlweise schaurig-schleppend oder rattenscharf-rasant die Hirnrinde zersäbeln. So bekommen wir hier dreizehn amtliche Nummern serviert, von denen aber leider keine besonders herausragt. Gerade mit so einem Sänger hätte man auch mal ein bisschen mehr Abwechslung bieten können, aber vielleicht kommt das ja auf dem nächsten Album, denn Mister King sagt in einem Interview, dass etliche der Nummern schon fürs nächste SLAYER-Album in petto standen.

So würde ich mich über weitere Sache in der Art von 'Crucifixation' zukünftig sehr freuen. Allerdings ist genau diese Nummer für mich der Startpunkt zum besseren Teil des Albums. So hat 'Toxic' endlich diese morbide Stimmung, die ich zum Beispiel an 'Dead Skin Mask' so schätze und der abschließende Titelsong feuert mit erstklassigen Riffs aus allen Rohren, so dass man das Album dann doch mit einem Grinsen auf dem Gesicht beenden kann.

Note: 7,5/10
[Holger Andrae]



Ohja, verdammt nochmal! Was nun mit SLAYER und der Bandzukunft ist, weiß wohl selbst Kerry King nicht so richtig. Doch egal, soll er sich erst einmal auf sein Solodebüt konzentrieren. Und meine Herren, das Ding bockt wie Sau! Entschuldigt meine Wortwahl, doch ähnlich wie Holg und unzählige andere Metalheads erachte ich die ersten SLAYER-Alben als absolute Göttergaben, allerdings konnte ich auch viel mit der Zeit ab "God Hates Us All" anfangen. Als sich die Totschläger dann auflösten, fehlte etwas in meiner musikalischen Welt. Ein ähnliches Gefühl hatte ich nach dem Tod Lemmys. Doch nun kehrt zumindest KERRY KING mit "From Hell I Rise" zurück und hat einen der besten, agilsten und begnadetsten Sänger der Thrash-Metal-Welt im Gepäck. Das kann nur gut werden, oder?

Und ob, denn die Songs ballern ab der ersten Sekunde komplett durch: Wenig Verschnaufpausen, voll auf die Mappe, dreizehn piekfeine und brutale Tritte in die Magengrube. Und dazu ein markanter Gesang, der die Post-"Repentless"-Suppe mal kräftig würzt. Zugegeben, ein, zwei Songs weniger hätten "From Hell I Rise" absolut nicht geschadet und es eventuell noch spritziger, weil kurzweiliger gemacht. Doch sei's drum, denn effektiv haben SLAYER-Fans genau das, was sie wollten: Der SLAYER-Sound ist wieder am Start, erfährt eine sehr gelungene Runderneuerung und glaubt man Herrn König, ist auf jeden Fall noch genügend Material für weitere Kost aus der Brachialenkiste zu vermelden. Doch wir sind erst einmal genügsam und freuen uns auch trotz des langweiligen Artworks an einem großen Stück der absoluten Macht: SLAYER!

Note: 8,5/10
[Marcel Rapp]

Da haben die werten Kollegen Marcel und Holg schon viel Wesentliches und Wahres herausgefiltert. Kann ich alles so unterstreichen. Obwohl sowohl SLAYER als auch DEATH ANGEL mehr als sehr zugetan, hatte ich anfänglich doch leise Zweifel, ob Kerry King-Geriffe und Mark Osegueda-Shouts im Verbund zusammen harmonieren würden. Diese Zweifel wurden glücklicherweise bereits nach dem ersten Durchlauf ausgeräumt, obwohl hier und da schon ein wenig der Eindruck entsteht, dass Osegueda zu oft der Versuchung erlegen ist, Tom Arayas unnachahmlichen Brüll-und Kreisch-Stil ein wenig zu imitieren. Das hat so ein facettenreicher Shouter wie er doch eigentlich gar nicht nötig.

Da die Songs durch die Bank nur selten Midtempo-Geschwindigkeit streifen, bewegt sich die ganze Chose also fast durchgehend im pfeilschnellen und rasiermesserscharfen Uptempo, wie es sich für Thrash eben so gehört. Wer seine müde Nackenmuskulatur also wieder einmal auf Vordermann bringen möchte, ist bei diesem Album grundsätzlich erst einmal sehr gut aufgehoben. Aber wie Holg schon richtig auf den Punkt gebracht hat: Von einem Kerry King, der sowohl auf den Früh- als auch den Spätwerken seiner Hauptband Riffs für die Ewigkeit kreiert hat, darf man am Ende des Tages dann doch schon etwas mehr erwarten. Nämlich weitere gottgleiche und unverwechselbare, sich sofort ins Gehirn einfräsende Riffs. Und derer sind auf dem Album leider nicht in der Fülle vorhanden, wie es sich unsereins vielleicht erhofft hätte.

Nichtsdestotrotz, "From Hell I Rise" wird sich zumindest in den separaten Thrash-Jahreslisten seinen Platz im Ranking relativ weit oben sichern. Und sein komplettes Pulver nicht schon gleich mit dem ersten Solowerk zu verschießen, muss sich im Nachhinein auch nicht immer als Nachteil erweisen.

Note: 7,0/10
[Stephan Lenze]

Ich bin ganz ehrlich, ich gehöre nicht zur Gruppe der Metaller, die auf ein neues Lebenszeichen von KERRY KING gewartet haben. Wenn ich meine Lieblingsschäfchen im SLAYER-Kosmos zähle, dann stand nämlich eigentlich immer der Name Jeff Hanneman in den Credits als musikalisch Hauptverantwortlicher. Die Beteiligung von Mark Osegueda weckte dann aber doch Interesse, immerhin liebe ich das charismatische Organ des DEATH ANGEL-Fronters sehr.

Und was soll ich sagen, "From Hell I Rise" gefällt mir gerade wegen Marks Gesang, aber überraschenderweise auch musikalisch richtig gut. Das liegt zu großen Teilen daran, dass Kerry für mich hier an der moderneren und groovigeren SLAYER-Phase um das von Marcel schon erwähnte "God Hates Us All" anknüpft, das mir schon immer sehr gut gefallen hat. Mit dem gedrosselten Tempo und der fies-finsteren Atmosphäre spielt Mr. King dabei auch Mark natürlich perfekt in die Karten, den ich selten so diabolisch und abgedreht gehört habe wie auf Krachern der Marke 'Idle Hands' oder 'Trophies Of The Tyrant'.

Und plötzlich macht die Thrash-Suppe, die ich gerade auf dem letzten SLAYER-Langdreher "Repentless" über hatte, richtig Laune und zaubert mir ein nicht erwartetes breites Grinsen ins Gesicht. Ja, Kollege Marcel hat Recht, wenn er etwas Überlänge und mindestens zwei Tracks zu viel attestiert, aber insgesamt ist "From Hell I Rise" dennoch sehr unterhaltsam, kurzweilig, und macht mir doch tatsächlich Lust darauf, Herrn King mit seiner neuen Band auch einmal live zu erleben. Und das hätte ich im Vorfeld nun wirklich nicht erwartet.

Note: 8,0/10
[Tobias Dahs]

Nachdem seit den ersten Ankündigungen und Interviews von King über ein Soloalbum die halbe Metalwelt darüber spekuliert hat, haben wir nun endlich handfeste Musik vor uns, über die man diskutieren kann. Mit Mark Osegueda hat man dann auch eine Überraschung am Mikro, die im Vorfeld so keiner erwartet hat. Und auch an dieser Personalie werden sich wohl die Geister scheiden, denn der Rest bleibt vom Stil wie auf "Repentless", wobei das auch etwas zu pauschalisierend wäre. So gesehen hat eigentlich keiner, nicht mal King selbst, vor, das Ganze hier musikalisch von SLAYER zu trennen, was wohl auch nicht Sinn der Übung ist.

Nach dem stimmungsvollen Intro 'Diablo' geht es mit dem flotten Nackenbrecher 'Where I Reign' los, bei dem Phil Demmel direkt mal mit einem grandiosen Solo überzeugen kann, das mir durchgehend im Ohr hängt. Ganz große Klasse! Der Vorabsong 'Residue' ist dann wieder eine groovigere Nummer, die Erinnerungen an "God Hates Us All" wach werden lässt, aber nicht ganz an das Niveau dieser Scheibe herankommt, während allerdings 'Rage' mit dem ein oder anderen Song auf dem 2001er Werk sehr gut mithalten kann. Daneben gibt es auch weitere Songs, die in manchen Momenten nach altem SLAYER-Material klingen. 'Toxic' beispielsweise groovt ganz herrlich und sinister mit dem typischen 80er-SLAYER-Riffing und macht sich so zum absoluten Highlight dieser Scheibe, doch auch 'Crucifixation' und 'Trophies Of The Tyrant' können bei jedem Durchlauf mitreißen. Bei Zweiterem sind die Gesangslinien übrigens stark an jene von Araya angelehnt, was zusätzlich SLAYER-Flair aufkommen lässt.

Doch nach ein paar Spins tun sich für mich doch ein, zwei Problemchen auf: 'Everything I Hate About You' ist in seiner Kürze bisher noch relativ nichtssagend und hätte durchaus doch ein paar Soli mehr vertragen können, während 'Two Fists', das nach einer Mischung aus dem Material von "Undisputed Attitude" und "Diabolus In Musica" klingt, bei mir noch nicht wirklich zündet. Vielleicht liegt's einfach an Osegueda, der insgesamt eine tolle Leistung an den Tag legt, aber hin und wieder dann doch mit seinen recht harschen Vocals übertreibt, wie auch bei 'Two Fists'. Vielleicht muss ich "From Hell I Rise" auch einfach öfter rotieren lassen, denn bisher macht das Ganze schon einen Heidenspaß, während es dennoch an kein einziges SLAYER-Album heranreicht. Der King ist jedenfalls zurück und das allein bereitet mir als SLAYER-Fan schon große Freude!

Note: 9,0/10
[Kenneth Thiessen]

Ich habe sicherlich viel in meinem Berufsleben gelernt. Eines davon ist die Tatsache, dass es manchmal nicht darauf ankommt, was man inhaltlich sagt, sondern wer es sagt. Das kann ich für mich nun wunderbar auf "From Hell I Rise" projizieren. Normalerweise kann ich mit Thrash Metal kaum etwas anfangen, doch obwohl KERRY KING alle gängigen Stereotypen genretypisch runterrattert und dabei in nahezu allen Belangen anderen guten Thrash-Veröffentlichungen (beispielsweise "Profane Prayer" von SUICIDAL ANGELS) der letzten Monate unterlegen ist, bin ich deutlich begeisterter. Und das, obwohl ich auch DEATH ANGEL nichts abgewinnen kann und der Gesang von Mark Osegueda für mich auch kein Kaufargument ist (eher im Gegenteil).

Es muss also einfach daran liegen, dass es aus KERRY KINGs Feder stammt. Die Riffs holen mich deutlich leichtfüßiger ab als bei der Konkurrenz und diese leicht diabolische Atmosphäre beamt mich tatsächlich direkt in selige SLAYER-Zeiten. Insbesondere 'Toxic' und 'Tension' finde ich schon massiv geil, aber auch das häufig kritisch beäugte 'Two Fists' ist doch eine herrlich angepisste Aggro-Hymne. Was einfach fehlt sind die absoluten Überhits, welche auch die letzten SLAYER-Werke immer noch in reduzierter Anzahl mit am Start hatten. Aber das kann ja noch mit dem Zweitwerk nachgeliefert werden. Da hab ich nämlich jetzt schon Bock drauf.

Note: 8,5/10
[Stefan Rosenthal]

Manchmal ist das so eine blöde Sache mit den eigenen Erwartungen. Einerseits hatte ich wirklich Angst davor, dass die erste Soloscheibe von KERRY KING ein reiner SLAYER-Abklatsch wird, andererseits befürchtete ich auch, dass es was ganz anderes werden könnte. Und wie immer liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen.

Ja, was denn nun? Kann es nicht dadurch eigentlich nur verlieren? Normalerweise schon. Die größte Leistung von "From Hell I Rise" ist in meinem Fall also, dass es mich trotzdem überzeugt. Eines ist klar: Das Album könnte auch in dieser Form ein reguläres SLAYER-Werk sein. Das ist Fluch und Segen zugleich und liegt im jeweiligen Auge des Betrachters. In deren Diskografie würde sich diese Scheibe bestimmt irgendwo im Mittelfeld einfinden. Im Vorfeld hatte ich mich vor allem sehr auf die Zusammenarbeit mit Mark Osegueda gefreut. Meine Hoffnung war, dass er den diabolischen KK-Riffs eine dringend notwendige melodische Seite hinzufügt, die die zu erwartende Abrissbirne in meinen Ohren unbedingt nötig hat.

Doch - und das ist das größte Manko und verpasste Potential - Kerry hat Marks Gesang so dermaßen in den Araya-Modus getrieben, dass die Qualitäten des DEATH ANGEL-Frontmanns kaum richtig zur Geltung kommen. Meine Vorredner haben es ja bereits erwähnt, es krankt auch ein wenig an den ganz großen Hits, den alles überstrahlenden Perlen für die Ewigkeit. Trotzdem machen die gut 47 Minuten enorm Spaß, weil ein paar echt coole Nummern schon drauf sind ('Crucifixation', 'Toxic'), die Produktion passt (modern, aber nicht zu viel), die Energie stimmt, für Abwechslung ebenfalls gesorgt ist und SLAYER in einer guten Form halt immer geht. So auch hier. Daumen hoch. Und das Beste ist: Es geht noch mehr.

Note: 8,0/10
[Chris Staubach]



Ich geb's zu: Während "Show No Mercy" in den letzten Jahren eine fast noch größere Euphorie auslöste als zu meinen Teenager-Zeiten, sind mir die neueren SLAYER-Alben so gut wie gar nicht geläufig. Und "neu" beginnt hier Ende der 90er. Deshalb kann ich die Vergleiche meiner Kollegen kaum validieren. Dafür erinnert mich ein Stück wie 'Residue' total an "Vulgar Display Of Power" von, ja genau, PANTERA. Und wenn meine Kollegen sagen, DEATH ANGEL-Mark wäre zu einem Araya mutiert, höre ich hier genauso viel Anselmo-Merkmale. So erstaunlich das ist, auf Dauer wirkt der Gesang dann auch auf mich recht monoton.

Ansonsten gebe ich meinen Kollegen in den meisten Punkten recht: Das Album ist insgesamt cool, macht Spaß beim Hören, ohne jetzt die ganz große Zappelorgie auszulösen. Lustig finde ich allerdings, dass meine Vorredner bei der Geschwindigkeits-Wahrnehmung weit auseinander liegen. Durchgehend pfeilschnell oder doch meist gedrosselt und fies-finster? Tja, das müsst ihr wohl selbst herausfinden.

Note: 7,5/10
[Thomas Becker]

Fotocredits: Andrew Stuart

Redakteur:
Thomas Becker

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