Gruppentherapie: PARADISE LOST - "Ascension"

07.10.2025 | 18:37

Kann hier aus Wertschätzung auch Liebe werden?

Kommen wir nun wieder zu einem großen Namen, einem Veteranen, einer der prägendsten Heavy-Metal-Bands der 90er: PARADISE LOST! Damit klettern wir auch auf das Soundcheck-Treppchen, wo "Ascension" die Bronzemedaille holen kann. Kollege Backes hört auf diesem neuem Album "PARADISE LOST in Reinkultur und Bestform". Heißt das, die Band kann an ihr bislang erfolgreichstes Album "Icon" anknüpfen? Oder ist es doch wieder ein Album, das man beim Hören mag, aber schnell wieder vergisst? Meinungen dazu und noch viel mehr lest ihr hier!

Melancholisch, unheilvoll, grazil und tonnenschwer - richtig, PARADISE LOST ist wieder zum Doom'n'Death zurückgekehrt und führt diesen Weg mit "Ascension" konsequent weiter. Natürlich muss man sich auf PARADISE LOST-Alben einlassen und die richtige Stimmung abwarten. Das passende Album zum gemütlichen Bierchen-Sit-in haben die Jungs noch nie entworfen und hiervon ist auch "Ascension" ziemlich weit entfernt.

Doch inmitten der etwas kühleren Jahreszeit, in der es sonntags auch mal den lieben, langen Tag regnen und stürmen kann, in der die Dunkelheit langsam Einzug hält, in der auch dichte Nebelfelder sich von ihrer eindrucksvollsten Seite zeigen, da zündet auch das neue Melancholie-Feuerwerk wie eine Eins. Und wenn dann noch solch ein voluminöser Sound wie vorliegend Songs der Marke 'Lay A Wreath Upon The World' oder 'Sirens' das gewisse Extra verleiht, kann man der Band schon einen kleinen Volltreffer attestieren. Hinzu kommen Sinnlichkeit ('Savage Days'), süße Melodien ('Tyrants Serenade'), Epik ('Salvation') und schier unendliche Spannungsbögen ('Silence Like The Grave'), die es einem schwer machen, das Album nach dem ersten Durchgang zur Seite zu legen. Ich glaube, ihr wisst, worauf ich hinaus will.

Note: 9,0/10
[Marcel Rapp]

 

Auch bei der neuen PARADISE LOST-Scheibe fehlt mir etwas: das durchdringende Dröhnen, diese kolossale Regen-Heavyness von "Icon", als ob man unter einer Riesenglocke gefangen sei, deren Klöppel langsam rhythmisch schlägt. Dennoch gelingt es PARADISE LOST auf "Ascension" tatsächlich, einmal wieder etwas Flow in ein Album zu bekommen. Die Lieblings-DEPECHE MODE-Sequenz taucht natürlich auch wieder auf. Dreimal sogar, in monolithische Tracks eingegossen. Das scheint nun Trademark zu sein. Die SISTERS OF MERCY-Komponente fehlt diesmal aber weitgehend.

Dafür setzt es regelmäßig Gregs heisere Beinahe-Growlstimme. Als reinen Doom oder Death würde ich es nicht bezeichnen, weil die Briten auch in der Nachbarschaft wildern, sogar in rockigen Gefilden. Es gibt Passagen, die erinnern mich an MY DYING BRIDE, eine eins zu eins an CATHEDRAL. Was die Band richtig gut macht (Vorsicht, das erschließt sich nicht beim ersten Hören, denn man macht es einem nicht immer ganz leicht mit diesen dornigen Epen), die Abfolge der Tracks ist stimmig, gut gewählt, die Atmosphäre kann sich aufbauen. Cool auch die Frauenstimme, ebenso lange Intros und das schiefe Riffing, das zwischen Felsenwand und Abgrund hindurch führt und immer sicheren Stand gewährt.

PARADISE LOST hat sich nicht neu erfunden. Diesmal überzeugt mich aber nach einem ersten Stirnrunzeln wie oben angedeutet der Fluss der Tracks, womit sich der Kreis schließt. "The Plague Within" war das letzte richtig gute Album der Band, allerdings störten mich da die Songs ohne Growls, diese Unterbrechung des Ernte- und Winterfeelings. Das neue Album kann ich locker durchhören: Der Herbst schickt Stürme, Kettenhemd an, Schwert zur Seite, Schild im Rücken geht es gen hoch dräuender Feste, die Mucke der Briten im Ghettoblaster auf dem Ochsenkarren immer dabei.

Note: 8,0/10
[Matthias Ehlert]

 

Doch doch doch. Dachte ich heute gleich mehrmals. Doch schon seit "Gothic" dabei bin ich, also seit 1991. "Shades Of God" und dann das phänomenale "Icon" - was mich vollends für die Briten einnahm.

Doch, doch, doch: Das Material, wie es zum Herbstbeginn 2025 durch meine Sinne schwelgt und mich genau an die Freude der Vergangenheit erinnert. An die typischen Linien, die die Gitarren durch die Melancholie streifen lassen, das nagelpunktgenau gespielte Schlagzeug, was die Veränderungen und Ideen druckvoll ankündigt und dann auch trägt, der Gesang des Mister Holmes, der sich über die Jahrzehnte immer noch oder wieder so viel zutraut.

Zwischenzeitlich geriet mir das Ganze aus dem Fokus, da man sich schnell behört auf einigen der zurückliegenden mittleren sechzehn Alben, wenn nicht zu wiederholen, dann doch zu tief in einer Art Dark Poetic Alternative Rock zu verlieren drohte. Der Rück-Zugriff auf die Tieftöne des Texters und Sängers haben über die jetzt letzten drei Alben dem Sound gut getan. Auf der Stelle den Mann zu haben, der auch BLOODBATH seine Gewölle schenkt, ist Verlass. Im nächsten Moment und in seinen stärksten ist er zudem ein sehr flexibler Erzähler zwischen Seele verloren und wuchtiger "Schaut doch mal hin"-Attitüde.

Das Album der Veteranen aus Halifax ist gelungen, weil es konsequent wieder den Doomnebel des britischen Inselreichs zelebriert, sich an kunstvolle Soli heranwagt und die Elegien der langsam hochklagenden Saiten mit zum Teil speedigen Attacken versetzt. So kann ich hier nicht von Eintönigkeit fabulieren - eher von frischem und frisch wirkendem Material, welches zudem passgenau in meine Herbststimmung hineinpasst. Mit "Ascension" werde ich folgend öfters in die schwankenden oder dunkel erstarrten Baumwipfel blicken.

Note: 8,0/10
[Mathias Freiesleben]

"Ascension" ist eine echte Überraschung. Nicht, weil die Band plötzlich völlig neue Wege geht oder sich hemmungslos dem Experiment hingibt, sondern weil ich dieses Niveau in so ursprünglicher Form schlicht nicht erwartet hatte. Wir wandeln zwar immer noch auf dem bekannten Friedhof, doch diesmal hat der Greenkeeper ganze Arbeit geleistet: Überall blitzen liebevolle Details auf, und die Melodien, die durch die Äste der Trauerweiden wehen, tragen wieder eine melancholische Erhabenheit, die lange gefehlt hat.

Ob düster-doomig, mit epischer Wucht den eigenen Namen in Stein meißelnd, oder überraschend energisch mit 90er-Esprit, der versucht, das traurige Gothic-Mädchen auf der Parkbank zu betören – alles wirkt stimmig, durchdacht und funktioniert. Sicherlich bewegt man sich auf vertrautem Terrain, doch selten wurde es in den letzten Jahren mit so viel Hingabe und Treffsicherheit gespielt. Frontmann Nick Holmes und Gitarrist Aaron Aedy scheinen dabei einen weiteren musikalischen Herbst zu erleben, denn selten waren sie überzeugender als jetzt.

In dieser Form hat mich seit dem AIWAZ-Debüt nichts Vergleichbares mehr gepackt, und bei PARADISE LOST ist es wohl schon ein Jahrzehnt her, dass ich sogar beide Daumen nach oben recken konnte. Da verzeihe ich gerne, dass der Einstieg des Albums stärker ausfällt als das Ende und dass 'Salvation' für meinen Geschmack etwas zu nah an CHOPIN und seinem 'Trauermarsch' angelehnt wirkt. Da aber der Song gegen Schluss stark in Richtung PRIMORDIAL kippt und damit wieder Punkte einsammelt, weil das überraschend kommt, kann man ihn auch nicht als Lowlight oder gar Ausfall bezeichnen.

Eine noch höhere Wertung bleibt im Grunde nur deshalb aus, weil die unbequeme Phase von "One Second" bis "Symbol Of Life" auf diesem Album ausgeklammert und vermutlich dauerhaft ins Projekt HOST ausgelagert wurde. Das finde zumindest ich etwas schade. Eine Integration in "Ascension" wäre auch ambitioniert und herausfordernd gewesen, doch Höchstnoten gibt es nun einmal nicht geschenkt.

Note: 8,5/10
[Stefan Rosenthal]

 

Männer! Beim Lesen eurer erfreulich positiven, teils begeisterten, aber recht schwülstig-feuchten Formulierungs-Orgien kleben mir ja die Augenbrauen zusammen! Sicher, die dunklen Töne des Gothic-Metal-Vorreiters inspirieren dieses Mal in der Tat zu ausschweifenden, melancholisch verkopften Gedankengängen aufgrund von Prachtliedern wie zum Beispiel dem Eröffnungsstück "Ascension", wie schon sehr lange nicht mehr! Außerdem rock 'n' rollt es gemächlich doomend bereits bei 'Tyrants Serenade', sodass man eigentlich gleich danach gerne "Draconian Times" auflegen würde. Doch die nun ertönende Glocke einer Friedhofskapelle hält einen davon ab und stimmt auf eine noch stimmungsvollere musikalische Erfahrung von trister Düsternis ein: 'Salvation' begeistert spätestens ab dem typischen Greg Macintosh-Tüdelü-Gitarrenpattern.

Doch bevor auch mein Satzbau in gotisch romantisierten Formulierungen und Metaphern ersäuft, bringe ich es lieber auf den Punkt: Nick, der mich auch mit BLOODBATH beim Party.San-Festival growlenderweise mächtig überzeugen konnte (eigentlich noch mehr als bei seiner Hauptcombo), Greg, Aaron & Co. haben mich mit "Ascension" gepackt, wie schon lange nicht mehr! Großartige Lieder in allen liebgewonnenen Facetten vieler Schaffensphasen, stets mit Blick auf die Strahlkraft der beiden bekanntesten Alben "Icon" und "Draconian Times" arrangiert und inszeniert, mehr kann man nicht wollen. Nun gut, vielleicht ein, zwei "nur" gute Lieder weniger und noch einen richtigen Hit. Aber das ist alles Gejammer auf sehr hohem Niveau!

Bei einem Campingwochenende an einem Baggersee habe ich mich neulich zudem sehr darüber gefreut, dass die neunzehnjährige Tochter eines Bekannten sehr fasziniert vom neuen Album dieser "alten Säcke" war, das ich zum Schnibbeln der Chili-Zutaten laufen ließ. Alleine dieser Umstand ist ja schon fast die von mir vergebenen neun Zähler wert.

Note: 9,0/10
[Timo Reiser]



Auch ich gehöre zu den alten Säcken, die bei Nennung des Namens PARADISE LOST sofort freudig aufspringen und "Icon" oder "Shades Of God" reinrufen und wahre Elegien singen können auf die schwermütige Schönheit von "Draconian Times". Den langen Weg in die Gothic-Rock-Täler dieser Welt mochte ich dann nicht mehr mitgehen. Ehrlich gesagt habe ich dieser Band über die letzten Dekaden hinweg sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Meine Vorlieben und Hörgewohnheiten entwickelten sich in andere Richtungen. Immer wenn dann irgendetwas Neues von PARADISE LOST auf meinem Radar erschien, habe ich es mit Wohlwollen und Hochachtung zur Kenntnis genommen und im Schrank einsortiert unter dem Buchstaben P.

Nun legen die schwarzmalenden Briten doch tatsächlich ein Album vor, das die Vibes der frühen Tage wieder mehr als zuletzt aufnimmt. "Ascension" glänzt wieder mit gut abgehangenen Doom-Riffs, wie in 'Silence Like The Grave' und mit monumentalen Düster-Hits wie 'Deceivers'. Generell ist die Mischung aus sakraler Schwere und latenter Tanzbarkeit wieder markanter herausgearbeitet. Es gibt auch wieder Hooklines, die wahrscheinlich der böse große Bruder der SISTERS OF MERCY eingesungen hat. So far, so good, so... what?

Trotz aller positiven Wahrnehmungen und des grundsätzlichen Wohlwollens springt der Funke emotional nicht so wirklich über. Das mag an mir liegen, ändert aber nichts an der Tatsache. Auch beim aktuellen Durchlauf des Albums ertappe ich mich immer wieder beim Abschweifen. Darum bleibt leider nur als Fazit: Ich kann und werde "Ascension" wertschätzen, aber nicht lieben.

Note: 7,5/10
[Martin van der Laan]

 

Wertschätzen, aber nicht lieben, das gilt auch bei mir für einige PARADISE LOST-Alben. Wie so viele Leute auch liebe ich natürlich "Icon", danach würde ich "One Second" platzieren und auf Platz drei? Genau, den Vorgänger "Obsidian" von 2020. Das war ein perfekter Soundtrack zur Corona-Zeit und hat mit 'Fall From Grace' oder 'Ghosts' ein paar Lieder, die mir ähnlich im Gedächtnis bleiben wie 'Embers Fire' oder 'True Belief'.

"Ascension" finde ich auch toll, reicht aber Stand jetzt noch nicht an den Vorgänger heran. Klar, die Musik und die Herangehensweise sind sehr ähnlich, vergleichbar mit dem Pärchen "Icon" und "Draconian Times", das Hören macht echt Spaß und ich empfinde und höre vieles wirklich sehr ähnlich wie meine Vorredner. Vielleicht ist es ja nur das "richtige Musik zur richtigen Zeit"-Gefühl, das hier noch fehlt und die Liveerfahrung der neuen Songs steht auch noch aus. 

Jetzt und heute ertappe ich mich manchmal bei dem Gedanken, viele Ideen zu schnell vorausahnen zu können und von früher einen kleinen Tick besser in Erinnerung zu haben. Die Tendenz ist aber auch bei mir acht Punkte plus X.

Note: 8,0/10
[Thomas Becker]

Fotocredit: Ville Jurrikkala

Redakteur:
Thomas Becker

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