Gruppentherapie: RIVERS OF NIHIL - "Rivers Of Nihil"

13.06.2025 | 21:40

Was das Metal-Kaffeekränzchen von RIVERS OF NIHIL hält.

Zum Schluss der Mai-Serie an Gruppentherapien strapazieren wir euch noch einmal. Wir springen auf Platz sieben des Mai-Soundchecks, wo wir RIVERS OF NIHIL finden. 
Tobi zeigt sich in seinem ausführlichen Hauptreview recht angetan und zelebriert den vertrackten Prog-Death mit der Beinahe-Höchstnote. Doch schon ein Blick auf das Soundcheck-Tableau genügt, um zu sehen, dass wie so oft nicht alle auf Tobis Wellenlänge sind. Unsere Therapeuten berichten direkt von ihren Kaffeekränzchen oder alternativ vom Ergometer, wie RIVERS OF NIHIL auf sie wirkt. Und während der eine beinahe an seinem Geschlechtsteil leckt, lassen sich andere ziemlich von "Rivers Of Nihil" stressen.


Welch geschmackvolles, stilsicheres Artwork! Ihr wisst, dass bei mir das Auge mitisst. Und in Anbetracht der Klasse eines "The Work" darf man sich zurecht auf Prog-Death-Höchstleistungen von RIVERS OF NIHIL freuen. Und die haben es auch auf dem selbstbetitelten neuen Album definitiv in sich, keine Frage. Zwar braucht die Combo aktuell etwas länger, um in meinen Gehörgängen zu zünden, doch die Trademarks, diese besondere Atmosphäre, das einerseits so vertrackte, andererseits aber auch geradlinige Konstrukt, das macht von vorne bis hinten Spaß, wenn man weiß, auf was man sich gefasst macht.

Und welche Größe dann Songs wie 'Water & Time' oder 'American Death' erreichen, ist schon erstaunlich. Egal, ob uns Gitarre oder Drums in die Magengrube treten oder Cello, Banjo oder Saxofon komplett in den Wahnsinn stürzen, das hat auf "Rivers Of Nihil" alles Hand und Fuß, weshalb das Album zu Recht auch so klingt wie die Band. Seit "The Work" hat sich scheinbar wieder viel entwickelt, und das lassen die Mannen nun komplett raus. Chapeau.

Note: 8,5/10
[Marcel Rapp]

 

Nicht zum ersten Mal in der Geschichte verheißt ein selbstbetiteltes Album einen Neuanfang. Offenbar auch bei diesen US Amerikanern, die im Vorfeld den Abgang ihres langjährigen Sängers kompensieren mussten und zudem einen neuen Gitarristen ins Line-Up integrieren mussten. Eine Menge an Neuerungen also, doch noch essentieller erscheint die Tatsache, dass Bassist Andy Biggs zum etatmäßigen Vokalisten ernannt wurde.

Ob einzig und alleine er es ist, der für den gelungenen Klargesang und die feinen Melodien sorgt, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Tatsache ist jedoch, dass RIVERS OF NIHIL nie zuvor dermaßen häufig mit Hooks und prägnanten Gesangspassagen aufwarten konnte wie auf diesem Album. Der Großteil des Songmaterials ist allerdings nach wie vor in abgefahrenen Gefilden zu verorten, die es dem Hörer – nicht zuletzt auf Grund der zu häufig wechselnden Vortragsweise – nicht unbedingt einfach machen, bei der Sache zu bleiben.

Das wäre zwar an sich kein Thema, da es sich bei RIVERS OF NIHIL um über jeden Zweifel erhabene Musiker handelt. Für mich nachvollziehbare Strukturen sind ist aber dennoch rar gesät, weshalb die zweifelsfrei vermehrt eingestreuten, zum Teil wirklich starken Hooklines, Klargesangspassagen und Refrains trotz allem irgendwie sperrig anmuten. "Rivers Of Nihil" hat sicher seine Momente, keine Frage. Auf Dauer empfinde ich den Stressfaktor aber dennoch als zu hoch.

Note: 6,5/10
[Walter Scheurer]

Was ist nur diesen Monat mit dem Rosenthal los? Er haut die Top-Noten ja raus, als gäbe es kein Morgen mehr. Was soll man auch anderes machen bei so einem starken Programm, und getreu dem Motto "Das Beste zum Schluss" kommt auch mein persönlicher Monatssieger nun endlich zu Ehren. Zwar auch "nur" 9 Punkte, aber hier kitzelt es schon ganz gewaltig an der 9,5, denn bei dieser Art von Musik ist das Wachstumspotential natürlich enorm. Im Gegensatz zu SLEEP TOKEN (zur Gruppentherapie), ANIMALIZE (zur Kollektivverarztung) und SKUNK ANANSIE (zu den heilenden Kraftworten) brauche ich hier nämlich nicht die Perspektive zu wechseln, sondern kann mich in meiner metallischen Komfortzone bewegen, soll heißen, es gibt progressiven Death Metal auf die Ohren, welchen stilistische Grenzen so sehr interessieren wie mich selbst. Das kann zwar bedeuten, dass man irgendwie genauer hinhört und womöglich intensiver das Haar in der Suppe sucht, doch da kann ich RIVERS OF NIHIL Entwarnung geben – eure neueste Kreation mundet vorzüglich.

Wenn ich es auf vier Elemente runterbrechen sollte, warum das selbstbetitelte Werk so eine großartige Wirkung auf mich hat, dann sind es neben einem vorzüglichen Instinkt für Detailverliebtheit (z.B. Banjo-Ende bei 'Criminals') und ausgeklügelten Arrangements (nahezu überall) vor allem der unwiderstehliche Flow, welchen "Rivers Of Nihil" über die gesamte Laufzeit entwickelt. Während die drei anderen Bands primär über Einzelsongs funktionieren, sind die US Amerikaner noch stärker auf das Medium Album fokussiert und zeigen, dass jeder Track von dem vorangegangenen und folgenden profitiert und harmonisch perfekt aufeinander abgestimmt ist.

Die Kirsche auf der Torte ist dann selbstverständlich das Saxofon, welches RIVERS OF NIHIL so fantastisch einbindet, wie sonst nur JETHRO TULL die Querflöte. Mit einem anderen Schwerpunkt – keine Frage, aber genauso kongenial. Bevor ich jetzt noch mehr Worte für etwas, was man sowieso hören sollte, verschwende, packe ich lieber die Badehose ein und dann geht's wieder ab in den Fluss. Nicht um zu schwimmen, sondern um sich treiben zu lassen. Loslassen kann so schön sein.

Note: 9,0/10
[Stefan Rosenthal]

 

Kürzlich erschrak ich mich gehörig während des in Augenscheinnehmens der Kurzbeschreibungen der Bands im Line-Up des diesjährigen "Rock im Park"-Festivals, wurden hier doch die akustischen Erzeugnisse nicht weniger Künstler als "Heavy Metal" bezeichnet, bei denen ich nicht auf die Idee gekommen wäre, sie unserer allseits geliebten, immer noch als Oberbegriff dienenden Stilrichtung zuzuordnen. RIVERS OF NIHIL mit ihrem Progressive Death Metal gehört allerdings sehr wohl dazu. Bei der LORNA SHORE-TOUR im November 2023 konnte ich mich in München von der Live-Energie der Männer aus Pennsylvania überzeugen, die mir Ausstrahlung und Stageacting betreffend sehr rockend und rollend rüberkamen, musikalisch aber äußerst krachig und derb erschienen.

Nun muss man sagen, dass das Konzert im klanglich gar furchtbaren Zenith stattfand, so dass mein im Geiste verhängtes Prädikat "nicht von Tonträger genießbar" nach erstem Hören des neuen, selbstbetitelten Albums "Rivers Of Nihil" von mir relativiert werden musste. Jenes ist ganz und gar nicht so "unhörbar", wie zunächst von mir erwartet. Gerade die etwas anders strukturierten und instrumentierten Lieder, wie die im Vorfeld veröffentlichten 'Water & Time', mit viel poppigem Unterbau und Klargesang in opulenter Melodieführung, 'House Of Light' mit jazziger Saxofon-Einbindung oder das knackig und unwiderstehlich nebst elektronischer Verzierung und prächtigem Refrain durch die Wand riffende 'American Death' können mich durchaus für die Band einnehmen. Der Oberknaller ist für meinereiner jedoch neben dem progressiven Ohrenschmaus 'Despair Church' der eröffnende 'Sub-Orbital Blues'! Was für ein Titel, was für eine geile Nummer: Schräge, choral vorgetragene Vocalline, darunter Growls, der Hammer, der Hit!

Nun bin ich aber jemand, der trotz eines deutlichen Meinungswandels und einer anwachsenden Anerkennung der Band nicht sofort – vergleichbar einem jungen Pudel, der nach Entdeckung desselben erst einmal begeistert sein Geschlechtsteil leckt – mit fast 10 Punkten um sich werfen müsste. Zu diffus klingen viele der restlichen Lieder immer noch in meinen Ohren, zu sehr ist die Band bemüht, ihre guten spielerischen sowie von extravaganten Sounds geprägten Klangexperimente zu funktionierenden Songs zu formen. Daher bleibe ich noch bei meinen im Soundcheck vergebenen sieben Punkten. Mal gucken, was am Ende des Jahres jedoch in den "Jahresperlen" passieren wird, da das Album zugegebenermaßen immer noch bei mir wächst.

Note: 7,0/10
[Timo Reiser]

 

Meine Heavy-Metal-Kaffeekranz-Gruppe und ich haben in der letzten nun fast vierzig Jahre andauernden Zeit schon die eine oder andere gemeinsame Schlacht geschlagen. Das Gute daran: Musikalisch schwimmen wir alle mehr oder weniger auf einer Welle. Dass allerdings nur einer aus der Art schlägt und mit einer Band so überhaupt nichts anfangen kann, für die der Rest hingegen geradezu brennt und sprichwörtlich in den buchstäblichen Kampf ziehen würde, ist höchst selten. RIVERS OF NIHIL ist aber so ein Fall und meine Wenigkeit die Person, die sich partout nicht von der "außergewöhnlichen Genialität" der Formation überzeugen lassen möchte. Daran kann auch der Gebrauch von so zauberhaften Instrumenten wie Cello, Banjo oder Saxofon leider nichts ändern.

Der Wille war und ist allerdings auch auf Platte Numero fünf nach wie vorhanden, allein: Es wird in diesem Leben definitiv nichts mehr mit mir und der Band. Für mich ist das auch hier wieder eine heillos zerfahrene Überfrachtung von allerhand Ideen, die mich in Summe wieder einmal fragend unter den Kopfhörern zurücklässt. Was soll das alles? Dieses corelastige, mit Klargesang abwechselnde Gebrülle in Verbindung mit diesem noch immer furchtbaren an Nu Metal erinnernden heruntergestimmten Gitarrensound? Oder die Kompositionen an sich, hektisch und gaga wie eine emotional aufgewühlte und wild durcheinander plappernde Bürgerversammlung?

Walter hat den "Stressfaktor" schon absolut berechtigt angesprochen. Wo Stefan hier den "unwiderstehlichen Flow" in den Songs findet, ich weiß es wirklich nicht. Aber: Das von Marcel angesprochene Cover-Artwork, welches ich mir ohne Umschweife auch in das heimische Wohnzimmer hängen würde, ist wirklich ganz formidabel, immerhin!

Note: 5,5/10
[Stephan Lenze]

Ja, der Herr Lenze formuliert hier schon einiges von dem, was mir beim heutigen Hören auf einer längeren Autobahnfahrt durch den Kopf gegangen ist. Eigentlich hätte ich mir so eine Art von Alles-auf-einmal-Musik bei SLEEP TOKEN vorgestellt, Musik für junge Leute, Musik für Informationsjunkies.

Ich stell mir einen gestresst wirkenden jungen Mann vor, nennen wir ihn Dustin, auf einem Ergometer sitzend aber trotzdem mit Smartphone vorm Gesicht. Sein KI-Agent durchsucht die sozialen Medien nach den heißesten Reels, die er gleich nach dem Anschauen auch wieder vergisst, Push-Nachrichten preisen ihm den neuesten Krypto-Coin an, den er auch kauft und gleich wieder mit Verlust verkauft. Im Nebenzimmer schreit ein Baby, aber wahrscheinlich nicht seins, in der Küche ist ein Braten im Ofen, der hoffentlich nicht verbrennt; er sollte nachschauen, er hat auch Hunger, aber er hat ja noch nicht die erforderliche Kalorienzahl verbrannt, die seine Langlebigkeits-App ihm vorschlägt. Eigentlich will er nicht mehr, eigentlich ist er müde, aber er muss, er muss, sonst ist die App sauer, und auch sonst so er darf nichts verpassen, sonst ist das Portfolio futsch. Um sich über Wasser zu halten, hört er also RIVERS OF NIHIL...

Es kann sein, dass diese Mucke echt toll ist, manche Ansätze machen mir nach mehrmaligem Hören gar den Anschein, aber das in aller Tiefe zu erfassen ist mir zu viel, ich kann das nicht so wie Dustin. Allen voran ist es mir zu viel Schlagzeug, ein echter Tackermann, Nervenkiller.

Note: 5,5/10
[Thomas Becker]

Fotocredits: Norman Wernicke von der LORNA SHORE-TOUR im November 2023.

Redakteur:
Thomas Becker

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