Gruppentherapie: THE HALO EFFECT - "March Of The Unheard"
20.01.2025 | 15:39Zu wenig Gefahr im Melo-Death-Paradies?
Willkommen zur ersten Gruppentherapie im neuen Jahr! Und wir starten gleich mit einem möglichen Glanzlicht, zumindest für Freunde des melodischen Death Metals. Die Supergruppe THE HALO EFFECT heimste nicht nur einen der ersten Zehner des Jahres ein (zu Tobis Review von "March Of The Unheard"), sondern holte auch Silber im ersten Soundcheck des Jahres. Muss man bei so viel Erfolg noch therapiert werden? Nun, es gibt Hörer, die einfach hinterm Mond leben, und andere, die im Sound den Schmutz vermissen. Und ob sich der eine oder andere Musikheiler auf Tobis Seite befindet, erfahrt ihr, wenn ihr weiter lest!
Nein, hinter dem Mond habe ich nicht gelebt, um aus Tobias 10er-Rezension zu zitieren, denn ich habe das Debüt dieser erfahrenen Musiker durchaus wohlwollend nickend zur Kenntnis genommen. Richtig nachhaltig beschäftigt hatte es mich jedoch nicht. Das sieht nun mit "March Of The Unheard" etwas anders aus!
Bereits im Vorfeld konnte mich die Single 'Cruel Perception' begeistern, diese melancholische Atmosphäre, der packende Groove, die kräftige Stimme Stannes, vor allem aber dieses eingängige Gitarrenlick, da passt einfach alles und der Song ist auch im Albumkontext für mich das Highlight. Apropos Gitarren: Was sich das Duo Englin/Strömblad für zweistimmige Leads aus dem Ärmel schüttelt, ist große Melodic-Death-Kunst, ein Fest der düsteren Harmonien! Auch 'Detonate' mit seinem epischen Refrain weiß zu überzeugen und das treibende 'What We Become' ist ein weiterer Ohrenschmaus.
Ich muss allerdings gestehen, dass "March Of The Unheard" mich nicht auf Albumlänge bei der Stange halten kann, es schleicht sich latent eine gewisse Stagnation ein, allerdings auf hohem Niveau. Daher begrüße ich sehr im Gegensatz zu Tobias die beiden Tracks, in denen Stanne seinen Klargesang zum besten gibt: 'Forever Astray' und 'Between Directions'. Auch wenn die Band damit eher den Dark-Metal-Bereich streift, gerne mehr davon!
"March Of The Unheard" zeigt, wie man den Melodic-Death-Metal ins Jahr 2025 katapultiert und dennoch seinen Wurzeln treu bleibt und hängt die Messlatte für alle ARCH ENEMY-Nacheiferer verdammt hoch!
Note: 7,5/10
[Jakob Ehmke]
Als nach solidem Start die ersten Töne des zweiten Liedes 'Detonate' erklingen, spüre ich die Musik körperlich. Ich bekomme eine Gänsehaut und ein Grinsen im Gesicht stellt sich ein! Das ist der geile Göteborg-Sound der späten 90er bis Anfang der 00er Jahre. Ich liebe ihn! In dieser Art zaubert ihn wirklich aktuell wohl nur THE HALO EFFECT hin.
Die Schweden haben wieder einige starke Songs wie 'Conspire To Deceive', 'Detonate', 'Our Channel To Darkess', 'Forever Astray' oder den Titeltrack auf Platte gebannt. Das liegt vor allem an den beiden Gitarren-Heroen Englin und Strömblad, die teilweise unfassbare Melodien abliefern. Dem Lob von Jakob kann ich mich an dieser Stelle nur anschließen!
Trotzdem zündet nicht jeder Song bei mir. Auf die etwas langsameren 'Cruel Perception' und 'Between Directions' hätte ich verzichten können. Erfreulich ist dagegen, dass der Sound deutlich druckvoller als auf "Days Of The Lost" daherkommt. Am Ende bleibt auf Albumlänge aber wie schon beim Debüt der Eindruck hängen, dass ich mich auf einer Zeitreise befinde. Eine Transformation des Melo-Death-Metals der Schweden ins dritte Jahrzehnt dieses Jahrtausends ist - abgesehen von der Produktion - für mich nicht zu erkennen.
Natürlich macht "March Of The Unheard" trotzdem oder gerade deswegen Spaß, weil Bands wie IN FLAMES vor längerer Zeit einen anderen Weg eingeschlagen haben. Es ist ein herrlicher Flashback. Es ist eben aber auch nicht mehr.
Note: 8,0/10
[Dominik Feldmann]
Eigentlich muss man zu "March Of The Unheard" gar nicht so viele Worte verlieren. Denn was THE HALO EFFECT hier auf dem zweiten Silberling (oder farbigem Vinyl) abliefert, grenzt nahezu an Perfektion. Die Truppe setzt da an, wo IN FLAMES nach "Whoracle" oder spätestens "Colony" aufgehört hat und bedient damit jeden, der den alten "echten" Melodic Death Metal vermisst.
Die Gitarrenarbeit haben Jakob und Dominik ja schon zu Recht hervorgehoben und das möchte ich hier auch nochmal mit Nachdruck tun. Was das Duo hier abliefert, ist einfach grandios. Und über den Gesang von Herrn Stanne muss man wohl kein Wort mehr verlieren, diese Stimme ist einfach großartig und hat im Growling-Bereich so ziemlich den höchsten Erkennungswert. Und auch seine cleanen Vocals stehen 'Forever Astray' und 'Between Directions' so gut zu Gesicht, dass ich den letztgenannten Track sogar als mein Highlight der Platte bezeichnen möchte, zumal mich hier auch der Streichereinsatz zu begeistern weiß. Großes Kino!
Note: 9,5/10
[Mario Dahl]
Puh, wenn ich Dominiks Beitrag lese, dann kommt natürlich erstmal Beruhigung auf. Es wäre ja schlimm, wenn THE HALO EFFECT den melodischen Death Metal in die Gegenwart transferieren würde, denn gut war das Genre ja maximal bis kurz nach der Jahrtausendwende. Zum Glück hat er recht, und, abgesehen von manchen Aspekten des Klangbildes, sind die schwedischen Veteranen wirklich in dieser Glanzzeit verhaftet. Teile des Klangbilds machen aber schon deutlich, dass "March Of The Unheard" 2024 aufgenommen und 2025 veröffentlicht wurde. Der harsche Gesang, die schönen Gitarrenmelodien, das ordentliche Songwriting... ganz klar: THE HALO EFFECT ist alles, was man sich von IN FLAMES spätestens ab Mitte der Nuller Jahre gewünscht hat.
Natürlich wird man nie wieder die emotionale Komponente herstellen können, die beim ersten Abspielen der Schweden-Klassiker von IN FLAMES und Konsorten lief. Aber wer auf diesen Sound steht, der dürfte kaum etwas Stärkeres in der aktuellen Zeit zu hören bekommen als dieses Album.
Note: 8,5/10
[Jonathan Walzer]
Eigentlich ist es nur folgerichtig, dass ich mit THE HALO EFFECT nichts anfangen kann, während die Kollegen Dahs und Dahl (oder liegt's am Nachnamen?) sich vor lauter Begeisterung gar nicht mehr einkriegen. Dabei mag ich Melodic Death Metal. Mein Lieblingsalbum in dieser Sparte: THE GATES OF ISHTAR mit "A Bloodred Path". Der Unterschied zwischen diesen zwei Alben, obwohl in der gleichen Schublade einsortiert, könnte kaum größer sein. "March Of The Unheard" ist zeitgemäß produziert und die Männer verstehen sich bestens auf ihre Instrumente. Die Musik finde ich trotzdem furchtbar langweilig. Der Spotify-Death-Metal klingt so sauber und klinisch, damit er auf dem Smartphone auch ordentlich zu hören ist, schon klar. Auf den Bühnen der großen Festivals wird das auch gut ankommen, denn die Gitarrenleads servieren eine zuckersüße Melodie nach der anderen, die Arrangements sind gefällig. Zu gefällig für meinen Geschmack.
Wo bleibt der Dreck, der Schweiß, die Gefahr? Mir droht sie höchstens bei Marios Lieblingssong 'Between Directions', wenn der Klargesang mit Echo sich gerade für den ZDF-Fernsehgarten bewirbt. Um den Bogen zu Tobias' lesenswerter Rezension zu schlagen: Manchmal lebe ich gerne hinter dem Mond, an THE HALO EFFECT bin ich aus redaktioneller Pflicht aber nicht vorbeigekommen. Ich räume jetzt den Posten als Chef-Häretiker und lasse die Fanboys wieder zu Wort kommen. Es muss ja seine Gründe haben, wieso das Teil mit sauberen acht Punkten auf Rang 2 im Soundcheck gelandet ist.
Note: 6,0/10
[Nils Macher]
Oh je, der Kollege Macher ist auf Krawall gebürstet, will mehr Dreck und Dissonanz. Kann er haben, das Angebot ist sogar in diesem Monat gar nicht mal schlecht, ich sage nur: SARCATOR! Aber was THE HALO EFFECT hier auf dem Zweitwerk abliefert, ist eben gerade die perfekte Verschmelzung von brummendem Death-Metal-Groove mit formidabler melodischer Eleganz und überschwänglicher Spielfreude. Wenn dieser Sound heuer tatsächlich ein großes Publikum finden sollte, dann gönne ich es der Band von ganzem Herzen.
Spannend finde ich persönlich die Entwicklung vom auch schon starken Debüt zum superben "March Of The Unheard", weil der Prozess der Selbstfindung von THE HALO EFFECT bei diesem Vergleich gut sichtbar wird. Was zuvor noch fragmentarisch und angedeutet war, ist jetzt in voller Schönheit aufgeblüht. Höhepunkte vermag ich kaum herauszuheben, hier könnte man mal wieder die schöne alte Phrase von dem "Album aus einem Guss" verwenden. Exquisiter Melodic Death Metal mit klarer Betonung auf dem ersten Wort - so kann das Jahr gerne weitergehen, Freunde der Nacht!
Note: 9,0/10
[Martin van der Laan]
Für jemanden wie mich, der den Melo-Death-Metal tatsächlich erst mit späteren ARCH ENEMY schätzen gelernt hat und auch IN FLAMES eher nach ihrem Stilwechsel interessant findet, der es gerne dick produziert mag, auf abgefahrene Gitarrenarbeit steht und nichts gegen Klargesang hat, ist THE HALO EFFECT (fast) wie das Paradies auf Erden. Mikael Stanne schafft es vor allem, den Songs Struktur und einen Wiedererkennungswert zu verpassen. Das ist ein ganz großer Gewinn. Musikalisch ist das darüber hinaus dynamisch, kraftvoll und abwechslungsreich. Trotz der ebenfalls kompakten Songlängen schafft es das Quintett, innerhalb der einzelnen Songs für kleine, aber feine Überraschungsmomente zu sorgen, die dem Gros der Genrekollegen abgehen.
Kontrovers wird allenfalls der Einsatz von Klargesang diskutiert, was ich jetzt persönlich sogar positiv zur Kenntnis nehme. Ein weiterer Farbtupfer, der dosiert eingesetzt die Musik aufwertet. Zumal Mikael auch hier keine schlechte Figur macht und man im Falle von beispielsweise SOILWORK sieht, was für ein Mehrwert der Einsatz von Klargesang bringen kann. Gerade ein Song wie 'Between Directions' sorgt mit Streichern und Cello für die notwendige Dynamik auf Albumlänge. Und selbst die Instrumentals runden die gut 45 Minuten perfekt ab. Ein Ausrufezeichen.
Note: 8,5/10
[Chris Staubach]
IN FLAMES und DARK TRANQUILLITY, das sind beides Bands, die in meinem musikalischen Multiversum so gut wie gar nicht auftauchen. Irgendwie hat mich das Melo-Death-Fieber nie eingeholt und auch die Stimmen von Anders Fridén und Mikael Stanne haben mir noch nie etwas gegeben. So gehe ich an ein Hybrid aus diesen Bands eher skeptisch ran.
Zu mehr als einem anerkennenden Nicken kann ich mich nach mehreren Durchläufen dann auch nicht durchringen. "Klingt wie LORDI", schallt es von meiner Sofa-Nachbarin, was mich erst etwas verblüfft, was später aber dann doch irgendwie passt. Auch bei LORDI höre ich immer ganz ordentliche Musik, die für den Moment Spaß macht, die schnell aber auch beiseite gelegt wird. Von daher bin ich hier fast in der Nähe von Nils, allerdings ist es nicht die Gefahr, die mir hier fehlt. Von mir aus könnte es viel mehr Klargesang geben, gerne auch mehr stilistische Abwechslung, hier hat LORDI klar die Nase vorne. Auch beim Gesang, denn ich habe bislang noch nie nachvollziehen können, warum Stanne so herausragend sein soll. Das ist doch typischer Melo-Death-Gesang? Ich denke, genau das ist es, was man von diesem Album erwarten kann; wer den Stil nicht mag, den wird es nicht zum Umdenken bringen.
Note: 6,5/10
[Thomas Becker]
Fotocredits: Jens Wilkens (von den Metal Hammer Awards) und André Schnittker (vom Rock Harz Festival 2024).
- Redakteur:
- Thomas Becker