In der Gruppentherapie: JON OLIVA'S PAIN - "Global Warning"
26.03.2008 | 16:51Am 22. März war es endlich so weit: JON OLIVA'S PAIN, durch die offizielle Auflösung von SAVATAGE zum zweiten Hauptact des Mountain King aufgestiegen, brachten ihr drittes Album heraus und mussten beweisen, ob sie tatsächlich würdig sind, Alben wie "Hall Of The Mountain King" oder "Streets - A Rock Opera" zu beerben. Nicht nur durch den Wechsel in die Morrisound Studios, ausgelöst durch den Tod ihres ehemaligen Co-Produzenten Greg Marchak, hat sich einiges geändert. Um herauszufinden, wie viel und in welcher Hinsicht sich etwas geändert hat, haben sich acht POWERMETAL.de-Redakteure an die Scheibe gesetzt und ihre Meinung abgegeben. Das Ergebnis:
Geklotzt und nicht gekleckert, das aber dennoch in mehr Farben als bei Jackson Pollock, wird bei JON OLIVA'S PAIN auf "Global Warning". Doch obwohl Stilvielfalt groß geschrieben wird, hört man doch immer mal wieder gewisse SAVATAGE-Momente heraus. Den Anfang des opulenten Reigens macht der keyboardschwurbelige, operettenhaft wirkende Titeltrack, und gemessen an der streng schwermetallischen Herkunft von Meister Oliva ist man fast schon geneigt, das hier in den Fokus gerückte Tastengeklimper psychedelisch zu nennen. Aber nur fast. Siebziger-Jahre-Prog-duselig geht's weiter, dabei ist 'Look At The World' durchaus bluesrockbasiert. Beim Hören des rasanten, rifflastigen 'Adding The Cost' drängt sich der SAVATAGE-Gedanke dann erstmals in den Vordergrund. Aber das macht gar nichts, denn das rhythmisch dominante, pumpende 'Before I Hang' erinnert in seiner schmutzigen Erdigkeit eher an SKID ROW. 'Firefly' verschiebt sich von bluesig-hardrock-balladesk zunehmend in Richtung PINK FLOYD für Headbanger mit (ALICE COOPER-Style-)cheesigen Streicherkeys gegen Ende. Nach dem sehr eigenen, sperrig-drückenden 'Master' folgt mit 'The Ride' das Highlight des Albums: dynamisch, abwechslungsreich, schlüssig. 'O To G' könnte auch eine Kollaboration zwischen Rod Stewart (Gesang), Elton John (Piano) und Jim Steinman (Pathos) sein; ungewöhnlich für einen Metal-Act, aber gar nicht schlecht. Und auch sonst haben sich JON OLIVA'S PAIN - von der Powerballade 'Walk Upon Water' über die rohen und eindringlichen 'Stories', die dramatische Hardrock-Arie 'Open Your Eyes', den harten Heavy Metal von 'You Never Know' und das epische, gefühlvoll dargebotene 'Someone' bis hin zum versöhnlichen, ruhigen Ausklang 'Souls' - auf "Global Warning" keinerlei Blößen gegeben.
[Eike Schmitz]
Nach der leider nicht mehr ganz so schrecklich überraschenden Schreckensnachricht, dass SAVATAGE nun schlussendlich und wohl für immer auf Eis liegen, wurde der Schmerz letztes Jahr durch die Ankündigung eines neuen JON OLIVA'S PAIN- und eines CIRCLE II CIRCLE-Albums wenigstens ein wenig gelindert und meine SAVATAGE-Fan-Seele einmal "from the gutter to the stage" geschleift. Aber genug der Phrasendrescherei, immerhin geht es hier um das neue Solo-Album des Mountain King. Das letzte Album, "Maniacal Renderings", hat mich von musikalischer und kompositorischer Seite definitiv überzeugt, allein die Produktion kam ein wenig dünn und schwachbrüstig daher. Mit diesem Wissen habe ich die Boxen vor dem ersten Hören von "Global Warning" gleich ein wenig lauter gedreht - und wurde schier weggeblasen. Wow, da haben die Produzenten und die Band wirklich mal richtig zugelegt. Auch die Songs erzeugen bei mir gleich wieder dieses SAVATAGE-Feeling. Ja, Chris ist tot, ja, Caffery ist solo unterwegs, und ja, Zak Stevens ist bei CIRCLE II CIRCLE, um nur ein paar SAVA-Charakterköpfe zu nennen. Nichtsdestotrotz hat Jon Oliva seine Stimmgewalt wiedergefunden und versammelt ein außerordentlich kreatives Team um sich. Auch der Name Matt LaPorte, der meines Erachtens Außergewöhnliches an der Gitarre leistet, sollte in diesem Zusammenhang genannt werden. Und dieses Potpourri an kreativer Kraft hat ein dermaßen - entschuldigt diese Formulierung - geiles, geiles und noch mal geiles Album geschaffen. Hammer! Schon 'Global Warning' macht alles richtig: dort ein Chor, da groovende Heavy-Sounds, hier ein schönes Lead, dort das Synthie-Hammond-Orgel-Solo, dann die markante Stimme Olivas, alles endend in einem schönen Gitarren-Solo. Hier wird der SAVA-Gedanke aufgegriffen, in die Moderne verfrachtet und vielleicht nicht konsequent bis zum Ende gedacht, aber warum auch? Das ist ja schließlich JON OLIVA'S PAIN. 'Adding the Cost' weist ein wunderbar eingängiges Haupt-Riff auf, der Refrain geht direkt in den Gehörgang und bleibt dort erst mal - wie Tinnitus, bloß angenehmer. Auch balladesk lässt Oliva nichts, aber auch gar nichts anbrennen - einfach mal 'Open Your Eyes' anhören und für zwei Wochen Cluburlaub im Nirwana machen, Nonstop-Flug inklusive. Ich würde ja gerne zu jedem Lied etwas schreiben, allein der Platz reicht nicht. Deswegen hier noch einmal die Zusammenfassung in deutlichen Worten: Metal, Rock, Musical, klassische Elemente, ein hammerartiger Jon: "Ich bin doch nicht blöd!" Kaufen!
[Julian Rohrer]
Als SAVATAGE-Fan hatte man es in den letzten Jahren ja nicht gerade einfach. Das aktuelle Album ist aus dem Jahr 2001, und die letzten Auftritte in unserem schönen Land liegen auch schon fast genauso lang zurück. Und dann kam da im letzten Jahr noch die Meldung, dass es mit der Band endgültig vorbei ist - geradezu sang- und klanglos wurde SAVATAGE zu Grabe getragen. Ja, eigentlich ist das alles ganz furchtbar - wenn es da nicht noch JON OLIVA'S PAIN gäbe. Die Band um den (einzig wahren) SAVATAGE-Sänger, Jon Oliva, führt das musikalische Erbe nämlich fort und liefert mit ihrem inzwischen dritten Album "Global Warning" Balsam für SAVATAGE-verwöhnte Ohren. Los geht es mit dem Titelsong, der durch seinen instrumentalen Beginn und die bombastischen Elemente durchaus an spätere SAVATAGE-Werke erinnert, gefolgt von einer typischen und somit sehr guten Jon-Oliva-Midtempo-Nummer: 'Look At The World'. Mit dem etwas härteren 'Adding The Cost' sowie 'Before I Hang' folgen zwei weitere ordentliche Songs, aber etwas anderes erwartet man von diesem Heavy-Metal-Urgestein auch nicht. Den ersten Höhepunkt des Albums stellt dann die melancholische Ballade 'Firefly' dar - für mich annähernd auf einer Stufe mit 'Believe' und 'When The Crowds Are Gone'. Beim anschließenden 'Master' kann man sich fragen, wieso die geniale Stimme von Jon unbedingt verzerrt werden musste, aber mit 'The Ride' gibt es ja danach gleich wieder einen songschreiberischen Leckerbissen. Nach dem kurzen 'O To G' folgt mit 'Walk Upon Water' wieder ein großartiger Song, der zwar nicht besonders viel Kraft an den Tag legt, aber dennoch sehr intensiv ist. Mein persönlicher Favorit ist dann aber 'Stories', das einfach alles in sich vereint, was einen überragenden Metal-Song ausmacht. Wer 'Hounds' genial findet, wird dieses Stück lieben. Nach der ruhigen Nummer 'Open Your Eyes' lassen es Jon Oliva und Co. noch einmal richtig krachen, und wer bei 'You Never Know' ruhig bleiben kann, dem ist wohl nicht mehr zu helfen - diese Gitarrenriffs, diese Rhythmusarbeit, dieser Gesang und überhaupt: dieses Songwriting. Den Abschluss des Albums bildet dann der Doppelpack 'Someone/Souls', wobei sich der erste Teil im Midtempo bewegt und der zweite Teil eine sehr gefühlvolle Ballade ist. Lange Rede, kurzer Sinn: Es gibt auf diesem Album ein paar gute Songs, und der Rest ist einfach überragend. Danke, Jon!
[Martin Schaich]
Ich muss gestehen, dass mein Interesse an SAVATAGE und den daraus entstandenen neuen Projekten und Bands eher mittelmäßig groß ist. Mit "Poets & Madman" hat man ein sehr überflüssiges Abschiedsalbum hingelegt und weder CIRCLE II CIRCLE noch CHRIS CAFFERY konnten mich begeistern. In die letzte Scheibe von Jon Oliva habe ich nur kurz reingehört, und außer dem grandiosen Gesang, konnte sie mich leider nicht fesseln. Vielleicht ein vorschnell entstandener Eindruck, wer weiß, aber ein toller Sänger allein macht leider noch keine tollen Songs. Insofern war meine Erwartung an "Global Warning" eher niedrig. Nach einigen Durchläufen muss ich konstatieren, dass man einige echte Kracher an Bord hat. Und zwar immer dann, wenn des Meisters Stimme besonders im Vordergrund steht und die Komposition bombastisch oder episch ausfällt. Ich verweise auf 'Firefly', 'Adding The Cost' - in welchem bewiesen wird, dass auch mit Vollgas grandiose Melodien entstehen können - und 'Walk Upon Water'. Dazwischen bieten JON OLIVA'S PAIN aber mit 'You Never Know', 'Look At The World' oder 'Before I Hang' auch sehr unspektakuläre Heavy-Rock-Stücke, die mit einer anderen Stimme sicherlich als "banal" einzustufen wären. Etwas überraschend kommt dann 'Master' mit komplett verzerrtem Gesang daher. Sicherlich passt das zum Text, aber ich finde es fragwürdig, dieses Organ über die gesamte Songlänge zu verfremden. Muss jeder für sich selbst entscheiden, ob er das gut findet. Überraschungsnummer zwei hört auf den Namen 'The Ride' und bietet sehr luftigen Rock, der mir sehr gut einläuft. Völlig ohne den üblichen - gut gemachten - Bombast bietet diese Nummer einfach gute Laune im Quadrat. Frühlingsmusik. Für mich ergibt das eine qualitative Berg- und Talfahrt, bei der man zwar nicht als U-Bahn endet, aber halt auch nur manchmal die Bergspitze erklimmt.
[Holger Andrae]
Es ist noch nicht lange her, da hat der Mountain King Jon Oliva ultimativ verkündet, dass es keinerlei SAVATAGE-Aktivitäten mehr geben wird. Die seien auch gar nicht mehr nötig, denn den SAVATAGE-Fans würde ja mit JON OLIVA'S PAIN Stoff in bester Manier seiner ehemaligen Band geboten. Normalerweise kann man solcherlei Aussagen häufig als schnöde Lippenbekenntnisse entlarven, in besagtem Fall hat die Behauptung aber durchaus Gehalt. Jon Oliva geht zwar ein bisschen experimenteller bzw. verspielter zu Werke, was das Integrieren von vereinzelten artfremden Elementen angeht, als dies bei SAVATAGE der Fall war, dennoch ist hier mehr als deutlich herauszuhören, wo der Mann herkommt und was hier in musikalischer Hinsicht Pate stand.
Wie auf dem Vorgängeralbum wurden zudem Ideen von seinem 1993 verstorbenen Bruder Criss Oliva verwendet, die vor den Aufnahmen zu "Maniacal Renderings" auf alten Tapes wieder aufgetaucht waren. Und so schließt sich gewissermaßen ein Kreis, wenn auch in trauriger Hinsicht, denn erneut hat der Mountain King einen engen Freund verloren. Sein Co-Produzent und langjähriger Wegbegleiter Greg Marchak starb plötzlich und unerwartet, während man mit den Vorbereitungen zu "Global Warning" beschäftigt war. Der Titel 'O To G' bedeutet demnach Oliva an Greg, denn dieses Stück ist der emotionale Abschiedsong für den verlorenen Freund.
"Global Warning" lebt vor allem von der erstklassigen Gitarrenarbeit und einem Mountain King, der stimmlich in Topform ist. Dabei treten auch starke Variationen bei der gesanglichen Darbietung zu Tage, neben gefühlvollem Gesang kommt Jon auch mit fiesen Schreien wie bei 'Before I Hang' um die Ecke oder gar den künstlich verzerrten Vocals bei 'Master', die durch diesen Effekt mechanisch-kalt klingen. Musikalisch erinnern mich einige Parts an die ziemlich unterbewertete SAVATAGE-Scheibe "The Wake Of Magellan", aber auch ältere Werke scheinen hier und da durch. Jon Oliva packt nicht selten ordentlich die Keule aus und serviert knackige Dampframmen ('Adding The Cost', 'Stories'), aber auch die ruhigen und getragenen Stücke wie 'Firefly' können voll überzeugen.
Nach ein paar Durchläufen finde ich, dass der ebenfalls großartige Vorgänger "Maniacal Renderings" bessere Einzelsongs hatte, wohingegen "Global Warning" als kompakte und homogene Einheit auftritt, die sich sozusagen "im Fluss" befindet. Unbestritten ist jedoch, dass das neue Album wieder einmal erstklassig ausgefallen und über jeden Zweifel erhaben ist.
[Stephan Voigtländer]
Erschüttern konnte mich die Nachricht des SAVATAGE-Endes nicht, schließlich war sie großräumig angekündigt worden, aber traurig stimmte es mich doch, dass der Ersatz von nun an JON OLIVA'S PAIN sein sollte. War das erste Album noch brillant, so ließ das zweite in meinen Augen etwas an Genialität vermissen, an Gänsehautmomenten und diesem kleinen Tick Neues. So ging das Album mit jedem Hören spurlos an mir vorbei, und ich dachte schon das Schlimmste für den SAVATAGE-Erben. Bis, ja, bis sich "Global Warning" aus meinen Boxen quetschte. 'Before I Hang', 'Firefly, 'Walk Upon Water' - alles Songs, die mir sofort die geliebte Gänsehaut verschafften und jedes Mal, wenn sie in einer Playlist auftauchten, ein seliges Grinsen schon mit den ersten drei Tönen entlocken konnten. Und mit 'Master' ist auch der etwas zu groß ausgefallene Tick Neues wieder da. Das dann auch mit 'Stories' eine Live-Mitsingnummer der Spitzenklasse dargeboten wird, spricht wirklich für das erhoffte "SAVATGE ist tot, es lebe SAVATAGE"-Album von JON OLIVA'S PAIN. Und das waren nur die Spitzensongs des Albums. Der Rest ist immer noch auf einem erschreckend hohen Niveau, und vor allem kommt das Album komplett ohne Füller aus. Wer möchte, darf sich über 'Master' mokieren oder Jon Oliva Geldmacherei vorwerfen. Wenn er das aber weiter in der Art von "Global Warning" betreibt, darf er mich so lange ausbeuten, wie er will. Dafür zahle ich gern.
[Lars Strutz]
Ich könnte heulen vor Freude! JON OLIVA schenkt uns SAVATAGE-Jüngern endlich das Album, auf das wir so lange gewartet haben: den ultimativen Nachfolger von "Gutter Ballet" und "Streets". Doch mitnichten versucht er, die alten Klassiker zu kopieren, vielmehr ist es das Feeling jener Götterscheiben, dieser Hauch von Genie und Wahnsinn, diese überquellende Inspiration mit einer leichten, fast schon heiteren Traurigkeit, die auf "Global Warning" wieder aufersteht. Tatsächlich scheint es so, als verwende Jon nach dem offiziellen Ende von SAVATAGE endlich all die Ideen, die er absichtlich oder vielleicht sogar unbewusst für ein weiteres großes, vielleicht finales Album dieser Band aufgespart hatte. Der musikalische Höhenflug geht schon mit dem verspielten, sehr stimmungsvollen Intro los und trägt Jon von einem Killer-Song zum nächsten. Der Opener 'Look At The World' verzaubert mit den faszinierendsten Gesangsmelodien, die Jon in den letzten Jahren geschrieben hat. 'Before I Hang', das gefühlvolle "Firefly" und die gnadenlos treibende Power-Nummer 'Stories' knüpfen am deutlichsten an die "Streets"-Phase an, berühren mich tief im Innersten und lassen mich aufgewühlt und glücklich zurück. Doch auch einige ungewohnte Elemente werden gekonnt integriert, sorgen für Abwechslung und erhöhen die Langzeitwirkung von "Global Warning". 'Master' kommt mit simpler, aber sehr wirkungsvoller Melodie, leicht verzerrten Vocals und elektronischem Beat, könnte man als humorvollen Gruß an die Namensvetter von Peter Tägtgrens PAIN verstehen. 'The Ride' dagegen spielt sehr elegant mit Südstaaten-Rock-Zitaten. Und dann dieser Jahrhundert-Chorus in 'Walk Upon The Water' - ich könnte noch seitenlang weiter schwärmen. Doch die Rubrik heißt Gruppentherapie und nicht Martins Monolog. Tut mir nur einen Gefallen: Kauft das Album des Jahres 2008, "Global Warning" von JON OLIVA'S PAIN!
Nach dem phänomenalen Vorgängeralbum hat sich der Bergkönig die Messlatte selbst enorm hoch gelegt, und ich muss zugeben, dass ich bei den ersten paar Durchläufen des neuen JON OLIVA'S PAIN-Werkes doch ein wenig enttäuscht war. Irgendwie wirkte mir das Material nach dem explosiven "Maniacal Renderings" streckenweise etwas zahm und entspannt, dann wieder orchestraler und bombastischer. Kurz gesagt, ich fühlte mich mehr an die späteren SAVATAGE-Werke erinnert, als an die von mir noch mehr geschätzten älteren Sachen.
Doch je öfter und je intensiver ich mich mit "Global Warning" beschäftige, desto mehr kommen die großen, unnachahmlichen Stärken des Jon Oliva heraus, die auch dieses Mal wieder bei vielen Stücken um Ideen seines leider viel zu früh verstorben Bruders Criss Oliva ergänzt wurden. So finden sich nach dem sehr guten orchestralen Titelstück im folgenden 'Look At The World' Songfragmente, die sich die Oliva-Brüder bereits im Jahre 1979 unter dem Einfluss alter QUEEN-Scheiben ausgedacht haben und die Jon eben nun vollendet hat.
Doch der zunächst vielleicht etwas zu zurückhaltend wirkende Einstieg täuscht. Denn dass Jon Oliva und Co. anno 2008 die Aggressivität nicht völlig zu Gunsten des Spät-SAVATAGE-Bombasts und der klassischen Piano-Gitarren-Halbballaden eingemottet haben, beweisen sie gleich darauf mit dem herrlich riffenden Uptempo-Track 'Adding The Cost' und dem überragend dramatisch arrangierten und gigantisch gesungenen 'Before I Hang', das auch auf "Gutter Ballet" nicht die schlechteste Figur abgegeben hätte. Ein besonderes Lob geht hier auch an die sehr emotionale Leadgitarre. Zur wunderschönen, leicht spacigen Halbballade 'Firefly' lässt es sich dann wieder entspannt schwelgen, träumen und schweben, bevor der Meister beim experimentellen 'Master' nicht davor zurückschreckt, seine unvergleichliche Stimme elektronisch zu verfremden, was in Kombination mit den wuchtigen Riffs und den Soundeffekten dem Stück einen gewissen Rob-Zombie-Touch gibt. Ungewohnt, aber als einmaliges Experiment dann irgendwie doch wieder cool.
Im weiteren Verlauf begegnen wir bei 'The Ride' super ausgearbeiteten Akustik-, Lead- und Slide-Gitarren-Arrangements, bevor das schöne Doppel aus 'O To G' und 'Walk On Water' die progressive Ader der Oliva-Fans mit einer Mischung aus intensiver Emotionalität, gediegenem Bombast und anspruchsvoller, aber nicht überfordernder Konzeption bestens bedient. Das finale Drittel wird dann vom harten Smasher 'Stories' eingeläutet, der allerdings im Pre-Chorus auch mit SAVATAGE-typischen Chören aufwarten kann. Balladeske und rockige Elemente geben sich dann bei 'Open Your Eyes' in bester "Handful Of Rain"-Tradition die Klinke in die Hand, bevor 'You Never Know' wieder die viel geschätzte Mittelphase von SAVATAGE zitiert und ein gutes Stück weit an das Material aus "Streets"-Zeiten erinnert. Abgerundet wir das enorm vielschichtige Album von dem zunächst ruhigen und entspannten, sich später jedoch stark steigernden Doppeltrack 'Someone - Souls', der uns noch mal ein wenig schweben lässt.
So kann ich JON OLIVA'S PAIN trotz gewisser Startschwierigkeiten bedenkenlos attestieren, einem absoluten Überalbum einen würdigen Nachfolger zur Seite gestellt zu haben, der uns zwar nicht ganz so kräftig in den Hintern tritt, aber mit seiner Vielschichtigkeit und Emotionalität auch mächtige Stärken hat. Zu schade, dass Criss Oliva die Verwirklichung dieser Stücke und Alben nicht mehr miterleben kann. So schwingt natürlich auch immer eine gewisse Wehmütigkeit mit, wenn man die letzten beiden PAIN-Scheiben hört; doch das wird niemand besser wissen als der Mountain King selbst.
Zum Schluss geht noch die Bitte an die werte Plattenfirma, derlei wirtschaftlich orientierte Spielereien wie verschiedene Bonustracks auf verschiedenen limitierten Versionen doch gnädigst zu unterlassen. So gut die Scheibe auch sein mag, es reicht, wenn man sie sich einmal kaufen muss.
Zu guter Letzt hatten wir noch die Gelegenheit, Jon Oliva selbst zu Wort kommen zu lassen und das Album in textlicher Hinsicht noch mal kurz zusammenzufassen.
Die ersten drei Songs - 'Global Warning', 'Look At The World' und 'Adding The Cost' - sind miteinander verbunden. 'Look At The World' dreht sich darum, das man sich mal umschauen sollte, während es bei 'Adding The Cost' um das Geld geht, dass uns das alles kostet, und zusammen ergeben sie den Titel "Global Warning".
In 'Before I Hang' geht es um einen Terroristen. Es ist ein Duell-Song. Im Vers besingt der Typ und dann das Gericht, dass er in Wirklichkeit ein Terrorist ist.
'Firefly' handelt von zwei jungen Soldaten auf dem Schlachtfeld, die herausfinden, dass sie zwar die gleichen Gefühle all dem gegenüber haben, aber jeweils auf der anderen Seite kämpfen. Mein Lieblingstrack auf dem Album übrigens.
'Master' handelt von Computerbesessenheit - wenn du dich umschaust und siehst, dass deine Freunde Computerfreaks sind und du denen zu erzählen versuchst, dass das Ding ihr Leben ruiniert, dir aber nicht zuhören. Also schrieb ich einen Song über einen Computer, der das Leben von allen anderen kontrolliert.
'The Ride' erklärt sich eigentlich von selbst. Es geht um eine Fahrt. Grundsätzlich die Fahrt des Lebens.
'O To G' handelt offensichtlich vom Leben und Sterben. Es ist für einen Freund von uns, der kürzlich verstarb.
Auch 'Walk Upon The Water' handelt von Leben und Tod. Der Typ in dem Song weiß nicht, ob er tot oder lebendig ist, er weiß nicht, ob er träumt oder tatsächlich gestorben ist, und das alles ist ein einziger großer Albtraum. Es dreht sich alles darum: Wo bin ich? Wie komme ich hierher? Wie lang bleibe ich hier? Und was geht überhaupt hier vor?
'Stories' handelt auch davon, dass man sich besser umschauen muss, aufpassen muss und darauf achten soll, was die Leute einem erzählen, denn manchmal endet man auf dem falschen Weg. Es dreht sich hauptsächlich um Leute, die in dein Land kommen. Ich sage aber nicht, welches Land oder welche Leute. Es könnten Terroristen sein, wie in Amerika oder überall sonst. Man weiß es nie. Sie könnten auf der anderen Straßenseite sein, es könnten deine Freunde sein, du weißt es nie.
'Someone' dreht sich darum, dass ich für andere alles erreicht habe und es nun Zeit für mich ist, zu gehen, und mich um mein eigenes Leben zu kümmern. Dieser Song bedeutet jemandem etwas.
Und 'Souls' fasst noch mal alles zusammen, nämlich dass wir alle gleich sind - egal, ob wir Deutsche, Amerikaner, Chinesen oder Inder sind. Wir sind alle gleich, wir sind alle zusammen auf dieser Fahrt, die verschiedene Wege nimmt, basierend darauf, wo wir herkommen, aber das ist nicht das Ende. Darum dreht sich der Song, wir alle sind Seelen, die auf ein Ende warten. Wenn du diese Welt verlässt, wird deine Seele weiterleben, dein Geist wird weiterhin bestehen. Und das macht uns letztendlich alle gleich. Wir kommen nur aus anderen Ländern, haben eine andere Hautfarbe oder eine andere Größe, aber wir sind letztendlich alle gleich.
- Redakteur:
- Lars Strutz