In der Gruppentherapie: RIVERSIDE - "Anno Domini High Definition"

16.06.2009 | 11:46

Natürlich wird unser erstes offizielles "Album des Monats" auch mit einer Gruppentherapie geehrt. Die Meinungen gehen auch hier durchaus auseinander.



Polens Vorzeigeprogger sind für eine erneute Überraschung gut, denn irgendwie warte ich darauf, dass RIVERSIDE ein schwaches Album abliefern. Aber nichts da, stattdessen schießt "Anno Domini High Definition" um die Ecke und ist gleich mal rockiger und erdiger als die Werke zuvor, ohne jedoch ihren typischen Sound zu verlieren. Vielleicht ist es auch die Tatsache, dass das treibende 'Hyperactive' bei insgesamt nur fünf Songs ein größeres Gewicht erhält, denn die üppigen Prog-Parts, die ruhigen Pianopassagen und die Melancholie, die RIVERSIDE bislang auszeichneten, sind weiterhin vorhanden. Die Lieder werden mit fortschreitender Spieldauer des Albums immer länger und ausufernder. Ab der Hälfte der Spielzeit kommen lange Instrumentalpassagen und sogar Bläsereinsätze zum Vorschein, so dass die Polen dann doch trotz gelegentlicher ungewohnter Heftigkeit mit beiden Beinen im Prog stehen bleiben. Gegen Ende wird "Anno Domini High Definition" typischer für den Bandsound, so dass man attestieren muss, dass die Balance zwischen der bisherigen Diskographie und neuen Elementen hervorragend getroffen ist. So gut, dass man die Scheibe auch aufgrund der Kürze am besten immer mehrfach rotieren lässt. Nur "Second Life Syndrom" gefällt mir bisher noch ein klein wenig besser, aber die Scheibe hat auch ein paar Jahre Vorsprung.

Note: 8,5/10
[Frank Jäger]

Wenn laut Bandinfo die Fachpresse die polnischen Proggies von RIVERSIDE gerne als Mischung aus TOOL, PORCUPINE TREE und DREAM THEATER bezeichnet, dann haben wir auch schon den Grund, warum ich damit nicht so warm werde, wie ein großer Teil der Redaktion. Im Gegensatz zu den Kollegen kann ich mit den genannten Truppen nämlich trotz unbestrittener Hochachtung vor ihrem Können nicht viel anfangen, weil der nötige emotionale Funke nicht überspringt. So ist es nun auch mit "Anno Domini High Definition", bei dessen Hören meine Einschätzung stets von Passage zu Passage zwischen "genial" und "gähnial" schwankt. Meine Krux mit "dieser Art" von progressiver Musik ist, dass ich viele Passagen absolut überzeugend und die Grundstimmung gefällig finde, mich die Kompositionen als ganze aber oft kalt lassen. So sind RIVERSIDE beispielsweise mit dem HAWKWIND-Part um die fünfte Minute von "Egoist Hedonist" herum, mit den Hammond-Parts und den tollen Übergängen von sanft-entrückt zu hart und drückend bei "Left Out" definitiv starke Momente gelungen. Auch der sphärisch-epische Part bei ca. 4:30 des Stückes überzeugt mich auf ganzer Linie. Aber dann finde ich wieder eine ganze Sequenz total einschläfernd und frei von prägnanten Hooks. Verdrogtes Leiern fällt mir dazu ein. Gut, das machen meine Lieblinge von HAWKWIND auch oft, und selbst bei denen nervt es mich auf manchen Alben oder einzelnen Stücken anderer Alben total. Es ist ein Wechselbad der Gefühle, das eben dazu führt, dass ich mir das alles zwar sehr gut anhören kann. Das ist nicht das Thema, aber es bleibt nicht hängen, und ich bin nachher immer an dem Punkt, wo ich mich frage: "Warum hast du dir das jetzt eigentlich angehört?" - Nach alledem ist die neue RIVERSIDE ein Album, das ich definitiv selten anhören werden, obwohl es unbestritten von großer musikalischer Klasse zeugt.

Note: 7.5/10
[Rüdiger Stehle]

Schon mit ihrem atmosphärischen Erstling konnte das polnische Quartett mich beim emotionalen Schopf packen. Progressive Musik, ohne Hektik und unaufdringlich. Seither habe ich die Band in mein Herz geschlossen und war etwas irritiert darüber, dass ich keinen rechten Zugang zum Vorgänger "Rapid Eye Movement" finden wollte. Bis heute nicht. Ganz anders der Neuling im Player. Aufgrund unerwartet druckvoller Riffs an diversen Stellen, bin ich sofort begeistert. Die originelle Stimme von Basser Mariusz Duda, die von einem angenehmen Akzent geprägt ist, verwöhnt das Ohr allein schon sehr, aber was RIVERSIDE heuer musikalisch abgeliefert haben, kombiniert die oben beschriebene Unaufdringlichkeit und Ruhe mit rhythmischen Akzenten, die unwillkürlich mitreißen. Paradox? Vielleicht, aber genau das ist es wohl auch, was diesen Rundling so auszeichnet: Und diese neue polnische Hektik kommt nicht von ungefähr: Auch durch die Texte zieht sich die Schnelllebigkeit unserer Gesellschaft wie ein roter Faden. Wer als eingefleischter Fan der Band nun leichte Panik bekommt, seine Helden hätten ihren stilistischen Trampelpfad verlassen, dem kann ich beruhigt versichern, dass dieser Pfad auf dem aktuellen Werk eher zu einer Schnellstrasse geworden ist, auf der sie zielsicher und unbeirrt ebenso emotional und überraschungsfreudig wie zuvor geschickt voran ziehen. Lediglich das Tempo wurde modifiziert. Noch immer gibt es angenehm dominante Basseinsätze, verspielte Keyboardsounds und – Teppiche, sowie melodisches Saitenspiel. Dazu addieren sich gelegentliche Riffangriffe, herrliche Uptempo-Parts, kurze Big-Band-Sequenzen und sogar Bläser. Alles da. Alles toll.

Note: 9/10
[Holger Andrae]





Bei Album Numero vier sind die Polen von RIVERSIDE mittlerweile angelangt, und wie auch seine Vorgänger bietet dieser Rundling wieder Progressive Metal der Extraklasse. "Anno Domini High Definition" ist ein vielschichtiges Mosaik aus verschiedensten Bausteinen, die wie selbstverständlich zusammengefügt werden, ohne dass an irgendeiner Stelle auch nur ansatzweise störende stilistische Brüche oder Sprünge in Erscheinung treten würden. Assoziationen, die einem beim Hören in den Sinn kommen, reichen von DREAM THEATER bis DEEP PURPLE. Es ist nahezu unglaublich, aus welch grundlegend verschiedenen Stilelementen RIVERSIDE eine homogene Einheit formen. Als Beispiel sei an dieser Stelle der Song 'Egoist Hedonist' erwähnt. Ein sehr sphärischer Beginn (welcher mich an RPWL erinnerte), jazzige Bläser, Elektro-Beats, typisches Prog-Gefrickel à la DREAM THEATER und sogar ein kurzes Intermezzo von heftigem Geschnitzel im Mittelteil - aus all diesem Versatzstücken bauen die polnischen Proggies eine mitreißende Nummer zusammen, die ihresgleichen sucht. Mit packenden und ausgefeilten Songstrukturen und komplett ohne Begrenzungen in musikalischer Hinsicht haben RIVERSIDE ihren ureigenen Klangkosmos erschaffen und sind spätestens mit diesem Album an der Spitze des Prog-Genres angelangt. Da kann in diesem Jahr höchstens noch die neue DREAM THEATER gegen "Anno Domini High Definition" anstinken und selbst das ist ein Vergleich auf Augenhöhe.

Note: 9,5/10
[Stephan Voigtländer]

Habe ich da gerade DEEP PURPLE gehört? Waaaaaaaas? Die konnten Joe Satriani für den Fusionpart gewinnen? Hui, das ist doch die bekannte Big Band aus New Orleans. An, David Defeis durfte für 'Hybrid Times' also das Piano einspielen. Fett. HEY! Was macht Mikael Åkerfeldt denn dort? Hat der ein Mikro in der Hand? Ja, tatsächlich. Klasse Job, Mann! Spielt Serj Tankian da etwa gerade an Daron Malakians Gitarre rum, oder was tun die da in der dunklen Studioecke? Ah, da fährt ja gerade die Limousine von JAMIROQUAI vor. Hatten die Herren eine gute Reise? Willkommen Joey Tempest, John Norum, John Levén, Mic Michaeli und Ian Haugland, toll, dass ihr hier auch mitmacht. Machts euch bequem, ihr kommt ca. bei Minute 6 im letzten Song dran. Klar, Bier gibt’s da hinten! Senior DIO, bienvenidos, oh, you speak english? Welcome. Great pleas- oh, you brought your guitar ... I'm not sure – but well, I think we can use it. Herr Vangelis! Hier herüber, ja, dieser Drink ist für sie. Haben sie ihre Part mitgebracht? Ja, der wird zentral in 'Hybrid Times' eingesetzt. Aber natürlich können sie noch einen haben! So, RUHE BITTE, ich weiß ja, dass sie sich alle selten sehen, und unheimlich viel zu besprechen haben – natürlich bekommen sie noch einen Drink, Herr Vangelis – aber nun gilt es, das zu tun, wofür wir sie nach Polen eingeladen haben: Ein 9-Punkte-Meisterwerk zu schaffen. Auf - geht’s!
Und das haben die Warschauer wahrlich geschafft, eine derart packende Reise durch den musikalischen Dschungel habe ich selten gehört. Die Verbindungen zwischen den Versatzstücken aus den verschiedensten Bereichen der populären Musik hauen mich ob ihrer genialen Eingängigkeit nach wie vor von den Socken. Ich bin mit "Anno Domini High Definition" definitiv Fan von RIVERSIDE geworden. Lediglich für die kurzen 44:44 Minuten gibt es einen halben Punkt Abzug.

Note: 9/10
[Julian Rohrer]

Eine höchst aufregende Reise durch die Weiten progressiver Musik ist sie geworden, die aktuelle Scheibe der polnischen Progger RIVERSIDE. Variablität und pulsierende, kraftvolle Stücke kennzeichnen "Anno Domini High Definition". Den musikalischen Anspruch von DREAM THEATER paaren die Polen mit klanglichen Anspielungen an die Siebziger - Hammond-Orgeln im DEEP PURPLE oder teilweise auch HAWKWIND-Sound inklusive. Die fünf Stücke sprühen vor zündenden Songideen, die in Sachen Gehalt mit der ausgezeichneten spielerischen Umsetzung im Gleichklang sind. Aufregend kontrastreich agieren RIVERSIDE, wenn sie verträumte Passagen durch pumpende Bassläufe, sprudelnde Hammond-Orgel-Sounds und betörend lockere Gitarrenleads ablösen. Die Stimme von Frontmann und Bassist Mariusz Duda wirkt unaufdringlich, dabei aber sehr warm und gefühlvoll. Musikalisch verdient gerade das Prachtstück 'Egoist Hedonist' besondere Erwähnung. Hier treffen druckvolle Basslinien auf futuristische Keyboard-Teppiche, wohlig klingende Synthie-Klänge und einen klasse eingebetteten Bläser-Part. Besser kann man Musik im Genre Progressive Metal/Progressive Rock eigentlich nicht mehr inszenieren. Auch nach emsigen Expeditionen in die Klangwelten von RIVERSIDE verliert "Anno Domini High Definition" nichts von seiner Faszination, so dass Genre-Fans wärmstens empfohlen sei, dieses Referenzscheibchen eingehend zu studieren. Euch erwartet ein Leckerbissen, der auch soundtechnisch hervorragend auf Tonträger konserviert wurde. Alles in allem ist "Anno Domini High Definition" eine grandiose Scheibe der Polen geworden. Ich bin beeindruckt!

Note: 9/10
[Martin Loga]

Natürlich gibt es auch eine Einzelrezension.

Redakteur:
Peter Kubaschk

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