In der Gruppentherapie: THE BUTTERFLY EFFECT - Final Conversation Of Kings
17.06.2009 | 19:37(Fast) Kollektiver Redaktionsjubel. Und damit mehr als nur ein Grund die alternativ-progressiven THE BUTTERFLY EFFECT bei einer Gruppentherapie genau zu untersuchen. Hörproben inklusive.
Indie-Rock, Prog-Pop, Songwriter-Balladen. Das klingt irgendwie nicht danach, also ob die Australier bei uns wirklich etwas reißen können, denn Metal ist auf "Final Conversation Of Kings" doch nur ein Spurenelement. In den heftigsten Momenten bleiben wir doch immer im Indie stecken. Trotzdem handelt es sich um mein persönliches Highlight des Monats. Der Grund dafür ist, dass die Musik eine unerhörte Wirkung hat. Die klare Produktion lässt den fragilen Noten viel Freiraum, Sänger Clint Boge klingt verwundbar, ohne in die Heulsusenecke zu driften, die Arrangements sind unscheinbar, aber effektiv. So fließt die Musik beim ersten Hören angenehm durch den Raum, umspielt die Knöchel, streichelt die Sinne, doch schon bald darauf entfalten sich die Facetten der Kompositionen, verführen mit vielschichtigen Harmonien, lassen den Hörer innehalten und sich der Musik hingeben, egal was er gerade tat. Rockigere Lieder setzen gekonnt Kontrapunkte zu den gefühlvollen, minimalistischen Passagen, gelegentliche Blasinstrumente reißen aus genießerischer Schwelgerei, bringen verzerrte Gitarren die gülden glänzende Melancholie des Pop mit einem Schlag metallisch zum Klingen. Boges Gesangsstil irgendwo zwischen RIVERSIDE im Mainstream und FARMER BOYS auf Pop mit Radioappeal ('Worlds On Fire') ist anpassungsfähig und perfekt integriert in den seichteren BIFFY CLYRO-Sound ('In These Hands'), der so subtil und effektiv DREDGig alle Vorteile verschiedener Genres vereint. Alle Lieder müssen wachsen, brauchen mehrere Durchläufe, bevor sie aufgehen wie eine Blume im Morgentau, die den Tag verzaubert und abends zur Ruhe die Pracht schützend verschließt. Genauso möchte man die zerbrechlichen Tonfolgen mit beiden Händen abschirmen. Es fällt mir schwer, mir die Band auf einer Bühne vorzustellen, obwohl die Australier als engagierte Live-Band bekannt sind. Ich denke dabei aber, dass es vielleicht ja Musik gibt, die nur ins Herz und nicht auf die Bühne gehört.
Note: 9,5/10
[Frank Jaeger]
'Worlds On Fire' – die Kunst, am Anfang eines Albums ein Statement abzugeben. Desmond Child verliert bei solchen Songs immer schnell das Bewusstsein und kracht auf das Mischpult: sieben Minuten lang, ruhiger Beginn, Steigerung, Zusammenbruch mit Film-Noir-Soundtrack-Trompeten-Passage, Neuaufbau, kein Chorus, dafür aber gleich drei verschiedene Gesangshooks. So verkauft ihr doch nix, ihr Schwachköpfe! Allerdings steht nach dieser Ouverture, die die Glücksmitte direkt ansteuert, schon fest: "Final Conversation Of Kings" wird sehr viel geben, und die Alternative-Progrocker THE BUTTERFLY EFFECT führen mit der dritten Vollzeitplatte trotz neuerdings eingearbeiteter MUSE-Elemente endgültig ihren eigenen, von Zweiflermelodien ohne Nichtigkeiten durchzogenen Stil vor. Und obwohl die Australier noch trauriger klingen als in der Vergangenheit: Dem grässlichen Selbstmitleidsshit, der Teile der aktuellen Rockszene für jede ernsthafte Aufarbeitung untauglich macht, stellt Clint Boge bescheidene Lebenswasserstandsberichte gegenüber. Mit der Stimme, die TOOLs Maynard James Keenan zwischen seinen Sonnenbrillen immer noch sucht, erzählt er von Dingen, die schiefgehen können, von Auseinandersetzungen. Verlangt er seinem Vokalapparat dabei alles ab, kann man ihm auch in keinem Punkt widersprechen. Wer so singt, hat Recht. Immer. Und wer das ohne Kreativitätsblackout auskommende "Final Conversation Of Kings" nicht kauft oder nicht wohlwollend benickt, wenn er es bei jemandem hört, der es gekauft hat, liegt falsch.
Note: 9,0/10
[Oliver Schneider]
Vor ein paar Jahren habe ich das Debüt des Schmetterlingeffektes, "Begins Here", für zwei Euro auf dem Wühltisch abgegriffen. Eine solide Scheibe, die aber über eine Handvoll Durchgänge nie herausgekommen ist. Anno 2009 sieht die Sache komplett anders aus. "Final Conversation Of Kings" hat in den ersten Tagen den Player vollständig blockiert und ist auch nach sechs Wochen immer noch auf Dauerrotation. Der zutiefst emotionale, enorm abwechslungsreiche Rock der Australier hat offenbar voll eingeschlagen. Schon der Opener 'Worlds On Fire' ist ein echtes Gourmetstück. Ein steter Fluss, der geschmeidige Wendungen nimmt und völlig ohne echten Refrain auskommt. Und dennoch, die Nummer bleibt nicht nur dank seiner dezenten Bläser wie Harz in den Lauschern kleben. Überhaupt sind es die Bläser, die dem Sound von THE BUTTERFLY EFFECT eine ganz besondere Note geben. Sie werden immer dezent an genau den richtigen Stellen eingesetzt. Sie unterstreichen Gefühle, sie wecken Aufmerksamkeit. Hört einfach mal das völlig großartige '...And The Promise Of Truth'. Nicht minder aufgewühlt bin ich nach jedem Durchlauf des Hits 'Rooms Without A View', das trotz aller Melancholie eine berauschende Energie birgt, die einen fast dazu zwingt die Nummer mehrfach in Folge zu hören. Und über allem thront die bittersüße Stimme von Clint Boge, die Gefühle transportiert. Ohne jammern, ohne heulen. Ganz klar, wer auf originelle Rockmusik mit alternativ-progressiven Anstrich steht, muss dieses Album kaufen. Absolut zweifellos.
Note: 9,0/10
[Peter Kubaschk]
'Butterfly' von den nicht mehr existierenden Göttern PSYCHOTIC WALTZ ist mein absoluter Lieblingssong. Daher müsste THE BUTTERFLY EFFECT die Wirkung eben jenes Songs auf mich auslösen. Totale Euphorie. Und der lange, sich mächtig steigernde Breitwand-Knarzer 'World On Fire' setzt meinen Adrenalinspiegel dann tatsächlich unter Strom. Mit Bläsern, einer leicht leidenden Stimme und Cinemascope-Gitarren. Der modern orientierte Musikhörer nennt so etwas wohl Post-Rock. Okay, das Posthorn vermag ich noch irgendwie mit den Bläsern in Zusammenhang bringen, sonst ist mir diese Bezeichnung allerdings schnuppe. Was zählt, ist der nackte Umstand, dass es mir extrem gut gefällt. Und daran ändern auch die neun wesentlich kürzeren Songs, die diesem Monster folgen rein gar nichts. Dabei fallen vor allem die etwas zackigeren Tracks positiv aus dem Rahmen. Allein der kurze Longtrack '... And The Promise Of The Truth', in dem erneut gekonnt mit Gebläse gespielt wird, ist ein absolutes Sahnehäppchen und obendrein belegt er, dass man nicht zehn Minuten um den heißen Brei herum komponieren muss, um einen spannenden Aufbau zu basteln. Aber auch die ruhigeren Momente, wie 'The Way' – es wird schon wieder geblasen – oder der Rausschmeißer 'Sum Of 1' umschmeicheln die Sinne mit warmen Tönen. Wer es hingegen etwas krachender mag, sollte 'In These Hands' oder vor allem das von brachialen Riffs unterlegte 'Windows And The Watchers' antesten. Super Sache. Um die Einstiegsthese aufzugreifen, kann ich sagen, dass THE BUTTERFLY EFFECT andauernd bei mir laufen, was sicherlich ein Zeichen für ihre Klasse ist. Euphorie? Gibt es das auch in geringen Dosen?
Note: 8,5/10
[Holger Andrae]
Dass ich in unserer progophilen Redaktion sowohl bei RIVERSIDE als auch bei den Australiern von THE BUTTERFLY EFFECT den Durchschnitt der Bands ein gutes Stückchen nach unter geschraubt habe, ist vielleicht dem einen oder anderen von euch aufgefallen. Grund dafür ist auf keinen Fall, dass ich die Musik von THE BUTTERFLY EFFECT schlecht fände, oder ihnen gar objektiv messbare Schwächen attestieren würde. Was die Jungs aus Brisbane abliefern ist gefällig, kompositorisch anspruchsvoll und handwerklich herausragend umgesetzt. Doch die fragile, oft alternativ angehauchte Atmosphäre reißt mich einfach nicht so sehr mit, wie dies bei den meisten anderen Kollegen der Fall zu sein scheint.
Das dürfte in letzter Konsequenz daran liegen, dass mir das Schaffen für meine metallischen Vorlieben nicht durchschlagkräftig genug, für meine progressiv-avantgardistischen Neigungen nicht abgedreht genug und für meine rockenden Ambitionen nicht dreckig und dynamisch genug ist. Da bleibt mir nur das freimütige Geständnis, dass ich noch immer zu denen gehöre, die zu ihrer Musik gerne mal die Faust in die Luft recken oder sich von einem straighten Thema mitnehmen lassen. Die Art des Prog-Alternata-Artrocks der Australier lässt mich zwar keineswegs kalt, aber um zu einem Dauerbrenner zu werden, fehlt unheimlich viel. Ich empfinde ein Album wie "Final Conversation Of Kings" als zwar beeindruckenden, aber in seiner Außernwirkung doch sehr selbstgefälligen Versuch, progressiven Anspruch und Easy Listening zu verbinden. Für meinen Geschmack soll progressive Musik jedoch auch mit dem Unerhörten provozieren, und das tut THE BUTTERFLY EFFECT nicht.
Note: 7,0 / 10
[Rüdiger Stehle]
Achtung: THE BUTTERFLY EFFECT ist nichts für die "friends of the harder gangway". Wer sich aber für ergreifende Melodien und emotionale, zum Teil beinahe anmutig inszenierte Songs erwärmen kann, dem sei diese Band ans Herz gelegt. Gleich mit dem Opener 'Worlds On Fire' kommt ein Song, der Melancholie in Perfektion zelebriert - ein tolles Stück. Auf der Platte gibt es immer wieder Momente von klanglich manifestierter Schönheit. Wären da nicht auch ein paar Stücke, die ein bisschen austauschbar klingen ('7 Days' zum Bleistift), man müsste bei "Final Conversation Of Kings" von einem Ausnahmealbum sprechen. So haben wir zwar immer noch ein sehr gutes Scheibchen, bei dem aber nicht alle Songs das Niveau des formidablen Auftakts halten können. Hin und wieder wird auch mal für ein paar Momente dynamisch gerockt, aber im Vordergrund stehen ganz klar die melodischen, gefühlvollen Passagen. Nach meinem Empfinden hätten die kurzen härteren Eruptionen ruhig noch ein bisschen häufiger eingestreut werden dürfen, aber das große Plus der Scheibe sind einfach etliche formidable Songs und Melodien, die man sich immer wieder anhören möchte. THE BUTTERFLY EFFECT schütteln mehrfach absolut mitreißende Klanglandschaften aus dem Ärmel. Bis auf ein paar Längen also eine feine Art-Rock-Scheibe, die Genrefreunden mehr als nur gefallen dürfte.
Note: 8,5/10
[Stephan Voigtländer]
Intimität, Epik und Leidenschaft sind das, was THE BUTTERFLY EFFECT wohl im Sinne ihrer Promoter und Förderer ausmachen. Mit nichts vergleichbar seien sie. Man wird mit zahlreichen Schichten und Sphären umhüllt. Nun gut, tief durchatmen. BULLSHIT. Mich erinnern THE BUTTERFLY EFFECT Song um Song an eine softe und weichgespülte Version von PROTEST THE HERO. Hinkt der Vergleich? Möglicherweise. Doch wo PROTEST THE HERO Eruptionen dramatisch einzusetzen wissen, regiert bei THE BUTTERFLY EFFECT eine weitläufige Ebene gähnender Langeweile. Gerade dann, wenn es ein wenig fetziger wird, der Kreis der einlullenden Melodien für einen Moment durchbrochen wird, die Mutter des Rocks für einen glitzekleinen Augenblick zu erahnen ist, ich mich tierisch darüber freue und gerade den Haargummi aus den Haaren pfriemel, kommen mir grungig-punkige Rhythmen entgegen – nur um Sekunden später wieder in den gewohnten Trott mit dem Esprit einer stundenlangen Verspätung im öffentlichen Nahverkehr zu verfallen. Intimität war eines der Stichworte. Intim im Sinne von "lass mich mit deinem Gesäusel in Ruhe und tu dir den Gefallen, mich mit deinen intimen Konversationsversuchen in Ruhe zu lassen"? Das möglicherweise, ja. Epik? Soll dieses super-flache-ich-nutze-alle-farbigen-Wachsmalstifte-die-ich-finden-kann-Blabla a la "Carry On" etwa episch sein? Soll das punkig-rockige, aber in jedem Fall unmotivierte Alternative-Geklimper etwa episch sein? Junge, da sind ja ENSIFERUM wahre Epik-Götter dagegen, und das, obwohl sie mit dem Sound von THE BUTTERFLY EFFECT nun wirklich nichts gemein haben. Kommen wir zum letzten Punkt: Leidenschaft. Nun gut, wenn Leidenschaft das Interesse an dem eigenen Instrument widerspiegelt, so mag das möglicherweise am ehesten stimmen. Denn technisch ist an den Jungs nix auszusetzen. Und das ist eigentlich recht traurig. Denn obwohl ich den Sound für seelenlos und langweilig halte, hebt die technische Finesse die Band wenigstens auf ein durchschnittliches Niveau. Was bleibt, wenn die CD das Laufwerk verlässt? Der starke Drang zu extensivem Gähnen.
Note: 6/10
[Julian Rohrer]
Elke hat auch eine Einzelrezension verfasst und im Forum gibt es einen Diskussionsthread zu der Band. Videos gibt es zu den Songs 'In These Hands' und 'Window & The Watcher' anzuschauen.
- Redakteur:
- Peter Kubaschk