JUDICATOR - Interview mit Sänger John Yelland
16.04.2025 | 15:52John Yelland erzählt ausführlich über das neue Album "Concord", seine Band, über Amerika und den Wilden Westen und BLIND GUARDIAN. Und begrüßt mich auf Deutsch.
Guten Tag! Wie geht's, wie steht's? Mir geht es ziemlich gut, mein Deutsch ist aber ziemlich schlecht! (lacht)
Nein, das stimmt nicht – ich bin überrascht! Aber du würdest lieber auf Englisch weiter machen, oder?
(John wechselt zu Englisch) Dem stimme ich zu, du würdest sehr schnell merken, wie limitiert meine Deutschkenntnisse sind!
Wie kommt es denn, dass du etwas Deutsch sprichst?
Ich habe 2014 eine Zeit lang in Berlin studiert. Ich habe mir das meiste Deutsch selbst beigebracht, hatte aber auch ein paar Stunden Deutschunterricht im College. Seitdem war ich schon öfter in Deutschland, und wenn ich im nächsten Jahr wiederkomme, werde ich mich soweit vorbereitet haben, dass ich auf jeden Fall mein Essen bestellen und zumindest einfache Gespräche führen kann.Sehr gut. Danke erstmal, dass du dir Zeit für uns nimmst. Lass und über JUDICATOR sprechen. Kommt der Name aus dem Warhammer-Universum?
Ich bin ein großer Warhammer 40K-Fan und ich würde es lieben, wenn der Name daher stammen würde. Aber den Namen hat Alicia Cordisco, die die Band mit mir gegründet hat, aus Star Wars entliehen – so heißt dort ein imperialer Sternenzerstörer.
Da habe ich wieder was gelernt, das wusste ich als Star Wars Fan bisher nicht. Könntest du uns einen kurzen Überblick über die Gründung und bisheriger Geschichte von JUDICATOR geben?
Sicher, gern. Im Jahr 2010 habe ich ein Konzert von BLIND GUARDIAN besucht. Ich war schon gegen 15.00 Uhr an der Halle, da ich nichts anderes zu tun hatte, und habe da Alica Cordisco kennengelernt. Wir haben uns ausgetauscht und lange Rede, kurzer Sinn – sie hat mich gefragt, ob ich auf einem Album singen möchte, das sie geschrieben hat. Natürlich habe ich "ja" gesagt, und überraschenderweise ist das dabei entstandene Album "King Of Rome", dass 2012 erschienen ist, so gut angekommen, dass wir uns gesagt haben: lass und das nochmal machen! Das Resultat war 2013 unser zweites Album "Sleepy Plessow". Das ist noch besser angekommen, so dass wir entschieden haben, aus dem Projekt eine echte Band zu machen. Mit den Alben "At The Expense Of Humanity" (2015) und "The Last Emperor" (2018) ist die Band immer weiter gewachsen und so haben wir 2020 für "Let There Be Nothing" und den Nachfolger "The Majesty Of Decay" (2022) einen Vertrag bei Prostetic Records unterschrieben... und heute arbeiten wir weiter hart und leben unseren Traum (lacht)
Mit dem neuen Album "Concord" steht ihr nicht mehr bei einem Label unter Vertrag. Warum habt ihr das Album komplett im Alleingang veröffentlicht?
Es gab eine Reihe sehr ernster Gespräche im Vorfeld, nachdem wir zwei Alben auf einem Label veröffentlicht haben. Das hatte zwar einige Vorteile, aber auch ein paar Dinge, die uns nicht aus dem Kopf gegangen sind, wie die Tatsache, dass dir deine eigene Musik nicht mehr gehört. Sie gehört dem Label. Und du verdienst auch nicht allzu viel, im Gegenteil, wir mussten noch eines an eigenem Geld, zum Beispiel für Musikvideos, dazu geben. Daher haben wir uns entschlossen, das neue Album auf eigene Faust zu veröffentlichen und über eine Kickstarter-Kampagne einen Teil der Finanzierung zu stemmen. Das hat uns gute 10.000$ gebracht, noch immer nicht genug, um alles zu bezahlen, aber genug, um die Albumaufnahmen zu finanzieren. Aber die Musik gehört uns! Wir hatten eine Menge Vorbestellungen, in finanzieller Hinsicht ist es jetzt schon unser erfolgreichstes Album. Und wir hatten im Vorfeld auch Gespräche mit zwei Plattenfirmen, "Concord" über sie zu veröffentlichen – aber sie konnten nicht genug in die Waagschale werfen, damit sie sich zu ihren Gunsten neigt und dass es sich für uns gelohnt hätte. Am Ende war diese Art, das Album zu veröffentlichen, der beste Weg für uns.
Concord
https://www.youtube.com/watch?v=j-cmFyXuEBI
Ist die CD eigentlich in Europa erhältlich?
Im Moment nicht. Wir haben keinen Vertrieb für Europa und wer die CD haben möchte, muss den schmerzhaften Weg über die Bestellung bei uns in den USA gehen. Aber wir arbeiten daran, dass die CD auch in Europa verfügbar ist.Eure Debüt "King Of Rome" handelt von Kaiser Napoleon Bonaparte und den Koalitionskriegen. Ein eher ungewöhnliches Thema für eine amerikanische Band. Wie kam es dazu?
Das war meine Idee, ich liebe den Film "Waterloo" von 1970. So werden Filme heute leider nicht mehr gemacht – kein CGI, nur hunderte von Schauspielern und Statisten in historischen Uniformen, großartig! Ein bemerkenswerter Film! Und das hat mich zu dem Thema des Albums inspiriert.
Bist du auch sonst an europäischer Geschichte interessiert?
Ich finde ich die amerikanische Geschichte interessant, aber natürlich auch die europäische! "King of Rome" handelt von Napoleons Rückkehr aus dem Exil und der Schlacht von Waterloo, und das zweite Album "Sleepy Plessow" handelt von der Gründung Preußens und folgt dem Leben von Friedrich dem Großen. Wenn Du auf der Straße zehn beliebige Amerikaner nach Friedrich dem Großen fragst, bin ich nicht sicher ob da einer dabei ist, der mit dem Namen was anfangen kann (lacht)
Außer Du triffst Heavy-Metal-Fans! Aber seien wir fair, auch hier in Europa kennt man zwar den Begriff Waterloo, aber ob jeder weiß, was dort geschehen ist und warum, oder mit Waterloo doch eher das Lied von ABBA verbindet, sei mal dahingestellt. Und über den amerikanischen Bürgerkrieg werden die meisten hier auch nur rudimentäre Kenntnisse haben. Ich liebe es, wenn trotz all der Jahre, die ich mich schon für Geschichte interessiere, durch einen Metal-Song oder ein Album noch auf Ereignisse stoße, von denen ich noch nie gehört habe und mich dann weitergehend damit beschäftige und so immer wieder etwas Neues lernen kann.
Genau das mag ich daran, Alben über historischen Themen zu schreiben. Erst war es nur der Film Waterloo, aber dann habe ich mir ein paar Bücher über Napoleon besorgt. Und Gott bewahre, wenn ich über ein historisches Thema oder eine Person schreibe, könnte ich mir nicht verzeihen, wenn ich einen Fehler mache. Ich recherchiere viel, damit alles seine Richtigkeit hat!
Du kennst die Band SABATON?
Ja, klar!
Egal, wie man zu ihrer Musik steht, aber die Mitglieder verbringen auch viel Zeit damit, die Hintergründe zu den Songs zu erforschen und haben auch ihre SABATON-History-Serie auf YouTube, die sie mit Indy Neidell machen, einem amerikanischen Historiker, der mittlerweile in Schweden lebt. Es gibt mittlerweile mindestens eine Folge über jeden Song.
Ich bin darüber sehr glücklich, denn seitdem ihre Popularität steigt, entdecken immer mehr Metal-Fans ihr Interesse an der Geschichte. Und wie du schon gesagt hast, egal wie man zu SABATON steht – ich mag sie übrigens – sie machen etwas richtig Gutes, indem sie Menschen an Geschichte heranführen. Denn Geschichte findet nicht nur zwischen zwei Buchrücken statt, deine Sprache, deine Vorfahren, deine Herkunft, die Stadt, in der du lebst, alles in deinem Leben ist Geschichte - ob du es nun wahrnimmst oder nicht.Nachdem Alicia im Jahr 2020 nach der Veröffentlichung von "Let There Be Nothing" die Band verlassen hat, bist du mit dem Album "The Majesty Of Decay" zum alleinigen Songwriter und zum Kopf und Herz von JUDICATOR geworden.
Das war eine verdammt heftige Erfahrung, ich habe dadurch auch eine Menge gelernt, denn im Grunde war Alicia die Managerin der Band. Als sie 2020 ausgestiegen ist, ist mir diese Verantwortung zugefallen. Die Menschen, das Geld, die Musik, alles muss gemanaged werden. Rückblickend war es eine positive Erfahrung - aber am Anfang war es echt beschissen.
Aber es ist großartig, "The Majesty Of Decay" war zwar eine schwierige Produktion, aber ich bin mit dem Ergebnis sehr glücklich. Mit "Concord" habe wir dann richtig Fahrt aufgenommen und wissen jetzt besser, was wir tun, darum trägt das Album auch den Namen "Concord", was ja so viel wie Harmonie oder Gemeinschaft bedeutet – und das ist das, was wir als Band fühlen. Nachdem Alicia JUDICATOR verlassen hatte, mussten wir, nein, musste ich die Band neu aufbauen. JUDICATOR hatte mit Alicia eine Hälfte seines Herzens verloren. In Prozess des Neuaufbaus der Band haben uns auch zwei weitere Musiker verlassen, aber so konnte ich die Band von Grund auf mit neuen Leuten wieder aufbauen. Die Leute, die heute in der Band sind, kenne ich schon sehr lange, mit einigen habe ich schon vorher in anderen Bands zusammengespielt und ich habe volles Vertrauen in dieses Lineup, in musikalischer wie in menschlicher Hinsicht.Konnten die neuen Mitglieder sich auf "Concord" in das Songwriting einbringen oder lag wieder alles auf deinen Schultern?
Wie du schon sagt, bei "The Majesty Of Decay" habe ich alles allein gemacht, sowohl die Texte als auch die Lyrics sind von mir. Das war aber nie mein Ziel, alles allein zu machen. Gesang und Texte, das ist mein Ding. Als es dann um ein neues Album ging, haben wir viel darüber geredet, wie das neue Album gestaltet werden und wie es sich anfühlen soll. Als ein Resultat ist dabei herausgekommen, dass ich selbst weniger zur Musik beitragen werde, das Schreiben der Musik ist diesmal gleichwertig zwischen mir und unserem Gitarristen Chad Anderson aufgeteilt.
Bei der Vorbereitung für ein Interview oder ein Album-Review versuche ich erstmal, mir ein eigenes Bild der Musik zu machen, ohne vorher die Promo-Schreiben zu lesen und mir davon unbeeinflusst ein Bild zu machen. Klar, wenn man die Band schon kennt, hat man einige Dinge und Erwartungen im Kopf, aber ich versuche erstmal, jedes Album wie ein weißes Blatt Papier zu betrachten. Aber bei "Concord" habe ich mir notiert, dass das Album mehr nach JUDICATOR klingt als die Vorgänger, sprich einen stärkeren, individuellen Charakter und nicht mehr eine ganz so starken BLIND GUARDIAN Vibe hat, was sich aber schon beim Vorgänger abgezeichnet hat.
Das freut mich zu hören. Auf "The Majesty Of Decay" habe ich versucht, all das umzusetzen, was ich aus verschiedenen Gründen auf den Vorgängern nicht tun konnte, daher ist darauf auch so einiges an verrücktem Zeug zu hören. Der Damm ist einfach gebrochen und ich habe jede lustige und exzentrische Idee zugelassen, die aus mir herausgesprudelt ist. Um bei dem Bild zu bleiben, hat das Wasser sich nun wieder etwas beruhigt und wir haben versucht, uns wieder mehr zu fokussieren und uns selbst zu finden. Es tut gut zu hören, dass uns das anscheinend auch gelungen ist.
Als ich das Cover von "Concord" erstmals auf Social Media gesehen habe, dachte ich erst, es könnte von der Dark Tower-Reihe von Stephen King handeln – oder macht JUDICACOR wirklich ein Album über den Wilden Westen? Es ist letzteres geworden, geht aber darüber hinaus uns erzählt, welche Wirkung dieses Erbe auf das Hier und Jetzt hat. Anfangs habe ich diese Western-Verbindung gar nicht gefunden, die Texte klangen universeller, nach Themen wie Sinnsuche in der heutigen Zeit und dem Verlust der Verbindung zur Natur. Zumindest in den ersten Songs.
Ja, "Concord" handelt vom Wilden Westen, aber einige Songs eher über den Westen, sprich das Leben in der westlichen Gesellschaft. Viele von kennen das Gefühl von Entfremdung oder in Schubladen gepackt zu werden. Ich denke, in der westlichen Welt sind diese und ähnliche psychologische Probleme weit verbreitet, und das wollte ich ansprechen. Ich kümmere mich sehr um unser Erbe, um unsere Vorfahren und ihre Geschichte und welchen Einfluss sie auf unser Leben haben.
Als ich angefangen habe, die Texte zu schreiben, sind diese universelleren Themen, wie du richtig erkannt hast, in Songtexten von Liedern wie 'Call Us Out Of Slumber', 'Miracle Of Life' oder dem Titelsong auf einmal aus mir herausgekommen und haben all diese Fragen über Gott, Blut, Hierarchien aufgeworfen und den Finger daraufgelegt, dass etwas nicht stimmt. Ich bin froh, dass diese Aussagen in meinem engeren Umfeld, das politisch sehr divers ist, ausnahmslos positiv aufgenommen wurden. An dem Album ist nichts politisch, aber Politik beeinflusst heutzutage alles und jeden, und egal ob die Leute politisch eher links oder eher rechts stehen, jeder hat in der Musik und den Texten etwas gefunden, das ihn anspricht. Hier sind wir dann auch wieder beim Albumtitel, "Concord" gleich Harmonie, ich wollte etwas finden, worüber die Leute zusammenkommen und vereint werden, denn nur so werden wir uns am Ende retten können.Als ich dann beim Track 'Weeping Willow' angekommen bin, der ja von einer recht dramatischen Rachegeschichte handelt, ist das Album textlich im Wilden Westen angekommen.
'Weeping Willow' ist ein besonderes Stück, die Musik wurde zum Großteil von Chad geschrieben, der Text ist von mir und handelt vom ersten schwarzen Gesetzeshüter westlich des Mississippi. Sein Name war Bass Reeves und er war sehr effizient in seiner Arbeit, er hat viele Verbrecher und Gesetzlose verhaftet. Der Text handelt aber von seinem Sohn, der seine Frau ermordet hat, weil sie ihn betrogen hat und dann geflüchtet ist. Bass Reeves hat sich freiwillig gemeldet, um seinen Sohn zu jagen und dem Gesetz zu überstellen. Diesen Zwiespalt zwischen Pflichterfüllung, Schuld und Scham, die Bass als Vater gefühlt hat, fand ich interessant. Es gäbe über Bass Reeves so viel mehr zu erzählen, aber das hätte nicht in einen einzelnen Songtext gepasst, also habe ich mich auf diese Episode beschränkt. Bass hat einen Sohn tatsächlich gefangen und dieser wurde von einem Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt – trotz allem hat sein Vater ihn regelmäßig im Gefängnis besucht und hat ihn nicht fallen gelassen. Er wurde aber nach 11 Jahren vorzeitig entlassen und hat ein danach ein gesetzestreues Leben geführt. Bass Reeves ist angeblich nie verwundet worden und ist im recht hohen Alter friedlich gestorben. Zumindest so friedlich, wie man damals sterben konnte.
In 'Hold Your Smile' haben wir dann einen Text über ein klassisches Wester-Shoot-Out.
Das Stück behandelt den Film "Todeszug nach Juma" aus dem Jahr 2007. Ein großartiger Film und einer meiner Lieblingswestern. Ein weiters Stück, dass sich mit dem Wilden Westen beschäftigt, ist 'Sawtooth', in dem ich über den Geist der Pionierzeit singe, die Expansion nach Westen, im Guten wie auch im Schlechten, denn: es war nicht alles gut. Ich will die negativen Aspekte keinesfalls verschweigen, die die sogenannte Eroberung des Wilden Westens auf die Ureinwohner hatte. In 'Imperial' behandele ich die Entstehung der Geistertanzes-Bewegung, durch Wovoka, ein Mitglied des Paiute-Stammes, die im Endeffekt zum grausamen Massaker von Wounded Knee im Dezember 1890 geführt hat, und das Lied 'Blood Meridian' handelt vom gleichnamigen Buch von Cormac McCarthy.
(Anmerkung des Autors: Auf Deutsch heißt das Buch "Die Abendröte im Westen" und handelt von einer Gruppe von Verbrechern, die im amerikanisch-mexikanischen Grenzgebiet wahllos Native Americans massakrieren und steht als Synonym dafür, dass die eigentliche Ausdehnung der Vereinigten Staaten von starker Gewalt begleitet war.)
Aber, ich liebe den amerikanischen Westen, und die Wurzel von "Concord" stammt aus der Zeit, als ich einen Sommer in Berlin studiert habe. Nach einem Monat dort habe ich mich dabei ertappt, wie ich Tagträume von den Sawtooth Mountains, der Wüste Nevadas oder der wundervollen Landschaft Wyomings hatte. Ich konnte diese Bilder dieser wunderbaren Landschaften meiner Heimat einfach nicht vergessen. Das war der Moment, an dem dieses Album seinen Ursprung hat.
Das Buch von McCarthy kenn ich nur dem Namen nach. Mit der Geschichte des Massakers von Wounded Knee bin ich vertraut, und über Bass Reeves habe ich auch schonmal etwas gelesen. Ich glaube, über ihn gibt es eine Serie (Anmerkung: Lawman: Bass Reeves). Aber mit dem Buch werde ich mich auseinandersetzten. Wieder einmal: interessante und tiefgehende Texte. Wie steht es generell um die Situation der Native Americans? Ist das bei euch in den USA noch ein größeres Thema?
Ich muss sagen, ich bin kein Aktivist oder sowas, ich bin nur ein ganz normaler Mensch ohne allzu tiefes Wissen, aber wie ich es sehe, hat sich in den USA ein gewisser Respekt vor den Ureinwohnern entwickelt. So empfinde ich das zumindest. Und wir benennen eine Menge militärisches Gerät nach ihnen. Also scheinen wir zumindest eine gewisse Bewunderung für ihren Kampfgeist zu haben. (schmunzelt) Nein, ernsthaft, ich habe auch Reservate besucht, dort herrscht oft große Armut, Drogen sind ein großes Thema - es ist oft ziemlich deprimierend und alles andere als gerecht. Ich habe auch schon mit Native Americans gearbeitet und nur gute Erfahrungen gemacht und wunderbare Menschen kennengelernt. Ich wünschte nur, ich hätte die Antworten, um eine faire Situation zu schaffen, denn ich mag vieles von dem nicht, was ich dort gesehen habe. Mehr kann ich dazu nicht sagen, tut mir leid.
A Miracle of Life
https://www.youtube.com/watch?v=VPrZloomDaM
Ihr kommt aus Salt Lake City, richtig?
Ja, korrekt.
Hast du die Serie American Primeval gesehen?
Nein, bis jetzt noch nicht, aber ich habe auch nicht allzu viel Gutes darüber gehört. Hast du sie gesehen? Wie hat es dir gefallen?
Sie war gut. Auch wenn sie sicher nicht die damalige Wirklichkeit abbildet, ist sie doch deutlich realistischer als so manch anderer Wildwest-Film. Es gibt keine sauberen Hemden, hübsche Cowboyhüte, keine schönen, trockenen Straßen, es ist matschig, schmutzig, rau und brutal. Und über die Mormonenkriege, während denen die Handlung der Serienfiguren spielt, habe ich vorher noch nie etwas gehört.
Interessant, ich wusste gar nicht, dass die Serie von den Mormonenkriegen handelt, die sich ja in Utah ereignet haben. Jetzt bin ich neugierig, das ist interessanter Stoff für eine Serie.
Die Serie mixt historische Ereignisse mit fiktionalen Figuren.
Ja, hier gibt es aus dieser Zeit einige bedeutende Ereignisse, wie das Mountain Meadows Massaker.
Und genau das kommt in der Serie vor, zumindest ein Ereignis, das sehr eng daran angelegt ist. Damit geht die Story richtig los.
Oh, es gibt immer noch einige Geheimnisse und offene Fragen um dieses Ereignis, auch ohne in Verschwörungstheorien abzurutschen…
In der Serie ist es eine Mormonen-Miliz, die Nauvoo Legion und die mit verbündeten Paiute-Kriegern, die dafür verantwortlich waren. Von diesem Massaker an einem Siedlertreck spinnen sich die Fäden der Hauptpersonen aus.
Oh, das ist ziemlich cool. Ich muss mir das wohl tatsächlich anschauen. Und ich würde mich freuen, wenn dadurch mehr Leute etwas über die Geschichte von Utah lernen würden.
Amerika ist ja viel, viel mehr als das Klischee, das wir in Europa von euch haben. Nicht jeder Amerikaner läuft mit einem Stetson und einem Sturmgewehr durch die Straßen - genauso wenig, wie alle Deutschen Lederhosen oder Dirndl tragen und Sauerkraut essen.
Ja, das stimmt. Deutschland ist sehr vielfältig, schon allein, weil in Deutschland verschiede Staaten zusammengewachsen sind, wie Bayern, Sachsen, Brandenburg. Und alle hatten ihre kulturellen Eigenheiten, die oft noch erhalten geblieben sind. In den USA ist es nicht anders, Kalifornien, New York, Texas, North Dakota, überall wirst du Besonderheiten finden, die Leute haben bestimme Eigenschaften und obwohl wir eine gemeinsame Sprache sprechen, ähnlich wie ihr Hochdeutsch, gibt es doch auch einige regionale Unterschiede, Dialekte, sprachliche und kulturelle Eigenarten - ganz ähnlich wie bei euch.
Was ich an Deutschland so liebe, ist das man nie weiter als einen Steinwurf von etwas Historischem entfernt ist. Sehr stark beeindruckt haben mich die goldenen Stolpersteine, die man ja überall, in jeder Stadt findet und die an das schreckliche Schicksal der Juden erinnern.
(Anmerkung: An dieser Stelle wollte ich das Gespräch nicht zu weit von dem Thema des Albums weglotsen, deshalb bin ich auf den letzten Satz von John nicht tiefer eingestiegen.)
Was sind deine liebsten Western?
Todeszug nach Yuma habe ich schon erwähnt. Dann mag ich beide Versionen von True Grit.
(Anmerkung: die erste Verfilmung von 1969 mit John Wayne wurde bei uns unter dem Titel "Der Marschall" veröffentlicht)
Und Bone Tamahawk von S. Craig Zahler, ein ziemlich... sagen wir mal... einzigartiger Film. Hast du ihn gesehen?
Ja, habe ich.
Ich liebe ihn, aber ich kann verstehen, dass der Film nichts für jedermann ist. Das sind meine drei liebsten Western. The Good, The Bad, The Ugly (auf Deutsch: "Zwei glorreiche Halunken") ist ebenfalls ein Klassiker. Ich bin mit Western aufgewachsen und liebe sie einfach.
Meine Generation ist in Westdeutschland mit Western aufgewachsen und auf einem der zwei TV-Kanäle, die es damals hier gab, lief samstags zur Prime Time entweder eine Gameshow oder mit großer Wahrscheinlichkeit ein Western. Auch wenn diese Zeitspanne, die wir als Wilder Westen kennen, tatsächlich nur recht kurz war, prägen diese wenigen Jahrzehnte das Bild von Amerika doch bis heute.
In Europa habt ihr eure Ritter in den strahlenden Rüstungen, die Japaner haben die Samurai und wir haben unsere Cowboys, die zu unserer Art von mystischer Figur geworden sind.
Kennst Du Karl May?
Bitte, wen?
Karl May, einen deutschen Schriftsteller, der ab ca. 1890 bis 1910 über 30 Bücher herausgebracht hat, die er als Tatsachenberichte verkauft hat, in denen er neben dem Orient vor allem den Wilden Westen bereist hat und dort unter seinem Alter Ego Old Shatterhand zusammen mit dem Apachen-Häuptling Winnetou Abenteuer erlebt hat. Neben den Büchern haben vor allem die Verfilmungen in Deutschland das Bild des Wilden Westens und der "Indianer" geprägt. Winnetou und Old Shatterhand dürften jedem Deutschen über 30 Jahren ein Begriff sein.
Interessant! Schicke mir mal ein paar Infos, bitte. Das schaue ich mir auf jeden Fall mal an.Man muss immer bedenken, dass die Romane schon fast zu der Zeit, in der sie spielen geschrieben wurden und Karl May den amerikanischen Westen und auch den Orient erst bereist hat, nachdem er die Bücher schon alle geschrieben hatte. Er hat sich alles ausgedacht, und er hat zeitgenössische Vorurteile und unglaublich viele Klischees verarbeitet. Die Bösen tragen halt immer schwarze Hüte. Und obwohl auch Helden nicht unsterblich sind, die Guten gewinnen immer.
Ja... gerade heutzutage, wo vieles depressiv und destruktiv dargestellt wird, wirken solche Geschichten, wo das Gute siegt, über die Zeit hinweg nach. Nimm American Primeval, soweit wie ich gehört habe, ist die Serie sehr düster und gewalttätig. Das sind die Geschichten, mit denen du heute die Leute erreichst, weil es ihrem Gefühlsleben entspricht. Ich denke aber, in einigen Jahren wird sich das wieder umkehren und wir werden wieder mehr Geschichten hören und sehen, in denen der Gute wieder wirklich gut ist und der Böse wieder klassisch schwarz trägt.
Stimmt. In meiner Kindheit und Jugend gab es, egal ob in Filmen oder auch bei Spielzeug-Reihen, ein eindeutiges Gut und Böse, und egal wie eng es für die guten Jungs wurde, am Ende haben sie immer gewonnen. Manchmal fehlt mir heute dieses Gefühl von "Am Ende wird alles Gut" – heute sind am Ende meist fast alle Helden tot.
Dieses Gefühl ist so wichtig! Ich nenne das die Medien-Diät und vergleiche das mit unserem Essen. Du kannst nicht nur Obst essen oder nur Fleisch oder nur Brot. Du brauchst eine gesunde Mischung. Und so ist es auch mit Filmen und Serien, wenn man nur noch so dunkles und düsteres Zeugs schaut, ist das auf Dauer nicht gut für dich. Und mit den Nachrichten ist es genauso, man solle nicht nur einem Sender folgen, sondern sich umfassend informieren.
Bei all den schlimmen Nachrichten, die Tag für Tag auf uns einströmen, hilft mir ein Song. 'We Didn't Start The Fire' von BILLY JOEL, der ja nur aus Schlagzeilen besteht, die man bis heute weiterspinnen könnte. Schlimme Dinge hat es immer gegeben, nur heute verbreitet sich jede kleine Schlagzeile in Windeseile durch das Internet, dass man das Gefühl hat, das hört gar nicht mehr auf.
Ja, so ist es. Ich habe mein Social Media Verhalten neu eingestellt, ich bin nicht mehr so aktiv wie früher und dadurch bekomme ich auch nicht mehr alles sofort mit. Das tut gut, wenn man nicht mehr in diesem "hast du gehört, Trump hat dies gemacht" - "hast du schon mitbekommen, Trump hat das gemacht" drinsteckt, sondern einfach mal - "schhhhh" – sich darauf fokussiert, was direkt um einen herum passiert. Darauf, ein guter Vater, Nachbar, Freund, Ehemann zu sein – meistere dein eigenes Leben, bevor du die Welt meistern möchtest.
Ein Punkt, über den wir noch reden müssen, bevor wir zum Ende kommen: BLND GUARDIAN. Du hast schon erzählt, dass JUDICATOR bei einem BLIND GUARIDAN Konzert gegründet wurde. Was bedeutet dir die Band heute?
Was mir die Band heute bedeutet? Vieles, aber ich möchte jetzt weder das Ego von BLIND GUARDIAN oder Hansis streicheln.
Hat Hansi bzw. BLIND GUARDIAN ein Ego?
Das ist es, worauf ich hinauswill! JUDICATOR wurde von Alicia und mir bei einem BLIND GUARDIAN KONZERT gegründet, ich habe es geschafft, Hansi für den Song 'The Dying Firnament' meiner alten Band DISFORIA als Gastsänger zu gewinnen. Er wusste, dass ich ein junger Mann ohne Plattenvertrag war, ich habe ihn gefragt, wieviel er dafür haben möchte. Er wollte nichts. Ich habe mit anderen Gästen gearbeitet, die 1.200€ für einen Gastbeitrag aufgerufen haben, das hätte Hansi locker auch tun können, wenn er gewollt hätte. Hat er aber nicht, er hat mein Geld ausgeschlagen. Das gleiche gilt für seinen Beitrag auf dem Song "Spiritual Treason" auf 'The Last Emperor'.
Ich würde nicht so weit gehen, dass ich mich als Hansis Freund bezeichnen würde, es ist eine Art freundschaftliche Bekanntschaft. Wir schreiben uns über die Jahre immer wieder und treffen uns, wenn er in den USA ist. Da gibt es kein Ego. Dass wir für sie eröffnen durften, als BLIND GUARDIAN in Salt Lake City gespielt hat, das hätten sie auch nicht erlauben müssen. Wenn sie freundlich "Nein, Danke" gesagt hätten, wäre das völlig okay gewesen und ich hätte mir trotzdem ein paar Tickets gekauft. Aber wir durften vor BLIND GUARDIAN spielen. Man kann berühmt werden, ohne die Bodenhaftung zu verlieren und zu vergessen, wo man herkommt. Nicht nur Hansi, die ganze Band ist einfach völlig normal und am Boden geblieben. Ich könnte noch viel erzählen, warum ich die Jungs liebe und respektiere.
Das kann ich nur bestätigen. Ich konnte es vor ein paar Jahren gar nicht glauben, Marcus und André saßen im Publikum auf einem Festival, und ich meinte zu einem Freund: "Hey schau mal, die sehen aus wie die Gitarristen von BLIND GUARDIAN." Und er: "Ja, weil sie es sind." Ich konnte es nicht glauben, dass sie einfach da auf den Stufen des Amphitheaters in Gelsenkirchen saßen und sich die Bands angeschaut haben. Frederik ist in Krefeld vor einer Show an der ganzen Schlange am Einlass vorbei und hatte für jeden einen Moment Zeit zu reden oder für ein Autogramm oder Selfie.
Bei Frederik und seiner Familie war ich auch schon zu Besuch. Wir haben eine Wanderung gemacht, ich bin mir nicht mehr sicher, irgendwo bei Wiesbaden? Auf jeden Fall gab es dort Schilder, dass man die Wege nicht verlassen soll, weil dort noch immer Landminen aus dem Krieg liegen könnten. Hin und wieder wird wohl eine gefunden und dann kümmern die Behörden sich darum, dass die entschärft wird. Ach, schon wieder Geschichte, äh, was ich sagen wollte: Frederik und seine Familie sind ganz wunderbare Leute!
Magst du das letzte Album, "The God Machine"?
Ja, ich mag das Album wirklich gern! Ich weiß, dass es einige Fans gibt, die die neueren Sachen nicht so gern mögen, wie die alten. Aber ich sehe das wie du es am Anfang über JUDICATOR-Alben gesagt hast. Ich versuche, jedes neue Album erstmal für sich zu sehen, ohne den Ballast der Vergangenheit. Und "The God Machine" gefällt mir immer noch wirklich gut.Ihr spielt im April auf de Epic Fest in Dänemark. Ist das euer erster Live-Gig in Europa?
Ja, und damit geht für mich ein Traum in Erfüllung. Als ich damals mit Metal in Berührung gekommen bin, habe ich YouTube Videos von Festivals wie Wacken, Download, Bloodstock und so weiter gesehen und habe mir gesagt, wenn ich hart arbeite, kann ich auch eines Tages auf so einer Festivalbühne stehen. Die Leute von Epic Fest sind wirklich coole und nette Leute und ich würde gern in der Zukunft wieder mit ihnen arbeiten!
Gibt es schon Pläne, nach Europa zurückzukommen?
Es gibt die Möglichkeit im nächsten Jahr wieder beim Epic Festival zu sein, aber nicht mit JUDUCATOR. Und im Jahr 2027 besteht die Chance, dass wir wieder in Europa spielen, ein Festival hat Interesse an JUDICATOR, aber da ist noch nichts unterschrieben – aber es ist im Bereich des Möglichen. Alles andere wird man sehen.
Wenn ich einen Zauberstab hätte, würden wir in jedem Jahr auf zwei oder drei europäischen Festivals spielen, aber mal sehen, ob wir das auch ohne Magie erreichen. Die Erfahrung auf dem Epic Fest, das Networking, was uns dort hoffentlich gelingt, wird uns helfen. Und wenn der eine oder andere von euch, der für ein Festival arbeitet, jetzt denkt: "Hey, JUDICATOR, könnte interessant sein, die dabei zu haben" – dann kontaktiert mich, ladet uns ein! Beim Epic Fest habt ihr ja gesehen, dass wir es können!
Die letzten Worte des Interviews gehören wie immer dem Gast - was möchtest du unseren Lesern von powermetal.de zum Abschluss sagen?
Danke für eure Unterstützung über die Jahre, falls ihr uns schon länger kennt! Und wenn ihr JUDICATOR noch nicht kennt – hört euch unser neues Album "Concord" an, das am 28.03.2025 erschienen ist! Wir sind davon begeistert und ich denke, ihr werdet es auch mögen!
Fotocredits: Adam Manwill, Gomthog Metallicus & Tony Gomez
- Redakteur:
- Maik Englich