Januar 1980: UFO veröffentlicht "No Place To Run"
13.08.2025 | 18:26Am 15. August 2025 wird eine remasterte und erweiterte Version des achten Studioalbums der Band erscheinen. Die Neuauflage des Klassikers gibt uns die Gelegenheit, uns einmal eingehend und ausgiebig mit diesem Werk zu beschäftigen.
Auf der Erfolgswelle
Bevor wir auf die neue Ausgabe schauen, blicken wir doch einmal zurück in die Geschichte von UFO. Denn eigentlich hätte das Jahr 1980 für die Briten eine Zeit des Schwimmens auf einer großen Erfolgswelle sein sollen. Schließlich war in den letzten Jahren alles großartig verlaufen und die Band konnte kommerziell ernten, was sie mit den Alben "Lights Out", "Obsession" und dem Live-Album "Strangers In The Night" gesät hatte.Doch zwei Dinge stellten sich dem Genuss der Erfolge in den Weg: zum einen der Weggang von Gitarrist Michael Schenker. Der blonde Star war bereits in der Vergangenheit oft eher eine Bürde denn eine Bereicherung für die Band gewesen, sobald es auf Tour ging, da er schwer unter Lampenfieber litt und live zu spielen für ihn immer eine Vorstellung mit Schrecken gewesen war[1]. Obendrein kam es zu Spannungen unter den starken Persönlichkeiten; ob es allerdings tatsächlich nur ein dummer Scherz war, der zu Michaels Ausstieg führte[2], mag die Sache etwas sehr vereinfachen, zumal Pete Way sich anders erinnert und als Grund die Möglichkeit, bei AEROSMITH zu spielen, angibt[3]. Doch seine Genialität an den sechs Saiten und als Komponist zusammen mit Phil Mogg hatte UFO erst dahin gebracht, wo sich die Band nun befand. Daher war es wohl doch weniger eine Erlösung als ein Problem, als der junge Deutsche den Dienst quittierte und seine eigene Soloband gründete, die ebenfalls 1980 ihr Debüt veröffentlichen sollte.
Die Suche nach einem neuen Gitarristen dauerte nicht lange. Paul Chapman von LONE STAR hatte früher bereits mehr als einmal ausgeholfen und war bereit, den vakanten Posten auch permanent auszufüllen, nachdem er mitten in der Nacht in einer Bar ausfindig gemacht worden war[3]. Was in seiner Konsequenz zum Ende von LONE STAR führte.
Noch schwerwiegender und schwieriger zu lösen war das Problem, das die Plattenfirma Chrysalis ihnen aufbürdete. Nämlich radiofreundliches Material zu schreiben, mit dem sich die Band im lukrativen US Markt endgültig etablieren sollte[3]. Schließlich fanden sich gleichzeitig drei Alben in den Albumcharts, sodass die Zeit dafür perfekt geeignet war. Statt ihres angestammten Produzenten Ron Nevison, der nicht zur Verfügung stand, sollte die Band mit George Martin zusammenarbeiten, dessen Ruhm als "fünfter Beatle", der immerhin so erfolgreiche Alben wie "Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band" und "Abbey Road" produziert hatte, ihm vorauseilte. Dazu flog die Band nach Montserrat in die Karibik, um "No Place To Run" aufzunehmen.
Spannungen zwischen der hart rockenden Band und dem deutlich kommerzieller ausgerichteten Produzenten waren vorprogrammiert, und im Nachhinein sind sich beide Seiten in der Einschätzung einig, dass dies nicht die erhoffte Sternstunde für Band wie Produzent geworden ist. Das verleitete den "Musikexpress" sogar zu der Mutmaßung, die Band könnte in der Zukunft in der "Bravo" gleich hinter SMOKIE und den TEENS auftauchen[4]. Das gilt übrigens auch für das Cover, das es in verschiedenen Versionen gibt, jeweils mit anders gefärbtem Titel und dem Schriftzug an verschiedenen Stellen, jedoch immer mit dem Foto der Band an einer Tankstelle in King's Cross in London, was völlig zusammenhanglos und auch ziemlich unkreativ war, obwohl es von der ansonsten mit außergewöhnlichen Einfällen auftrumpfenden Ideenschmiede Hipgnosis stammt.
Die LiederDen Anfang des Albums bildet ein knapp zweiminütiges Instrumental namens 'Alpha Centauri', das aus der Feder des neuen Gitarristen Paul Chapman stammt. Es wurde noch als letztes hinzugefügt, als der Rest der Scheibe bereits fertig war, und wurde von George Martin großartig umgesetzt, der auch den herzschlagartigen Sound mit Hilfe eines Handtuches und eines Klavierhockers kreierte[1]. Aber es ist dann doch nur der Auftakt, der zu einem der großen Songs auf "No Place To Run" überleitet. 'Lettin' Go' ist eine Phil Mogg-Komposition mit einer starken Melodie und Moggs markanter Stimme, lässt aber in Bezug auf die Gitarre bereits den vorherigen Gitarristen Michael Schenker vermissen. Es fehlen die genialen Kleinigkeiten, ohne dass man Chapman wirklich etwas vorwerfen kann.
Waren die Musiker selbst nicht ganz sicher, wie gut ihr eigenes Material war? Jedenfalls folgt gleich als zweiter Song eine Coverversion des ursprünglich von Elvis Presley berühmt gemachten 'Mystery Train', dessen Text sich die Band über eine per Telefon überspielte Aufnahme aus London erarbeitete[1]. Mit einem schönen Akustikintro verströmt der Song gleich Südstaaten-Atmosphäre. Phil Moggs Stimme klingt bluesig wie erst wieder zwanzig Jahre später, und die zahlreichen kleinen Gitarrensoli machen das Lied zu einem der Highlights von "No Place To Run".
Bis hierhin klingt das neue Album großartig, wenn auch weniger rau und polierter, was keine Überraschung ist, allerdings einen Teil des Charmes der vorherigen Werke nimmt. Der Anspruch der Plattenfirma schimmert durch, wird allerdings im folgenden 'This Fire Burns Tonight' noch deutlicher. Die Vorstellung, man könnte einen UFO-Radiohit planen, sollte sich zwar nach Veröffentlichung des Albums sicher schnell aufgelöst haben, aber gerade dieser Song schielt deutlich auf potentielles Airplay, nur um daran dann doch meilenweit vorbeizuschießen. Dieser Song stammt übrigens aus Chapmans Feder und war ursprünglich für LONE STAR geschrieben worden.
Balladeske Töne schlägt 'Gone In The Night' an. Der aufdringliche Bass stört allerdings, dafür klingt Raymonds Pianospiel sehr songdienlich. Dieses Lied ist ein klares Beispiel dafür, dass Band und Produzent nicht auf Augenhöhe agierten. Vieles klingt nach Stückwerk und halb fertig. Selbst Moggs Gesang wirkt seltsam distanziert und gebremst, so dass man leider attestieren muss, dass mit einem weniger polierten Anspruch noch mehr drin gewesen wäre. Die tatsächliche Single von "No Place To Run" war 'Young Blood', die mit einem anderen Foto aus der Session mit Hipgnosis in London veröffentlicht wurde. Zwar spricht nichts gegen eine kommerziellere Ausrichtung, UFO sollte später beweisen, dass man durchaus in der Lage war, rockige Hymnen mit Radiopotential zu schreiben, nur leider war man zu diesem Zeitpunkt noch nicht so weit. 'Young Blood' hat einen guten Refrain, der nach UFO klingt, ist aber ansonsten recht langweilig geraten und bleibt irgendwo in der Schnittmenge von THE SWEET und SUZI QUATRO hängen. Glücklicherweise bekommt die Band mit dem Titelsong die Kurve. Hier stimmen wieder Spannung und Durchführung, daran kann auch die seichte Produktion nichts ändern. Zusammen mit 'Mystery Train' ist dies der einzige Song des Albums, der in den Folgejahren immer wieder auf der Setlist der Band auftauchen sollte. Nur bei Sänger Phil Mogg hofft man auch hier immer wieder, dass er mehr aus sich herausgehen würde.
Auch das Schlusstrio vermag den Eindruck des Albums nicht nachhaltig zu verbessern. 'Take It Or Leave It' beginnt zwar vielversprechend bluesig, enthält aber keinerlei Überraschungen und bleibt ein generischer Blues-Rock-Song, während 'Money Money' bemüht klingt und vor allem in der Gitarrenarbeit klar macht, dass Chapman noch Zeit brauchen würde, um die Fußstapfen Schenkers auszufüllen. Mogg holt noch das Meiste aus dem Song heraus, spätestens beim abschließenden 'Anyday' nimmt beim Hörer aber die Enttäuschung überhand, dass "No Place To Run" nicht der erhoffte großartige Nachfolger der brillanten "Obsession" und "Lights Out" geworden ist, sondern nur ein gutes Album einer Band, von der man weiß, dass sie zu Größerem fähig war. Wobei 'Anyday' durchaus ein im Kontext als gelungen zu bezeichnender Song des Albums ist, der mit tiefem Gesang Moogs und schöner Dynamik einen der gefühlvollsten Titel auf "No Place To Run" darstellt.
Immerhin schaffte es "No Place To Run" in Großbritannien auf Platz 11 der Albumcharts und die Single 'Young Blood' immerhin auf 36, in den USA scheiterte "No Place To Run" knapp an den Top 50[7], aber der Eindruck, dass die Briten gefangen waren zwischen ihrem Rock und der erforderlichen Pop-Attitüde, lässt sich nicht von der Hand weisen. Diese Balance sollte UFO nur zwei Alben später deutlich besser hinbekommen.
Die Neuauflage
Fünfundvierzig Jahre nach dem Erscheinen des Werkes im Januar 1980 wird nun eine überarbeitete Version des Albums erscheinen, das für Fans der Band ein paar erwähnenswerte Boni bereithält, neben der Tatsache, dass der Sound ordentlich aufpoliert worden ist. Da sind auf dem eigentlichen Album zwei bislang unveröffentlichte, alternative Versionen von 'Gone In The Night' und 'No Place To Run', die für den Komplettisten möglicherweise interessant sind, aber noch nicht dazu verleiten würden, das Album erneut zu erwerben. Genau das gilt auch für die Single-Version von 'Young Blood', die insgesamt fünfzig Sekunden eingebüßt hat, obwohl sie auch zuvor die Vier-Minuten-Marke nicht knacken konnte.
Hier ist die Trackliste der Neuauflage des Albums:
1. Alpha Centuri
2. Lettin’ Go
3. Mystery Train
4. This Fire Burns Tonight
5. Gone In The Night
6. Young Blood
7. No Place To Run
8. Take It Or Leave It
9. Money, Money
10. Anyday
11. Young Blood (Single Version)
12. Gone In The Night (Alternative Studio Version)
13. No Place To Run (Alternative Studio Version)
Phil Mogg - Gesang
Paul Chapman - Gitarre
Paul Raymond - Keyboards, Gitarre, Gesang
Pete Way - Bass
Andy Parker - Schlagzeug
Produzent: George Martin
Gestaltung: Hipgnosis
Die zusätzliche Live-Scheibe
Das ist der eigentliche Mehrwert der Neuauflage, denn mit dem Konzert vom 16. November 1980 im Londoner "The Marquee-Club" erhält der Fan einen beinahe kompletten, bislang unveröffentlichten Liveauftritt der Band als Zugabe. Beinahe komplett? Ja, der Song 'Making Moves' ist nur in der digitalen Version erhältlich. Nach einem Blick auf die Spielzeit stellt man fest, dass das gesamte Konzert einfach nicht auf eine CD gepasst hat.
Die drei Lieder des damals aktuellen Albums passen sich ausgezeichnet ein in die Trackliste und zeigen auch Paul Chapman in guter Form. UFO war ein echtes Rock-Schwergewicht und die Show sicher ihren Eintrittspreis wert, genauso wie es die Tonaufnahme heute ist.
Live at The Marquee, London, Nov 16th 1980 (Newly Mixed / Previously Unreleased)
1. Introduction
2. Chains Chains
3. Lettin’ Go
4. Long Gone
5. Cherry
6. Only You Can Rock Me
7. No Place To Run
8. Love To Love
9. Hot And Ready
10. Mystery Train
11. Too Hot To Handle
12. Lights Out
13. Rock Bottom
14. Doctor Doctor
(15. Making Moves - nur digital)
Die Liner-Notes
Etwas Besonderes ist immer, wenn die Protagonisten selbst zu Wort kommen und ein Album historisch in Kontext stellen. Da es sich mit diesem Werk und dem Jahr 1980 um ein sehr turbulentes in der Geschichte der Band handelt, ist das ausführliche Essay von Michael Hann mit zahlreichen Zitaten natürlich höchst interessant.
Andy Parker über "No Place To Run", Interview 2015
Da ich mit Andy Parker vor ein paar Jahren über dieses Album gesprochen habe, beenden wir diesen Rückblick mit ein paar Einsichten aus dem Nähkästchen eines der Hauptakteure. Dies ist die Erstveröffentlichung dieses Interviews.
"Paul Chapman war eine Weile nicht in der Band, nachdem Michael zurückgekehrt war. Michael hatte zugesagt, noch eine Tour zu spielen und das Live-Album zu machen, bevor er die Band endgültig verlassen würde. Paul Chapman hatte zu dieser Zeit seine eigene Band LONE STAR, deswegen schauten wir uns auch nach anderen Gitarristen um. Ich meine, Steve Stevens war darunter, und es gab das Gerücht, dass Eddie Van Halen darüber nachdachte, den Job anzunehmen, aber ob das wahr ist, weiß ich nicht. Als Paul dann schlussendlich doch verfügbar war, schien es die perfekte Lösung zu sein, also machten wir es so. In einer solchen gitarrenorientierten Band ist der Gitarrist üblicherweise einer der Hauptkomponisten, wir haben für das Album genauso gearbeitet wie immer, nur eben mit Paul statt Michael. Paul brachte seine Songideen ein. Wir hatten dabei keinen Druck von Seiten unseres Labels und da George Martin gerade das Air Studio auf Montserrat eröffnet hatte und anbot, jede Band zu produzieren, die es nutzen würde, war das ein Angebot, das einfach zu gut war, um es abzulehnen. Es war toll mit ihm zu arbeiten, anders, aber toll! Es war ein großartiges Studio mit einem großartigen Toningenieur namens Geoff Emrick und einem großartigen Produzenten.
Sonst war es wie immer, wir nahmen unsere besten Ideen, nahmen die Grundspuren auf und Phil schrieb die Texte, während wir an den Soli arbeiteten. Soweit ich mich erinnere, dauerten die Aufnahmen etwa einen Monat. Wir gingen nie mit fertigen Liedern ins Studio, wir komponierten weiter, während wir aufnahmen, alle Lieder wurden auf Montserrat eingespielt.
Das Albumcover stammt von Hipgnosis, wie auch die vorherigen. Wir haben ihre Auswahl nie in Frage gestellt. Es war ein wichtiges Album für die Band. Es zeigte, dass wir auch ohne Michael gute, originelle Musik schaffen konnten. Obwohl "No Place To Run" und auch die folgenden drei Alben nicht den Erfolg hatten, den sie verdient gehabt hätten, was meiner Ansicht nach hauptsächlich daran lag, dass unsere Plattenfirma ihre Schwerpunkte anders gesetzt hat, sollte man Paul Chapmans Beitrag zu UFO nicht unterschätzen. Er war ein großartiger Mensch und ein toller Gitarrist!"
[1] Popoff, Martin (2005): Lights Out … Spot An: UFO, ; Berlin, I.P. Verlag Jeske/Mader GbR
[2] Karabagli, Tolga (2006): Interview mit Michael Schenker, www.powermetal.de; abgerufen am 4. Januar 2015
[3] Musik Express 3/1980, www.musikexpress.de; abgerufen am 4. Januar 2015
[4] UFO - No Place To Run; Booklet der Remastered Edition 2009, Chrysalis Records
- Redakteur:
- Frank Jaeger