LINGUA MORTIS ORCHESTRA: Listening Session

02.07.2013 | 07:51

Wenn Peavy & RAGE rufen, bin ich natürlich gerne da. Schließlich machen die mir schon seit Jahrzehnten Spaß. Obendrein finde ich die symphonische Phase der Band ganz ausgezeichnet und höre immer noch sehr gerne "13".

Dass RAGE und vor allem Victor Smolski sich nun mit einem eigenen Projekt diesem Aspekt der Band gezielt widmen und das Ganze von der eigentlichen Band RAGE trennen, erscheint positiv. Natürlich kann man nicht immer ein ganzes Orchester auf die Bühne schleifen, und wenn es vom Band tönt, bleiben der Rock und das Live-Feeling auf der Strecke. Also wird jetzt bei RAGE wieder gerockt und bei LMO eben geschwelgt.

Die Plattenfirma Nuclear Blast hat also nach Donzdorf geladen, um einigen Journalisten aus dem In- und Ausland das Album in seiner vollen Pracht um die Ohren zu hauen. Ich gebe zu, ich bin ein bisschen aufgeregt. Zwar mache ich das schon lange, und die Anwesenheit der ganzen Band ist zwar schön, aber soweit geht der "cult of personality" auch nicht, nein, ich freue mich tatsächlich sehr darauf, das Album mit dem schlichten Titel "LMO" hören zu dürfen. Victor hat schon immer herrliche Melodien und fette Riffs und eine knackige Kombination aus beiden zusammenkomponiert und mir immer Spaß gemacht. Dementsprechend erwarte ich allerdings auch Einiges!

Zu Beginn bedankt sich Victor erst einmal vor allem bei Nuclear Blast, dass diese das Experiment mitmachen, und bei den zahlreichen Mitwirkenden, unter anderem zwei Orchestern aus Barcelona und Weißrussland. Ja, Herr Smolski hat geklotzt. Heraus kamen acht Kompositionen über die Zeit des Hexenwahns mit beachtlicher Spielzeit und ohne Pausen, ein echter Brocken also, den ich mir nun anhöre und euch sozusagen live kommentiere. Aber Vorsicht: Hier spricht der Fanboy!

'Cleansed By Fire'
Der Beginn ist schon mal vielversprechend, den es geht kraftvoll und energisch los, heftiger als Lingua Mortis früher geklungen hat, mit einem sehr schwermetallischen Drumming. Peavey klingt typisch und der Refrain ist ein echter Ohrwurm. Dazu hält sich Victor hörbar mit seinen sechs Saiten zurück, legt einen metallischen Grundstein für das Orchester, das absolut dominiert. Was am meisten auffällt, ist der ungewöhnliche Gitarrensound: rau und roh, als ob Victor Stacheldraht durch den Orchester-Samt zieht. Wo üblicherweise in den Metal Opern der letzten Zeit gesäuselt wurde und eher etwas mehr Zuckerguss verwendet wurde, bleibt das LINGUA MORTIS ORCHESTER seinen Wurzeln treu. Das hatte ich gehofft, aber nicht wirklich erwartet. Die Buben werden ja auch nicht jünger, nicht wahr? Mein Musikgeschmack hat sich auch stark gewandelt, und nachdem "21" erdig und rockig geworden ist, hatte ich eher gedacht, dass die Drei es hier ruhiger und auch eben kitschiger angehen lassen würden. Mitten im Song gibt es dann aber einen ruhigen, filmmusikähnlichen Teil, in dem nur Andre noch richtig zu Werke geht, später sogar ein Keyboardsolo, wobei mich Banausen später Peavey korrigiert und berichtigt, dass es ein Gitarrensolo ist, nur mit Effekt. So langsam denke ich, dass der Song wohl nie aufhört. Das ist ja in bester Prog-Metal-Manier komponiert, ohne Rücksicht auf Länge und Längen. Auch die Damen kommen erstmals zum Zuge, wobei ich leider nicht sagen kann, welche Frauenstimme hier einen Kontrast zu Peaveys tiefem Gesang bildet. Da werden wir wohl auf die Scheibe warten müssen. In jedem Fall ist der Auftakt des Albums schwierig. Dieser Song ist ganz sicher mit einmaligem Hören nicht zu erfassen, und ich bin durchaus Einiges gewohnt als alter Prog-Fan. Dass ich aber Lust habe, das Ding gleich nochmal anzumachen, ist ein gutes Zeichen.

'Scapegoat'
Dem Titel angemessen gibt es hier ordentlich was auf die Ohren. Heftige Doublebassdrums, der harte Gitarrensound und Peavey mit Growls. Das ist wirklich nicht das, was ich erwartet habe. LMO lässt sich nicht ausrechnen und schafft es, zu überraschen. Trotzdem bleiben die Trademarks nicht auf der Strecke, die RAGE groß gemacht haben und ohne die an eine Scheibe wie diese hier auch nicht zu denken wäre, wie beispielsweise ein eingängiger Refrain, der allerdings recht kurz ausgefallen ist. Ansonsten wird der Song später auch etwas weniger heftig und das Orchester darf wieder die Führung übernehmen, entweder als Ganzes oder durch einzelne Instrumente, die Akzente setzen können. Victor setzt auch noch ein Solo obendrauf, und ich denke, dass dieser Song eventuell ein wenig zu lang sein könnte. Das kann aber auch am Opener liegen, der einfach zu komplex ist und noch nachwirkt.

'The Devil's Bride'
Jetzt habe ich das, was ich mir gedacht hatte. Dieser Song klingt ganz deutlich nach RAGE. Ein Midtempo-Track, der mir sicher auch auf "13" gefallen hätte. Das mag vielleicht etwas unspektakulär klingen, so wie ich es formuliere, aber jeder Fan der Band weiß sicher, was ich meine. Melodien, Peaveys Gesang, der Chorus, das alles schreit förmlich RAGE und schlägt eine Brücke zu den symphonischen Songs der Phase in den Neunzigern, die sich sicher in die Tour angenehm einfügen werden. Nur der Gitarrensound ist immer noch gewöhnungsbedürftig. Victor hat da irgendwas gezaubert, und ich bin weiterhin verwirrt. Das ist das genaue Gegenteil zu den Orchestersounds. Der Song ist klasse, aber ich habe das Gefühl, dass ihm sicherlich 'Cleansed By Fire' den Rang ablaufen wird, wenn ich diesen Song erstmal habe öfter hören können.

'Lament'
Dem Titel nach wird es jetzt ruhiger, und tatsächlich: Piano und Orchester, und dann singt Peavey einen Schlager mit Damenbegleitung. Meine Gedanken sind böse, mit fallen Vergleiche ein wie "Nena und Markus des Metal" oder "RAGE-Song für das betreute Wohnen". Positiv fallen die FALCO-Reminiszenzen im Gesang und das tolle MSG-Gedächtnis-Solo auf, aber ansonsten wären die Jungs damit auch bei Dieter Thomas Heck nicht verkehrt gewesen. Zum Abschluss gibt es noch einen Orchester-Nachschlag, aber insgesamt ist mir das hier ein bisschen viel Schmalz.

'Oremus (Instrumental)'
Ein emotionales, nicht allzu langes Instrumental. Wieder würde ich Victors Gitarrenspiel mit dem von Michael Schenker vergleichen, so wie dieser in den Achzigern geklungen hat, denn genauso gefühlvoll lässt der LMO-Gitarrist seine Saiten erklingen. Im Hintergrund gibt es ein wenig Chorgesang, aber richtig weiter geht es erst mit

'Witches' Judge'
Wie um mich zurückzuholen, lassen die Herren es jetzt wieder krachen. Der Metal ist zurück. Mit viel Drive, auch im Orchester, inszeniert Peavey hier den Inquisitor und die Dame die Hexe, das hier ist wieder das bombastische RAGE, nur etwas heftiger als vor zwanzig Jahren. Dieser Song ist ein willkommener Weckruf nach 'Lament', mit einer nicht zu vertrackten Orchestrierung und dem direkten Drang ins Ohr.

'Eye For An Eye'
Was wieder mit ruhigem Orchester beginnt, entpuppt sich zum zweiten Midtempo-Song mit typischen RAGE-Trademarks. Da sind zwar kitschige Melodien im Refrain, aber genau das mag ich. Und an den Kontrast mit dem Gitarrensound habe ich mich auch langsam gewöhnt. Das klingt ein bisschen, als ob man das Beste von RAGE und NIGHTWISH kombiniert hätte. Ich denke allerdings, dass der Chor ein bisschen zu häufig gesungen wird. Das könnte Abzüge in der B-Note geben, wenn das Album Dutzend Durchläufe hinter sich haben wird. Mal sehen.

'Afterglow'
Da sind wir bereits am Ende. Noch einmal wird es extrem bombastisch mit einem schönen Chor, das Lied baut aber noch einmal Spannung auf, bevor es schön und in Dur endet. Auch hier scheint mir der Refrain ein-, zweimal zuviel gesungen zu werden. Trotzdem ein würdiger Abschluss, der noch einmal Metalband und Orchester verschmilzt und bei dem Victor nicht der Versuchung erlegen ist, das Projekt ruhig und kitschig zu Ende zu bringen. Nein, hier wird bis fast zuletzt gerockt. „Fast" weil es dann ganz zum Schluss noch mit Orchester und Didgeridoo ausklingt.

Es ist sehr schwer, nach nur einem Durchlauf Worte zu finden, speziell weil es hier ja keine einzelnen Songs zu hören gibt, sondern ein Album, das als Gesamtwerk zu sehen ist. Doch dafür brauche ich noch einige weitere Versuche, sodass alles, was ich sage, natürlich nichts Anderes wiedergeben kann als einen frühen, oberflächlichen Eindruck. Und der ist ausgesprochen positiv. „LMO" führt LINGUA MORTIS weiter, fügt weitere und extensive Orchesterparts hinzu, klingt aber weitgehend nach RAGE. Dabei ist es aber vielschichtig, teilweise sogar proggy, und zugleich hart. Im Vergleich zu ähnlichen Veröffentlichungen der letzten Zeit schafft es LMO am besten, weiterhin den Metal hochzuhalten. Da kommt eine spannende Scheibe auf uns zu, und ich kann es kaum erwarten, sie nochmal zu hören, besonders 'Cleansed By Fire'. Stark.

Übrigens enthält die limitierte Edition noch zwei Bonustracks, nämlich 'Straight To Hell' und 'One More Time' in orchestralen Versionen, die beide ziemlich gut klingen und einen echten Mehrwert bilden.

Redakteur:
Frank Jaeger
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